JudikaturLG Korneuburg

22R144/24t – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
22. August 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechts-sache der klagenden Partei A***** G***** GmbH , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei T***** H***** Y***** , vertreten durch Dr. Mehmet Saim Akagündüz, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 600,-- s.A. , infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 15.05.2024, 26 C 604/23b-10, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 253,10 (darin EUR 42,18 USt.) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwor-tung zu Handen des Beklagtenvertreters zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Fluggast J***** M***** verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung [a] TK 1884 ab Wien 16.04.2023, 10:40 Uhr, an Istanbul 16.04.2023, 14:00 Uhr, und [b] TK 671 ab Istanbul 16.04.2023, 17:15 Uhr, an N'Djili (DR Kongo) 16.04.2023, 22:45 Uhr.

Aufgrund der am 15.04.2023 plötzlich ausgebrochenen Kämpfe zwischen der sudane-sischen Armee und dem paramilitärischen „ Rapid Support Forces “ wurde der gesamte Luftraum über dem Sudan am 16.04.2023 bis zunächst 21.04.2023 gesperrt. Die „ Rapid Support Forces “ griffen auch Flughäfen an. Es kam zum Einsatz von Flug- abwehrbewaffnung unter Inkaufnahme von Kollateralschäden. Die sudanesische Armee flog Luftangriffe auf die Paramilitärs. Der Flug TK 671 hätte über dem sudanesischen Luftraum durchgeführt werden sollen. Die Beklagte konnte die Luftraumsperre nicht vorhersehen. Aufgrund der Vorgaben der Flugsicherung wäre es der Beklagten nicht möglich gewesen, den Flug TK 671 durchzuführen. Sie musste aufgrund der Luftraumsperre den Flug TK 671 annullieren. Die Beklagte beförderte den Fluggast mit den Flügen TK 694 / MS 863 von Istanbul über Kairo nach N'Djili. Dies stellte die schnellstmögliche Ersatzbeförderung des Fluggastes dar. Dieser erreichte sein Endziel am 17.04.2023 um 03:45 Uhr. Die gebuchte Flugstrecke betrug nach der Großkreisberechnungsmethode mehr als 3.500 km. Der Fluggast trat seine Forderung auf Ausgleichsleistung an die Klägerin ab, diese nahm die Abtretung an.

Mit der beim Erstgericht am 28.07.2023 eingebrachten Klage beantragte die Klägerin den Zuspruch von EUR 600,-- (ohne Zinsen) und brachte vor, es seien keine außergewöhnlichen Umstände oder sonstige Ausschlussgründe nach der EU-FluggastVO vorgelegen. Dem Fluggast stehe eine Entschädigung von EUR 600,-- zu. Es sei nicht ersichtlich, ob die Flugrouten ursprünglich durch den Sudan geplant gewesen seien, und ob eine Änderung der Flugroute beantragt und durchgeführt worden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso das Staatsgebiet des Sudan nicht habe umflogen werden können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Sperre des Luftraumes über dem Sudan dazu geführt habe, dass die Beklagte den Flug TK 671 gänzlich annulliert habe. Die Beklagte habe nicht substanziiert dargelegt, welchen ursächlichen Zusammenhang die vorgebrachten Umstände zur letztlichen Annullierung des klagsgegenständlichen Fluges von Istanbul nach N'Djili gehabt habe. Von 336 Abflügen vom Flughafen Istanbul seine (mit dem klagsgegenständlichen Flug) bloß vier Flüge annulliert worden. Neben dem Flug, der direkt im Kriegsgebiet hätte landen sollen, seien bloß zwei weitere Flüge annulliert worden, deren Flugroute der geografischen Lage nicht einmal ansatzweise über den sudanesischen Luftraum geführt habe und die von der Luftraumsperre im Sudan überhaupt nicht beeinträchtigt worden seien. Der klagsgegenständliche Flug sei der einzige, der laut dem Vorbringen der Beklagten aufgrund der Sperre des Luftraumes annulliert habe werden müssen. Ein außergewöhnlicher Umstand nach der EU-FluggastVO sei nicht ersichtlich.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, der Anspruch auf Ausgleichszahlung stehe nicht zu, wenn die Verspätung [ richtig: Annullierung] auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgehe. Der Luftraum über dem gesamten Sudan sei am 16.04.2023 aufgrund der am 15.04.2023 ausgebrochenen Kämpfe gesperrt worden. Der Flug TK 671 hätte über den sudanesischen Luftraum durchgeführt werden sollen. Sie habe nach Bekanntgabe der Luftraumsperre den Flug um 09:50 Uhr annulliert. Ein Umfliegen des gesamten sudanesischen Luftraumes wäre nicht möglich gewesen. Die Einholung einer Genehmigung der Änderung der Flugroute hätte mehrere Tage, im Extremfall Wochen, in Anspruch genommen. Ein Abwarten auf eine bessere Lage (Aufhebung der Luftraumsperre) bzw. bis zur Erteilung einer neuen Flugroute hätte zu einer Kettenverspätung aller Folgeflüge des Fluggerätes geführt. Zum Zeitpunkt der Annullierung habe sich der Fluggast auf dem Luftweg von Wien nach Istanbul befunden, weshalb eine Umbuchung ab dem Flughafen Wien nicht möglich gewesen sei. Eine schnellere Alternativbeförderung von Istanbul zum Endziel als mit der angebotenen und angenommenen Ersatzbeförderung habe nicht existiert.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, traf die auf Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ON 10 ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird, und deren wesentlicher Inhalt eingangs wiedergegeben wurde. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit c EU-FluggastVO einen Fluggast bei der Annullierung eines nicht-innergemeinschaftlichen Fluges über eine Entfernung von mehr als 3.500 km eine Ausgleichsleistung von EUR 600,-- gebühre. Diese sei jedoch nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Annullierung sei auf die gefechtsbedingte Luftraumsperre über dem Sudan zurückzuführen. Ein solcher Umstand sei weder üblich noch von der Beklagten beherrschbar, weshalb er als außergewöhnlich im Sinne der EU-FluggastVO einzustufen sei. Die Beklagte habe auch sämtliche mögliche und ihr zumutbare Maßnahmen ergriffen. Die Einholung einer Genehmigung der Änderung der Flugroute hätte mehrere Tage in Anspruch genommen, weshalb sie nicht zu einer schnelleren Ankunft als mit der angebotenen Ersatzbeförderung geführt hätte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

[a] Die Berufungswerberin vermisst die Feststellung, dass nicht habe festgestellt werden können, ob die Beklagte eine Änderung der Flugroute im konkreten Fall geprüft und eine Einholung einer Genehmigung versucht habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass nach dem unstrittigen Sachverhalt (Seite 1 in ON 10) die von der Beklagten angebotene Ersatzbeförderung dazu führte, dass der Fluggast sein Endziel mit fünfstündiger Verspätung erreichen konnte. Weiters stellte das Erstgericht fest, dass die Einholung der Genehmigung einer Änderung der Flugroute mehrere Tage in Anspruch genommen hätte (Seite 3 in ON 10).

Im Kern geht es um die Frage, ob die Beklagte, anstatt den Flug zu annullieren, eine Änderung der Flugroute hätte beantragen, und den Flug (allenfalls mit Verspätung) hätte durchführen sollen. Dies hätte im konkreten Fall zu einer großen Ankunftsverspätung des Fluggastes an seinem Endziel geführt, also eine Verspätung, die weit größer gewesen wäre als mit der von der Beklagten angebotene Ersatzbeförderung. Im vorliegenden Fall stellt der Antrag auf Änderung einer Flugroute somit keine zumutbare Maßnahme dar, die aus dem vorliegenden Umstand, nämlich die Luftraumsperre aufgrund der ausgebrochenen Kämpfe, resultierende Annullierung zu vermeiden. Weitere Feststellungen zu diesem Thema sind daher entbehrlich.

[b] Im Rahmen der Rechtsrüge (im engeren Sinn) wendet sich die Berufungswerberin gegen die Annahme des Erstgerichtes, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliege, und führt aus, dass die Luftraumsperre fünf Tage gedauert habe, der Umstand hätte der Berufungsgegnerin bereits einen Tag vorher bekannt sein müssen.

Dazu ist auch die Feststellung des Erstgerichtes zu verweisen, dass die Kämpfe einen Tag vor dem in weiterer Folge annullierten Flug ausgebrochen seien, und die Beklagte die Luftraumsperre nicht habe vorhersehen können (jeweils Seite 3 in ON 10).

[c] In weiterer Folge argumentiert die Berufungswerberin, es habe sich um einen einzigen Flug gehandelt, der habe annulliert werden müssen; ein außergewöhnlicher Umstand sei daraus nicht ersichtlich.

Im Ergebnis wendet sich die Berufungswerberin hier gegen die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Vorkommnis der Luftraumsperre und der Annullierung des gegenständlichen Fluges TK 671. Dem ist die Feststellung des Erstgerichtes entgegenzuhalten, dass es der Beklagten aufgrund der Vorgaben der Flugsicherung nicht möglich gewesen wäre, den Flug TK 671 auf einer Flugstrecke, die den gesamten sudanesischen Luftraum umfliege, zu führen; sie habe aufgrund der Luftraumsperre den Flug annullieren müssen (Seite 3 in ON 10).

[d] In weiterer Folge argumentiert die Berufungswerberin mit der Vorhersehbarkeit des Ereignisses und verweist auf den seit Jahrzehnten andauernden kriegerischen Konflikt im Gebiet des Sudan.

(Abermals) ist auf die erstgerichtliche Feststellung zu verweisen, dass die Kämpfe am 15.04.2023 plötzlich ausgebrochen seien, und die Beklagte die Luftraumsperre nicht habe vorhersehen können (jeweils Seite 3 in ON 10).

[e] Schließlich wendet sich die Berufungswerberin gegen die Annahme des Erstgerichtes, die Beklagte habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen gesetzt. Sie habe nicht einmal versucht, die Beantragung einer Flugroutenänderung zu erlangen bzw. eine solche geprüft. Die Berufungsgegnerin habe im Nachhinein versucht, die Annullierungsentscheidung damit zu rechtfertigen, dass eine Einholung der Genehmigung einer Änderung der Flugroute mehrere Tage in Anspruch genommen hätte. Dies ändere jedoch nichts an dem Umstand, dass eine Flugroutenänderung nicht geprüft worden sei, und die Beklagte nicht versucht habe, eine entsprechende Genehmigung einzuholen.

Im konkreten Fall handelt es sich um die von der Beklagten angebotene Ersatzbeförderung um die schnellstmögliche, um den Fluggast an sein Endziel zu befördern (Seite 4 in ON 10). Warum die mehrere Tage in Anspruch nehmende Einholung der Genehmigung einer Änderung der Flugroute (Seite 3 in ON 10) für den Fluggast irgendeinen Nutzen gebracht hätte (vgl. RKO0000027), ist für das Berufungsgericht nicht ersichtlich und wurde im erstinstanzlichen Verfahren auch nicht näher dargelegt.

Insgesamt ist somit der Beklagten auch der Nachweis gelungen, sämtliche ihr zumutbaren – sinnvollen – Maßnahmen iSd Art 5 Abs 3 EO-FluggastVO ergriffen zu haben, sodass der Anspruch des Fluggastes auf Ausgleichsleistung entfallen ist.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

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