22R66/24x – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechts-sache der klagenden Partei A***** L***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 02.02.2024, 26 C 126/23h-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 211,63 (darin EUR 35,27 USt) bestimmten Kosten des Berufungs-verfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten am 16.09.2022 durchzuführenden Flug von OS 417 von Wien (VIE) nach Paris (CDG), 17:20 Uhr bis 19:25 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug am 13.09.2022 und unterrichtete die Klägerin noch am selben Tag davon. Am Folgetag informierte sie die Klägerin davon, dass sie diese auf den Flug OS 411 von VIE nach CDG am 17.09.2022, 07:05 bis 09:10 Uhr, umgebucht habe. Die Flugstrecke VIE – CDG beträgt nicht mehr als 1.500 km.
Die Klägerin begehrte – gestützt auf Art 5 Abs 1 lit c iVm 7 Abs 2 [ richtig: Abs 1 lit a] der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 250,--. Zur Begründung brachte sie im Wesentlichen vor, dass die Annullierung nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO – konkret auf den von der Beklagten behaupteten Streik der Fluglotsen – zurückzuführen sei. Die Beklagte habe aber auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen unternommen: Zum einen müsse das Luftfahrtunternehmen, das sich von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung befreien wolle, dem Fluggast das Angebot zur anderweitigen Beförderung im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Annullierung unterbreiten. Ein Angebot zu einem nicht unwesentlich späteren Zeitpunkt sei nicht ausreichend. Zum anderen brachte sie – implizit durch die Behauptung, dass es schnellere Ersatzverbindungen gegeben hätte – vor, dass die Beklagte sie nicht auf die schnellstmögliche Ersatzbeförderung umgebucht habe.
Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wendete – soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse – ein, dass in Frankreich für den 16.09.2022 ein landesweiter Streik der Flugsicherheitsbediensteten angekündigt gewesen sei, von dem sie am 13.09.2022 informiert worden sei. Der angekündigte Streik, der auch tatsächlich abgehalten worden sei, habe sämtliche Flughäfen in Frankreich betroffen, sodass ein Ausweichen auf einen nahe gelegenen Flughafen nicht möglich gewesen wäre. Es sei somit ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen. Sie habe auch alle zumutbaren Maßnahmen unternommen; eine Umbuchung auf den Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens hätte auch keine schnellere Beförderung der Klägerin an ihr Endziel zur Folge gehabt als mit dem Flug OS 411 am 17.09.2022. Sie prüfe unmittelbar nach Annullierung eines Fluges alle alternativen Beförderungsmöglichkeiten für die betroffenen Passagiere, darunter auch Flüge andere Fluglinien sowie Bahn- oder Bustransporte. Sie würde grundsätzlich auch Flüge von „Billigfluglinien“ prüfen; derartige Umbuchungen seien aber in der Regel nicht möglich; ein solches Vorgehen wäre für sie in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht tragbar und schlicht unmöglich gewesen. Ergebnis ihrer Prüfung sei letztlich gewesen, dass die der Klägerin angebotene Ersatzbeförderung die schnellstmögliche gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf die aus Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, aus denen hervorzuheben ist:
„Im Zuge des Umbuchungsvorgangs prüfte die beklagte Partei andere direkte und indirekte Verbindungen der beklagten Partei selbst als auch von anderen Fluglinien von Wien nach Paris CDG, darunter aber nur jene Billigfluglinien, die im von ihr verwendeten Amadeus-Buchungssystem abgebildet sind.
[…]
Die vorgenommene Umbuchung der Klägerin auf den Flug OS 411 von Wien nach Paris war die schnellstmögliche reine Flugverbindung zwischen Wien und Paris CDG, welche im Amadeus-Buchungssystem abgebildet ist. Es kann nicht festgestellt werden, ob die vorgenommene Umbuchung insgesamt, nämlich auch dann, wenn nicht im Amadeus-Buchungssystem abgebildete Flugverbindungen oder ein Bahntransport auf der gesamten oder einer Teilstrecke berücksichtigt wird, die schnellstmögliche war.“
Rechtlich folgerte das Erstgericht im Wesentlichen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast im Falle einer Annullierung [unter den weiteren in Art 5 Abs 1 lit c Nr i bis iii alternativ genannten Voraussetzungen] gemäß Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO eine Ausgleichsleistung von EUR 250,-- zu leisten habe. Die Ausgleichsleistung sei nach Art 5 Abs 3 der VO jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Streik der Fluglotsen stelle einen solchen außergewöhnlichen Umstand dar. Als zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung für den einzelnen Fluggast sei vor allem die Ersatzbeförderung des Fluggastes zu prüfen; dazu verwies es auf die vom EuGH in seiner Entscheidung zu C-74/19 aufgestellten Grundsätze. Die Flugverbindung, auf die die Beklagte die Klägerin umgebucht habe, sei zwar die schnellstmögliche reine Flugverbindung zwischen VIE und CDG gewesen, die in dem von der Beklagten verwendeten Buchungssystem Amadeus abgebildet sei; sie habe aber nicht nur reine Bahnverbindungen oder die Verbindung mit dem Flug OS 355 am 16.09.2022 von VIE nach Brüssel (BRU) und anschließend von dort mit dem [Hochgeschwindigkeitszug] TGV nach Paris nicht geprüft; sondern auch keine Beförderung mit Billigfluglinien, die nicht in Amadeus abgebildet seien. Sie habe daher nicht nachweisen können, alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben, weshalb sie sich nicht von der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsleistung befreien könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass die vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht, dass im vorliegenden Fall ein außergewöhnlicher Umstand ursächlich für die Annullierung des gebuchten Fluges gewesen sei, von der Berufungsgegnerin nicht angegriffen wird.
[a] Die Berufungswerberin meint nun zusammengefasst, dass sie nachgewiesen habe, dass eine Umbuchung auf einen Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens auch keine schnellere Beförderung der Klägerin nach CDG ermöglicht hätte; und dass der Flug OS 411 „einer der ersten“ Flüge gewesen sei, die nach dem Streik wieder planmäßig zwischen VIE und CDG verkehrt seien.
Diesen Ausführungen steht die – unbekämpfbare (§ 501 Abs 1 ZPO) – Feststellung entgegen, dass die Beklagte im Zuge des Umbuchungsvorganges nur jene Flugverbindungen von Billigfluglinien überprüft habe, die im Buchungssystem Amadeus abgebildet seien.
Dazu ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichtes zu verweisen, wonach grundsätzlich auch Flüge von Billigfluglinien in die Suche nach Ersatzverbindungen einbezogen werden müssen. Zu den zumutbaren Maßnahmen iSd Entscheidung des EuGH zu C-74/19 gehört nämlich nicht nur die Umbuchung auf einen anderen Flug auf Basis desselben Flugscheins, sondern nötigenfalls auch der Erwerb eines neuen Flugscheins bei einem anderen Luftfahrtunternehmen, auch wenn mit diesem keine Vereinbarung über eine wechselseitige Anerkennung von Flugscheinen bzw einer Direktverrechnung besteht, sofern damit keine untragbaren Opfer für das ausführende Luftfahrtunternehmen verbunden sind (RKO0000032). Dass unter den Möglichkeiten der Ersatzbeförderung auch eine Flugverbindung mit einer Billigfluglinie in Betracht kommt, hat der erkennende Senat bereits mehrfach bekräftigt (LG Korneuburg 22 R 205/22k, 22 R 20/23f, 22 R 249/23g ua).
Konkrete Gründe, warum Umbuchungen auf Billigfluglinien „in der Regel nicht möglich“ seien; bzw warum dies für sie „in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht tragbar und schlicht unmöglich“ sei, hat die Beklagte nicht dargelegt. Dieser Einwand ist daher auch für das Berufungsgericht nicht überprüfbar.
Freilich stünde der Beklagten der Nachweis offen, dass auch eine erweiterte (als von ihr tatsächlich vorgenommene) Suche nach Ersatzverbindungen ohnehin keinen Erfolg gebracht hätte; dass also die von ihr unterlassenen zumutbaren Maßnahmen – wären sie gesetzt worden – auch keine schnellere Beförderung der Klägerin an ihr Endziel zur Folge gehabt hätte.
Doch auch diesbezüglich hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen, wonach eben nicht feststeht, dass keine raschere Ersatzverbindung auffindbar gewesen wäre, wenn die Beklagte umfassend nach solchen gesucht hätte.
Sofern die Berufungswerberin in diesem Zusammenhang auf die Aussage des Zeugen Christoph Burda verweist, ist sie darauf hinzuweisen, dass bei der rechtlichen Beurteilung nur von den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen ist und nicht von sich aus dem Akt ergebenden Beweisergebnissen (mag das Erstgericht diesen gefolgt sein oder auch nicht).
[b] Weiters moniert die Berufungswerberin, dass die Klägerin keine konkrete Verbindung vorgebracht oder gar bewiesen hätte, auf welche die Beklagte sie umbuchen hätte sollen.
Zur Beweislastverteilung hinsichtlich des Anbietens der schnellstmöglichen Ersatz- beförderung vertritt das Berufungsgericht in ständiger Rechtsprechung folgende Rechtsansicht, die Eingang in den im RIS-Justiz zu RKO0000044 veröffentlichten Rechtssatz gefunden hat: Bringt der Fluggast im Prozess nicht zum Ausdruck, dass ihm das ausführende Luftfahrtunternehmen keine zufriedenstellende Ersatzbeförderung angeboten hat, besteht kein Anlass, dem beklagten Luftfahrtunternehmen ohne Not die Darlegungslast für die objektiv frühestmögliche (iSv EuGH C-74/19) – vom Fluggast aber vielleicht gar nicht gewollte – Ersatzbeförderung aufzubürden. Erst nach einem entsprechenden Vorbringen der Klagsseite, an das aufgrund der grundsätzlich beim beklagten Luftfahrtunternehmen verbleibenden Behauptungs- und Beweislast keine hohen Anforderungen zu stellen sind – so muss der Kläger etwa nicht vortragen, welche konkreten früheren Flugverbindungen zur Verfügung gestanden wären – ist die Beklagte gehalten, konkret vorzubringen (und in Bestreitungsfall unter Beweis zu stellen), dass ihr die Verschaffung einer früheren Ersatzbeförderung nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre.
Dass die der Klägerin von der Beklagten angebotene (und von ihnen auch angenommene) unstrittige Ersatzbeförderung die schnellstmögliche gewesen wäre, hat die Klägerin jedoch deutlich erkennbar bestritten. Damit oblag es – im Sinne der obzitierten Rechtsprechung des Berufungsgerichtes – der Beklagten, den Nachweis für die schnellstmögliche Ersatzverbindung zu erbringen, was ihr – gemäß der entsprechenden Negativfeststellung – nicht gelungen ist.
[c] Wenn die Berufungswerberin letztlich als sekundären Feststellungsmangel rügt, dass das Erstgericht nicht festgestellt habe, dass „die Beklagte durch die Umbuchung auf den Flug OS 411 alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen“ habe, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei um keine Tatsachenfeststellung handelt, sondern um die – von der Berufungswerberin gewünschte, aber aus den Feststellungen nicht abzuleitende – Rechtsfolge.
Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.