JudikaturLG Korneuburg

22R137/24p – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Rak und Mag. Jarec, LL.M. in den verbun-denen Rechtssachen der klagenden Parteien [1] M**** W**** , [2] G***** W***** , [3] M***** S***** , [4] M***** M***** , [5] D***** W***** , [6] M***** S***** , [7] G***** S***** , [8] C***** H***** , alle vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen insgesamt EUR 2.000,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 22.05.2024, 27 C 310/23z-10, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen jeweils ein Achtel der mit EUR 586,15 (darin EUR 97,69 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 541 am 20.06.2023 von Wien nach Neapel mit den geplanten Flugzeiten 12:30 Uhr bis 14:05 Uhr.

Am 20.06.2023 fand in Italien ein landesweiter Generalstreik sämtlicher Bodenabfertigungsdienste statt, der (u.a.) auch den Flughafen Neapel betraf. Für die Bodenabfertigung am Flughafen Neapel bedient sich die Beklagte lokaler Dienstleistungsunternehmen, mit denen langfristige Verträge bestehen. Die Mitarbeiter der Flugsicherung nahmen am Streik nicht teil. Aufgrund des Streiks wäre eine Landung bzw. ein Start daher grundsätzlich möglich gewesen, die Flüge wären jedoch in den Streikzeiträumen nicht abgefertigt worden. Die Beklagte wurde erstmals am 12.06.2023 sowie mit Updates vom 16. und 18.06.2023 vom geplanten Streik informiert und auch darüber in Kenntnis gesetzt, dass am 20.06.2023 im Zeitraum von 07:00 Uhr bis 10:00 Uhr und 18:00 Uhr bis 21:00 Uhr keine Streikmaßnahmen stattfinden würden, und die Flüge in diesen Zeitfenstern tatsächlich abgefertigt werden würden. Aufgrund dieser Ankündigung und der zu erwartenden Einschränkungen bzw. Verzögerungen bei der Abfertigung entschied die Beklagte auf Empfehlung ihrer Mitarbeiter an der Außenstation in Neapel, den Flug OS 541, dessen planmäßiger Abflug genau zwischen den Streikfenstern gelegen sei, zu annullieren. Die Annullierung erfolgte am 18.06.2023 um 16:00 Uhr.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob eine verspätete Durchführung des Fluges zwischen 18:00 Uhr und 21:00 Uhr konkret geprüft wurde, oder dass dies nicht möglich gewesen wäre. Das Fluggerät, das für den Flug OS 541 eingeplant war, wurde stattdessen für einen Flug nach München eingesetzt.

Die Kläger wurden bereits kurz nach der Annullierung am 18.06.2023 um 16:21 Uhr auf den Flug OS 543 von Wien nach Neapel mit den geplanten Flugzeiten 16:20 Uhr bis 17:55 Uhr umgebucht. Dieser konnte auch tatsächlich am 20.06.2023 um 16:40 Uhr starten; die tatsächliche Ankunftszeit war um 18:09 Uhr.

Geplant war an diesem Tag auch der Flug der Ryan Air FR 9475, mit den planmäßigen Flugzeiten 13:40 Uhr bis 15:20 Uhr. Die Beklagte prüfte eine Umbuchung der Kläger auf diesen Flug nicht. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dieser Flug der Ryan Air nicht durchgeführt wurde oder nicht genügend Plätze für die gesamte Reisegruppe darauf verfügbar gewesen wäre.

Die Kläger beantragten – gestützt auf die Verordnung EG Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichszahlung von jeweils EUR 250,-- samt Zinsen und brachten dazu im Wesentlichen vor, dass der Flug infolge eines allein von der Beklagten zu verantwortenden Umstandes annulliert worden sei, weshalb ihnen ein Anspruch auf Ausgleichsleistung in der genannten Höhe zustehe. Es seien keine außergewöhnliche Umstände vorgelegen. Sie bestritten, dass der Flug annulliert habe werden müssen; er hätte vielmehr verspätet durchgeführt werden können. Der Streik sei mindestens fünf Tage zuvor angekündigt worden und habe somit kein plötzliches Ereignis für die Beklagte dargestellt. Grund für die Annullierung sei außerdem gewesen, dass kein Fluggerät zur Verfügung gestanden sei. Es habe auch kein behördliches Verbot für die Durchführung von Flügen von Wien nach Neapel bestanden. Der Streik sei nicht kausal für die Annullierung des Fluges gewesen. Außerdem werde bestritten, dass der Flug OS 543 die schnellstmögliche Ersatzbeförderung gewesen sei. Die Beklagte hätte sie auf den Flug FR 9475 um 13:40 Uhr umbuchen können.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, dass der Streik von allen großen italienischen Gewerkschaften organisiert worden sei. Da die Flugsicherung in Neapel bzw. der Flughafen von einer sehr großen Teilnehmerzahl ausgegangen sei, hätten Flüge annulliert werden müssen. Die Notwendigkeit der Annullierung des Fluges OS 541 sei ihr erst am Morgen des 18.06.2023 bekannt gegeben worden. Aus diesem Grund sei die gegenständliche Annullierung unvermeidbar und auch nicht vorhersehbar gewesen. Da es sich bei den Streikenden nicht um ihre eigenen Mitarbeiter gehandelt habe, habe sie auf den Streik auch nicht reagieren können. Der Generalstreik des Bodenpersonals und der Fluglotsen stelle einen Ausfall hoheitlicher Aufgaben dar. Diese Aufgaben würden von der italienischen Flugsicherheitsbehörde oder durch private Dienstleister als Beliehene wahrgenommen. Weder die Flughafenbetreiber noch sie selbst hätten die Möglichkeit diese zu beeinflussen oder zu übernehmen. Der Streik sei demnach seiner Natur und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit. Die Kläger seien von ihr, sobald ihr bekannt gewesen sei, dass der Flug OS 543 landen werde können, weil er planmäßig in das streikfreie Zeitfenster falle, umgehend auf die nächstmögliche Flugverbindung umgebucht worden. Eine Umbuchung auf einen Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens hätte auch keine schnellere Beförderung der Kläger nach Neapel ermöglicht. Sie prüfe unmittelbar nach der Annullierung eines Fluges alle alternativen Beförderungsmöglichkeiten für die betroffenen Passagiere. Sie würde grundsätzlich auch Flüge von „Billigfluglinien“ prüfen. Derartige Umbuchungen seien aber in der Regel nicht möglich. Da nicht absehbar gewesen sei, wann sich die Streikmaßnahmen ändern würden, sei nur eine Annullierung des Fluges und Umbuchung der Passagiere auf die einzig mögliche spätere Verbindung möglich gewesen. Wäre die Annullierung nicht erfolgt, wäre eine Umbuchung auf den Flug OS 543 nicht möglich gewesen.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht den Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte den Klägern gegenüber zum Kostenersatz. Es traf im Wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und folgerte daraus rechtlich, dass die RL 96/67/EG für Bodenabfertigungsdienste (u.a. Gepäckabfertigung, Vorfelddienste, Betankungsdienste und Fracht- und Bodenabfertigung) sowohl die Drittabfertigung als auch die Selbstabfertigung vorsehe. Auch im Fall der Drittabfertigung liege aber keine Aufgabe des Flughafenbetreibers vor, sondern desjenigen Unternehmens, welches das Luftfahrtunternehmen zu diesem Zweck vertraglich beauftragt habe. Schon damit sei indiziert, dass auch ein Streik im Bereich der Abfertigungsdienste zu den luftfahrttypischen Risiken zähle, die das Luftfahrtunternehmen nicht entlasten könnten. In der Beauftragung eines anderen Unternehmens sei eine „de-facto Betriebserweiterung“ zu sehen, die nicht dazu führen könne, dass ein Luftfahrtunternehmen Betriebsrisiken, die ihm bei eigenem Handeln zugerechnet würden, „auslagern“ könne. Der Streik des Fremdpersonals, das in die vom beauftragenden Luftfahrtunternehmen zu erbringenden Leistungen eingebunden werde, die zur normalen Ausübung der Tätigkeit des beauftragten Luftfahrtunternehmens gehörten, sei somit der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen. Ein außergewöhnlicher Umstand könnte allenfalls dann vorliegen, wenn die zugrundeliegenden Forderungen nur von staatlichen Stellen erfüllt werden könnten und daher für das betroffene Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar seien. Da die Beklagte zum Hintergrund des Streiks aber kein substanziiertes Vorbringen erstattet habe bzw. dazu auch im Beweisverfahren keine relevanten Details hervorgekommen seien, könne sie sich auf die fehlende Beherrschbarkeit, weil sie etwa, würde es sich um eigene Mitarbeiter handeln, für die Erfüllung der Forderungen gar nicht zuständig gewesen wäre, nicht berufen. Der vorliegende Streik der Bodenabfertigungsdienste sei somit als Vorkommnis einzuordnen, das seiner Natur und Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sei. Es liege daher kein außergewöhnlicher Umstand vor, weshalb auf die Frage, ob die Beklagte auch alle zumutbaren Maßnahmen erfüllt habe, nicht mehr einzugehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klagebegehren abgewiesen werden; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert, dass der Streik des Abfertigungs- bzw. Bodenpersonals (u.a.) am Flughafen Neapel sowie die Reduzierung des Flugaufkommens infolge des Streiks jeweils als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren sei. Diese Umstände seien für sie weder vorhersehbar noch beherrschbar gewesen. Auch bei den Bodenabfertigungsdiensten habe es sich um eine hoheitliche staatliche Aufgabe gehandelt. Sie habe die Bodenabfertigungsdienste nicht durch eigenes oder anderes Personal ersetzen können. Darüber hinaus habe das Erstgericht aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung die Feststellung unterlassen, dass der Flug OS 541 aufgrund außergewöhnlicher Umstände annulliert habe werden müssen, und sie durch die Umbuchung alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe.

Vorab kann auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung verwiesen werden, denen die Berufungswerberin nichts Stichhältiges entgegenzusetzen hat (§ 500a ZPO).

Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es sich bei dem festzustellenden Umstand um keine Tatsachen, sondern vielmehr um rechtliche Schlussfolgerungen handelt, die das Erstgericht zu Recht nicht zum Gegenstand seiner Feststellungen gemacht hat.

Der Behauptung der Berufungswerberin, dass es sich beim gegenständlichen Streik des Bodenabfertigungsdienstes am Flughafen Neapel um einen außergewöhnlichen Umstand handle, ist zu entgegnen, dass der erkennende Senat aus der grundlegenden Norm des § 3 Abs 1 Flughafen-Bodenabfertigungsgesetz – FBG, BGBl I Nr. 97/1998, zuletzt geändert durch BGBl I Nr. 98/2007, und der Richtlinie 96/67/EG des Rates vom 15.10.1996 über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft ableitet, dass die in Anlage 1 des Gesetzes wie in Anlage 1 der Verordnung aufgezählten Dienste zur gewöhnlichen Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens gehören, mag auch in concreto eine zulässige Übertragung dieser Teiltätigkeit an einen Dritten erfolgt sein (LG Korneuburg 22 R 61/19d, 22 R 70/20d u.a.). Zutreffend hat das Erstgericht dazu ausgeführt, dass der Streik des Fremdpersonals, das in die vom beauftragten Luftfahrtunternehmen zu erbringenden Leistungen eingebunden wird, die zur normalen Ausübung der Tätigkeiten des beauftragenden Luftfahrtunternehmens gehören, der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen ist (vgl. LG Korneuburg 22 R 45/24h; Schmid in BeckOK Fluggastrechte-VO 31. Ed. Rz 164). Mit dieser Argumentation des Erstgerichtes hat sich die Berufungswerberin nicht näher auseinandergesetzt; sie qualifiziert die Bodenabfertigungsdienste vielmehr als hoheitliche staatliche Aufgabe. Dabei geht sie jedoch in unzulässiger Weise nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Das Erstgericht hat nämlich ausdrücklich festgestellt, dass sich die Beklagte für die Bodenabfertigung am Flughafen Neapel lokaler Dienstleistungsunternehmen bedient, mit denen langfristige Verträge bestehen (Urteil Seite 3).

Aufgrund der Auslagerung eines Bodenabfertigungsdienstes an einen Drittanbieter ist der Streik der Mitarbeiter dieses Drittanbieters nach ständiger Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht anders zu behandeln als der Streik eigener Mitarbeiter des Luftfahrtunternehmens. Seit dem Urteil des EuGH vom 17.04.2018 in der Rechtssache C-195/17 Krüsemann wird jedoch der Streik des eigenen Personals der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zugeordnet (vgl. hiezu Schmid , aaO Rz 159 ff, LG Korneuburg 22 R 45/24h).

Demnach gehört nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ein Vorkommnis, das in der Bodenabfertigung liegt, seiner Natur oder Ursache nach zur normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens. Die Auslagerung der Abfertigung an ein drittes Unternehmen berührt die Natur der Tätigkeit nicht (LG Korneuburg 22 R 61/19d, 22 R 45/24h, 22 R 148/24f).

Entgegen der Behauptung der Berufungswerberin liegt somit ein außergewöhnlicher Umstand iSd Art 5 Abs 3 der EU-FluggastVO nicht vor. Da es der Berufungswerberin schon aus diesem Grund nicht gelungen ist, die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsleistung im Sinne der genannten Bestimmung unter Beweis zu stellen, braucht auf die weiteren Ausführungen zu den von ihr ergriffenen zumutbaren Maßnahmen hier nicht mehr eingegangen zu werden.

Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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