JudikaturLG Korneuburg

22R148/24f – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
12. September 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in den verbun-denen Rechtssachen der klagenden Parteien (zu 26 C 468/23b:) [1] H***** P***** , (zu 26 C 531/23t:) [2] K***** B***** , [3] M***** B***** , und (zu 26 C 532/23i:) [4] H***** R***** , alle vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- (zu 26 C 468/23b), EUR 500,-- (zu 26 C 532/23i) bzw EUR 250,-- (zu 26 C 532/23i), infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 28.05.2024, 26 C 468/23b-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien jeweils ein Viertel der mit EUR 403,56 (darin EUR 67,26 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeant-wortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für von der Beklagten am 02.12.2022 durchzuführenden Flüge, und zwar

[a] der Erstkläger: OS 514 ab Mailand-Malpensa 17:45 Uhr, an Wien 19:15 Uhr;

[b] die Zweitklägerin und der Drittkläger: OS 513 ab Wien 15:35 Uhr, an Mailand-Malpensa 17:00 Uhr

[c] der Viertkläger: OS 512 ab Mailand-Malpensa 10:15 Uhr, an Wien 11:45 Uhr.

Die Beklagte erhielt am 30.11.2022 eine Streikankündigung, wonach es am 02.12.2022 für 24 Stunden zu einem "Nationalstreik" in Italien kommen werde. Sie annullierte die Flüge am 01.12.2022, und zwar den Flug OS 512 um 08:54 Uhr und die Flüge OS 513 und OS 514 um 16:18 Uhr. Sie buchte die Fluggäste um, und zwar

[a] den Erstkläger auf den Flug OS 516, mit dem er Wien am 02.12.2022 um 23:52 Uhr erreichte; das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass diese Ersatzbeförderung die schnellstmögliche war.

[b] die Zweitklägerin und den Drittkläger auf den Flug OS 517, mit dem sie [richtig] Mailand-Malpensa am 02.12.2022 erreicht hätten (sie entschieden sich, diesen Flug nicht anzutreten); das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass diese Ersatzbeförderung die schnellstmögliche gewesen wäre.

[c] den Viertkläger auf die Flugverbindung EW 9827 / EW 9750 von Mailand-Malpensa über Düsseldorf nach Wien, mit dem er Wien am 02.12.2022 um 14:00 Uhr erreichte. Dies war die schnellstmögliche Ersatzbeförderung. Die Flugstrecke nach Mailand nach Wien beträgt gemäß Großkreisberechnung weniger als 1.500 km.

Die Kläger begehrten jeweils den Zuspruch von EUR 250,-- zuzüglich Zinsen; und zwar der Erstkläger mit der beim Erstgericht am 13.06.2023 eingebrachten und zu 26 C 486/23b registrierten Klage; die Zweitklägerin und der Drittkläger mit der beim Erstgericht am 26.06.2023 eingebrachten und zu 26 C 531/23t registrierten Klage; und der Viertkläger mit der ebenfalls am 26.06.2023 eingebrachten und zu 26 C 532/23i registrierten Klage. Sie brachten vor, dass die Beklagte die Flüge aufgrund der Streikankündigung vorsorglich aufgrund einer wirtschaftlichen Entscheidung annulliert habe. Tatsächlich seien alle Starts und Landungen von bzw. am Flughafen Mailand auch im Zeitfenster des angekündigten Streiks – allenfalls mit geringfügiger Verspätung – möglich gewesen. Das für die Rotation OS 513 / OS 514 vorgesehene Fluggerät sei anderweitig auf der Rotation OS 115 / OS 116 eingesetzt worden. Weder von der Eurocontrol noch vom Flughafen in Mailand habe es Auflagen gegeben, die zur Einschränkung des Flugbetriebs aufgrund des angekündigten Streiks geführt hätten; insbesondere sei es nicht zur Reduktion der An- und Abflugrate am Flughafen Mailand-Malpensa gekommen.

Die Beklagte stellte den (eingeschränkten) Beginn des Zinsenlaufes außer Streit, bestritt im Übrigen das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klagen und brachte vor, es sei ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen. Sie sei von ihrer Vertretung am Flughafen in Mailand am 01.12.2022 darüber informiert worden, dass der Streik am Flughafen Mailand-Malpensa voraussichtlich von 07:00 Uhr bis 10:00 Uhr und von 18:00 Uhr bis 21:00 Uhr stattfinden werde. Am 02.12.2022 sei es zu einem landesweiten Generalstreik gekommen, der den Flug- und Bahnverkehr betroffen hätte. Der Streik habe alle italienischen Flughäfen betroffen und sei von allen großen italienischen Gewerkschaften organisiert worden. Aufgrund der Situation am Flughafen Mailand-Malpensa sei der gesamte Flugplan durcheinander gebracht worden. Da derartige Streiks aber zeitlich nicht beschränkt würden und jederzeit ausgewertet werden könnten, sei ihr von ihrer Vertretung am Flughafen Mailand-Malpensa empfohlen worden, die Flüge zu annullieren. Aus diesem Grund und da die Flugsicherung in Mailand bzw. der Flughafen Mailand-Malpensa von einer sehr großen Teilnehmerzahl an diesem Streik ausgegangen sei, hätten die Flüge am 02.12.2022 annulliert werden müssen. Sie habe am Vormittag des 01.12.2022 die Flüge annulliert und die Kläger umgebucht. Die Zweitklägerin und der Drittkläger hätten die umgebuchte Flugverbindung nicht angetreten und sich die Ticketkosten rückerstatten lassen. Die jeweils vorgenommenen Umbuchungen hätten die erst- und schnellstmögliche Beförderung der Kläger an ihr Endziel dargestellt.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht den Klagebegehren aller Kläger statt und traf die auf Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung ON 13 ersichtlichen Feststellungen. Daraus ist hervorzuheben:

"Es wäre der Beklagten möglich gewesen, sich über die Empfehlung des Vertreters der L*****-Gruppe in Italien hinwegzusetzen.

[...]

An diesem Streik beteiligten sich Mitarbeiter der Abfertigung am Flughafen.

[...]

Es kann nicht festgestellt werden, dass es streikbedingt zu Restriktionen durch die Flugsicherung gekommen ist.

[...]

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Flüge OS 512, OS 513 und OS 514 aufgrund eines Generalstreiks in Italien nicht durchgeführt werden konnten."

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO einem Fluggast bei der Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von weniger [ richtig: nicht mehr] als 1.500 km eine Ausgleichsleistung von EUR 250,-- gebühre. Diese sei nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung […] auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Unter Umständen könne ein Streik einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Lägen einem Streik des eigenen Personals Forderungen zugrunde, die nicht vom Luftfahrtunternehmen, sondern nur von staatlichen Stellen erfüllt werden könnten, und die für das Luftfahrtunternehmen insoweit tatsächlich nicht beherrschbar seien, so könne es sich um einen außergewöhnlichen Umstand handeln. Der Streik von Mitarbeitern eines nicht zum Konzern gehörenden Drittunternehmen, die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen mit der Erfüllung bestimmter eigenen Aufgaben beauftragt seien, könne dem Luftfahrtunternehmen zugerechnet werden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Flüge aufgrund eines Generalstreikes in Italien nicht hätten durchgeführt werden können. Es sei von einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung der Beklagten auszugehen, die Flüge zu annullieren. Ihr sei der Beweis dafür, dass die Annullierung der Flüge auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen seien, nicht gelungen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, dieses dahin abzuändern, dass die Klagebegehren abgewiesen werden; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragen jeweils, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

[a] Die Berufungswerberin vermisst die Feststellung, dass die Flüge OS 513 bzw. OS 514 aufgrund außergewöhnlicher Umstände hätten annulliert werden müssen. Die Beklagte habe durch die Umbuchungen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen.

Dabei handelt es sich allerdings jeweils um keine Tatsachen, sondern um rechtliche Erwägungen, die das Erstgericht zu Recht nicht zum Gegenstand seiner Feststellungen gemacht hat.

[b] Im Rahmen ihrer Rechtsrüge ieS tritt die Berufungswerberin einerseits der Rechts-ansicht des Erstgerichtes entgegen, dass ein außergewöhnlicher Umstand nicht vorgelegen sei, und vertritt die Ansicht, dass der Streik des Abfertigungs- bzw. Bodenpersonals (unter anderem) am Flughafen Mailand-Malpensa sowie die Reduzierung des Flugaufkommens infolge des Streiks jeweils als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren seien; zum anderen nimmt sie den Standpunkt ein, sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben.

Die Beklagte erstattete dazu im erstinstanzlichen Verfahren das Vorbringen, dass ein landesweiter Generalstreik stattfinden werde (Seite 2 in ON 6); welche zur Durchführung der gegenständlichen Flüge erforderlichen Berufsgruppen von diesem Streik betroffen gewesen seien, brachte die Beklagte nicht vor. Das Erstgericht stellte dazu (nur) fest, dass sich am Streik Mitarbeiter der Abfertigung am Flughafen beteiligt hätten (Seite 4 in ON 13).

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates gehört ein Vorkommnis, das in der Bodenabfertigung liegt, seiner Natur oder Ursache nach zur normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens. Die Auslagerung der Abfertigung an ein drittes Unternehmen berührt die Natur der Tätigkeit nicht (beginnend mit LG Korneuburg 22 R 61/19d; zuletzt 22 R 45/24h). Diese Ansicht wird im Schrifttum geteilt ( Jarec , Kein Strom in Atlanta, RRa 2019, 153 [154]; Schmid in Schmid, Beck-OK FluggastrechteVO [31. Edition, Stand 01.07.2024] Art 5 Rn 164).

Da somit weder ein Vorkommnis, das einen außergewöhnlichen Umstand nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO begründen könnte, festgestellt wurde, noch feststeht, dass ein von der Beklagten behaupteter Umstand – möge er als außergewöhnlich iSd dieser Bestimmung anzusehen seien oder nicht – für die Annullierung kausal wurde, erübrigt es sich, auf die in der Berufung aufgeworfene Frage einzugehen, ob die Beklagte sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen (zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung) gesetzt hat.

Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

Rückverweise