Nr22/49 – OGH Entscheidung
Kopf
SZ 22/212
Spruch
Anordnungen der Standesvertretung der Rechtsanwälte gemäß § 23 RAO. sind für die Standesangehörigen verbindlich.
Entscheidung vom 27. Dezember 1949, Nr 22/49.
I. Instanz: Ausschuß der Rechtsanwaltskammer in Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die ständige Vertreterversammlung der Rechtsanwaltskammern in Österreich hatte den Beschluß gefaßt, daß bei ein und demselben Rechtsanwalt nicht mehr als drei Rechtsanwaltsanwärter eingetragen werden dürfen. Unter Berufung auf diesen Beschluß hatte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer einem Eintragungswerber die Schöpfung der Rechtsanwaltspraxis in einer bestimmten Anwaltspraxis verwehrt. Der Berufung des Rechtsanwaltsanwärters gegen diese Entscheidung hatte das Oberlandesgericht Wien nicht Folge gegeben.
Der Oberste Gerichtshof hat diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes bestätigt.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof tritt der Rechtsanschauung der Unterinstanzen bei, daß die ständige Vertreterversammlung der Rechtsanwaltskammern Österreichs durch die Fassung des Beschlusses, laut dessen mehr als drei Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt nicht einzutragen sind, ihren Wirkungskreis nicht überschritten hat. Da der Rechtsanwaltskammer gemäß § 23 RAO. die Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Rechte wie auch die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes obliegt, so ist durch diese Bestimmung ihr das Recht eingeräumt, jene Anordnungen zu treffen und mit Bindung für die Angehörigen der Kammer zu erlassen, welche das Plenum bzw. der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zur Erreichung der diesem Organ des Anwaltsstandes obliegenden Aufgaben (§ 23 RAO.) für notwendig oder zweckdienlich hält. Der Oberste Gerichtshof schließt sich auch dem in dem Beschluß der ersten Instanz angeführten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1928, Z. B. 20, 24/28 (Slg. der Erk. des VerfG., 8. Heft (1928), Nr. 1066) an, das klar zum Ausdruck bringt, daß das Gesetz der Kammer im Verhältnis zu den einzelnen Anwälten die Stellung einer Behörde einräumt, so daß den Beschlüssen ihrer Organe die Funktion einer Verordnung zukommt, zu deren Anfechtung die einzelnen Kammermitglieder nicht legitimiert sind.
Die in den Beschlüssen der Unterinstanzen zum Ausdruck kommende Rechtsanschauung, wonach der Kammerausschuß kraft der ihm gemäß § 23 RAO. obliegenden Aufgaben berechtigt ist, die Eintragung eines Rechtsanwaltsanwärters zur Führung der Rechtspraxis in einer bestimmten Kanzlei zu verweigern, hat der Oberste Gerichtshof bereits in seinen Entscheidungen zu SZ. VII/269 und SZ. VII/341 gebilligt, in welchen Fällen es sich darum gehandelt hat, daß die Rechtspraxis in einer zu wenig beschäftigten Kanzlei bzw. in der Kanzlei eines wiederholt wegen diszipliärer Vergehen verurteilten Anwaltes geschöpft werden sollte.
Das allfällige Recht des Rechtsanwaltsanwärters, die Praxis bei einem bestimmten, frei gewählten Rechtsanwalte zuzubringen, ist eben durch das allgemeine Aufsichtsrecht des Kammerausschusses über die Anwärter beschränkt. Diese Beschränkung ist in den §§ 23 und 28 lit. b RAO. und in den §§ 1 und 3 Disziplinarstatut begrundet.