22R45/24h – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Einberger in der Rechtssache der klagenden Partei A***** G***** GmbH , vertreten durch Mag. Thomas Hohenberg, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 12.01.2024, 27 C 73/23x-12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 141,80 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Fluggast L***** V***** verfügte über eine bestätigte einheitliche Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung
– OS 406 ab Lyon 22.06.2022, 12:55 Uhr, an Wien 22.06.2022, 14:40 Uhr
– OS 797 ab Wien 22.06.2022, 15:30 Uhr, an Sofia 22.06.2022, 18:00 Uhr.
Die Beklagte erhielt am 20.06.2022 um 14:26 Uhr eine Benachrichtigung des Flug-hafens Lyon, dass Flüge, die am 22.06.2022 zwischen 05:00 Uhr und 14:00 Uhr dort zu landen beabsichtigen, maximal betankt werden sollten. Näheres zum Grund für diese Empfehlung wurde nicht genannt. Über Nachfragen fand die Beklagte heraus, dass ein Streik der Betankungsfahrer stattfinden sollte, aber kleine Mengen an Treibstoff dennoch erhältlich sein würden. Der Vorflug zu OS 406 am 22.06.2022 war der Flug OS 405 von Wien nach Lyon, dem vorsichtshalber die maximal zulässige Menge an Treibstoff zugetankt wurde. Trotzdem war es notwendig, in Lyon für den Rückflug OS 406 aufzutanken. Aufgrund von Streikmaßnahmen aller Betankungsfahrer in Lyon kam es zu Verzögerungen bei der Betankung, weshalb der Flug OS 406 erst um 14:45 Uhr off-block gehen konnte. Die Betankungsfahrer in Lyon werden aufgrund vertraglicher Grundlage für die Beklagte tätig. Da alle Betankungsfahrer am Streik beteiligt waren, konnte die Beklagte nicht auf alternative Anbieter ausweichen. Aufgrund der verspäteten Ankunft des Zubringerfluges verpasste der Fluggast den Anschlussflug OS 797. Nachdem er sich in Wien zum Schalter der Beklagten begeben hatte, wurde er um 17:43 Uhr auf den Flug OS 799 am selben Tag mit den geplanten Zeiten 21:25 Uhr bis 23:55 Uhr umgebucht. Das Erstgericht konnte weder feststellen, dass außer den Flügen der Beklagten keine anderen Direktflüge von Wien nach Sofia am 20.06.2022 durchgeführt wurden, noch, dass der Fluggast auf die frühestmögliche Ersatzbeförderung umgebucht wurde. Die Entfernung zwischen Start- und Zielflughafen beträgt nicht mehr als 1.500 km. Der Fluggast trat die klagsgegenständliche Forderung an die Klägerin ab; diese nahm die Abtretung an.
Mit der beim Erstgericht am 12.02.2023 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin den Zuspruch von EUR 250,-- samt 4 % Zinsen ab 30.12.2022 und brachte vor, es werde bestritten, dass an diesem Tag Arbeitskampfmaßnahmen stattgefunden hätten, die es der Beklagten unmöglich gemacht hätten, das Flugzeug zeitgerecht zu betanken; sowie, dass die Beklagte keine ausreichende Zeit gehabt hätte, sich auf Arbeitskampfmaßnahmen einzustellen. Das Flugzeug sei mit einer Verspätung von lediglich 01:50 Stunden abgehoben. Das Flugzeug hätte in Wien zur Gänze aufgetankt werden können, sodass es nicht notwendig gewesen wäre, es zusätzlich in Lyon aufzutanken. Mit zwei Ersatzflugverbindungen von Lyon über München nach Sofia hätte der Fluggast um 18:49 Uhr, also deutlich früher als mit der von der Beklagten angebotenen Ersatzbeförderung, an sein Ziel kommen können. Als zumutbare Maßnahme hätte die Beklagte auch Passagiere des Vorfluges von Wien nach Lyon umbuchen können, zu dem Zweck, dass mit weniger Passagieren auf diesem Flug mehr Treibstoff hätte mitgenommen werden können.
Die Beklagte stellte den Beginn des Zinsenlaufes außer Streit, bestritt im Übrigen dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, dass die Verspätung des Fluges OS 406 von Lyon nach Wien auf Arbeitskampfmaßnahmen der Betankungsfahrer am Flughafen Lyon zurückzuführen sei. Sie berufe sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände. Es sei nicht zu prognostizieren gewesen, ob, wann und für welche Dauer die Störaktion einen Flug treffen würde. Bei den Streikenden handle es sich nicht um ihre eignen Mitarbeiter; sie habe auf den Streik auch nicht durch die Beschaffung von Ersatzpersonen reagieren können. Sie habe versucht, in Wien auf dem Vorflug mehr Treibstoff an Bord zu haben. Ein derartiges Vorgehen sei jedoch durch das höchst zulässige Abfluggewicht limitiert. Eine frühzeitige Umbuchung sei nicht möglich gewesen, weil die Betankung Teil des Turn-Around am Boden sei, und die Verzögerung erst im Zuge der Vorbereitungen auf den Abflug festgestellt werden habe können. Die Umbuchung auf den Flug von Wien nach Sofia am nächsten Tag sei die erstmögliche Ersatzbeförderung gewesen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, traf die auf Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung ON 12 ersichtlichen Feststellungen, von denen wesentliche Teile eingangs wiedergegebenen wurden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO bei einer Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km eine Ausgleichszahlung von EUR 250,-- gebühre. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruches den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt und könnten diese den Ausgleichsanspruch somit ebenfalls geltend machen, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden müssten. Nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO sei ein ausführendes Luftfahrtunternehmen trotz einer großen Verspätung nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen könne, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Rechtsprechung unterscheide Vorkommnisse mit interner und mit externer Ursache. Außergewöhnliche Umstände seien etwa Streikmaßnahmen der Fluglotsen oder des Flughafenpersonals. Auch bei internen Streiks könne ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen, wenn die zugrunde liegenden Forderungen nur von staatlichen Stellen erfüllt werden könnten. Zur Abgrenzung, ob ein Vorkommnis im Bereich des Flughafens seiner Natur oder Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sei, könne der Anhang des Flughafen-Boden-Abfertigungsgesetzes (FBAG) herangezogen werden. Der gegenständliche Betankungsvorgang sei der Bodenabfertigung zuzurechnen und insofern als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens anzusehen. Der vorliegende Streik der Betankungsfahrer bzw. dessen Auswirkungen sei daher als ein solches Vorkommnis einzuordnen. Es liege somit kein außergewöhnlicher Umstand vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Auf- hebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Da die von der Berufungswerberin vermissten Feststellungen „ Der Flug OS 406 musste auf Grund außergewöhnlicher Umstände in Form des Streiks der Betankungsfahrer am Flughafen Lyon verspätet durchgeführt werden. Die beklagte Partei hat durch die größeren Tankreserven und die Umbuchung auf den Flug OS 799 alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen. “ (Seite 10 in ON 13) im Wesentlichen eine (von derjenigen des Erstgerichtes abweichende) rechtliche Beurteilung darstellen, ist sogleich auf die Rechtsrüge der Berufungswerberin (im engeren Sinne) einzugehen.
Die Berufungswerberin trägt vor, dass zwei außergewöhnliche Umstände vorgelegen hätten, nämlich das NOTAM und der Streik.
Mit diesen Ausführungen verlässt die Berufungswerberin den festgestellten Sachverhalt, wonach sie am 20.06.2022 eine Benachrichtigung des Flughafens Lyon (NOTAM) erhalten habe, worin ihr mitgeteilt wurde, bestimmte Flüge maximal zu betanken (Seite 2 in ON 12). Diese Mitteilung stellt für sich genommen keine Ursache für die Verspätung des Zubringerfluges und letztlich für die große Verspätung des Fluggastes an seinem Endziel dar.
In weiterer Folge setzt sich die Berufungswerberin mit der „Zurechnung“ des Streiks an sie als Beklagte auseinander.
Ob die Betankung des Luftfahrzeuges zu den gewöhnlichen Tätigkeiten des Luftfahrtunternehmens gehört, hat das Erstgericht zutreffend (§ 500a ZPO) nach der grundlegenden Norm des § 3 Abs 1 FBAG beurteilt. Dies entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senates (beginnend LG Korneuburg 07.01.2020, 22 R 61/19d; zuletzt 20.07.2021, 22 R 236/21t) und dem Schrifttum ( Jarec , Kein Strom in Atlanta, RRa 2019, 153 [154]; Schmid in Schmid , BeckOK FluggastrechteVO [29. Edition, Stand 01.01.2024] Art 5 Rn 59.1). Mit dieser zutreffenden Argumentation des Erstgerichtes, setzt sich die Berufungswerberin nicht näher auseinander, sondern qualifiziert den Streik als Ausfall einer hoheitlichen Aufgabe (Seite 6 in ON 13). Dieses Vorbringen geht abermals nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es steht fest, dass die Betankungsfahrer in Lyon auf vertraglicher Grundlage für die Beklagte tätig werden (Seite 2 in ON 12).
Weiters argumentiert die Berufungswerberin, dass die Verspätung durch den Streik bereits für sich einen außergewöhnlichen Umstand dargestellt habe.
Aufgrund der oben behandelten Auslagerung eines Bodenabfertigungsdienstes an einen Drittanbieter ist der Streik der Mitarbeiter dieses Drittanbieters nicht anders zu behandeln als der Streik eigener Mitarbeiter des Luftfahrtunternehmens. Seit dem Urteil des EuGH vom 17.04.2018 in der Rechtssache C-195/17 Krüsemann wird jedoch der Streik des eigenen Personal der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens zugeordnet (vgl. zum Ganzen Schmid, aaO Rz 159 ff).
Abschließend sei noch auf das Urteil des EuGH vom 07.07.2022 in der Rechtssache C-308/21 SATA International (VbR 2022/93 mit Anm Jarec ) verwiesen, in dem der EuGH die Prüfung vornahm, ob ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden kann. Dies bejahte der EuGH unter der Voraussetzung, dass der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge oder des betroffenen Flugzeuges für die Verwaltung des Treibstoffsystems der Flugzeuge verantwortlich ist (Urteil SATA International Rn 28). Ob aber Mitarbeiter der Treibstoffbereitstellung, für die der Flughafenbetreiber verantwortlich war, am Streik beteiligt waren, konnte das Erstgericht nicht feststellen (Seite 3 in ON 12). Das Vorliegen eines Sachverhaltes, von dem der EuGH annahm, dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO vorliegt, wurde daher von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren nicht nachgewiesen.
Das Erstgericht hat das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes somit zu Recht verneint.
Ob die Beklagte alle ihr zumutbaren Maßnahmen bei der Umbuchung des Fluggastes ergriffen hat, braucht daher nicht weiter erörtert werden, wäre aber aufgrund der erstgerichtlichen Feststellung, wonach nicht habe festgestellt werden können, dass die Passagierin auf die frühestmögliche Ersatzbeförderung umgebucht worden sei (Seite 3 in ON 12), ebenfalls zu verneinen.
Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.