JudikaturLG Korneuburg

22R44/24m – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
06. November 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechts-sache der klagenden Partei A***** G***** GmbH , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 12.01.2024, 26 C 281/23b-8, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 176,36 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klage-vertreter zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Fluggast M***** B***** verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung

– OS 736 von Belgrad (BEG) nach Wien (VIE) mit den geplanten Flugzeiten 02.01.2023, 11:05 Uhr bis 12:20 Uhr, und

– OS 229 von VIE nach Berlin (BER) mit den geplanten Flugzeiten 02.01.2023, 13:10 Uhr bis 14:25 Uhr [alle Zeiten in Lokalzeit = MEZ/CET].

Tatsächlich startete der Flug OS 736 in BEG um 11:45 Uhr und landete in VIE um 13:07 Uhr. Der Flug OS 229 startete um 13:17 Uhr, sodass der Fluggast diesen aufgrund der verspäteten Ankunft des Fluges OS 736 versäumte. Er wurde von der Beklagten auf die Flüge OS 195 von VIE nach Köln Bonn (CGN) sowie EW 8055 von CGN nach BER umgebucht, wobei er sein Endziel am 02.10.2023 um 21:35 Uhr, somit mit einer mehr als dreistündigen Verspätung erreichte. Die Entfernung BEG – BER beträgt nicht mehr als 1.500 km. Der Fluggast trat seinen Anspruch auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 der Verordnung (EG) Nr 261/2004 (EU-FluggastVO) an die Klägerin ab; diese nahmen die Abtretung an.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 250,-- und brachte zur Begründung vor, dass die verspätete Ankunft des Zubringerfluges nicht auf außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zurückzuführen gewesen sei; insbesondere seien die behaupteten Wetterbedingungen in VIE nicht geeignet gewesen, einen solchen außergewöhnlichen Umstand zu begründen. Im Übrigen habe die Beklagte nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den Fluggast schnellstmöglich an sein Endziel zu befördern. Die Beklagte hätte etwa mit dem Anschlussflug nur kurzfristig zuwarten bzw dem Fluggast einen beschleunigten Transfer in VIE anbieten müssen. Die Beklagte habe es weiters unterlassen, den Fluggast auf die frühestmögliche, zumutbare und zufriedenstellende Ersatzbeförderung umzubuchen, auch wenn es sich dabei um einen Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens gehandelt hätte, und die Beklagte dazu ein neues Ticket bei einem anderen Luftfahrtunternehmen erwerben hätte müssen. Dazu nannte sie konkret zwei Ersatzverbindungen.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wandte ein, dass die Verspätung des Zubringerfluges auf einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO, konkret den widrigen Wetterbedingungen in VIE zurückzuführen gewesen sei. Der Flug OS 736 habe in BEG nicht wie geplant um 11:05 Uhr starten können, weil die Wettersituation in VIE in Form von extrem starkem und seltenem Nebel am 02.01.2023, insbesondere von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr, dazu geführt habe, dass mehrere ihrer Flüge und auch anderer Luftfahrtunternehmen annulliert werden hätten müssen oder erst verspätet durchgeführt hätten werden können. Das widrige Wetter habe dazu geführt, dass die Flugsicherung erst verspätete Slot-Vergaben erteilt habe. Auf Grund der Wetter- und Flughafensituation am 02.01.2023 in Wien seien Starts und Landungen zum Zeitpunkt der geplanten Landung des Fluges OS 736 um 12:20 Uhr nur mehr eingeschränkt bis gar nicht möglich gewesen; auch weil die notwendigen Sicherheitsvorgaben aufgrund der Wetterverhältnisse nicht ausreichend gewährleistet hätten werden können. Beispielsweise werde aus den METAR-Daten erläutert, dass sich daraus ergebe, dass in VIE am 02.01.2023 um 12.20 Uhr Lokalzeit Nebel geherrscht habe. Die Sicht auf den Landebahnen 16 und 29 habe lediglich 400 m bzw 500 m betragen, was für eine sichere Landung nicht ausreiche. Ein früherer Abflug sei nicht möglich gewesen bzw hätte ein solches Sicherheitsrisiko nicht eingegangen werden können. Aus diesem Grund habe sie den Flug erst verspätet durchführen können, da ihr erst für 12:04 Uhr der letzte Abflug-Slot erteilt worden sei, der auch genutzt habe werden können. Sie hätte auch kein anderes Flugzeug heranziehen können, um den Flug OS 736 wenn auch mit geringerer Verspätung durchzuführen. Sie habe zunächst auch jene Hilfestellungen geprüft, die es dem Fluggast ermöglicht hätten, den Anschlussflug doch noch zu erreichen – etwa bevorzugte Abfertigungen, beschleunigter Transport im Terminal, begleitete Beförderung von Flugzeug zu Flugzeug über das Vorfeld oder die Verzögerung der Beendigung des Boardings um wenige Minuten. Derartige Maßnahmen seien aber nicht zumutbar bzw von vornherein nicht erfolgversprechend gewesen. Auch das Zuwarten des Anschlussfluges sei nicht möglich, weil dem Anschlussflug bereits ein Slot zugeteilt worden sei, und das Verpassen dieses Slots zu einer mehrstündigen Verspätung aufgrund des erforderlichen Ansuchens um einen neuen Slot geführt hätte. Der Fluggast sei umgehend auf die nächstmögliche Flugverbindung umgebucht worden. Sie prüfe unmittelbar nach der verspäteten Ankunft eines Fluges alle alternativen Beförderungsmöglichkeiten für die betroffenen Passagiere. Eine derartige Prüfung sei auch im gegenständlichen Fall vorgenommen worden. Ergebnis dieser Prüfung zum Zeitpunkt der verspäteten Ankunft des Fluges OS 736 sei gewesen, dass die vorgenommene Umbuchung die erst- und schnellstmögliche Beförderung der Passagierin an ihr Endziel in Berlin dargestellt habe. Die zwei von der Klägerin konkret vorgebrachten Verbindungen hätten keine freien Plätze aufgewiesen. Sie würde grundsätzlich auch Flüge von „Billigfluglinien“ (wie W*****, L***** und E*****) prüfen; derartige Umbuchungen seien aber in der Regel nicht möglich. Die genannten Fluglinien hätten kein Abkommen über die Akzeptanz und Abrechnung von Tickets, weil diese Fluglinien keine IATA-Mitglieder seien. Es sei ihr nicht möglich, Tickets der genannten Fluglinien zu kaufen, weil diese nur online erworben werden könnten, und ihre Firmenkreditkarten von der genannten Fluglinien abgelehnt würden. Lediglich IATA-Fluglinien könnten als gleichwertig iSd EU-FluggastVO angesehen werden; nur bei diesen könne davon ausgegangen werden, dass Service- und Sicherheitsstandards erfüllt und eingehalten würden. Umbuchungen auf diese Fluglinien stellten keine gleichwertigen Alternativen für die Passagiere dar und seien somit auch nicht zumutbar gewesen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf keine über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen und folgerte in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gebühre einem Fluggast in analoger Anwendung der Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 EU-FluggastVO eine pauschalierte Ausgleichsleistung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen, wenn er wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleide. Die Ausgleichsleistung sei nach Art 5 Abs 3 der VO jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Behauptungs- und Beweislast treffe dabei das Luftfahrtunternehmen. Dieses habe daher konkrete, auf den jeweiligen Flug bezogene und überprüfbare Tatsachen vorzubringen, welche die Beurteilung zulassen, ob die Annullierung oder Verspätung aufgrund eines außergewöhnlichen Umstandes erfolgt sei, und ob im konkreten Fall sämtliche zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Folgen dieses außergewöhnlichen Umstands abzuwenden. Zu den zumutbaren Maßnahmen gehöre auch eine Ersatz-beförderung, die den vom EuGH in seiner Entscheidung zu C-74/19 aufgestellten Kriterien genüge. Unter Zugrundelegung der MCT ( Minimum Connecting Time; Mindestumsteigezeit) von 25 Minuten und der geplanten Flugzeit von 1:15 Stunden für die Strecke BEG – VIE hätte der Beklagten spätestens zum (nicht vorgebrachten) Zeitpunkt, als ihr der Abflugslot für OS 736 für 12:04 Uhr zugewiesen worden sei, und somit vor Abflug des Fluges OS 736 klar sein müssen, dass der Fluggast den planmäßig um 13:10 Uhr abfliegenden Anschlussflug nicht mehr erreichen werde können. Selbst wenn die Beklagte ihrem Vorbringen nach diesen Slot mit tatsächlichem Abflug um 11:45 Uhr verfrüht ausnutzen habe können, habe ihr wiederum unter Zugrundelegung der MCT und der geplanten Flugzeit bereits vor diesem tatsächlichen Abflug klar sein müssen, dass der Fluggast den Anschlussflug auch bei dieser Abflugzeit nicht mehr erreichen werde können. Sei bei einer aus zwei (oder mehreren) Flügen bestehenden Flugverbindung (jedenfalls bei einheitlicher Buchung) aber bereits vor Abflug des Zubringerfluges klar, dass der Fluggast den Anschlussflug nicht mehr erreichen könne, habe das Luftfahrtunternehmen im Zuge der Prüfung zumutbarer Maßnahmen bereits in diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer Umbuchung zu prüfen. Bei der Zuteilung eines späten ATC-Slots, der – sofern er sich nicht mehr verbessere – dazu führen würde, dass der Zubringerflug so erheblich verspätet wäre, dass der Fluggast seinen Anschlussflug nicht mehr erreichen werde, habe das Luftfahrtunternehmen bereits Alternativbeförderungen vom Start- zum Zielflughafen zu prüfen. Die Beklagte habe aber nicht vorgebracht, dass sie eine Umbuchung bereits ab BEG geprüft habe, oder dass ihr eine solche Prüfung nicht möglich gewesen wäre. Sie sei daher ihrer Behauptungslast nicht ausreichend nachgekommen; der Ausgleichsanspruch bestehe daher zu Recht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt die Berufungswerberin einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass sich ein Luftfahrtunternehmen nur dann gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO von der Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art 7 Abs 1 der VO befreien kann, wenn es nachweist, dass [a] ein außergewöhnlicher Umstand vorlag, [b] die Annullierung (oder große Verspätung) ihre Ursache in diesem Umstand hatte und [c] es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wobei diese drei Tatbestandselemente kumulativ vorliegen müssen (EuGH C-315/15, Rn 20; C-501/17, Rn 19; C 74/19, Rn 36; C 28/20, Rn 22).

Die Berufung argumentiert zunächst ausführlich, aus welchen Gründen die behaupteten Wetterverhältnisse einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 der VO dargestellt hätten. Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es darauf aber letztlich nicht an, weil die Beklagte – selbst wenn ein außergewöhnlicher Umstand vorläge – schon kein ausreichendes Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen hinsichtlich der Prüfung einer Ersatzbeförderung erstattet hatte.

Dabei kann vorerst darauf verwiesen werden, dass das Erstgericht die diesbezügliche Rechtsprechung des Berufungsgerichts zutreffend wiedergegeben hat (§ 500a ZPO).

Sofern die Berufungswerberin nun darlegt, dass sich die Passagierin zum Zeitpunkt der Slot-Vergaben bereits im Flugzeug befunden habe, und daher eine Umbuchung aus BEG schon rein technisch nicht möglich gewesen wäre, ist sie darauf zu verweisen, dass sie ein solches Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren nicht erstattet hat, und daher mit ihren Ausführungen gegen das Neuerungsverbot verstößt (§ 482 Abs 1 ZPO). Wann sie von der Vergabe des Abflug-Slots erfahren hat, aus dem ihr erkennbar sein hätte müssen, dass der Fluggast seinen Anschlussflug in VIE nicht erreichen werde, hat die Beklagte – worauf schon das Erstgericht hingewiesen hat – gerade nicht vorgetragen. Das beklagte Luftfahrtunternehmen hat den „außergewöhnlichen Umstand“ in seinem Tatsachenvorbringen – insbesondere auch hinsichtlich seiner zeitlichen Komponenten – aber so hinreichend präzise zu beschreiben, dass eine Prüfung, welche „zumutbaren Maßnahmen“ überhaupt in Betracht zu ziehen sind, ermöglicht wird (RKO000013). Die Beklagte hätte daher ihr Vorbringen zu den letztlich wetterbedingten Verzögerungen so präzise darzustellen gehabt, dass überprüft werden kann, zu welchem Zeitpunkt welche Ersatzbeförderungsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen gewesen wären.

Im Übrigen hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie eine Umbuchung auf „Billigfluglinien“ aus den von ihr angegebenen Gründen nicht in Erwägung gezogen hat. Diese Gründe sieht das Berufungsgericht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung aber nicht als stichhältig an. Zu den zumutbaren Maßnahmen iSd Entscheidung des EuGH zu C-74/19 gehört nämlich nicht nur die Umbuchung auf einen anderen Flug auf Basis desselben Flugscheins, sondern nötigenfalls auch der Erwerb eines neuen Flugscheins bei einem anderen Luftfahrtunternehmen, auch wenn mit diesem keine Vereinbarung über eine wechselseitige Anerkennung von Flugscheinen bzw einer Direktverrechnung besteht, sofern damit keine untragbaren Opfer für das ausführende Luftfahrtunternehmen verbunden sind (RKO0000032). Dass unter den Möglichkeiten der Ersatzbeförderung auch eine Flugverbindung mit einer „Billigfluglinie“ in Betracht kommt, hat der erkennende Senat bereits mehrfach bekräftigt (LG Korneuburg 22 R 205/22k, 22 R 20/23f, 22 R 249/23g ua).

Zusammengefasst hat das Erstgericht zutreffend erkannt, dass schon der von der Beklagten behauptete Sachverhalt hinsichtlich der zumutbaren Maßnahmen nicht geeignet war, sie gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO von ihrer Ersatzpflicht zu befreien. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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