22R142/24y – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechts-sache der klagenden Partei P***** U***** , vertreten durch JBB Rechtsanwälte Jaschinski Biere Brexl Partnerschaft mbH in Berlin (Einvernehmensrechtsanwalt: Mag Harald Redl, Rechtsanwalt in Bruckneudorf), wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 400,-- sA , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 17.05.2024, 23 C 303/24t-14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 250,99 (darin EUR 40,07 USt) bestimmten Kosten des Berufungs-verfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten am 14.11.2022 durchzuführende Flugverbindung [a] OS 7232 von München (MUC) nach Wien (VIE), 07:50 Uhr bis 08:50 Uhr und [b] OS 829 von VIE nach Erbil (EBL), 10:15 Uhr bis 16:00 Uhr [alle Angaben in Ortszeit] . Die Beklagte annullierte den Flug am Tag der geplanten der Durchführung um 03:45 Uhr und buchte den Kläger unmittelbar darauf um. Der Kläger wurde letztlich von VIE über Frankfurt (FRA) nach EBL mit einer planmäßigen Ankunft am Endziel am 15.11.2022, 16:15 Uhr, ersatzberfördert. Die Flugstrecke MUC – EBL beträgt mehr als 1.500 km, aber nicht mehr als 3.500 km.
Der Kläger begehrte – offenbar gestützt auf Art 5 Abs 1 lit c iVm 7 Abs 1 lit b der Verordnung (EG) Nr 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 400,--. Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor, dass die Annullierung nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zurückzuführen sei; vorsorglich werde bestritten, dass die von der Beklagten behauptete Bedrohungslage vorgelegen habe. und die Landebahn in EBL gesperrt gewesen sei. Die Beklagte habe aber auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen; insbesondere habe sie ihm nicht die schnellstmögliche Ersatzbeförderung angeboten; sie habe nicht nach sämtlichen direkten oder indirekten Alternativverbindungen gesucht; es treffe auch nicht zu, dass nur Beförderungen mit IATA-Fluglinien als gleichwertig angesehen werden könnten; es wäre der Beklagten auch möglich gewesen, Flüge bei solchen Fluglinien zu bezahlen.
Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, dass die Annullierung des Fluges OS 829 auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen gewesen sei: Am Morgen des 14.11.2022 sei es als Reaktion auf grenzüberschreitende Angriffe im September und Oktober 2022 zu Angriffen auf iranisch-kurdische Stellungen gekommen. Erbil liege genau in dem Gebiet, in dem mit einer verschärften Sicherheitslage gerechnet werden habe müssen. Die Start- und Landebahn sei aufgrund der Angriffe immer wieder kurzfristig gesperrt worden. Sie sei auch davon informiert worden, dass weitere iranische Angriffe in der Region kurzfristig möglich seien. Aufgrund eindringlicher Empfehlung der Mitarbeiter in EBL und der Gefahr von Raketen- bzw Drohnenangriffen habe sie sich zur Annullierung des Fluges entschlossen. Der Kläger sei – nach mehreren von ihr angebotenen Alternativen – auf dessen Wunsch auf die unstrittige Ersatzverbindung über FRA umgebucht worden. Eine Umbuchung auf den Flug eines anderen Luftfahrtunternehmens hätte auch keine schnellere Beförderung des Klägers an sein Endziel ermöglicht. Sie prüfe unmittelbar nach der Annullierung eines Fluges alle alternativen Beförderungsmöglichkeiten – eigene Flüge, Flüge andere Fluglinien sowie Bahn- oder Bustransporte – für die betroffenen Passagiere. Sie würde grundsätzlich auch Flüge von "Billigfluglinien" prüfen; derartige Umbuchungen seien aber in der Regel nicht möglich. Fluglinien wie Wizz Air, Lauda, easyJet ua hätten kein Abkommen über die Akzeptanz und Abrechnung von Tickets der Beklagten, weil diese Fluglinien keine IATA-Mitglieder seien. Es sei ihr auch nicht möglich, Tickets dieser Fluglinien zu kaufen; man könne sie nur online erwerben, ihre Kreditkarten würden aber als Firmenkreditkarten abgelehnt. Im Übrigen könnten lediglich IATA-Fluglinien als gleichwertig iSd EU-FluggastVO angesehen werden, weil nur bei diesen davon auszugehen sei, dass Service- und Sicherheitsstandards eingehalten würden. Eine Umbuchung auf Flüge anderer Fluglinien sei für sie "insbesondere in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht tragbar und schlicht unmöglich". Die vorgenommene Umbuchung habe die erst- und schnellstmögliche Beförderung des Klägers an sein Endziel dargestellt.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf die aus Seiten 4 und 5 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, aus denen hervorzuheben ist:
„Im Zeitraum zwischen 09:00 Uhr und 16:00 Uhr (Ortszeit) hätten am 14. November 2022 in Erbil 20 Flüge landen sollen. Der Flug OS 829 war der einzige Flug, der annulliert wurde. Die meisten Flüge in diesem Zeitraum wurden verspätet durchgeführt.
Die beklagte Partei prüfte die Umbuchung des Klägers mit dem automatisierten Computersystem „Amadeus“, das eine Vielzahl von Flug- und Bahnverbindungen berücksichtigt. Darin werden sämtliche Flüge von IATA-Fluglinien angezeigt. Darüber hinaus muss es mit der Fluglinie ein sogenanntes „Ticketingabkommen“ geben, damit die beklagte Partei über das Buchungssystem einen (Ersatz-)Flug buchen kann. Flüge von Billigfluglinien und von Non-IATA-Fluglinien werden im Buchungssystem der beklagten Partei nicht angezeigt. Um bei diesen Fluglinien Flüge zu buchen, müssten die Mitarbeiter der beklagten Partei – wie die Passagiere selber – die Buchungen direkt auf der Homepage der Fluglinien vornehmen. Eine Umbuchung des Klägers auf einen anderen – direkten oder indirekten – Flug mit Billigfluglinien bzw. Non-IATA Fluglinien wurde von der beklagten Partei nicht geprüft. Allenfalls vorhandene indirekte Flugverbindungen mit diesen Fluglinien wurden dem Kläger daher auch nicht angeboten. Es kann nicht festgestellt werden, ob die beklagte Partei die Möglichkeit gehabt hätte, den Kläger durch eine Umbuchung auf einen anderen – direkten oder indirekten – Flug früher an sein Ziel zu bringen. Das Buchungssystem „Amadeus“ sah den Flug TK 1888 am 14. November 2022 von Wien (VIE) nach Istanbul (IST) mit den Flugzeiten von 19:30 Uhr bis 23:45 Uhr und den Flug TK 804 am 15. November 2022 von Istanbul (IST) nach (ERB) mit den Flugzeiten von 01:50 Uhr bis 04:25 Uhr, als die schnellste verfügbare Beförderungsmöglichkeit an. Der Kläger wurde ursprünglich auch auf diese Flugkombination umgebucht, entschied sich in der Folge allerdings selbst für eine Beförderung mit den außer Streit gestellten Ersatzflügen. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich bei der Beförderung mit diesen (Ersatz-)Flügen um die schnellstmögliche Beförderung des Klägers nach Erbil handelte.“
Rechtlich folgerte das Erstgericht im Wesentlichen, dass das ausführende Luftfahrt-unternehmen dem Fluggast im Falle einer Annullierung [unter den weiteren in Art 5 Abs 1 lit c Nr i bis iii alternativ genannten Voraussetzungen] gemäß Art 7 Abs 1 lit b EU-FluggastVO eine Ausgleichsleistung von EUR 400,-- zu leisten habe. Die Ausgleichszahlung sei nach Art 5 Abs 3 der VO jedoch nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ob gegenständlich ein "außergewöhnlicher Umstand" vorlag, prüfte das Erstgericht jedoch nicht, weil es zur Auffassung gelangte, dass sich die Beklagte – unabhängig von dessen Vorliegen – nicht von der Ausgleichszahlung befreien könne, weil sie nicht sämtliche zumutbaren Maßnahmen geprüft habe. Als zumutbare Maßnahme zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung für den einzelnen Fluggast sei vor allem die Ersatzbeförderung des Fluggastes zu prüfen; dazu verwies es auf die vom EuGH in seiner Entscheidung zu C-74/19 aufgestellten Grundsätze. Dazu gehöre nicht nur die Umbuchung auf einen anderen Flug auf Basis desselben Flugscheines, sondern nötigenfalls auch der Erwerb eines neuen Flugscheins bei einem anderen Luftfahrtunternehmen, auch wenn mit diesem keine Vereinbarung über eine wechselseitige Anerkennung von Flugscheinen bzw einer Direktverrechnung bestehe, sofern damit keine untragbaren Opfer für das ausführende Luftfahrtunternehmen verbunden seien. Der beweisbelasteten Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, dass sie den Kläger auf die schnellstmögliche Alternativverbindung umgebucht habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
[a] Die Berufungswerberin meint zunächst, dass aufgrund des festgestellten Sachverhaltes vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes iSd Art 5 Abs 3 EU- FluggastVO auszugehen sei.
Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, kann diese Frage im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, weil selbst unter der Prämisse, dass die Annullierung des Fluges auf einem außergewöhnlichen Umstand beruhte, die Beklagte sich dennoch nicht von der Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsleistung befreien könnte, weil ihr der Nachweis, dass sie sämtliche zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, nicht gelungen ist.
[b] Sie argumentiert diesbezüglich, dass sie nachgewiesen habe, dass sie den Kläger auf die nächstmögliche Flugverbindung (VIE – FRA – EBL mit einer geplanten Ankunft am 15.11.2022 um 16:15 Uhr) umgebucht habe. Für diesen Flug habe sich der Kläger selbst entschieden.
Dazu ist vorerst zu ergänzen, dass die Beklagte – gemäß dem festgestellten Sachverhalt – dem Kläger zuvor sogar eine Flugverbindung angeboten hatte, mit der er sein Endziel früher als mit der oben angegebenen Verbindung, nämlich bereits am 15.11.2022 um 04:25 Uhr erreicht hätte; die vom Kläger aber nicht angenommen wurde. (Offenbar auch) bezogen auf diese früheren Flugverbindungen traf das Erst-gericht die negative Feststellung, dass nicht festgestellt werden könne, ob [ richtig: dass] es sich bei diesen Ersatzflügen um die schnellstmögliche Beförderung des Klägers an sein Endziel gehandelt habe.
Zu den im Fall des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes, der die Annullierung eines Fluges zur Folge hat, zu ergreifenden zumutbaren Maßnahmen gehören nach ständiger Rechtsprechung des Berufungsgerichtes letztlich auch Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung für den einzelnen Fluggast (RKO0000014); dies bedeutet iSd der Entscheidung des EuGH zu C-74/19 TAP insbesondere die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen.
In diesem Zusammenhang wiederholt die Berufungswerberin im Wesentlichen ihr in erster Instanz erstattetes Vorbringen zur Unzumutbarkeit der Umbuchung auf ein NIcht-IATA-Luftfahrtunternehmen.
Dazu ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichtes zu verweisen, wonach grundsätzlich auch Flüge von Billigfluglinien in die Suche nach Ersatzverbindungen einbezogen werden müssen. Zu den zumutbaren Maßnahmen iSd Entscheidung des EuGH zu C-74/19 TAP gehört nämlich nicht nur die Umbuchung auf einen anderen Flug auf Basis desselben Flugscheins, sondern nötigenfalls auch der Erwerb eines neuen Flugscheins bei einem anderen Luftfahrtunternehmen, auch wenn mit diesem keine Vereinbarung über eine wechselseitige Anerkennung von Flugscheinen bzw einer Direktverrechnung besteht, sofern damit keine untragbaren Opfer für das ausführende Luftfahrtunternehmen verbunden sind (RKO0000032). Dass unter den Möglichkeiten der Ersatzbeförderung auch eine Flugverbindung mit einer Billigfluglinie in Betracht kommt, hat der erkennende Senat bereits mehrfach bekräftigt (LG Korneuburg 22 R 205/22k, 22 R 20/23f, 22 R 249/23g, 22 R 66/24x ua).
Konkrete Gründe, warum eine Umbuchung auf Billigfluglinien „in der Regel nicht möglich“ seien; bzw warum dies für sie „in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht tragbar und schlicht unmöglich“ sei, hat die Beklagte nicht dargelegt. Dieser Einwand ist daher auch für das Berufungsgericht nicht überprüfbar.
Freilich stünde der Beklagten der Nachweis offen, dass auch eine erweiterte (als von ihr tatsächlich vorgenommene) Suche nach Ersatzverbindungen ohnehin keinen Erfolg gebracht hätte; dass also die von ihr unterlassenen zumutbaren Maßnahmen – wären sie gesetzt worden – auch keine schnellere Beförderung des Klägers an sein Endziel zur Folge gehabt hätte. Mangels entsprechenden Vorbringens der behauptungs- und beweisbelasteten Beklagten hat das Erstgericht diesbezüglich jedoch zu Recht keine Feststellungen getroffen.
[c] Wenn die Berufungswerberin letztlich als sekundären Feststellungsmangel rügt, dass das Erstgericht nicht festgestellt habe, dass "der Flug OS 829 aufgrund außergewöhnlicher Umstände annulliert werden musste; und die Beklagte durch die Umbuchung alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen" habe, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei um keine Tatsachenfeststellung handelt, sondern um die – von der Berufungswerberin gewünschte, aber aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht ableitbare – Rechtsfolge.
Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger verzeichnete kommentarlos 20 % USt, und damit im Zweifel österreichische Umsatzsteuer. Die Leistung eines deutschen Rechtsanwaltes für einen Mandanten mit Sitz in Deutschland ist jedoch in Österreich nicht steuerbar (§ 3a Abs 6 u 7 UStG). Es kommt vielmehr der deutsche Umsatzsteuersatz von 19 % zur Anwendung.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Klagevertreterin wiederholt einen zu hohen Umsatzsteuersatz verzeichnet hat (LG Korneuburg 22 R 156/22d, 22 R 224/22d, 22 R 234/23a, 22 R 50/24v ua). Das Begehren offensichtlich überhöhter Kosten, insbesondere wenn dies in einer Vielzahl von Fällen erfolgt, ist disziplinär und verstößt gegen Ehre und Ansehen des Standes (RS0055068 [T2]). Dienstleistende europäische Rechtsanwälte unterliegen bei Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Aufsicht der Rechtsanwaltskammer und der Disziplinarbehandlung durch den Disziplinarrat und den Obersten Gerichtshof in sinngemäßer Anwendung des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (§ 7 Abs 1 EIRAG). Dem Einvernehmensrechtsanwalt obliegt es, beim dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass er bei der Vertretung oder Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet (§ 5 Abs 1 Satz 2 EIRAG).
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.