JudikaturLG Korneuburg

22R171/24p – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechts-sache der klagenden Partei J***** M***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei E***** GmbH , vertreten durch VULPIANUS Rechtsanwälte Steuerberatung in Düsseldorf, Deutschland (Einvernehmensanwälte: Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien), wegen EUR 430,08 s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 17.07.2024, 25 C 47/24k-12 (Berufungsinteresse: EUR 264,23 s.A.) in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abge-ändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

„[1] Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 165,85 samt 4 % Zinsen aus diesem Betrag ab 11.04.2023 zu zahlen.

[2] Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere EUR 264,23 samt 4 % Zinsen aus diesem Betrag ab 11.04.2023 zu zahlen, wird abgewiesen.

[3] Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 94,30 bestimmten Verfahrenskosten zu Handen der Beklagten-vertreterin zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 253,87 (darin EUR 33,51 USt und EUR 44,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Berufung zu Handen der Beklagtenvertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verfügte über eine einheitliche bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführenden Flüge [a] EW 757 ab Wien 30.09.2022, 09:00 Uhr, an Köln/Bonn 30.09.2022, 10:35 Uhr (Hinflug), und [b] EW 752 ab Köln/Bonn 02.10.2022, 12:50 Uhr, an Wien 02.10.2022, 14:20 Uhr (Rückflug). Sie bezahlte dafür insgesamt EUR 430,08. Der Hinflug wurde annulliert, und die Klägerin weniger als zwei Wochen zuvor davon verständigt. Sie erhielt von der Beklagten am 11.04.2023 eine Ausgleichsleistung von EUR 250,--.

Mit der beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien im Europäischen Mahnverfahren am 17.04.2023 eingebrachten und in weiterer Folge dem Erstgericht überwiesenen Klage beantragte die Klägerin zunächst den Zuspruch von EUR 680,08 samt 4 % Zinsen ab 01.10.2022 und brachte vor, dass der Flug EW 757 infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstandes annulliert worden sei. Ihr stehe ein Anspruch auf Ausgleichsleistung von EUR 250,-- nach Art 5 iVm Art 7 Abs 2 [ richtig: Abs 1] EU-FluggastVO zu. Sie habe sich nach Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO für die Rückerstattung der Flugscheinkosten von EUR 430,08 entschieden; die Beklagte schulde ihr diesen Betrag. In weiterer Folge schränkte die Klägerin ihr Begehren infolge Zahlung der Ausgleichsleistung von EUR 250,-- am 11.04.2023 um EUR 250,-- samt den darauf entfallenden Zinsen (Seite 3 in ON 9) sowie auf 4 % Zinsen aus EUR 430,08 (erst) ab 11.04.2023 (Seite 2 in ON 11) ein.

Die Beklagte anerkannte einen Teil der (verbliebenen) Klagsforderung von EUR 165,85, bestritt im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, sie habe die Ausgleichsleistung aufgrund der Annullierung des Hinfluges am 05.04.2023 an die Klägerin gezahlt. Weiters habe sich die Klägerin offensichtlich um eine Ersatzbeförderung von Wien nach Köln/Bonn gekümmert und dann den Rückflug wahrgenommen. Sie könne daher nur den Ersatz der Kosten für den Hinflug verlangen, die sich auf EUR 165,25 belaufen würden.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, der Klägerin EUR 430,08 samt 4 % Zinsen ab 11.04.2023 zu zahlen. Es traf die (Negativ-) Feststellung, dass es nicht habe feststellen können, dass die Klägerin den Rückflug EW 752 am 02.10.2022 in Anspruch genommen habe. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 Abs 1 lit a iVm Art 8 Abs 1 lit a EU-FluggastVO (unter anderem) bei Annullierung von Flügen dem Fluggast vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen anzubieten seien. Der Anspruch umfasse sowohl die Kosten des Hinfluges als auch des Rückfluges, wenn – wie hier – Hin- und Rückflug Gegenstand einer einheitlichen Buchung seien, über die ein einziger Flugschein ausgestellt worden sei. Für die Behauptung, dass die Klägerin nur den annullierten Flug EW 757 am 30.09.2022 nicht angetreten habe, den Flug EW 752 am 02.10.2022 hingegen schon, habe die Beklagte keine Beweise angeboten. Die gesamte Reise sei als nicht angetreten anzusehen.

Gegen dieses Urteil des Bezirksgerichtes „für Handelssachen Wien“ [ richtig: Schwechat] richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem – gerade noch erkennbaren – Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass ein Teilbetrag von EUR 264,23 abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

Eingangs ihrer Berufung verweist die Berufungswerberin darauf, im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen zu haben, dass die Klägerin den Rückflug wahrgenommen hätte. Diese Tatsache sei von der Klägerin nicht bestritten worden.

Diesen Ausführungen hält die Berufungsgegnerin die vom Berufungsgericht zitierte erstgerichtliche (Negativ-) Feststellung entgegen.

Die Ausführungen der Berufungswerberin sind zutreffend. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, die Klägerin habe den Rückflug EW 752 mit 02.10.2022 wahrgenommen (Seite 2 in ON 10). Gegenteiliges Vorbringen wurde von der Klägerin weder in der Mahnklage noch im vorbereitenden Schriftsatz (ON 9) noch in der vorbereitenden Tagsatzung (ON 11) erstattet. Der von der Beklagten behauptete Umstand, dass die Klägerin den Rückflug angetreten habe, ist daher als zugestandene Tatsache iSd § 267 ZPO anzusehen. Die von der Berufungsgegnerin ins Treffen geführte Negativfeststellung ist somit „überschießend“. Werden der Entscheidung (unzulässige) überschießende Feststellungen zugrunde gelegt, wird die Sache rechtlich unrichtig beurteilt (RS0040318 [T2]). Dies gilt jedenfalls für Negativfeststellungen, die bei Vorliegen eines zugestandenen Sachverhaltes unbeachtlich sind (RS0039949 [T6]). Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob – wie das Erstgericht vermeint – die Beklagte für dieses Tatsachenvorbringen keine Beweise angeboten hat. Nur der Vollständigkeit halber ist auf die beiden Screenshots zu verweisen, die im vorbereitenden Schriftsatz enthalten waren (Seite 2 in ON 10). Es kann daher auch keine Rede davon sein, dass die Beklagte gar keine Beweise angeboten hat (allenfalls hat sie dies nicht in einer prozessordnungskonformen Weise getan).

Legt man nun die unbestrittene Tatsache zugrunde, dass die Klägerin den Rückflug EW 752 am 02.10.2022 in Anspruch nahm, ist die Rechtsrüge berechtigt.

Das Erstgericht stützt seine Falllösung auf das Urteil des (deutschen) BGH vom 18.04.2023, X ZR 91/22 (RRa 2024, 25). Danach umfasst der aufgrund einer Annullierung bestehende Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten sowohl die Kosten des Hinfluges als auch die Kosten des Rückfluges, wenn Hin- und Rückflug Gegenstand einer einheitlichen Buchung sind, über die ein einziger Flugschein ausgestellt worden ist.

Dem steht die Rechtsprechung des erkennenden Senates entgegen, wonach der Begriff „Flug“ im Sinne der EU-FluggastVO nicht auf den Fall einer als einheitliche Leistung vereinbarten Hin- und Rückreise anwendbar ist. Eine Leistungsstörung (nur) auf den Hinflug führt daher nicht dazu, dass hinsichtlich des Rückfluges Ansprüche nach Art 7 bis 9 EU-FluggastVO geltend gemacht werden können (RKO0000037). An dieser Rechtsprechung hielt der erkennende Senat zuletzt (08.02.2024, 22 R 232/23g) fest; sie wurde zuletzt vom LG Salzburg (17.11.2023, 53 R 172/23k) geteilt. Es liegt daher – entgegen der Rechtsansicht des BGH (aaO, Rn 44) – nicht „a cte claire “ vor.

Der erkennende Senat ist ungeachtet der unterschiedlichen Auslegungen der zugrunde liegenden unionsrechtlichen Normen nicht veranlasst, nach Art 267 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Der BGH setzt sich zwar nicht mit der Frage auseinander, ob der Fluggast den Rückflug in Anspruch genommen hat oder nicht; allerdings formuliert er, dass der Erstattungsanspruch zusteht, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist (BGH, aaO Rz 27). Der Rückflug ist aber dann nicht zwecklos, wenn der Fluggast diesen antritt .

Zusammengefasst kommt das Berufungsgericht zur Auffassung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten für den von ihr konsumierten Rückflug hat. Die Erstattung der Kosten des Hinfluges wurden von der Beklagten anerkannt. Dass die von der Beklagten zu erstattenden Kosten des Hinfluges einen höheren Betrag als denjenigen ausmachen würden, den die Beklagte anerkannt hat, wurde von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet.

Der Berufung war daher Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass derjenige Teilbetrag, den die Beklagte nicht anerkannt hat (rechnerisch EUR 264,23 zzgl. Zinsen), abzuweisen war.

Die Abänderung macht es erforderlich, die erstinstanzliche Kostenentscheidung neu zu fassen. Das Erstgericht hat zutreffend erkannt, dass Verfahrensabschnitte zu bilden sind. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes hat die Klägerin sehr wohl einen Grund für die Klagseinschränkung angegeben, nämlich die Zahlung der Ausgleichsleistung mit 11.04.2023 (Seite 3 in ON 9). Die gerichtliche Geltendmachung der Ausgleichsleistung in der sechs Tage später eingebrachten Klage erfolgte somit zu Unrecht und geht kostenrechtlich zu Lasten der Klägerin. Sie hat im ersten Verfahrensabschnitt zu etwa 1/4 obsiegt und somit Anspruch auf Ersatz von 1/4 der im ersten Verfahrensabschnitt angefallenen Pauschalgebühr; sie hat aber der Beklagten die Hälfte (= 3/4 - 1/4) der Kosten des Einspruches zu ersetzen. Im zweiten Verfahrensabschnitt (ab der Klagseinschränkung, wobei bereits deren Einbringung kostenrechtlich wirksam ist [RW0001065]) obsiegte die Klägerin zu 2/5, sie hat der Beklagten 1/5 (= 3/5 - 2/5) des Anwaltshonorars des vorbereitenden Schriftsatzes (ON 10) und der vorbereitenden Tagsatzung (ON 11) zu ersetzen. Die Ansätze der Beklagten wurden von der Klägerin nicht bestritten und waren daher nach § 54 Abs 1a ZPO zugrunde zu legen. Amtswegig war jedoch wahrzunehmen, dass die Beklagte – kommentarlos – 20 % USt. verzeichnete. Die Vertretungsleistung eines deutschen Rechtsanwaltes gegenüber einem deutschen Unternehmer ist in Österreich nicht steuerbar; vielmehr ist der deutsche USt-Satz von 19 % heranzuziehen.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Bemessungsgrundlage sowohl für die Pauschalgebühr als auch für das Anwaltshonorar ist das Berufungsinteresse von EUR 264,23. Auch für die Berufung gilt der 19 %-ige deutsche Umsatzsteuersatz.

Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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