JudikaturOGH

3Ob226/53 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 1953

Kopf

SZ 26/114

Spruch

Mißbrauch der väterlichen Gewalt im Sinne des § 178 ABGB. liegt vor, wenn der Vater das Kind nur deshalb zu sich nehmen und aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen will, weil er die Geldrente für das Kind nicht bezahlen will.

Entscheidung vom 29. April 1953, 3 Ob 226/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Horn; II. Instanz: Kreisgericht Krems.

Text

Das Erstgericht wies den Antrag der mütterlichen Großmutter, ihr das Kind in Pflege und Erziehung zu belassen, ab und sprach aus, daß es dem ehelichen Vater in Pflege und Erziehung zu übergeben sei. Das Kind befinde sich seit der faktischen Trennung der Ehe der Eltern bei der Mutter und damit bei den Großeltern. Die Mutter sei im Dezember 1951 gestorben. Nach Wegfall der Mutter des Kindes könne § 142 ABGB. nicht auf die mütterliche Großmutter angewendet werden. Von den Rechten und Pflichten der väterlichen Gewalt könne der Vater nur durch das Gericht entbunden werden. Die Voraussetzungen der §§ 176 bis 178 ABGB. seien nicht erwiesen worden. Es liege daher kein Grund vor, dem Vater das Kind zu verwehren. Daß das Kind aus der bisherigen Umgebung und sicherlich guten Betreuung entfernt würde, auch ein Schulwechsel damit verbunden wäre und daß das Kind dem Vater derzeit nicht zugeneigt sei und das Verbleiben des Kindes bei den Großeltern dem letzten Wunsch der Mutter entspreche, könne mangels gesetzlicher Möglichkeit nicht berücksichtigt werden.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß zu ergänzenden Erhebungen auf. DieAuffassung des Erstgerichtes, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des § 178 ABGB. nicht gegeben seien, könne nicht geteilt werden. Das Erstgericht habe die Beschuldigungen der Großmutter, daß der Vater die Mutter des Kindes in Gegenwart des Kindes beschimpft und Geschenke an das Kind anläßlich zweier Weihnachten unterlassen habe, nicht untersucht. Die Großmutter habe auch behauptet, das Kind könne in Horn am Gymnasium einen Freiplatz erhalten. Die grundlose Verhinderung einer höheren Schulbildung durch den Vater trotz Vorliegens guter Schulerfolge stellte einen Mißbrauch der väterlichen Gewalt dar. Ebenso könne das Verhalten des Vaters der Mutter gegenüber in Gegenwart des Kindes eine Maßnahme nach 178 ABGB. rechtfertigen. Es sei auch die neue Behauptung im Rekurs zu überprüfen, daß der Vater ständig zahlungsunwillig sei und die Beiträge nur im Wege der Exekution hereingebracht werden konnten. Für letztere Behauptung biete der Pflegschaftsakt keine Anhaltspunkte. Jedoch seien Äußerungen der Zahlungsunwilligkeit aus dem Pflegschaftsakt ersichtlich. Eine erhebliche Vernachlässigung der Unterhaltspflicht könnte ebenfalls Maßnahmen nach § 178 ABGB. rechtfertigen. Der Vater solle sich geäußert haben, er wolle das Kind nur deshalb zu sich nehmen, damit er keinen Unterhalt zu zahlen brauche. Eine solche Äußerung würde aber die Annahme rechtfertigen, daß der Antrag auf Ausfolgung des Kindes einen Mißbrauch der väterlichen Gewalt darstellt. Es werde auch zu prüfen sein, ob das Kind nach dem Tode der Mutter sich entschieden wehrte, zu seinem Vater zu gehen und eine Gewaltanwendung des Vaters nur durch Intervention des Jugendamtes und der Gendarmerie verhindert werden konnte. Ein solches Verhalten des Kindes würde den Schluß zulassen, daß mit der Übergabe des Kindes an den Vater eine psychische Schädigung des Kindes verbunden wäre, vorausgesetzt, daß diese Abneigung des Kindes durch eigenes Verschulden des Vaters entstanden wäre. Auch dies würde die Herausgabe des Kindes an den Vater hindern, weil ein Mißbrauch der väterlichen Gewalt vorläge.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des ehelichen Vaters nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Ein unsittlicher oder ehrloser Lebenswandel des Vaters würde wohl eine Maßnahme nach § 178 ABGB. erfordern. Doch muß bemerkt werden, daß von einem solchen Lebenswandel nicht schon deshalb gesprochen werden könnte, weil der Vater die Mutter während des Bestandes der Ehe, wenn auch in Gegenwart des damals sicherlich noch sehr kleinen Kindes, beschimpft hätte. Ebensowenig ergäbe sich ein solcher Lebenswandel aus der Tatsache, daß der Vater das Kind bei zwei Weihnachtsfesten nicht beschenkt hätte. Diese Umstände könnten nur im Zusammenhang mit der behaupteten Abneigung des Kindes gegen seinen Vater gewürdigt werden, wobei eine solche Abneigung aber nur dann beachtlich wäre, wie das Rekursgericht bereits zutreffend ausführt, wenn diese Abneigung durch das Verhalten des Vaters verschuldet worden wäre, nicht aber dann, wenn sie auf einseitige Beeinflussung des Kindes zurückzuführen ist.

Die Verweigerung einer höheren Schulbildung würde noch keine Maßnahme nach § 178 ABGB. rechtfertigen. Es müßte vielmehr genauestens untersucht werden, ob besondere Gründe im vorliegenden Fall für eine solche Schulbildung des Kindes sprechen. Keine grundlose Weigerung würde es auch z. B. darstellen, wenn der Vater finanziell nicht in der Lage wäre, diese höhere Schulbildung und die damit verbundene Erwerbslosigkeit des Kindes zu tragen, das Studium nur mit Hilfe dritter Personen möglich wäre und diese Unterstützung bis zur Beendigungdes Studiums nicht gewährleistet wäre. Eine grundlose Weigerung läge aber auch dann nicht vor, wenn bloß beabsichtigt wäre, das Mädchen die Untermittelschule besuchen und sie sodann einen Beruf erlernen zu lassen, für den die Hauptschulbildung hinreicht, weil in diesem Falle die Hauptschulbildung als abgeschlossene Bildung vorzuziehen wäre.

Durchaus zutreffend ist die Meinung des Rekursgerichtes, daß es einen Mißbrauch der väterlichen Gewalt darstellen würde, wenn der Vater das Kind nur deshalb zu sich nehmen und aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen wollte, weil er die Geldrente für das Kind nicht bezahlen will. Da jeder Mißbrauch der väterlichen Gewalt vom Gerichte zu verhindern ist, wäre in diesem Fall eine Maßnahme nach § 178 ABGB. notwendig und könnte die Belassung des Kindes bei den Großeltern angeordnet werden. Ob aber alle diese angeführten Voraussetzungen gegeben sind, müssen, wie bereits ausgeführt, erst die vom Rekursgerichte angeordneten Erhebungen klarstellen.

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