JudikaturOGH

Nr16/49 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Dezember 1949

Kopf

SZ 22/211

Spruch

Zum Begriff der Vertrauenswürdigkeit nach § 5 Abs. 2 Rechtsanwaltsordnung.

Entscheidung vom 27. Dezember 1949, Nr 16/49.

I. Instanz: Ausschuß der Rechtsanwaltskammer in Wien; II. Instanz:

Berufungssenat der Rechtsanwaltskammer in Wien.

Text

Dr. S. hatte die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte in Wien beantragt. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer hat die Eintragung aus dem Gründe des Mangels der gemäß § 5 Abs. 2 RAO. für die Eintragung erforderlichen Vertrauenswürdigkeit abgelehnt. Dr. S. hatte nämlich in voller Kenntnis der Folgen Eingaben an die Zentralstelle für jüdische Auswanderungen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sowie an das damalige Amt des Reichsstatthalters gerichtet, worin er auf den Abtransport von zehn jüdischen Bewohnern einer Wohnung drängte, die er selbst erhalten wollte.

Der Berufungssenat der Rechtsanwaltskammer Wien hatte der Berufung des Dr. S. nicht Folge gegeben.

Der Disziplinarsenat des Obersten Gerichtshofes für Rechtsanwälte hat der weiteren Berufung des Eintragungswerbers gegen das Erkenntnis des Berufungssenates der Rechtsanwaltskammer nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Disziplinarsenat des Obersten Gerichtshofes für Rechtsanwälte ist nach eingehender Prüfung des Sachverhaltes in Übereinstimmung mit dem Berufungssenate der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland zu dem Ergebnis gelangt, daß das Vorgehen des Berufungswerbers in seiner Wohnungssache als eine Handlung zu beurteilen ist, die ihn des Vertrauens unwürdig macht. Er hat in voller Kenntnis der Folgen einer Eingabe an die Zentralstelle für jüdische Auswanderung und an das Amt des Reichsstatthalters in Niederdonau, welche Kenntnis der Berufungswerber nicht bestritten hat, das Los von zehn Menschen, die einer unmenschlichen Behandlung entgegengingen noch dadurch verschärft, daß er es unternahm, ihren Abtransport zu beschleunigen und sie auf - diese Weise ihrer Vernichtung früher, als es ohne seine Handlungsweise geschehen wäre, auszuliefern. Dabei ist es gleichgültig, ob die Handlung dem Berufungswerber zum Vorteile oder zum Nachteile gereichen sollte oder gereicht hat. Auch unter der Annahme, daß der Berufungswerber durch seine Vorgesetzten veranlaßt oder von ihnen beauftragt wurde, die erwähnten Eingaben zu machen, erscheint seine Handlungsweise nicht entschuldbar, da es sich überhaupt nur um die sogenannte "Trennungszulage" als Vertragsangestellter handelte, der Berufungswerber bei Nichtbefolgung des Auftrages, sich endlich eine Wohnung zu beschaffen, höchstens mit dem Verluste dieser Zulage zu rechnen hatte. Der Berufungswerber hat daher, um geldliche Nachteile zu vermeiden, zehn Menschen dem sicheren und unmittelbaren Verderben preisgegeben. Eine derartige Handlungsweise ist des Vertreters eines Rechtsberufes unwürdig.

Bedeutungslos ist, daß diese unwürdige Handlung in keinem Zusammenhange mit einer Anwaltstätigkeit stand. Voraussetzung für die Vertrauenswürdigkeit eines Bewerbers um die Eintragung in die Anwaltsliste ist logischerweise auch das Fehlen einer außerhalb anwaltlicher Tätigkeit gesetzten Handlung, die die Vertrauensunwürdigkeit im Gefolge hat. Unter den Begriff der Vertrauensunwürdigkeit fallen nicht nur solche Handlungen, die geeignet sind, die ordnungsmäßige Berufsausübung des Anwaltes und somit ein gesundes Verhältnis zwischen Anwalt und seiner Klientel zu gefährden, sondern auch Handlungen ohne jede Beziehung zur anwaltlichen Berufsausübung, die schwere Charaktermängel aufzeigen.

Mit Recht hat der angefochtene Beschluß das Vorgehen des Berufungswerbers, der in der Verfolgung seines Strebens, möglichst rasch in den Besitz der ihm zugewiesenen, aber noch von Juden bewohnten Wohnung zu gelangen, diese rechtlosen Menschen seinem Interesse rücksichtslos aufopferte, als eine Handlung beurteilt, die ihn des Vertrauens unwürdig macht.

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