JudikaturLG Korneuburg

22R16/24v – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
23. April 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechts-sache der klagenden Partei X***** H***** , vertreten durch Dr Friederike Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei L***** GmbH , vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 178,95 sA , infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 10.11.2023, 26 C 469/23z-8, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 187,44 (darin EUR 31,24 USt) bestimmten Kosten des Berufungs-verfahrens zu Handen der Beklagtenvertreter zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger buchte über die Internet-Plattform O***** den von der Beklagten am 26.09.2020 durchzuführenden Flug OE 543 von Palma de Mallorca (PMI) nach Salzburg (SZG). O***** übermittelte dem Kläger eine Nachricht, wonach der Flug annulliert worden sei, woraufhin sich der Kläger nicht zur Abfertigung dieses Fluges einfand. Tatsächlich führte die Beklagte diesen Flug aber (mit geringfügiger Verspätung) durch. Der Kläger erklärte der Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 15.02.2022 gemäß Art 8 Abs 1 lit a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) die Rückerstattung der Flugscheinkosten zu wählen.

Der Kläger begehrte – gestützt auf Art 8 der EU-FluggastVO – die Rückerstattung der Flugscheinkosten von EUR 178,95 und brachte – nachdem er zunächst davon ausgegangen war, dass der Flug tatsächlich annulliert worden war – vor, dass sich die Beklagte allenfalls die unrichtige Erklärung von O***** zurechnen lassen müsse.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Klagsabweisung und wandte ein, dass sie keine Reisevermittler oder Reisebüros mit der Vermittlung oder Vermarktung ihrer Flüge beauftrage. Sie bediene sich auch keiner Buchungsplattformen zur Verfolgung ihrer Interessen oder Erfüllung ihrer Obliegenheiten. Buchungsplattformen würden die Buchungen in ihren Systemen gegen ihren Willen durchführen, indem sie sich als Passagiere ausgeben. Sie versuche zwar regelmäßig, den Zugriff von Buchungsplattformen auf ihre Systeme zu unterbinden, indem sie allenfalls bekannt werdende IP-Adressen sperre; da diese jedoch technisch leicht veränderbar seien, könne die Vorgangsweise der Buchungsplattformen kaum unterbunden werden.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab und verpflichtete den Kläger zum Kostenersatz. Es traf die aus den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, die im Wesentlichen gemeinsam mit dem unstrittigen Sachverhalt eingangs wiedergegeben wurden. Rechtlich folgerte das Erstgericht zusammengefasst, dass gegenständlich keine Annullierung iSd Art 2 lit l EU-FluggastVO vorliege. Der Kläger habe aber auch keinen Anspruch auf Rückerstattung der Kosten des Flugscheines wegen Nichtbeförderung gemäß Art 4 Abs 3 der VO. Eine Nichtbeförderung liege zwar auch dann vor, wenn sich der Fluggast nach der Mitteilung des ausführenden Luftfahrtunternehmens, dass der Flug annulliert sei, vom Flugsteig entferne, der Flug aber doch noch (verspätet) durchgeführt werde; darüber hinaus könne auf das Tatbestandsmerkmal des rechtzeitigen Einfindens zur Abfertigung verzichtet werden, wenn dem Fluggast bereits zuvor mitgeteilt worden sei, dass er auf dem gebuchten Flug nicht mitgenommen werde. Gegenständlich stamme die unrichtige Information, dass der Flug annulliert worden sei, aber nicht vom Luftfahrtunternehmen, sondern von der Buchungsplattform, die lediglich als Vermittlerin tätig gewesen sei. Diese sei der Beklagten auch nicht als Erfüllungsgehilfin zuzurechnen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Der Behandlung der Berufungsausführungen ist vorauszuschicken, dass sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren lediglich auf den Tatbestand der Annullierung gestützt hat, welcher aber zweifellos nicht vorlag. Dennoch hat das Erstgericht unter wohlwollender Auslegung des Klagsvorbringens auch das Vorliegen einer Nicht- beförderung geprüft. Eine solche „antizipierte Nichtbeförderung“, bei der die Anspruchsvoraussetzung des rechtzeitigen Einfindens am Flugsteig (bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen einer bestätigten Buchung und dem Nichtvorliegen von vertretbaren Gründen für die Nichtbeförderung) entfallen kann, liegt nach ständiger Rechtsprechung des Berufungssenates vor, wenn dem Fluggast bereits zuvor – wahrheitsgemäß oder auch nicht – mitgeteilt worden ist, dass er auf dem gebuchten Flug nicht befördert werde, oder dieser gar nicht stattfinde (LG Korneuburg 22 R 332/21k; 22 R 118/22s; 22 R 120/23m; 22 R 343/21b; RIS-Justiz RKO0000040).

Wenn der Berufungswerber eingangs argumentiert, dass aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu folgern sei, dass eine von einem Reiseunternehmen akzeptierte und registrierte Buchung den gleichen Wert habe, wie eine vom Luftfahrtunternehmen akzeptierte und registrierte Buchung, ist er darauf zu hinzuweisen, dass die Beklagte das Vorliegen einer bestätigten Buchung gar nicht bestritten hat.

Nach der Rechtsprechung des Berufungssenats ist, wenn der Flugschein nicht vom Luftfahrtunternehmen selbst ausgestellt wurde, nur dann von einer „bestätigten Buchung“ auszugehen, wenn der den Flugschein ausstellende Dritte entweder vom Luftfahrtunternehmen im Vorhinein – entweder durch eine entsprechende bilaterale Vertriebsvereinbarung oder im Rahmen eines multilateralen Vertragsnetzwerkes – ermächtigt wurde, Flugscheine über vom Luftfahrtunternehmen auszuführende Flüge auszustellen; oder aber das Luftfahrtunternehmen – ungeachtet einer solchen im Vorhinein erteilten Ermächtigung – dem „Vermittler“ seinerseits eine Bestätigung über eine kongruente „Deckungsbuchung“ ausgestellt hat (LG Korneuburg 22 R 221/23i; Schmid in BeckOK Fluggastrechte-VO 28 Art 3 Rz 32). Vom Vorliegen des letzt-genannten Falles ist die Beklagte offensichtlich selbst ausgegangen.

Weiters verweist die Berufungswerberin auf die Rn 49 der Entscheidung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-146/20, C-188/20, C-196/20 und C-270/20, wonach die EU-FluggastVO darauf abziele, das Risiko, dass Reiseunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten Fluggästen ungenaue Auskünfte erteilen, dem Luftfahrtunternehmen aufzuerlegen. Das hohe Schutzniveau, das die VO den Fluggästen ermöglichen möchte, habe zur Folge, dass nicht nur eine unterlassene Benachrichtigung des Reiseunternehmens dem Luftfahrtunternehmen zuzurechnen sei, sondern auch eine unrichtige Auskunft. Für eine Differenzierung zwischen unterlassener und unrichtiger Auskunft bestehe keine Veranlassung.

Dem ist zu entgegnen, dass den Verfahren zu C-188/20 und C-196/20, auf die sich die Ausführungen des EuGH in Rn 49 des Urteils vom 21.12.2021 beziehen, bei einem Reisebüro gebuchte Pauschalreiseverträge zugrunde lagen ( Wukoschitz , Fluggastrechte – Erhellendes und Verwirrendes aus Luxemburg, RRa 2023, 9, Rz 26 f). Unter diesem Gesichtspunkt sind offenbar die Darlegungen des EuGH zu verstehen, dass die Verordnung darauf abziele, das Risiko, dass Reiseunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten den Fluggästen ungenaue Auskünfte erteilen, dem Luftfahrtunternehmen aufzuerlegen; in diesem Zusammenhang habe der Fluggast nicht Teil an der zwischen dem Luftfahrt- und dem Reiseunternehmen bestehenden Beziehung, und es könne von ihm nicht verlangt werden, dass er sich insoweit Informationen beschaffe.

Eine vergleichbare Konstellation liegt aber gegenständlich nicht vor, weil die Beklagte nach dem vom Kläger insoweit nur unsubstanziert bestrittenen Vorbringen sich der Dienste von Reisebüros nicht nur nicht bedient; sondern deren Vermittlungsbemühungen gerade abwehren möchte. Es existiert im vorliegenden Fall also keine „bestehende Beziehung zwischen dem Luftfahrt- und dem Reiseunternehmen“, die der Fluggast nur mit erheblichen Schwierigkeiten zu durchschauen vermag, sodass es nicht sachgerecht erscheint, dem Luftfahrtunternehmen im Anwendungsbereich der EU-FluggastVO Erklärungen des (unerwünschten) Vermittlers zuzurechnen.

Diese Zurechnung kann auch nicht auf die Erwägungen des EuGH im Urteil in der Rechtssache C-263/20 gestützt werden, wonach er unter Bedachtnahme auf Art 5 Abs 4 der VO, wonach das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür trägt, ob und wann der Fluggast über die Annullierung eines Fluges unterrichtet wurde (Rn 42), ausführt, dass davon auszugehen sei, dass ein Fluggast, der über einen Vermittler einen Flug gebucht habe, nicht über die Annullierung dieses Fluges unterrichtet worden sei, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen die Verständigung von der Annullierung dem Vermittler, über den der Vertrag über die Beförderung im Luftverkehr mit dem Fluggast geschlossen worden sei, mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit übermittelt habe, der Vermittler den Fluggast aber nicht innerhalb der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Frist über die Annullierung unterrichtet habe, und der Fluggast den Vermittler nicht ausdrücklich ermächtigt habe, die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen übermittelten Informationen entgegenzunehmen. Zusammengefasst trägt daher nach Ansicht des EuGH das ausführende Luftfahrtunternehmen das Risiko dafür, dass eine an den Vermittler erteilte Information über eine Annullierung beim Fluggast nicht (rechtzeitig) ankommt.

Auch diese Konstellation ist mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar: Ging es im vom EuGH entschiedenen Fall um den Umfang einer das Luftfahrtunternehmen treffenden Obliegenheit, so geht es im gegenständlichen Fall um die Zurechnung einer (vom Luftfahrtunternehmen nicht veranlassten) Erklärung eines Dritten, die in keinem Zusammenhang mit einer Handlungsobliegenheit des Luftfahrtunternehmens steht.

Im Ergebnis ist es daher nicht dem Luftfahrtunternehmen anzulasten, dass sich der Kläger nicht unter den in Art 3 Abs 2 der VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat, was gemäß Art 2 lit j der VO für eine Nichtbeförderung – und die daraus abgeleiteten Ansprüche – tatbildlich wäre.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Für die Berufung steht allerdings nur der einfache Einheitssatz zu (§ 23 Abs 10 RATG).

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

Rückverweise