JudikaturLG Korneuburg

22R22/24a – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Rak und Mag. Jarec, LL.M. in der Rechts-sache der klagenden Parteien [1] M***** P***** , [2] M***** P***** , vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien [1] D***** L***** AG , [2] C***** F***** GmbH , beide vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 1.398,39 s.A. , infolge Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 28.11.2023, 16 C 153/23f-19 (Berufungsinteresse: EUR 800,--), in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien jeweils die Hälfte der mit EUR 383,64 (darin EUR 61,25 USt.) bestimmten Kosten der Berufungs-beantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger flogen am 20.06.2022 mit dem von der Erstbeklagten durchgeführten Flug LH 1239 von Wien nach Frankfurt am Main und am selben Tag von dort mit dem von der Zweitbeklagten durchgeführten Flug DE 2118 weiter nach Cancún. Die Rückreise erfolgte am 30.06.2022. Die beiden Koffer der Kläger gerieten beim Hinflug verloren und konnten ihnen erst nach dem Ende ihrer Urlaubsreise ausgehändigt werden.

Der Erstkläger kaufte für EUR 328,06 Ersatzbekleidung und für EUR 121,09 Hygieneartikel, die Zweitklägerin wendete EUR 249,26 für Ersatzbekleidung und EUR 148,64 für Hygieneartikel auf. Die Koffer der Kläger wiesen bei der Ausfolgung größere Kratzer an den Unterseiten auf.

Der Erstkläger beantragte den Zuspruch von EUR 705,12, die Zweitklägerin von EUR 693,27, jeweils samt Zinsen. Sie brachten zur Begründung im Wesentlichen vor, dass sie, da ihnen das Reisegepäck während des gesamten Reisezeitraums nicht zur Verfügung gestanden sei, zu diversen Ersatzbeschaffungen, insbesondere von Kleidung und Hygieneartikeln, genötigt gewesen seien. Wegen des verbleibenden Gebrauchswerts seien vorsorglich bloß 50 % der aufgewendeten Beträge für Ersatzkleidung zuzüglich der für Hygieneartikel aufgewendeten Beträge geltend gemacht worden. Für die beschädigten Koffer, die im Mai 2021 um einen Preis von je EUR 109,99 angeschafft worden seien, werde ein Schaden von EUR 20,-- pro Koffer geltend gemacht. Der Schadenersatzanspruch nach dem Montrealer Übereinkommen (MÜ) umfasse aber auch immaterielle Schäden wie den Anspruch auf Ersatz entgangener Urlaubsfreude. Da sie einen erheblichen Teil ihres Urlaubes in Cancún für Ersatzbeschaffungen und Recherchen zum Verbleib ihres aufgegebenen Gepäcks aufwenden hätten müssen, werde hierfür pauschal ein Betrag von EUR 400,-- pro Person geltend gemacht.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren, beantragten die Klagsabweisung und wendeten ein, dass die zu den Ersatzbeschaffungen übermittelten Zahlungsbelege sowie die Umrechnung nicht nachvollziehbar seien. Eine Wertminderung der Koffer sei bei Kratzern nicht anzunehmen. Der Ersatz der entgangenen Urlaubsfreuden stehe nicht zu. Richtig sei, dass der Schadenersatzanspruch nach dem MÜ auch immaterielle Schäden beinhalte; ob solche Schäden auch geltend gemacht werden könnten, bestimme sich jedoch nach dem lokalen Recht. Nach österreichischem Recht, das hier aufgrund des Wohnsitzes der Passagiere zur Anwendung gelange, seien immaterielle Schäden nicht zu ersetzen. Der Ersatz der immateriellen Schäden werde auch der Höhe nach bestritten, zumal dieser Betrag als Ausgleich für den Zeitaufwand bei Besorgung der Ersatzkleidung nicht angemessen sei.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren hinsichtlich des Erstklägers mit EUR 305,12 und hinsichtlich der Zweitklägerin mit EUR 293,27, jeweils samt Zinsen statt, wies das Mehrbegehren von jeweils EUR 400,-- samt Zinsen ab und hob die Verfahrenskosten gegeneinander auf. Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt folgerte es rechtlich, dass der Luftfrachtführer nach Art 19 MÜ den Schaden zu ersetzen habe, der durch Verspätung bei der Luft- beförderung von Reisegepäck entstehe. Ebenso habe er für Beschädigungen von aufgegebenen Reisegepäck einzustehen (Art 17 Abs 2 MÜ). Bei einer aufeinanderfolgenden Beförderung haften der erste und der letzte Luftfrachtführer als Gesamtschuldner (Art 36 Abs 3 erster Satz MÜ). Nicht berechtigt sei der Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden wegen der Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses durch den Gepäckverlust. Die Kläger hätten nicht behauptet, dass nach dem im vorliegenden Fall gemäß Art 5 Abs 2 Rom-I-VO maßgeblichen österreichischen Recht ein Ersatz immaterieller Schäden zustehe; vielmehr wollten sie diesen Anspruch unmittelbar aus dem MÜ ableiten und führen dazu die Entscheidung des EuGH vom 06.05.2010 zu C 63/09 an, wonach der Begriff „Schaden“ in Art 22 Abs 2 MÜ sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfasse. Die genannte Bestimmung betreffe aber lediglich die Haftungshöchstbeträge, nicht den Inhalt des Schadenersatzes; also die Frage, für welche Schäden überhaupt Ersatz geleistet werde. Das österreichische Recht sehe den Ersatz immaterieller Schäden nur ausnahmsweise und bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung vor; für die Ansprüche der Kläger bestehe insoweit keine Rechtsgrundlage.

Gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils richtet sich die Berufung der Kläger aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde.

Die Beklagten beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerber monieren, dass das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der immaterielle Schaden für die entgangene Urlaubsfreude nicht zu ersetzen sei. Sollte das Berufungsgericht Zweifel an der richtigen Auslegung des Art 19 MÜ hegen, werde diesbezüglich die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH angeregt.

Zunächst ist auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes zu verweisen (§ 500a ZPO), denen die Berufungswerber keine stichhaltigen Argumente entgegenzusetzen vermögen.

Diese stützten ihre Argumentation im Wesentlichen auf die Entscheidung des EuGH C-63/09, in der dieser zum Schadensbegriff im Sinne des Art 22 Abs 2 MÜ Stellung genommen und ausgesprochen hat, dass der Begriff „Schaden“, der Art 22 Abs 2 MÜ zugrunde liegt, mit dem der von Luftfahrtunternehmen für Schäden, die insbesondere durch den Verlust von Reisegepäck eintreten, zu zahlende Haftungshöchstbetrag festgelegt wird, dahin auszulegen ist, dass er sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfasst. Damit legte der EuGH im Wesentlichen fest, dass es sich bei den in Art 22 Abs 2 MÜ genannten Haftungshöchstbeträgen um absolute Höchstbeträge handelt, und zwar unabhängig davon welche Schäden konkret bestehen; die dort genannten „Beträge“ umfassen demnach auch – allenfalls bestehende – immaterielle Schäden. Die Schadenshöchstbeträge, die sich auf den Gesamtschaden jedes Reisenden in jedem der genannten Fälle beziehen, bestehen somit unabhängig von der Art des entstandenen Schadens (vgl. Rz 35, 39). Damit trifft der EuGH aber keine Aussage darüber, dass im Zusammenhang mit dem Verlust oder der Verspätung von Reisegepäck jedenfalls Ersatz für immaterielle Schäden, wie entgangene Urlaubsfreude, zusteht.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des EuGH C-86/19 vom 11.03.2020 zu verweisen, in der der EuGH zum einen ausgesprochen hat, dass die Art 17 Abs 2 und 22 Abs 2 MÜ dahin auszulegen seien, dass die bei Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck vorgesehene Entschädigungshöchstgrenze einen Höchstbetrag für die Entschädigung darstelle, den daher nicht jeder Reisende bei Verlust eines Reisegepäcks automatisch und pauschal enthalte; und andererseits, dass das nationale Gericht unter Beachtung der Höchstgrenze von 1.131,-- SZR die Höhe der Entschädigung zu bestimmen habe, die dem Reisenden für den materiellen und immateriellen Schaden gewährt werde, den er infolge des Verlusts seines aufgegebenen Reisegepäcks erlitten habe. Zwar sei der Reisende verpflichtet, die erforderlichen Beweismittel vorzulegen, um seinen Schaden nachzuweisen, doch müsse das nationale Gericht sicherstellen, dass die insoweit anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften die Ausübung des in Art 17 Abs 2 und Art 22 Abs 2 MÜ verankerten Rechts auf Schadenersatz nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren würden. Auch diese – deutlich nach der Entscheidung C-63/09 – ergangene Entscheidung bekräftigt neuerlich, dass die Höchstgrenze des Art 22 Abs 2 MÜ auch immaterielle Schäden umfasst, verweist aber dennoch darauf, dass das nationale Gericht die Höhe der Entschädigung zu bestimmen und sicherzustellen hat, dass die insoweit anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften die Ausübung des in Art 17 Abs 2 und 22 Abs 2 MÜ verankerten Rechts auf Schadenersatz nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Auch daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass nach dem MÜ immaterielle Schäden jedenfalls zu ersetzen sind; diese Ausführungen sind vielmehr so zu verstehen, dass immaterielle Schäden – so solche nach dem nationalen Recht zustehen – auch in die betragliche Beurteilung im Sinne des Art 22 Abs 2 MÜ miteinzubeziehen sind.

Daran vermag auch die in der Berufung genannte Zitatstelle ( Führich in Führich / Staudinger , Reiserecht 8 § 37 Rz 11) – die sprachlich an mehreren Stellen unvollständig geblieben ist – nichts keine Zweifel zu wecken. Wenn nämlich – wie sich auch aus der Entscheidung C-86/19 des EuGH ergibt – die Höhe der Entschädigung vom natio-nalen Gericht zu bestimmen ist, und dieses für immaterielle Schäden keinen Ersatz vorsieht, so führt dies neuerlich dazu, dass letztlich die Entscheidung über den Umfang bzw. die Art des zu ersetzenden Schadens dem nationalen Gericht obliegt. In diesem Sinne führt auch Löw (Reiserecht, Punkt 2.5.2.3.2 [Stand August 2023]) zum Montrealer Übereinkommen und den davon erfassten Schäden aus, dass Art 19 MÜ zwar den Ersatz von Verspätungsschäden anspreche, die Bestimmung jedoch keine Auskunft darüber gebe, welche Schäden darunter zu verstehen seien. Die Begriffs- bestimmung habe daher nach dem anwendbaren nationalen Recht zu erfolgen. Bei den in der Folge angeführten (idR) ersatzfähigen Schäden aus Gepäckverspätungen würden immaterielle Schäden nicht aufscheine. Auch Motter / Bretschneider (Lexis Briefings Wirtschaftrecht Unternehmensrecht Transportrecht MÜ [Stand März 2023]) führen aus, dass der Luftfrachtführer gemäß Art 19 MÜ den Schaden zu ersetzen habe, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entstehe. Wie bei Art 18 MÜ sei hinsichtlich des ersatzfähigen Schadens auf das nationale Recht zurückzugreifen. Da § 430 UGB nicht für Verspätungsschäden anwendbar sei, sei auf die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen zurückzugreifen (insb. §§ 1323 ff ABGB).

Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass das MÜ den Rahmen für den zu ersetzenden Schaden vorgibt, jedoch der Inhalt des konkret zu ersetzenden – allenfalls auch immateriellen – Schadens nach dem nationalen Recht festzulegen ist.

Zusammenfassend ergibt sich aus den genannten EuGH-Entscheidungen somit (für den erkennenden Senat unzweifelhaft), dass ein Ersatz immaterieller Schäden möglich und im Falle eines Ersatzes auch in die Haftungshöchstbeträge des Art 22 Abs 2 MÜ einzurechnen ist; welche Schäden jedoch konkret zu ersetzen sind, ist demgegenüber nach dem nationalen Recht (wozu der EuGH letztlich auch keine Aussagen treffen kann) zu beurteilen. Aus diesen Erwägungen war auch die Anregung der Berufungswerber, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, nicht aufzugreifen.

Da der Ersatz immaterieller Schäden nach dem – hier auf den Beförderungsvertrag unstrittig anwendbaren – österreichischen Recht nur ausnahmsweise und bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung vorgesehen ist (vgl. RS0022544), ist dem Erstgericht darin zuzustimmen, dass für die verbliebenen Ansprüche des Klägers aus der aufgrund der verspäteten Gepäckübergabe resultierenden entgangenen Urlaubsfreude keine Rechtsgrundlage existiert. Eine solche wurde vom Berufungswerber auch weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in ihrer Berufung behauptet. Der Ersatz entgangener Urlaubsfreuden ist – aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben (EuGH zu C-168/00; nunmehr Art 14 der Richtlinie [EU] 2015/2302) – im nationalen Recht nur in § 12 Abs 2 PRG vorgesehen. Der österreichische Gesetzgeber hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aus dieser „gemeinschaftsrechtlich bedingten Sonderregel“ nicht geschlossen werden dürfe, dass immaterielle Beeinträchtigungen auch außerhalb von Pauschalreiseverträgen ersatzfähig wären (ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 23). Eine analoge Anwendung des § 12 Abs 2 PRG kommt daher schon mangels einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht in Betracht (8 Ob 55/23f [Rn 7]).

Der erfolglosen Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen, waren dem österreichischen Anwalt, der im Prozess kommentarlos 20 % Umsatzsteuer verzeichnet hat – hier nur 19% (deutsche) Umsatzsteuer zuzusprechen, zumal diese für Deutschland allgemein – jedenfalls aber gerichtsbekannt ist (vgl. RS0114955).

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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