JudikaturLG Salzburg

21R238/11p – LG Salzburg Entscheidung

Entscheidung
04. August 2011

Kopf

Das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht hat durch seinen Vizepräsidenten Dr. Juhász als Vorsitzenden sowie Dr. Bramböck und Mag. Mänhardt als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen E*****, geboren am 25. Juli 2010, R*****, 5731 H*****, vertreten durch das Land Salzburg als Jugendwohlfahrsträger (Stadtjugendamt Salzburg, St. Julienstraße 20, 5024 Salzburg), über die Rekurse der Wahleltern B***** H***** und A***** H*****, beide R*****, 5731 H*****, beide vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, sowie des Kindes jeweils gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Zell am See vom 24. Mai 2011, GZ 40 P 33/11x-11, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Der Antrag der Wahleltern auf Zuspruch der Kosten des Rekurses sowie die Anträge der Mutter E***** P***** auf Zuspruch der Kosten ihrer Rekursbeantwortungen werden abgewiesen.

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Minderjährige wurde am 25. Juli 2010, 18 Uhr 14, in der „Babyklappe“ des Landeskrankenhauses Salzburg aufgefunden. Mit der Obsorge ist kraft Gesetzes der Jugendwohlfahrtsträger betraut (§ 211 ABGB).

Die Minderjährige wurde nach ihrer Entlassung aus dem Landeskrankenhaus am 4.8.2010 zunächst in einer Krisenpflegefamilie untergebracht. Seit 24.9.2010 lebt sie im Haushalt von B***** und A***** H*****, die sie unentgeltlich betreuen. B***** und A***** H***** haben der Minderjährigen auch ihren Familiennamen gegeben.

Am 4.2.2011 schlossen B***** und A***** H***** als Wahleltern und die Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, als Wahlkind einen schriftlichen Vertrag über die Annahme an Kindes statt.

Am 1.3.2011 hat das Stadtjugendamt Salzburg als Vertreter des Wahlkindes die Bewilligung der Annahme an Kindes statt beantragt (ON 1).

Am 10.3.2011 teilte das Stadtjugendamt dem Erstgericht mit, dass sich im Februar eine Frau P***** gemeldet habe und behaupte, die Mutter der Minderjährigen zu sein (ON 5). Am 16.3.2011 langte beim Erstgericht eine Eingabe von E***** P***** ein, in der sie die Mutterschaft zu dem am 23.7.2010 in Innsbruck geborenen Mädchen anerkannt und ausdrücklich erklärt hat, einer Adoption der Minderjährigen nicht zuzustimmen (ON 7). Von E***** P***** wurde im Zuge des Verfahrens ein Gutachten der Gerichtsmedizin Salzburg-Linz vom 18.4.2011 vorgelegt, wonach ihre Mutterschaft „praktisch erwiesen“ ist (ON 9).

Bei der mündlichen Verhandlung am 2.5.2011, an der auch die Wahleltern mit ihrem rechtsfreundlichen Vertreter teilnahmen, wiederholte E***** P*****, dass sie der Annahme nicht zustimme (vgl ON 10).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Bewilligung der Annahme an Kindes statt ab. Der Kreis der Zustimmungsberechtigten im Sinne des § 181 ABGB bestimme sich nach dem Zeitpunkt der Bewilligung der Adoption. In diesem Fall sei die Mutter des mj. Wahlkindes nun nicht mehr unbekannt, weshalb ihre Zustimmung zur Adoption notwendig sei. Da sie der Adoption aber nicht zustimme, könne die begehrte Bewilligung nicht erteilt werden. Der Standpunkt des Vertreters des Kindes und der Wahleltern, das Zustimmungsrecht der Mutter sei entfallen, weil sie sich innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach Abgabe ihres Kindes in der „Babyklappe“ nicht gemeldet habe, habe keine Grundlage im Gesetz; insbesondere sei aus § 181 Abs 2 ABGB iVm §§ 86 ff AußStrG nicht ableitbar, dass das Zustimmungsrecht der Mutter (auf Dauer) verloren gegangen sei, weil sie sich nicht innerhalb von sechs Monaten nach Auffinden des mj. Kindes in der Babyklappe gemeldet habe. Der Entscheidung 9 Ob 68/06z liege ein anders gelagerter Sachverhalt zu Grunde.

Gegen diesen Beschluss erhoben sowohl die Wahleltern (ON 13) als auch das Wahlkind (ON 14) Rekurs; von beiden Vertragsparteien wird die Abänderung dahin beantragt, dass die Annahme an Kindes statt bewilligt werde; hilfsweise wurden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Die Mutter beantragte, den Rechtsmitteln keine Folge zu geben (ON 16, ON 17).

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse der Vertragsparteien, die in diesem Fall gemeinsam behandelt werden können, sind nicht berechtigt.

Durch Art II des Bundesgesetzes BGBl I Nr 19/2001 wurde § 197 StGB, der das Verlassen eines Unmündigen unter Strafe gestellt hatte, aufgehoben. Rechtlich wurde Frauen dadurch die anonyme Geburt und die Weglegung des Kindes nach der Geburt in sogenannten „Babyklappen" ermöglicht (vgl auch den Erlass des BMJ JABl 36/2001). Nach den Gesetzesmaterialien (JAB 404 Blg Nr 21. GP) sollen diese Frauen vor der Aufdeckung ihrer Identität sicher sein. Durch die Übergabe eines Kindes im Wege eines „Babynests" oder durch eine Geburt, bei der die Mutter anonym bleibt, entsteht eine Situation, die derjenigen eines Findelkindes entspricht. Nach § 211 ABGB obliegt die Obsorge für im Inland aufgefundene Kinder unbekannter Eltern dem Jugendwohlfahrtsträger (9 Ob 68/06z).

Die Annahme an Kindes statt kommt nach § 179a ABGB durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung auf Antrag eines Vertragsteiles - unter Beachtung des Wohls des Kindes - zustande. Das nicht eigenberechtigte Wahlkind schließt den Vertrag durch seinen gesetzlichen Vertreter. Die Eltern des minderjährigen Wahlkindes sind in den Vertrag nicht eingebunden (RIS-Justiz RS0014464). Sie sind nach § 181 Abs 1 Z 1 ABGB aber insoweit Beteiligte des Adoptionsbewilligungsverfahrens, als die Adoption nur mit ihrer Zustimmung bewilligt werden kann.

Das Zustimmungsrecht der leiblichen Eltern des minderjährigen Wahlkindes ist ein höchstpersönliches Recht; es steht nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, sondern unter dem Schutz des Art 8 MRK (vgl Pichler in Klang ³ § 181a ABGB Rz 2). Die Zustimmung der leiblichen Eltern ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Adoptionsbewilligung, sofern die Zustimmung nicht entfällt (§ 181 Abs 2) oder ersetzt wird (§ 181 Abs 3). Die fehlende Zustimmung führt zur Versagung der Adoptionsbewilligung (vgl 4 Ob 133/00p). Der Kreis der Zustimmungsberechtigten nach § 181 Abs 1 ABGB wird nicht nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrages, sondern nach dem der Bewilligung bestimmt (RIS-Justiz RS0048856), so wie überhaupt für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Adoption der Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung entscheidend ist. Eine Adoptionsbewilligung ohne die erforderlichen Zustimmungen ist rechtswidrig und führt zur Aufhebung des Adoptionsbeschlusses ( Nademleinsky in Schwimann , ABGB-Taschenkommentar § 181 Rz 1 mwN).

Das Zustimmungsrecht der Eltern des Wahlkindes nach § 181 Abs 1 ABGB entfällt unter anderem dann, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt ist (§ 181 Abs 2). Der Entfall der Zustimmung nach § 181 Abs 2 bedarf - im Hinblick auf die weitreichenden Folgen des Rechtsinstituts der Adoption - einer strengen Prüfung der Voraussetzungen; der Tatbestand ist erst bei qualifizierter unbekannter Abwesenheit verwirklicht (vgl RIS-Justiz RS0113729). § 181 Abs 2 letzter Fall ABGB ermöglicht auch die Adoption nach anonymer Geburt bzw. eines Kindes, das in eine Babyklappe gelegt wurde, wenn seither sechs Monate vergangen sind; in beiden Fällen wird das Kind wie ein Findelkind behandelt und schließt der Jugendwohlfahrtsträger den Adoptionsvertrag ( Nademleinsky aaO Rz 5).

Wie das Erstgericht bereits zutreffend ausführte, lässt sich aus § 181 Abs 2 letzter Fall ABGB nicht ableiten, dass nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist kein Zustimmungsrecht der leiblichen Mutter mehr besteht, dass also ein unbekannter Aufenthalt von mehr als sechs Monaten zwingend zu einem Rechtsverlust (Verlust des Zustimmungsrechts) führt; entgegen der von den Wahleltern vertretenen Ansicht bedeutet dies aber nicht, dass der leiblichen Mutter deswegen ein „unbefristetes“ Widerrufsrecht gegen eine Adoption zusteht. Wie bereits dargelegt, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung maßgebend für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Adoption (stRspr, zuletzt 2 Ob 37/06i). Ist im Zeitpunkt der Adoptionsbewilligung der Aufenthalt einer der in § 181 Abs 1 Z 1 – 3 genannten Personen seit mindestens sechs Monaten unbekannt, entfällt ihr Zustimmungsrecht; nach gerichtlicher Adoptionsbewilligung steht aber auch leiblichen Eltern, die im Entscheidungszeitpunkt seit mindestens sechs Monaten unbekannten Aufenthaltes waren, kein Zustimmungsrecht mehr zu; deswegen kann keine Rede davon sein, dass eine Adoption nach anonymer Geburt noch jahrelang in Frage gestellt wäre. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 87 AußStrG ist aus entwicklungspsychologischer Sicht als Beobachtungs- und Konsolidierungsfrist eine zumindest einjährige Hausgemeinschaft zwischen Wahlkind und Annehmenden wünschenswert. Schließlich ist auch nicht einsichtig, weshalb Eltern eines Findelkindes sich zwingend innerhalb von sechs Monaten melden müssten, um nicht ihr Zustimmungsrecht zu verwirken, wenn selbst eine (bereits erteilte) Zustimmung zur Adoption bis zur Entscheidung erster Instanz widerrufen werden kann (§ 87 Abs 1 AußStrG).

Im hier zu beurteilenden Fall war nun im Zeitpunkt der Bewilligung die Mutter des minderjährigen Wahlkindes (bzw. ihr Aufenthalt) nicht mehr unbekannt; das Vorliegen ihrer Zustimmung ist daher - unabhängig davon, dass sie sich nach der Aktenlage erst nach Ablauf von mehr als sechs Monaten beim Jugendamt „gemeldet“ hat - ein Bewilligungserfordernis. Mangels ihrer Zustimmung hat das Erstgericht die Adoptionsbewilligung zu Recht versagt.

Die von den Wahleltern behauptete Gehörverletzung liegt nicht vor. Es gilt der Grundsatz, dass das rechtliche Gehör dann gewahrt ist, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrundegelegt werden sollen, äußern können (vgl RIS-Justiz RS0119970; RS0074920; RS0042216). In diesem Fall nahmen die Wahleltern mit ihrem rechtsfreundlichen Vertreter an der vom Erstgericht angeordneten mündlichen Verhandlung teil; welchen Einfluss die unterbliebene Einvernahme der Wahleltern auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte, wird im Rekurs nicht dargetan.

Die von den Wahleltern gewünschten Feststellungen, insbesondere darüber, welche Auskünfte der Mutter seitens des Arztes erteilt wurden und wann sich die Mutter bzw. jener Mann, der in Kontakt mit ihr gestanden sei, erstmals beim Jugendamt gemeldet haben, sind – aus den bereits dargelegten rechtlichen Erwägungen – nicht entscheidungserheblich.

Den Rekursen der Vertragsparteien muss damit ein Erfolg versagt bleiben.

Mangels Vorliegen einer im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG qualifizierten Rechtsfrage war auszusprechen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 90 Abs 2 AußStrG, der den Kostenersatz im Verfahren über die Annahme an Kindes statt ausdrücklich ausschließt.

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