22R302/23a – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Rak und Mag. Jarec LL.M. in der Rechts-sache der klagenden Parteien [1] Mag. C***** R***** , [2] Ing. G***** B***** , vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei D***** L***** AG , vertreten durch Siemer – Siegl – Füreder Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 1.200,-- s.A. , infolge Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 17.10.2023, 16 C 116/23i-12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen jeweils die Hälfte der mit EUR 415,38 (darin EUR 69,23 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für nachstehende Flugverbindung am 07.10.2022:
– UA 1530 von Fort Myers-South West Florida (RSW) nach Washington-Dulles (IAD),
– OS 94 von Washington-Dulles (IAD) nach Wien-Schwechat (VIE).
Weniger als sieben Tage vor dem geplanten Flug wurden sie über eine Annullierung des Fluges UA 1530 informiert und auf eine Beförderung am Folgetag umgebucht.
In der von der Beklagten ausgestellten Buchungsbestätigung war beim Flug UA 1530 vermerkt: „Durchgeführt von: U***** A*****“ , beim Flug OS 94: „Durchgeführt: A***** A*****“ . Tatsächlich waren für die Flugplanung und Durchführung ausschließlich die genannten Luftfahrtunternehmen verantwortlich. Die Beklagte trug keine organisatorische oder operationelle Verantwortung für diese Flüge.
Mit Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls vom 09.01.2023 beantragten die Kläger – gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von jeweils EUR 600,-- samt Zinsen und brachten zur Begründung im Wesentlichen vor, dass sie am 03.10.2022, somit weniger als sieben Tage vor dem geplanten Abflug – von U***** A***** von der Annullierung des Fluges UA 1530 am 07.10.2022 und kurz darauf von einer aus diesem Grund erfolgten Umbuchung auf den 08.10.2022 informiert worden seien. Demnach hätten sie nach Art 5 Abs 1 lit c sublit iii EU-FluggastVO einen Anspruch auf Ausgleichszahlung, zumal die ihnen angebotenen Ersatzflüge außerhalb des in der genannten Bestimmung angeführten Zeitrahmens gelegen seien. Tatsächlich dürfte die Information über Annullierung des Fluges UA 1530 falsch gewesen und dieser planmäßig durchgeführt worden sein, weshalb die Klage auf Nichtbeförderung gestützt werde. Die Beklagte sei im Hinblick auf die Entscheidungen des EuGH C 367/20 KLM Royal Dutch Airlines und C-502/18 České aerolinie auch passiv legitimiert. Dass die Beklagte den zweiten Teilflug von ihrer 100 %-Tochter A***** A***** AG habe durchführen lassen, vermöge an der Haftung nichts zu ändern, zumal in solchen Konstellationen (auch) die Muttergesellschaft als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ anzusehen sei.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und replizierte im Wesentlichen, dass die beiden Flüge von U***** A***** bzw. A***** A***** durchgeführt worden seien und es ihr demnach an der passiven Klagslegitimation fehle.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren zur Gänze ab und verpflichtete die Kläger zum Kostenersatz. Es traf im Wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und folgerte daraus rechtlich, dass zur Ausgleichsleistung nach Art 7 EU-FluggastVO stets das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ verpflichtet sei. Aus der Begriffsbestimmung des Art 2 lit b der genannten Verordnung werde deutlich, dass es dabei nicht auf die vertraglichen Beziehungen ankomme, sondern auf die tatsächliche und geplante Durchführung des Fluges. Auch aus der von den Klägern angeführten Rechtsprechung des EuGH, sei für sie nichts zu gewinnen, weil im vorliegenden Fall die Beklagte keinen der Teilflüge durchgeführt habe. Aufgrund des eindeutigen Abstellens der EU-FluggastVO auf die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse komme daher eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht. Auch für eine Zurechnung allein wegen der wirtschaftlichen Beteiligung an einem die Flüge durchführenden Unternehmen fehle jede Grundlage.
Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerber wenden sich gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, wonach die Beklagte nicht passiv klagslegitimiert sei, zumal diese ihr – zur Erbringung der Beförderungsleistung verpflichteter – Vertragspartner sei, wozu das Erstgericht jedoch keine Feststellungen getroffen habe. Außerdem habe der EuGH die Verantwortung für den von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführten Teilflug ausdrücklich aus der vertraglichen Bindung abgeleitet. Er habe es auch als gerechtfertigt angesehen, dass jenes Luftfahrtunternehmen, das den Beförderungsvertrag mit den Fluggästen geschlossen habe, (auch) für die Ausgleichsleistung bei Störungen auf jenen Flügen verantwortlich sei, die ein anderes Luftfahrtunternehmen im Rahmen dieses Vertrages ausgeführt habe, ohne dass auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen diesen Luftfahrtunternehmen Rücksicht genommen werden müsste (C-502/18, Rn 30; C-367/20, Rn 31). Der dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt unterscheide sich von jenem der beiden zitierten EuGH-Entscheidungen allein dadurch, dass die Beklagte hier den zweiten (nicht unmittelbar von der Störung betroffenen) Teilflug nicht selbst ausgeführt habe, sondern von ihrer 100%-Tochter A***** A***** AG durchführen habe lassen, wobei das Erstgericht auch zu dieser gesellschaftsrechtlichen Verflechtung keine Feststellungen getroffen habe. Es sei auch (nur) die Beklagte, die aufgrund der vertraglichen Verbindung Regressansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen geltend machen könne, das die Annullierung verursacht habe (hier: U***** A*****), wohingegen ihr Tochterunternehmen A***** A*****, das in keiner vertraglichen Beziehung zu diesem ausführenden Luftfahrtunternehmen stehe, auch keine Grundlage für einen solchen Regress gegenüber U***** A***** hätte. Diese Regressmöglichkeit ziehe der EuGH zur Rechtfertigung der Ausgleichshaftung für das andere Luftfahrtunternehmen aber heran (C-502/18, Rn 31 f; C 267/20, Rn 32).
Wenn die Berufungswerber die Passivlegitimation der Beklagten darin begründet sehen, dass sie die Flüge bei ihr gebucht hätten, und es sich somit um ihren Vertragspartner handle, so ist daraus für sie schon deshalb nichts zu gewinnen, weil die EU-FluggastVO nicht das Luftfahrtunternehmen, das die konkrete Luftbeförderung vertraglich schuldet, zur Ausgleichszahlungen und Unterstützungsleistungen verpflichtet, sondern ausschließlich dasjenige, welches den konkreten Flug durchführt oder durchführen sollte, auf dem der Fluggast nicht befördert wird oder sonst von einer Flugunregelmäßigkeit betroffen ist; welche vertragliche Konstruktion dem Fluggeschehen zugrunde liegt, ist nicht maßgebend. Gleich, ob der Fluggast einen sogenannten „Nur-Flug“ gebucht hat oder im Rahmen einer Flugpauschalreise befördert wird, muss er seine Ansprüche daher gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen richten, auch wenn keine Vertragsbeziehung zwischen ihm und diesem Luftfahrtunternehmen besteht (6 Ob 146/18s mwN; Maruhn in BeckOK, Fluggastrechte-VO 29 Artikel 7 Rn 61).
Im deutschsprachigen Schrifttum ist seit jeher anerkannt, dass die Definition des ausführenden Luftfahrtunternehmen in Art 2 lit b EU-FluggastVO dahin zu verstehen ist, dass nicht zwingend ein Vertragsverhältnis zwischen dem befördernden Luftfahrtunternehmen und dem Fluggast bestehen muss ( Staudinger in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO Art 2 Rz 2, Hopperditzel in BeckOK Fluggastrechte-VO 29 Art 2 Rn 36, Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht 8 , 850). Gleiches gilt für die Judikatur des EuGH. Im Urteil vom 07.03.2018 (das einen Zuständigkeitsstreit betraf) in den verbundenen Rechtssachen C-274/16, C-447/16 und C-448/16 flightright u.a. führte der EuGH aus, dass Art 3 Abs 5 Satz 2 EU-FluggastVO bestimme, dass, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast stehe, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfülle, davon ausgegangen werde, dass es im Namen der Person handle, die in der Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast stehe. Es trifft zwar zu, dass das nationale Gericht, das dem EuGH die Rechtssache C-502/18 Ceské aerolinie vorgelegt hatte, vom Bestehen eines Vertrages mit der dort beklagten Fluglinie ausging. Der EuGH formulierte die Vorlage des Stadtgerichtes Prag aber um und blendete in weiterer Folge das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien des nationalen Ausgangsstreites aus. Dementsprechend nimmt der Tenor des Urteils (Rn 33) auch auf ein solches Vertragsverhältnis nicht mehr Bezug. Aus all dem kann nur geschlossen werden, dass es entgegen der Ansicht der Berufungswerberin nach der Rechtsprechung des EuGH für die Frage, wer ausführendes Luftfahrtunternehmen bei einem segmentierten Flug ist, gerade nicht auf die Vertragsbeziehung des Luftfahrtunternehmens mit dem Passagier ankommt (EuGH C-502/18; LG Korneuburg 22 R 4/20y). Letztlich ergibt sich auch aus der Entscheidung des EuGH C-367/20, die auch wiederholt auf die Entscheidung C 502/18 verweist, nichts Anderes. Dies ungeachtet der in der Berufung zitierten – in beiden Entscheidungen enthaltenen – Passagen zur vertraglichen Bindung bzw. dem Beförderungsvertrag bzw. der Möglichkeit eines Regresses.
Wenn die Berufungswerber schließlich ausführen, dass sich der dem hier angefochtenen Urteil zugrundeliegende Sachverhalt sich von jenem der beiden zitierten EuGH-Entscheidungen allein dadurch unterscheide, dass die Beklagte hier den zweiten (nicht unmittelbar von der Störung betroffenen) Teilflug nicht selbst ausgeführt habe, sondern von ihrer 100 %-Tochter A***** A***** durchführen habe lassen, so ist ihr zu entgegnen, dass es sich dabei aber um einen entscheidungswesentlichen Unterschied handelt, zumal die hier Beklagte nach den oben dargelegten Grundsätzen die gegenständliche Flugverbindung betreffend gerade kein ausführendes Luftfahrtunternehmen war. Daran vermag auch der Umstand, dass es sich bei der den zweiten Teilflug durchführenden A***** A***** AG um eine „100 %-Tochter“ der Beklagten handelt, nichts zu ändern, zumal es sich bei den genannten – wenn auch einem Konzern angehörenden – Unternehmen um jeweils rechtlich selbstständige juristische Personen handelt und demzufolge eine Haftung der Beklagten anstatt des hier ausführenden Luftfahrtunternehmens A***** A***** AG – ungeachtet allfälliger gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen – nicht in Betracht kommt. Demnach waren zu diesem Themenkomplex auch keine ergänzenden Feststellungen zu treffen.
Mangels rechtlicher Relevanz und insofern auch geklärter Rechtslage kann auch von der Einleitung des in diesem Zusammenhang begehrten Vorabentscheidungsverfahrens abgesehen werden.
Dem Erstgericht ist daher darin zuzustimmen, dass es der hier Beklagten in Bezug auf die begehrte Ausgleichsleistung iSd EU-FluggastVO an der Passivlegitimation fehlt. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt 20 % Umsatzsteuer, wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen. Die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer kann nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (§ 54 Abs 1 ZPO) oder die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes allgemein bekannt ist (RS0114955). Da im Falle der Bundesrepublik Deutschland Letzteres der Fall ist, war der dort ansässigen Beklagten auch für ihre Berufungsbeantwortung (nur) die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer von bekanntermaßen 19 % zuzusprechen (RS0114955 [T10, T12]).
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gründet auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.