2R209/98t – LG Krems/Donau Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht Krems a.d.Donau als Rekursgericht hat durch den Richter Dr.Steiberger als Vorsitzenden sowie die Richter Dr.Hager und Dr.Klaus in der Rechtssache der klagenden Partei ***** St.Pölten, *****, vertreten durch Dr.Karl Haas und Partner, Rechtsanwälte in 3100 St.Pölten, wider die beklagte Partei Freddy *****, Student, ***** Graz, ***** vertreten durch Dr.Peter Krassnig, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, wegen S 100.000,-- s.A., infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Zwettl vom 14.7.1998, GZ 1 C 794/98g-2, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben.
Dem Erstgericht wird eine neuerliche nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt S 52.000,--, nicht aber S 260.000,--.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.
Text
Begründung:
Mit der am 19.5.1998 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die klagende Partei die Fällung eines Urteiles des Inhalts, daß festgestellt werde, daß sie dem Beklagten gegenüber für den Fall der Inanspruchnahme durch geschädigte Dritte wegen des aus Alleinverschulden des Beklagten verursachten Verkehrsunfalles vom 20.5.1998 im Gemeindegebiet Allentsteig, Zufahrtsstraße zur Lichtensteinkaserne, bis zu einem Betrag von S 100.000,-- leistungsfrei sei und daß der Beklagte ihr für den Fall der zukünftigen Inanspruchnahme durch Dritte bis zu einem Betrag von S 100.000,-- zu haften habe.
Hiezu brachte sie - zusammengefaßt - vor, daß der Beklagte als Lenker eines bei ihr versicherten PKW infolge überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern gekommen sei und sich das Fahrzeug mehrmals überschlagen habe. Bei diesem Unfall sei der Eigentümer des Fahrzeuges schwerstens verletzt worden. Der Kläger sei zum Unfallszeitpunkt stark alkoholisiert gewesen. Der Rechtsvertreter des Verletzten habe konkrete Schadenersatzansprüche gestellt. Weiters sei mit Regreßansprüchen der Sozialversicherung zu rechnen. Die Höhe der gerechtfertigten Ansprüche sei derzeit nicht bekannt.
Das Erstgericht ordnete auf Grund dieser Klage eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für 14.7.1998 an. Mit Schreiben vom 29.6.1998, beim Erstgericht eingelangt am 1.7.1998, teilte der Beklagte mit, daß er ein mittelloser Student sei und sich die Beiziehung eines Rechtsanwaltes, der ihn bei der Verhandlung am 14.7.1998 vertrete, nicht leisten könne. Weiters bestritt er die geltend gemachten Ansprüche (ON 4). Mit Note vom 1.7.1998, ON 5, belehrte das Erstgericht den Beklagten, daß er Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang des § 64 Abs 1 ZPO beantragen könne, worin auch die Beigebung eines Rechtsanwaltes enthalten sei, dessen Kosten er unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht bezahlen müsse. Weiters wurde in der Note ausgeführt, daß der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe den Beklagten nicht berechtige, die Einlassung in den Rechtsstreit oder die Fortsetzung der Verhandlung zu verweigern oder die Erstreckung von Fristen oder die Verlegung von Tagsatzungen zu begehren (§ 73 Abs 1 ZPO). Mit Schreiben vom 8.7.1998, beim Erstgericht eingelangt am 13.7.1998 beantragte der Beklagte - zusammengefaßt - ihm die Verfahrenshilfe auch durch Beigebung eines Rechtsanwaltes zu bewilligen und übermittelte ein ausgefülltes ZP-Form 1 (ON 6).
Zur mündlichen Streitverhandlung am 14.7.1998 erschien nur der Klagevertreter und wurde über seinen Antrag das angefochtene Versäumungsurteil erlassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Beklagten wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern bzw ersatzlos aufzuheben, in eventu es aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Weiters erhob der Beklagte für den Fall, daß seiner Berufung nicht Folge gegeben werden sollte, Widerspruch.
Die klagende Partei beantragte in ihrer rechtzeitigen Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung wegen Nichtigkeit ist berechtigt.
§ 73 Abs 1 ZPO normiert, daß weder der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, noch ein anderer nach diesem Titel zulässiger Antrag die Parteien berechtigt, die Einlassung in den Rechtsstreit oder die Fortsetzung der Verhandlung zu verweigern oder die Erstreckung von Fristen oder die Verlegung von Tagsatzungen zu begehren. § 73 Abs 2 ZPO wiederum normiert, daß dann, wenn die beklagte Partei vor Ablauf der Frist, innerhalb derer sie den Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl (§ 451), den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil (§§ 397 a, 398, 442 a) einzubringen oder die Klage zu beantworten hätte, die Bewilligung der Verfahrenshilfe, einschließlich der Beigebung eines Anwaltes beantragt, die Frist zur Erhebung des Einspruches gegen einen Zahlungsbefehl, des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil oder der Klagebeantwortung frühestens mit der Zustellung des Bescheides zu laufen beginnt, mit dem der Rechtsanwalt bestellt wird bzw mit dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwaltes versagt wird.
Hiezu wird von der Rechtsprechung generell anerkannt, daß der Einfluß der Verfahrenshilfeanträge auf Fristen des Prozeßrechtes als allgemeines Schutzprinzip über § 73 Abs 2 hinaus auf alle Prozeßhandlungen ausgedehnt werden muß, die einer Notfrist unterliegen (Fucik in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 73 mit Entscheidungszitaten).
Im gegenständlichen Fall ist zu berücksichtigen, daß vom Erstgericht keine formelle erste Tagsatzung anberaumt wurde und gemäß § 27 Abs 1 ZPO absolute Anwaltspflicht bestand. Gemäß § 133 Abs 3 ZPO gilt eine Tagsatzung unter anderem auch dann als versäumt, wenn die Partei bei denjenigen Prozeßhandlungen, für welche die Beiziehung eines Rechtsanwaltes im Gesetz vorgeschrieben ist ohne Rechtsanwalt erscheint. Dies bedeutet im konkreten Fall, daß, auch wenn der Beklagte ohne Rechtsanwalt zur mündlichen Streitverhandlung vom 14.7.1998 gekommen wäre, gegen ihn über Antrag der klagenden Partei ein Versäumungsurteil zu fällen gewesen wäre.
§ 397 Abs 1 ZPO normiert zwar, daß auf schriftliche Aufsätze, welche die ausgebliebene Partei etwa eingesendet hat, kein Bedacht zu nehmen ist. Dies gilt aber nur für Schriftsätze, die den Inhalt des Rechtsstreites selbst betreffen, nicht aber zum Beispiel für Vertagungsanträge (Rechberger aaO, Rz 3 zu § 397) und wohl auch nicht für Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, zumal solche Anträge immer auch außerhalb einer Tagsatzung gestellt werden können.
Würde man wie das Erstgericht und auch die klagende Partei in der Berufungsbeantwortung vom bloßen Wortlaut des § 73 Abs 1 ZPO ausgehen und die Aufzählung im Absatz 2 als taxative ansehen, hätte dies zur Folge, daß eine beklagte Partei im bezirksgerichtlichen Verfahren, wenn keine formelle erste Tagsatzung(§ 239 ZPO) anberaumt wird, nicht die Möglichkeit hat, dann, wenn absoluter Anwaltszwang herrscht, ein Versäumungsurteil abzuwenden, wenn sie nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, sich einen Anwalt zu leisten. Sie wäre dann im Sinn des § 73 Abs 2 ZPO darauf verwiesen, einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das ergangene Versäumungsurteil im Sinn des § 442 a ZPO zu beantragen. Hiebei ist aber zu beachten, daß § 73 Abs 2 ZPO in der derzeit geltenden Fassung mit der ZVN 1983, BGBl 1983/135, eingeführt wurde. Zuvor lautete § 73 Abs 2 ZPO in der Fassung des KSchG, BGBl 1979/140, ähnlich, ohne daß darin der Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl (§ 451) und der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil nach § 398 ZPO und die dadurch ausgelösten Fristen genannt worden wären. Bis zum Inkrafttreten des § 73 Abs 2 ZPO i.d.F. des KSchG hatte diese Bestimmung die Fassung des VerfahrenshilfeG, BGBl 1973/569, in der lediglich von der Klagebeantwortungsfrist im Anwaltsprozeß die Rede war. In der Urfassung schließlich normierte § 73 Abs 2 ZPO, daß in Verfahren vor Gerichtshöfen weder wegen nicht rechtzeitiger Überreichung der Klagebeantwortung noch deswegen, weil die geklagte arme Partei bei der ersten zur mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung ohne Rechtsanwalt erscheint, ein Versäumungsurteil gegen die arme Partei erlassen werden kann, wenn das von ihr ohne Verzug nach Zustellung der Klage angebrachte Gesuch um Bewilligung des Armenrechtes noch keine Erledigung gefunden hat oder im Fall der Bewilligung des Armenrechtes für die arme Partei noch kein Rechtsanwalt bestellt worden ist. Zu keinem Zeitpunkt gab es aber bis dahin im bezirksgerichtlichen Verfahren absoluten Anwaltszwang. Auch nach der Neufassung des § 73 Abs 2 ZPO durch die ZVN 1983 bestand für das bezirksgerichtliche Verfahren noch kein absoluter Anwaltszwang. Dieser wurde erst mit der erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, BGBl 1989/343, damals für Streitwerte von über S 30.000,--, mit den damals in den Absätzen 2 und 3 normierten Ausnahmen eingeführt, ohne aber die Bestimmung des § 73 ZPO, zu ändern.
Die Rechtsansicht des Erstgerichtes und der klagenden Partei, wonach nach dem reinen Wortlaut des § 73 ZPO der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe den Fortgang des Verfahrens auch in Fällen des absoluten Anwaltszwanges beim Bezirksgericht nicht hindert, hätte einen Ausschluß dieser Partei vom weiteren Verfahren auch dann zur Folge, wenn alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang erfüllt sind. Diese Partei auf die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil und diesbezüglich die Bewilligung der Verfahrenshilfe zu verweisen, ist weder im Sinne einer Beschleunigung des Verfahrens akzeptabel, noch weniger im Hinblick darauf, daß damit im bezirksgerichtlichen Verfahren der beklagten Partei gemäß § 442 a Abs 2 ZPO erhebliche Kostennachteile erwachsen. Weiters wären auch sonstige prozessuale Nachteile, insbesonders im Hinblick auf eine Sicherstellungsexekution die Folge (§ 371 Z 1 EO).
Wie bereits ausgeführt, wird von Rechtsprechung und Lehre die Rechtsansicht vertreten, daß das aus § 73 Abs 2 ZPO hervorleuchtende Schutzprinzip auch zur analogen Anwendung auf gleichgelagerte Fälle führen muß (Fasching ZPR**2 Rz 499). Dieses Schutzprinzip muß, um Wertungswidersprüche zu verhindern, auch auf Fälle ausgedehnt werden, in denen es nicht um Rechtsnachteile für die Verfahrenshilfe begehrende Partei aus dem Ablauf einer Frist (§ 73 Abs 2, § 464 Abs 3, § 468 Abs 3 ZPO u.a.) geht, sondern um Rechtsnachteile, die aus dem absoluten Anwaltszwang bei einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung folgen. In der Entscheidung REDOK 14.607 des OLG Wien vom 13.3.1986, 14 R 63/86, wurde z.B. ausgeführt, daß, wenn unter Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses die Verlegung der Tagsatzung und - im Hinblick auf den hohen Streitwert und den relativen Anwaltszwang - unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt wird, ein nach Abweisung des Erstreckungsantrages gefälltes Versäumungsurteil nichtig ist nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Ob dieser Rechtsansicht in vollem Umfange, nämlich auch dann, wenn nur relativer Anwaltszwang herrscht bzw generell zu folgen wäre, kann im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben. Im Falle des absoluten Anwaltszwanges, wie im gegenständlichen Verfahren ist es einer Partei ohne Anwalt nicht möglich, die Erlassung eines Versäumungsurteiles in der ersten mündlichen Streitverhandlung abzuwenden. Der Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt dann vor, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesonders durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Durch den gesetzwidrigen Vorgang muß der Partei die Möglichkeit genommen worden sein, vor Gericht zu verhandeln, wobei die bloße Erschwerung der Teilnahme an der Verhandlung nicht genügt. Vom Nichtigkeitsgrund betroffen ist aber jedenfalls der gänzliche Ausschluß der Partei von der Verhandlung. Auf Grund der Bestimmung des § 133 Abs 3 ZPO liegt aber in Fällen des absoluten Anwaltszwanges jedenfalls ein Ausschluß der Partei von der Verhandlung vor, wenn über einen zuvor gestellten Verfahrenshilfeantrag, welcher die Beigebung eines Rechtsanwaltes beinhaltete, nicht entschieden wurde. Das Rekursgericht hält daher dafür, daß der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO auch in einem Fall wie dem vorliegenden gegeben ist.
Sohin war der Berufung wegen Nichtigkeit Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO, da nur die angefochtene Entscheidung aufgehoben wurde (Fucik in Rechberger ZPO Rz 1 zu § 51).
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes sowie, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist, gründet sich auf § 500 Abs 2 Z 1 lit b, § 502 Abs 1, § 519 Abs 2 ZPO. Hiezu ist auszuführen, daß zur hier wesentlichen Rechtsfrage, nämlich der Auslegung des § 73 ZPO, aber auch, ob in einem Verfahren mit absolutem Anwaltszwang die Durchführung einer mündlichen Streitverhandlung ohne zuvor über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu entscheiden, Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO zur Folge hat, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - soweit überblickbar - fehlt.
Landesgericht Krems a.d.Donau