10Bl11/96 – LG Ried/Innkreis Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht Ried im Innkreis als Berufungsgericht hat durch Dr. Daghofer als Vorsitzenden, Dr. Knoglinger und Dr. Aschauer als beisitzende Richter in Beisein der VB Schneider als Schriftführerin in der Strafsache gegen I***** G***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4, 1. Fall StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 09.11.1995, U 161/95-7, nach der in Gegenwart der Staatsanwältin Dr. Heger, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. L***** durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und I***** G***** von den wider ihn erhobenen Strafantrag, am 06.07.1995 im Gemeindegebiet von Weng auf einem Feld als Traktorlenker mit angehängtem Ladewagen einen anderen fahrlässig am Körper verletzt zu haben, indem er den Landwirt F***** P***** auf dem mit Strohballen beladenen Ladewagen in einer Höhe von ca. 3,3 m mitfahren ließ, wodurch dieser beim Überfahren einer ca. 15 cm tiefen Ackerfurche am Ende des Feldes den Halt verlor, zu Boden stürzte und einen Kompressionsbruch des 8. Brustwirbelkörpers sowie weitere Knochenbrüche erlitt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
Text
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der bislang unbescholtene I***** G***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4, 1. Fall StGB schuldig erkannt. Er wurde zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je S 100,--, demgemäß zu 25 Tagen Erstatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Die Strafe wurde bedingt nachgesehen und die Probezeit mit 3 Jahren bestimmt.
Nach den wesentlichen Feststellungen half der Angeklagte seinem Nachbarn F***** P*****, einem Landwirt, am Abend des 06.07.1995 beim Einbringen von gepreßten Strohballen. Diese lagen auf einem abgeernteten Feld. Von einem Steyr-Traktor "768" wurde ein einachsiger Ladewagen der Marke "Hamster junior" gezogen. Dieser ist bis auf eine Höhe von 2,1 m, vom Boden gemessen, seitlich mit Brettern verschlagen. An der Stirnwand des Ladewagens befindet sich ebenfalls eine entsprechend hohe Begrenzung. An der Rückseite ist ein abhebbares Gitter vorhanden, das bis etwa 1,4 m Höhe reicht.
F***** P***** befand sich auf dem Ladewagen und richtete die Strohballen, die ihm der Angeklagte reichte, ein. Die schon betagte F***** F***** fuhr dabei mit dem Traktor immer etwas vor und blieb dann wieder stehen.
Schließlich waren drei Reihen Strohballen übereinander geladen; die Strohballen reichten bis in eine Höhe von 3,3 m.
F***** P***** blieb auf dem Ladewagen auf den Strohballen.
Der Angeklagte lenkte den Traktor zum Anwesen des P*****.
Das Feld, auf dem gearbeitet wurde, ist im wesentlichen eben und horizontal, aber von mehreren Furchen durchzogen, die senkrecht zu einer Trennungsfurche verlaufen. Diese Trennungsfurche zwischen dem Feld und einer Wiese ist deutlich sichtbar. Sie ist unregelmäßig etwa 15 cm tief und etwa 20 bis 30 cm breit (siehe Lichtbilder Seite 7).
Der Traktor wurde vom Angeklagten mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h in einem Winkel von etwa 45 Grad über die genannte Trennungsfurche gelenkt. Dadurch geriet der Ladewagen ins Schaukeln. F***** P***** verlor das Gleichgewicht und stürzte herab. Er erlitt mehrere Knochenbrüche.
In der Beweiswürdigung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß widersprüchlich Beweisergebnisse nicht vorliegen. Es ist daher noch ergänzend davon auszugehen, daß der Angeklagte seinem Nachbarn über dessen Ersuchen bereits oft geholfen hat und die geschilderte Vorgangsweise, ohne daß sich ein Unfall ereignet hätte, bereits wiederholt gewählt wurde. Der Unfall ereignete sich um etwa 22.00 Uhr, nachdem auch an diesem Tag bereits Strohballen wie geschildert zum Anwesen des P***** verbracht worden waren. Dies wurde vom Angeklagten und vom Verletzten im wesentlichen übereinstimmend geschildert.
In der rechtlichen Beurteilung wurde dem Angeklagten als objektiver Sorgfaltsverstoß angelastet, mit überhöhter Geschwindigkeit über die geschilderte Trennfurche gefahren zu sein.
In der Strafzumessung wurden der sehr hohe Erfolgsunwert als erschwerend, der ordentliche Lebenswandel und das Tatsachengeständnis nicht aber ein Mitverschulden, als mildernd gewertet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld. Es wird aber auch in der Schuldberufung nicht etwa die inhaltliche Richtigkeit der Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft. Es wird vielmehr in Ergänzung der in der Nichtigkeitsberufung vorgetragenen Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a) StPO) argumentiert, daß das Erstgericht die Sorgfaltspflichten überspannt habe. Außerdem wird (weil der gleiche Vorgang schon wiederholt eingehalten wurde) die Vorhersehbarkeit des deliktischen Erfolges bestritten.
In der eigentlichen Nichtigkeitsberufung wird im wesentlichen vorgetragen, der Angeklagte habe ein sozialadäquates Risiko auf sich genommen und letztlich nur im Interesse des Verletzten gehandelt. Hätte er von diesem verlangt, auf den Boden zu springen, wäre das Risiko sich zu verletzen größer gewesen.
Die Rechtsrüge ist im Ergebnis gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Zunächst ist bei der rechtlichen Beurteilung besonders darauf hinzuweisen, daß der Angeklagte hier nicht etwa ein eigenes Interesse verfolgt hat, sondern ausschließlich über Ersuchen des später Verletzten F***** P***** für diesen tätig geworden ist. Er hat an einem arbeitsteiligen Zusammenwirken von drei Personen teilgenommen, wobei er nicht etwa die Führungsperson war. F***** P***** verfolgte als anweisungsbefugter Landwirt ausschließlich Eigeninteressen. Die Tatsache, daß der Angeklagte freiwillig tätig wurde, kann daran nichts ändern. Es ist nicht hervorgekommen, daß der 1959 geborene, also noch relativ junge P*****, nicht in der Lage gewesen wäre, die Gefahrenträchtigkeit seines Verhaltens einzusehen oder daß es sich bei ihm etwa um einen körperlich behinderten Menschen handelt. Ungeachtet dieser Aspekte könnte dem Angeklagten aber selbstverständlich als objektiver Sorgfaltsverstoß angelastet werden, daß er in Anbetracht der konkreten Verhältnisse eine unangemessen hohe Geschwindigkeit wählte. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß es sich bei der festgestellten Geschwindigkeit von ca. 15 km/h nur um eine ganz ungefähre Schätzung des Angeklagten selbst handelt. Er hat diese Geschwindigkeit bei seiner Einvernahme durch die Gendarmerie selbst ins Treffen geführt. Zur entsprechenden Feststellung des Erstgerichtes ist daher zwangsläufig eine erhebliche Bandbreite dazuzudenken. Daß der Angeklagte bei der Unfallsfahrt eine deutlich höhere Geschwindigkeit, als bei den vorangegangenen gleichartigen Fahrten gewählt hätte, kann den Feststellungen nicht entnommen werden.
Nun hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung SSt 13/103 zum Ausdruck gebracht, daß die Verantwortlichkeit des Lenkers eines Kraftfahrzeuges, der etwa den später Verletzten auf einem Trittbrett mitfahren läßt, allenfalls dann eingeschränkt sein kann, wenn der Verletzte als Vorgesetzter anzusehen ist (also dessen freiwillige Selbstgefährdung die Sorgfaltspflichten des Kraftfahrzeuglenkers einschränken kann).
Nun ist zwar unbestritten, daß ein "Mitverschulden" des Verletzten im Regelfall nichts am Sorgfaltsverstoß desjenigen ändert, der die Verletzung verursacht. Es kann aber in einem Ausnahmefall unter dem Titel der "freiwilligen Selbstgefährdung" (des Verletzten) bzw. der "Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung" eine Einschränkung der strafrechtlichen Haftung eintreten. Die bloße Förderung oder Ermöglichung fremder Selbstgefährdung kann die objektive Zurechnung strafrechtlich relevanter Folgen ausschließen (Kienapfel BT I 3. Auflage zu § 80 RN 86). Der eingetretene Erfolg bleibt allerdings objektiv zurechenbar, wenn es der Mitwirkende an der erforderlichen Warnung hat fehlen lassen, wenn er zu schnell gefahren ist oder wenn das Risiko für den anderen unüberschaubar war (aaO RN 88). Wenn, so wie hier, die gefährliche Tätigkeit im ausschließlichen Interesse des später Verletzten vorgenommen wird und dieser der Sache nach als Vorgesetzter anzusehen ist, und kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß der Verletzte die Situation nicht richtig einschätzen konnte, wird man eine Warnpflicht entfallen lassen können. Daß die Geschwindigkeit nicht an sich überhöht war, wurde bereits ausgeführt. Außerdem ist bei realitätsnaher Betrachtung davon auszugehen, daß auch eine allfällige Warnung des Angeklagten nichts am Unfallshergang geändert hätte. Es ist nicht anzunehmen, daß der später Verletzte daraufhin mehr als 3 m in die Tiefe gesprungen wäre oder ersucht hätte, vom entfernten Hof eine Leiter herbeizuschaffen.
Landesgericht Ried im Innkreis, Abt.10,