JudikaturLG Korneuburg

22R125/24y – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
27. August 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Mühleder in der Rechts-sache der klagenden Partei S***** T***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B***** A***** PLC , vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 600,-- sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 19.04.2024, 1 C 280/23x-9, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 253,10 (darin EUR 42,18 USt) bestimmten Kosten des Berufungsver-fahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin buchte über Vermittlung von f*****.at bei X***** X***** die einheitliche Flugverbindung [a] BA 697 (AA 6640) von Wien (VIE) nach London-Heathrow (LHR) 02.12.2021, 11:15 Uhr bis 12:50 Uhr, [b] AA 107 (BA 1510) von LHR nach New York (JFK) 02.12.2021, 17:05 Uhr bis 20:15 Uhr, [c] AA 2268 (BA 4362) von JFK nach Miami (MIA) 03.12.2021, 06:00 Uhr bis 09:08 Uhr und [d] AA 1593 von MIA nach San José (SJO), 03.12.2021, 10:57 Uhr bis 12:57 Uhr. Von den Teilflügen wurde nur die erste Flug ([a] BA 697) von der Beklagten, alle anderen von X***** X***** durchgeführt. (Sofern die Flüge [b] und [c] auch Flugnummern der Beklagten tragen, ist dies darauf zurückzuführen, dass zwischen der Beklagten und X***** X***** – wenn auch nicht für die gegenständliche Flugkonfigurationen – eine Codesharing -Vereinbarung existiert.) Die gesamte – mehr als 3.500 km lange – Flugverbindung hätte bei der Beklagten nicht gebucht werden können.

Während die ersten beiden Teilflüge im Wesentlichen pünktlich verkehrten, wurde der Flug AA 2268 von JFK nach MIA erheblich verspätet – nämlich von 11:57 Uhr bis 14:55 Uhr – durchgeführt. Aus diesem Grund wurde die Klägerin nicht auf diesem Flug befördert, sondern auf die Flüge AA 1228 von JFK nach MIA und AA 1353 von MIA nach SJO umgebucht, mit der die Klägerin SJO am 03.12.2021 um 22:02 Uhr, somit mit einer mehr als dreistündigen Verspätung gegenüber der ursprünglich gebuchten Verbindung, erreichte.

Die Klägerin beantragte – gestützt auf Art 5 Abs 1 lit c iVm 7 Abs 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 600,--. Zur Begründung brachte sie zuletzt im Wesentlichen vor, dass die Beklagte passiv legitimiert sei; sie habe als Fluggast das Wahlrecht, jedes der beteiligten Luftfahrtunternehmen als Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen. Die Verspätung sei nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zurückzuführen.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, dass die Klägerin ihre Flugtickets weder direkt noch indirekt bei ihr gebucht habe. Es bestehe daher kein Luftbeförderungsvertrag mit ihr, sondern mit X***** X*****. Der Flug auf der anspruchsbegründenden Teilstrecke sei nicht von ihr durchgeführt worden. Der Entscheidung des EuGH zu C-592/20 liege ein gänzlich anderer Sachverhalt zu Grunde; im hier vorliegenden Fall sei die anspruchsbegründende Teilstrecke von JFK nach MIA von X***** X***** selbst, und daher gerade nicht von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem die Klägerin den Luftbeförderungsvertrag geschlossen habe, durchgeführt worden.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf die aus Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, deren wesentlicher Inhalt eingangs gemeinsam mit dem unstrittigen Sachverhalt wiedergegeben wurde. Rechtlich folgerte das Erstgericht – insbesondere aus den Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zu C-561/20, 502/18 und C-367/20 – im Wesentlichen, dass unter dem Blickwinkel, dass die EU-FluggastVO den größtmöglichen Schutz der Fluggäste sicherstellen solle; dass die Klägerin bei einem Abflugort aus der Gemeinschaft mit einer Verspätung am Endziel in einem Drittland mit mehr als neun Stunden angekommen sei; dass es sich um eine einheitliche Buchung gehandelt habe; und dass es ferner für den Fluggast unerheblich sei, auf welchem Teilflug die Ursache für die Verspätung am Endziel eingetreten sei, die Beklagte, obzwar sie den ersten Teilflug – auch pünktlich – durchgeführt habe, für die Verspätung der Folgeflüge am Endziel einzustehen habe. Es sei an der Beklagten, sich bei X***** X***** zu regressieren. Auch wenn die Beklagte betreffend den streitgegenständlichen Fluggast in keiner Vertragsbeziehung mit X***** X***** stehe, so bestünden doch – mit Ausnahme des hier gegenständlichen Falles – Codesharing -Vereinbarungen mit X***** X*****. Die Beklagte sei daher passiv klagslegitimiert und habe die pauschalierte Ausgleichszahlung zu leisten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert, dass das Erstgericht zu Unrecht ihre passive Klags-legitimation bejaht habe. Zusammengefasst argumentiert sie, dass sie [a] weder vertragliches Luftfahrtunternehmen gewesen sei, noch [b] ausführendes Luftfahrtunternehmen (Art 2 lit b EU-FluggastVO) des Flugsegmentes, das von der Leistungsstörung betroffen gewesen sei. Die Klägerin könne ihre Ansprüche ohnehin gegen X***** X***** geltend machen, also gegen jenes Luftfahrtunternehmen, das die konkrete Leistungsstörung zu vertreten habe, sodass weder ein Anknüpfungspunkt, noch ein Bedarf bestehe, sie – die Beklagte – in Anspruch zu nehmen.

Vorauszuschicken ist, dass zum Problemkreis des Einstehenmüssens eines Luftfahrtunternehmens für Leistungsstörungen (Nichtbeförderung, Annullierung, Verspätung) bei Umsteigeverbindungen und einheitlicher Buchung zahlreiche Entscheidungen des EuGH ergangen sind, was seinen Grund vor allem darin hat, dass die EU-FluggastVO das Phänomen des segmentierten Fluges überhaupt nicht anspricht. Dabei ist dem Erstgericht darin beizupflichten, dass eine Fallkonstellation die der vorliegenden in allen wesentlichen Sachverhaltselementen exakt gleicht, vom EuGH bislang noch nicht entschieden wurde:

Dem Urteil vom 11.07.2019 in der Rechtssache C-502/18 lag der Fall zugrunde, dass bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, ein Flug vom Gemeinschaftsgebiet über einen Drittstaat an ein Endziel in einem weiteren Drittstaat gebucht wurde, wobei der erste Teilflug von diesem Luftfahrtunternehmen, und der zweite Teilflug von einem anderen (nicht gemeinschaftlichen) Luftfahrtunternehmen im Rahmen einer Codesharing -Vereinbarung durchgeführt wurde, und die Leistungsstörung, die zur großen Verspätung am Endziel führte, nur auf diesem zweiten Teilflug eintrat. Der EuGH bejahte die Passivlegitimation des beklagten Luftfahrtunternehmens, wobei er hervorhob, dass Flüge mit einmaligem oder mehrmaligem Umsteigen, die Gegenstand einer einzigen Buchung gewesen seien, aufgrund des Urteiles in der Rechtssache C-537/17 Wegener / Royal Air Maroc als Einheit anzusehen seien. Dies bedeute, dass sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das den ersten Teilflug durchgeführt habe, im Rahmen solcher Flüge nicht auf die mangelhafte Durchführung eines späteren, von einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Teilflug zurückziehen könne (C-502/18 Rn 27). Dies gelte "insbesondere aufgrund der Codesharing- Vereinbarung" (ohne jedoch darzulegen, wie ohne Bestehen einer solchen Vereinbarung zu entscheiden gewesen wäre; aaO Rn 30 ff).

Dem gegenüber war Gegenstand des Beschlusses vom 12.11.2020 in der Rechtssache C-367/20 KLM eine bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, gebuchte Flugverbindung, bei der der erste Teilflug im Rahmen einer Codesharing -Vereinbarung von einem Drittstaat in das Gemeinschaftsgebiet von einem anderen (nicht gemeinschaftlichen) Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, und auf diesem Teilflug eine Leistungsstörung auftrat, die dazu führte, dass der Fluggast den planmäßig vom beklagten Luftfahrtunternehmen durchgeführten zweiten Teilflug nicht erreichte und in der Folge mit einer großen Verspätung an seinem Endziel ankam. Auch in diesem Fall bejahte der EuGH die Passivlegitimation des Luftfahrtunternehmens, das selbst keine Leistungsstörung zu vertreten hatte, und verwies – wie schon in der Entscheidung zu C-502/18 (Rn 26) – darauf, dass jedes ausführende Luftfahrtunternehmen, das unter Durchführung mindestens eines Teilfluges dieses Fluges mit Umsteigen beteiligt sei, diesen Ausgleich unabhängig davon schulde, ob der von ihm durchgeführte Flug die große Verspätung des Fluggastes an seinem Endziel verursacht habe oder nicht (C-367/20 Rn 28).

Der Sachverhalt, der dem Urteil vom 07.04.2022 in der Rechtssache C-561/20 United Airlines zugrunde lag, zeichnete sich dadurch aus, dass die Beklagte, ein nicht- gemeinschaftliches Luftfahrtunternehmen, beide Teilflüge einer bei einem anderen (gemeinschaftlichen) Luftfahrtunternehmen gebuchten segmentierten Fluges von einem Drittstaat – mit Zwischenlandung in einem Drittstaat – in das Gemeinschaftsgebiet durchführte, und der Fluggast sein Endziel mit einer großen Verspätung erreichte. Auch in diesem Fall bejahte der EuGH die Passivlegitimation der Beklagten, wobei er betonte, dass das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen den betroffenen Fluggästen und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen unerheblich sei, sofern dieses eine eigene Vertragsbeziehung mit dem Luftfahrtunternehmen, das einen Vertrag mit den Fluggästen geschlossen habe, eingegangen sei (C-561/20 Rn 40). Auch aus dieser Entscheidung lässt sich keine Festlegung des EuGH entnehmen, ob dem Bestehen einer Codesharing- Vereinbarung maßgebliche Bedeutung zukommt (aaO Rn 41). Der Unterschied zum vorliegenden Fall bestand darin, dass die Beklagte beide Teilflüge – und daher auch den von der Leistungsstörung betroffenen – selbst durchführte.

Dem Beschluss vom 22.04.2021 in der Rechtssache C-592/20 British Airways lag schließlich zugrunde, dass der erste Teilflug einer bei einem nicht-gemeinschaftlichen Lufttfahrtunternehmen einheitlich gebuchten Flugverbindung von einen Drittstaat – über einen Flughafen im Gemeinschaftsgebiet – zu einem anderen Flughafen im Gemeinschaftsgebiet von diesem Unternehmen, der zweite Teilflug aber bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, durchgeführt wurde, und dieser zweiten Teilflug von der Beklagten annulliert wurde. Vom hier gegenständlichen Fall unterscheidet sich die Konstellation dadurch, dass die Leistungsstörung auf dem Flug der Beklagten auftrat. Auch in diesem Fall wurde die Passivlegitimation der Beklagten bejaht und insbesondere allgemein ausgeführt, dass im Fall einer einheitlich gebuchten Flugverbindung das ausführende Luftfahrtunternehmen, das an der Durchführung mindestens eines Teiles dieses Anschlussfluges beteiligt sei, zur Leistung der Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung verpflichtet sei, auch wenn es nicht den Beförderungsvertrag mit dem Fluggast geschlossen habe (C 592/20 Rn 27). Eine allfällige Codesharing-Vereinbarung wird in dieser Entscheidung nicht erwähnt .

Auch wenn sohin keiner der bisher vom EuGH entschiedenen Sachverhalte in allen wesentlichen Punkten mit dem hier zu entscheidenden übereinstimmt, so lässt sich aus all diesen Entscheidungen in ihrer Gesamtheit doch ableiten, dass es für die Haftung des Luftfahrtunternehmens, das ausführendes Luftfahrtunternehmen zumindest einer Teilstrecke war, weder darauf ankommt,

[a] ob ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Fluggast und diesem Luftfahrtunternehmen besteht; noch

[b] ob die Leistungsstörung auf einem vom in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmen ausgeführten Flug aufgetreten ist; noch

[c] ob der Fluggast aufgrund einer Codesharing -Vereinbarung befördert wurde.

Dass all dies nur dann gelten soll, wenn der Fluggast keinen deckungsgleichen Anspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen hat, auf dessen Flug die Leistungsstörung aufgetreten ist, lässt sich diesen Entscheidungen in ihrer Gesamtheit nicht entnehmen.

Der Auffassung der Berufungswerberin, dass es nicht sein könne, dass sie für ausschließlich fremdes Fehlverhalten einzustehen habe, steht diese Rechtsprechung ausdrücklich entgegen. Das Argument, dass die Rechtsansicht des Erstgerichtes im Hinblick auf §§ 1313a, 1315 ABGB (bzw verwandte Bestimmungen im deutschen Recht) systemwidrig sei, übersieht, dass die Haftungsfrage allein auf Grundlage des Gemeinschaftsrechtes zu lösen ist.

Auch die allgemeinen rechtstheoretischen Erwägungen der Berufungswerberin, wonach nach dem Prinzip der "relativen (zweiseitigen) Rechtfertigung" im Privatrecht allgemein jede Zuteilung von Rechten, Vorteilen und Chancen zu bestimmten Subjekten unmittelbar zu Pflichten, Lasten und Risiken für bestimmte andere Subjekte führe, und daher stets zu begründen sei, warum einem Subjekt gegenüber einem anderen Rechte, Vorteile und Chancen eingeräumt werden sollen, erweisen sich insofern als verfehlt, als die Beklagte gar nicht in Abrede stellt, vom vertraglichen Beförderer (X***** X*****) ein Entgelt für die Beförderung der Klägerin auf einer Teilstrecke der gebuchten Verbindung erhalten zu haben (und damit implizit die Erlaubnis erteilt hat, einen ihrer Flüge mit Flügen von X***** X***** zu kombinieren). Der Argumentation der Berufungswerberin könnte nur dann näher getreten werden, wenn sie behauptet und nachgewiesen hätte, dass die Kombination eines ihrer Flüge mit der restlichen bei X***** X***** gebuchten Flugverbindung ohne ihr Einverständnis – etwa durch einen "nicht zugelassenen Vermittler" (vgl Art 2 lit f EU-FluggastVO) – vorgenommen worden sei.

Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der (in einem der beiden Kostenverzeichnisse) angesprochene Streitgenossenzuschlag war mangels eines Streitgenossen nicht zuzusprechen.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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