22R138/23h – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im namen der republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Mühleder in der Rechtssache der klagenden Partei S***** B***** , vertreten durch Knirsch – Braun – Fellner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei R***** DAC , vertreten durch Oracle British Solicitors Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Frankfurt, Deutschland, wegen EUR 1.600,-- s.A. , infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 15.02.2023, 20 C 110/23m-13 idF des Berichtigungsbeschlusses vom 15.03.2023, 20 C 110/23m-12 (Berufungsinteresse: Zinsen [EUR 200,-- gemäß RATG]), in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
S***** B*****, A***** B*****, C***** B***** [siehe jeweils ./A, vgl. aber S 1 in ON 13] und G***** B***** verfügten nach Buchung über die Vermittlungsplattform l*****.de über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug FR 2965 ab Wien 03.07.2020, 07:00 Uhr, an Madrid 03.07.2020 10:10 Uhr. Die Beklagte änderte zwei Mal sowohl die Flugnummer als auch die Flugzeiten und versendete am 22.05.2020 eine Verständigung über die Flugänderung an die E-Mail-Adresse s*****.b*****519@actyveemail.com. Das Erstgericht konnte weder feststellen, dass der Kläger diese E-Mail noch sonst eine Verständigung über die Änderung des Fluges von der Beklagten erhalten habe. Die Flugstrecke beträgt gemäß der Großkreisberechnung mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km. A***** B*****, C***** B***** und G***** Barbato traten ihre Ausgleichsansprüche an den Kläger ab, der Kläger nahm die Abtretungen an. Mit Schreiben vom 22.11.2021 machte er die eingeklagten Ausgleichsansprüche bei der Beklagten geltend.
Mit der beim Erstgericht am 12.09.2022 eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Zuspruch von EUR 1.600,-- samt 4 % Zinsen ab 04.07.2020 und brachte vor, die Beklagte habe den Flug mehrfach verschoben und schließlich vollständig annulliert. Er sei weder per E-Mail noch per SMS von einer voraussichtlichen Verspätung bzw Annullierung verständigt worden. Trotz Aufforderung zu Zahlung habe die Beklagte nicht gezahlt; er sei daher zur Klagsführung gezwungen. Er begehre die Ausgleichszahlung für sich und die drei anderen Fluggäste, zudem Zinsen ab dem dem Schadensdatum 03.07.2020 (dem Tag des ursprünglich gebuchten Abflugs) folgenden Tag.
Mit Schriftsatz vom 08.11.2022 (ON 5) erhob der Kläger das Eventualbegehren, die Beklagte zu verpflichten, ihm den nach Rechnungslegung in der nächsten mündlichen Verhandlung noch zu bestimmenden Betrag samt 4 % Zinsen ab 04.07.2020 zu zahlen und stellte den Antrag, über den von ihm gebuchten Flug Rechnung zu legen.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, der Kläger sei von der Verschiebung des Fluges über die bei der Buchung hinterlegte E-Mail-Adresse und per SMS an die bei der Buchung hinterlegten Telefonnummer verständigt worden.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, dem Kläger „zu Handen des Klagevertreters“ EUR 1.600,-- samt 4 % Zinsen ab 23.11.2021 zu zahlen; das Zinsenmehrbegehren von weiteren 4 % Zinsen aus EUR 1.600,-- von 04.07.2020 bis 22.11.2021 wies es ab. Es traf die auf Seite 3 in ON 3 zu ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; wesentliche Teile des unstrittigen Sachverhaltes sowie der erstgerichtlichen Feststellungen wurden eingangs wiedergegeben. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 iVm Art 7 Abs 1 lit b und Abs 2 EU-FluggastVO bei Annullierung eines Fluges bei allen innergemeinschaftlichen Flügen ab einer Entfernung von 1.500 km eine Ausgleichszahlung von EUR 400,-- gebühre, wenn die Fluggäste über die Annullierung nicht mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet worden seien. Die mehrfachen Änderungen des Fluges, und zwar auf eine andere Flugnummer samt Flugzeitenänderung von letztlich mehr als acht Stunden, seien als Annullierung des Fluges zu qualifizieren. Nach Art 5 Abs 4 EU-FluggastVO trage das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über eine Annullierung des Fluges unterrichtet worden sei. Die Beklagte habe einen entsprechenden Beweis nicht erbringen können; es gebe kein Erfahrungssatz, dass gewöhnliche Briefe immer zugehen würden. Der Kläger habe die Beklagte mit Schreiben vom 22.11.2021 zur Zahlung der Ausgleichsansprüche aufgefordert. Damit die Beklagte in Verzug gerate, und somit Verzugszinsen zustehen würden, bedürfe es der Fälligstellung des Anspruches, die mit dem Aufforderungsschreiben erfolgt sei. Damit stünden dem Kläger gesetzliche Zinsen ab dem 23.11.2021 zu.
Gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteiles richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren auch hinsichtlich 4 % Zinsen aus EUR 1.600,-- vom 04.07.2020 bis 22.11.2021 stattgegeben werde.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Zu Recht verweist der Berufungswerber darauf, dass der Beginn des Zinsenlaufes in gleichgelagerten Fällen immer wieder strittig ist. Das Berufungsgericht hatte daher bereits in mehreren Verfahren diese strittige Rechtsfrage zu klären, und zwar vor dem Hintergrund des österreichischen Sachrechts (LG Korneuburg 22 R 11/16x) oder des deutschen Sachrechts (LG Korneuburg 22 R 88/21b). Hingegen sah sich der erkennende Senat nicht im Stande, die Frage der Zahlungsfrist vor dem Hintergrund des schweizerischen Sachrechts zu beantworten (LG Korneuburg 22 R 142/20w).
Anders als für die Rückerstattung der Flugscheinkosten nach Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO ergibt sich für Ausgleichsansprüche nach Art 7 EU-FluggastVO keine Leistungsfrist aus der Verordnung selbst. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern er diese Modalitäten den Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz wahren (EuGH Urteil vom 22.11.2012 in der Rechtssache C-139/11 Cuadrench Moré ).
Die Ansprüche nach der EU-FluggastVO setzen einen Beförderungsvertrag voraus. Kollisionsrechtlich handelt es um Ansprüche aus Vertrag. Nach dem anzuwendenden Recht ist auch die in der EU-FluggastVO nicht erwähnte Verzinsung zu lösen ( Jarec , Neues vom EuGH zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach der Fluggastrechte-VO, Zak 2017, 404; LG Korneuburg 22 R 196/21k).
Die Streitteile und das Erstgericht haben sich mit der Frage des auf das konkrete Vertragsverhältnis anzuwendenden Sachrechts nicht auseinandergesetzt. Eine Rechtswahl wird von keiner der Streitteile behauptet. Aus der im Akt erliegenden Rechnung vom 01.01.2020 (Beilage ./A) ergibt sich, dass der Kläger die Flüge für sich und die Mitreisenden buchte und somit er als (alleiniger) Vertragspartner anzusehen ist. Aus dem Klagsrubrum folgt, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat; davon Abweichendes hinsichtlich der übrigen Fluggäste wird nicht behauptet. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Flugreise von Wien nach Madrid führte. Daher ist nach Art 5 Abs 2 Rom I-VO österreichisches Sachrecht anzuwenden.
Der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen, dass die mit den Ausgleichsansprüchen nach Art 7 EU-FluggastVO am nächsten verwandten Schadenersatz-ansprüche erst durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig werden (LG Korneuburg 22 R 11/16x; vgl RS0023392 [T6]). Für den hier vorliegenden Fall der Einmahnung wurde ausgesprochen, dass eine Schadenersatzforderung erst dann fällig wird, wenn die Geschädigte den Schaden (zahlenmäßig bestimmt) eingemahnt hat (RS0023392 [T8]).
Die Beklagte war erst ab der Einmahnung im Verzug, erst ab diesem Zeitpunkt gebühren gesetzliche Zinsen, wobei die Besonderheit von § 1333 Abs 1 ABGB darin liegt, dass die Pflicht der Zahlung von Verzugszinsen kein Verschulden voraussetzt (RS0031994 [T3]).
Dem hält der Berufungswerber entgegen, dass es zur Fälligstellung keiner Mahnung an den Schuldner bedürfe. Der Beklagten seien der Tag der ursprünglichen Flug-buchung und auch die Höhe des zugrundeliegenden Anspruchs bekannt gewesen.
Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen ungeachtet der Kenntnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens von einer Leistungsstörung weder Grund noch Höhe der Ausgleichsleistung bekannt sein muss. Zum Anspruchsgrund ist auf Art 14 Abs 5 PauschalreiseRL zu verweisen, wonach eine wechselseitige Anrechnung vom nationalen Schadenersatz- und den Gewährleistungsansprüchen sowie unions- und völkerrechtlichen Ansprüchen vorgesehen ist, die den Zweck hat, eine Überkompensation zu verhindern (LG Korneuburg 22 R 76/20m = EKO0000036; 22 R 210/20t = EKO0000039). Zur Anspruchshöhe ist darauf hinzuweisen, dass die in der EU-FluggastVO gestaffelte Höhe der Ausgleichsleistung nach dem Ausmaß der Gesamtflugstrecke zu beurteilen ist, was auch dann gilt, wenn die Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchgeführt wurde, der Flug aus mehreren Segmenten besteht und auf einem der Segmente eine Leistungsstörung vorliegt. Wenn nun das in Anspruch genommene ausführende Luftfahrtunternehmen das erste Teilsegment pünktlich durchführte, muss es keine Kenntnis von einer Leistungsstörung auf dem zweiten Flugsegment haben (vgl den von EuGH in der Rechtssache C-502/18 České aerolinie entschiedenen Sachverhalt).
Daraus ist zu schließen, dass die unionsrechtlichen Vorgaben für den hier zu ent-scheidenden Sachverhalt, insbesondere die effektive und äquivalente Umsetzung durch das nationale Recht, keine andere Entscheidung gebieten als die Lösung, die die ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung für rein aus dem nationalen Recht entspringende Schadenersatzansprüche ständig judiziert.
Der Berufung war daher Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.