4Ob49/53 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 26/56
Spruch
Keine Berücksichtigung der Überstunden bei der Bemessung des Urlaubsentgelts.
Entscheidung vom 3. März 1953, 4 Ob 49/53.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Kläger begehrt das ihm gemäß § 6 ArbUG. gebührende Urlaubsentgelt. Streitig ist zwischen den Parteien nur, ob bei der Berechnung des Urlaubsentgelts vor Antritt des Urlaubes regelmäßig geleistete Überstunden zu berücksichtigen sind. Das Berufungsgericht hat dies abweichend vom Erstgericht verneint und daher das Mehrbegehren auf Zahlung von 18.88 S abgewiesen.
Das Berufungsgericht begrundet seine Entscheidung mit der Entstehungsgeschichte des neuen Arbeiterurlaubsgesetzes. Nach § 3 des Arbeiterurlaubsgesetzes vom 30. Juli 1919, StGBl. 395, hatte der Beurlaubte während des Urlaubs Anspruch auf seine Geldbezüge, die bei Akkord-, Stück- oder Gedinglohn, wenn nicht durch Kollektivvertrag etwas anderes vereinbart war, nach dem Durchschnitt der letzten zwölf Wochen unter Ausscheidung nur ausnahmsweise geleisteter Arbeiten zu bemessen waren. Diese Urlaubsbestimmungen hatten seinerzeit zu Zweifel Anlaß gegeben, so daß, "um eine einheitliche Handhabung der Urlaubsvorschriften zu sichern" (156 bzw. 204 der Beilagen des Nationalrates), der Begriff der Normalarbeitszeit im § 6 Abs. 2 ArbUG., BGBl. 173/1946, aufgenommen worden sei. Es sei wohl zugegeben, daß diese Textierung gleichfalls nach ihrem Wortlaut eine eindeutige Auslegung nicht zuläßt. Allein die historische Entwicklung dieser Gesetzesstelle lasse erkennen, daß die Absicht des Gesetzgebers dahin gegangen sei, unter Normalarbeitszeit die auf Grund von Einzeldienstverträgen, Kollektivverträgen oder Gesetz für das einzelne Arbeitsverhältnis festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit zu verstehen, so daß selbst ständig geleistete Überstunden bei der Berechnung des Urlaubsentgelts nicht in Anschlag zu bringen seien. Dies gehe deutlich aus den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage und des Berichtes des Ausschusses für soziale Verwaltung zu § 6 Abs. 2 hervor (156 und 204 der oben angeführten Beilagen).
Hiezu komme noch, daß die vom Kläger geleisteten Überstunden einschließlich der ohne Zuschlag zu vergütenden Arbeitszeit in ihrer Gesamtsumme die kollektivvertragliche Arbeitszeit in keiner Weise überschreiten; Überschreitungen der täglichen nach dem Kollektivvertrage normierten Arbeitszeiten berührten aber nicht die wöchentliche Normalarbeitszeit nach § 6 Abs. 2 ArbUG.
Diese Entscheidung wird vom Kläger mit Revision angefochten, in der nur der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht wird.
Die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Daß die Verfasser des neuen Arbeiterurlaubsgesetzes davon ausgegangen sind, daß auch ständig geleistete Überstunden bei der Berechnung des Urlaubsentgelts nicht zu berücksichtigen sind, ergibt sich eindeutig aus dem Motivenbericht, wo ausgeführt wird, daß sich aus der vorgeschlagenen, sohin Gesetz gewordenen "Regelung auch ergebe, daß das Entgelt für über die regelmäßige (normale) Arbeitszeit hinausgehende Mehrleistungen (Überstunden) bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes nicht zu berücksichtigen sei, selbst wenn der Arbeiter vor Antritt des Urlaubes längere Zeit hindurch Überstunden geleistet habe".
Es ist der Revision zuzustimmen, daß der Motivenbericht nicht ausschlaggebend ist; das Revisionsgericht ist aber entgegen der Revision der Auffassung, daß sich die Richtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichtes, auch abgesehen vom Motivenbericht aus dem Gesetze und seiner Entstehungsgeschichte, ergibt. Nach dem alten Arbeiterurlaubsgesetz hatte der Beurlaubte Anspruch auf "seine Geldbezüge", d. h. es mußte ihm während des Urlaubes in Geld all das bezahlt werden, was er außerhalb der Urlaubszeit verdient hat. Da die Überstundenentlohnung auch ein Geldbezug ist, ergab sich daraus die Schlußfolgerung, daß auch die geleisteten Überstunden zu berücksichtigen waren. Da das Gesetz keine Bestimmung darüber enthielt, in welchem Ausmaß die Überstundenentschädigung von schwankender Höhe zu berücksichtigen ist, lag die Analogie nahe, die für den Akkord-, Stück- oder Gedinglohn festgesetzte Norm analog anzuwenden und den Durchschnitt der letzten zwölf Wochen als Grundlage zu nehmen, unter Ausscheidung nur ausnahmsweise geleisteter Arbeiten. An der Einbeziehung der ständig geleisteten Überstunden konnte mit Fug umsoweniger gezweifelt werden, weil § 8 Achtstundentagegesetz, StGBl. 581/1919, auch das Überstundenentgelt als Geldbezüge ansah.
Diese Auslegung ist aber nach dem neuen Arbeiterurlaubsgesetz nicht mehrmöglich, weil § 6 Abs. 2 der Berechnung des Urlaubsentgeltes nicht mehr alle dem Arbeiter zufließenden Geldbezüge - die für nur ausnahmsweise geleistete Arbeiten ausgenommen - zugrunde legt, sondern nur den Lohn, der sich aus der "für den Arbeiter geltenden wöchentlichen Normalarbeitszeit" ergibt. Mehrarbeitszulagen für Arbeiter über die Normalarbeitszeit hinaus sind aber bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn es sich um ständig geleistete Überstunden handelt.
Daß aber unter "Normalarbeitszeit" Überstunden nicht inbegriffen sind, ergibt sich auch aus Art. 5 Abs. 2 des internationalen Übereinkommens, BGBl. Nr. 227/1924, über die Festsetzung der Arbeitszeit, wo von der "durchschnittlichen Arbeitszeit" im Sinne von "Normalarbeitszeit" gesprochen wird. Im gleichen Sinne verwendet die AZO. in §§ 3 und 15 den Ausdruck "regelmäßige Arbeitszeit" als diejenige Zeit, über die hinaus Mehrarbeit geleistet wird. Es ist daher der Sachlage vollkommen entsprechend, wenn das Berufungsgericht § 6 Abs. 2 ArbUG. in diesem Sinne ausgelegt hat.
Diese Schlußfolgerung wird noch dadurch unterstützt, daß auch in § 17 Abs. 4 AngG. alte Fassung der Ausdruck "Entgelt", auf das der Angestellte während des Urlaubes Anspruch hat und das nach § 6 Abs. 1 alle Geld- und Naturalbezüge umfaßt, also auch die Überstundenentlohnung, in Übereinstimmung mit § 6 Abs. 2 ArbUG. 1946 in § 17 Abs. 2 durch den Ausdruck "der Gehalt" ersetzt wurde, der sich aus der für den Angestellten geltenden Normalarbeitszeit ergibt. Unter dem "Gehalt" im § 17 a Abs. 3 versteht aber das Gesetz im Gegensatz zum "Entgelt" im § 17 a Abs. 1 jene Art des Entgelts, die in von vornherein bestimmten ("festen") Geldbezügen besteht, wie aus § 15 AngG. zu entnehmen ist. Überstundenentschädigungen sind also im § 17 a Abs. 2 von der Berücksichtigung beim Urlaubsentgelt ausgeschlossen. Da aber Angestellte und Arbeiter durch das neue Arbeiterurlaubsgesetz und die Novelle 1946 zum Angestelltengesetz gleichgestellt werden sollten, muß § 6 Abs. 2 ArbUG. ebenfalls in dem Sinne ausgelegt werden, daß Überstunden bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes unberücksichtigt zu bleiben haben. Eine andere Auslegung würde dem Grundsatz der Gleichförmigkeit der Interpretation widersprechen.
Richtig ist, daß diese Regelung unter Umständen eine Schlechterstellung der Arbeiter in diesem Punkte gegenüber dem Rechtszustande vor 1946 bedeutet, doch kann anderseits wiederum die Nichtberücksichtigung von dauernder Kurzarbeit gegenüber der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit den Arbeitnehmer begünstigen. Das Abstellen auf die Normalarbeitszeit ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall den Arbeitnehmer begünstigt oder benachteiligt, erfolgte bewußt, wie der Motivenbericht beweist, offenbar im Interesse der leichteren Berechnung des Urlaubsentgeltes und zum Zwecke der Vermeidung von Streitigkeiten. Das muß hingenommen werden, auch wenn dadurch vielleicht der eine oder andere Arbeitnehmer schlechter fährt, weil unsere Verfassung keine Bestimmung enthält, die den Gesetzgeber hindert, Sozialgesetze zum Nachteil der Dienstnehmer zu verschlechtern.