JudikaturOGH

Nr44/50 – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Mai 1950

Kopf

SZ 23/123

Spruch

Die Tätigkeit eines richterlichen Militärjustizbeamten bei einem Wehrmachtsgericht ist nicht der Tätigkeit als stimmführender Rat eines Gerichtshofes gleichzuhalten.

Entscheidung vom 2. Mai 1950, Nr 44/50.

I. Instanz: Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Tirol; II. Instanz:

Berufungssenat der Rechtsanwaltskammer für Tirol.

Text

Alle drei Instanzen haben das auf § 6 Abs. 1 RAO. gestützte Eintragungsansuchen abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Der Disziplinarsenat des Obersten Gerichtshofes für Rechtsanwälte hat schon in seinem Erkenntnisse vom 1. September 1949, Nr 19/49, seiner Rechtsanschauung dahin Ausdruck verliehen, daß der Begriff des stimmführenden Rates nach der zur Zeit des Wirksamkeitsbeginnes der RAO. 1868 bestehenden Organisation der Gerichte zu verstehen sei. Dies beruhte damals auf der Allerhöchsten Entschließung vom 14. September 1852, kundgemacht mit Ministerialverordnung vom 19. Jänner 1853, RGBl. Nr. 10. Demgemäß bestanden damals unter der Leitung und Aufsicht der Oberlandesgerichte Gerichtshöfe erster Instanz, die entweder Landesgerichte oder Kreisgerichte waren. Sie waren mit einem Präsidenten, Räten und dem notwendigen Hilfspersonal besetzt. Ihre Kompetenz in Zivilsachen wurde durch das Kaiserliche Patent vom 16. Februar 1853, RGBl. Nr. 30, geregelt. Sie hatten ihren Sitz in den Hauptstädten der Kronländer. Als Gerichtshöfe höherer Instanz fungierten die Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof.

Also galt damals als "stimmführender Rat" nur ein Mitglied eines der genannten Gerichtshöfe, der im Range eines Rates daselbst tätig war. Der Begriff des "Gerichtshofes" erfuhr in der Folge durch das Gerichtsorganisationsgesetz (1896) eine Erweiterung hinsichtlich der Handelsgerichte und der Handels- und Seegerichte. Auch die Besetzung der Gerichtshöfe erster Instanz erfuhr insofern eine Erweiterung, als auch den für diese ernannten Ratssekretären auf Vorschlag des Gerichtshofes und nach Anhörung des Oberlandesgerichtspräsidenten durch das Justizministerium das Stimmrecht übertragen werden konnte.

§ 6 RAO. 1868 spricht jedoch auch heute noch nur von stimmführenden "Räten".

Der Disziplinarsenat des Obersten Gerichtshofes für Rechtsanwälte hat in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 1919, R I 173/19 (SpR. Nr. 5 neu) seiner Auffassung dahin Ausdruck verliehen, daß nur die Verwendung bei einem Gerichtshof im Sinne des Gerichtsorganisationsgesetzes als stimmführender Rat oder beim Verwaltungsgerichtshofe, dessen Errichtung im gesetzlichen Wege bereits damals in Aussicht gestellt war, die Voraussetzung des § 6 RAO. erfüllen könne, weil es sonst keine anderen Gerichtshöfe gab, abgesehen von den Militärgerichten und dem Reichsgerichte, die schon vermöge ihrer Zusammensetzung für das Privileg des § 6 RAO. nicht in Betracht kommen könnten. Die Organisation der Militärgerichte erfuhr durch die am 1. Juli 1914 in Kraft getretene neue Militärstrafprozeßordnung eine grundlegende Umwandlung, die eine weitgehende Angleichung an die Organisation der zivilen Strafgerichtsbarkeit schuf. War auch der "Offizier für den Justizdienst" (früher Auditor genannt) nicht richterlicher Beamter, so hatte er dennoch im wesentlichen dieselben Funktionen wie der zivile Strafrichter zu versehen. Seine Unabhängigkeit bei Ausübung seiner richterlichen Funktion und seine Unabsetzbarkeit war ebenfalls gesetzlich gewährleistet. Dennoch konnte er nach der Auffassung des Obersten Gerichtshofes des Privilegiums des § 6 RAO. erst nach Übernahme in den Ziviljustizdienst und erst nach Ablegung der Ergänzungsprüfung oder erfolgter Befreiung hievon teilhaft werden, sofern er in seiner neuen Verwendung durch fünf Jahre als stimmführender Rat bei einem Gerichtshofe tätig gewesen war. Es wurden also die Militärgerichtshöfe einem Gerichtshofe im Sinne des § 6 RAO. nicht gleichgestellt. Auf einer einschränkenden Anwendung des § 6 RAO. beruhte auch das Gesetz vom 6. Februar 1919, StGBl. Nr. 95, auf welches die angefochtene Entscheidung des Berufungssenates der Rechtsanwaltskammer Bezug nimmt.

Die Tätigkeit eines richterlichen Militärjustizbeamten bei einem Feldkriegsgerichte ist schon im Hinblick auf dessen Besetzung mit zwei nichtrichterlichen Militärpersonen als Beisitzern einem zivilen Kollegialgerichte nicht gleichzuhalten. Allerdings geht die heute herrschende Meinung dahin, daß auch die fünfjährige Verwendung als Einzelrichter in Zivil- oder Strafsachen genügt, sofern sie als Rat bei einem Gerichtshofe erfolgte.

Abgesehen hievon ist die militärische Strafrechtspflege insbesondere in Kriegszeiten auf ein engeres Gebiet beschränkt wie die zivile Strafrechtspflege, in welcher der Rechtsanwalt seine Tätigkeit zu entfalten hat. Die vom Berufungswerber während seiner militärrichterlichen Laufbahn laut der seinem Eintragungsgesuche zuliegenden zwei Bestätigungen entfaltete zivilrechtliche Tätigkeit, welche sich hauptsächlich auf Angelegenheiten des Außerstreitverfahrens beschränkte, kann jener eines stimmführenden Rates eines zivilgerichtlichen Senates nicht gleich erachtet werden.

Von allen vorstehend erörterten Erwägungen ausgehend, gelangt der Disziplinarsenat zu dem Schlusse, daß Berufungswerber die Voraussetzungen, an welche das Privileg des § 6 RAO. geknüpft ist, nicht erfüllt hat.

Solange die Bestimmungen des § 6 RAO. 1868 keine Änderung erfahren haben, sind sie in ihrem ursprünglichen Wortlaute auszulegen und der Entscheidung zugrunde zu legen.

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