22R155/22g – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, und Mag. Jarec, LL.M. in der Rechtssache der klagenden Partei A***** G***** GmbH , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 10.05.2022, 24 C 356/21i-11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 146,90 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreter zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Fluggast R***** K***** verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung
– OS 112 von München nach Wien am 31.10.2019, mit einer planmäßigen Abflugzeit um 08:20 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 09:30 Uhr sowie
– OS 779 von Wien nach Skopje am selben Tag, mit einer planmäßigen Abflugzeit um 10:05 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 11:40 Uhr.
Der Flug OS 112 verspätete sich und landete erst um 10:06 Uhr in Wien. R***** K***** verpasste deshalb seinen Anschlussflug und wurde auf den Flug OS 779 am nächsten Tag mit einer planmäßigen Abflugzeit um 10:05 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 11:40 umgebucht. Die Flugstrecke von München nach Skopje beträgt nicht mehr als 1.500 km.
Die Klägerin begehrte den Zuspruch von EUR 250,-- an Ausgleichszahlung gemäß Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO und brachte dazu vor, der Flug sei Ende Oktober durchgeführt worden. Zu dieser Jahreszeit zähle insbesondere Nebel in den Morgenstunden zu einem normalen Wetterphänomen in Wien, welches keinesfalls als außergewöhnlich gelten könne. Bei einer Sichtweite von mehr als 1 km könne zudem nicht von gravierenden Sichtbeschränkungen die Rede sein. Außergewöhnliche Umstände gemäß Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO würden somit nicht vorliegen.
Ein zehnminütiger Puffer bei einer Verbindung, bei welcher auch die Schengen-Grenze passiert werden müsse, sei jedenfalls nicht ausreichend, um auch nur geringfügige Verspätungen, wie sie im Luftverkehr regelmäßig vorkommen würden, abzu-federn. Die Beklagte habe es daher von vornherein unterlassen, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um das Versäumen des Anschlussfluges zu verhindern.
Es werde auch bestritten, dass die durchgeführte Alternativbeförderung die Frühestmögliche gewesen sei. Es sei für die Beklagte bereits vor dem geplanten Abflug des Fluges OS 112 ersichtlich gewesen, dass der Fluggast seinen Flug versäumen würde, weshalb es geboten gewesen sei, Ersatzverbindungen von München aus zu prüfen. Es seien [von der Klägerin im Detail genannte] Alternativverbindungen zur Verfügung gestanden, welche von der Beklagten augenscheinlich weder geprüft und schon gar nicht angeboten worden seien. Der Fluggast sei einfach auf den von ihr am nächsten Tag durchgeführten Flug umgebucht worden.
Die Forderung von R***** K***** sei der Klägerin mit Erklärung vom 19.02.2021 abgetreten wurden. Sie habe die Abtretung angenommen.
Die Beklagte bestritt den Klagsanspruch dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Klagsabweisung und brachte vor, sie treffe an der eingetretenen Verspätung kein Verschulden. Das Versäumen des Anschlussfluges sei von ihr nicht zu vertreten. Es sei eine Umsteigezeit von 35 Minuten geplant gewesen. Die Minimum Connecting Time (MCT) betrage in Wien-Schwechat 25 Minuten. Der Flug OS 112 sei im Ausmaß von 37 Minuten aufgrund Restriktionen der Flugsicherung wegen der widrigen Wetterbedingungen am Flughafen Wien verspätet gewesen. Weitere vier Minuten sei der Flug rotationell verspätet gewesen. Sie habe zunächst um 05:46 Uhr UTC für 08:10 Uhr UTC [= 09:10 Uhr Ortszeit] und sodann um 06:05 Uhr UTC für 08:25 Uhr UTC [= 09:45 Uhr Ortszeit] einen Slot erhalten. Bei den Slotverspätungen handle es sich um wetterbedingte Restriktionen der Flugsicherung. Die Slots würden ihr immer kurzfristig und nicht vorhersehbar zugeteilt werden. Sie seien von ihr auch nicht beherrschbar. Aufgrund der Sichtweite seien um 05:56 Uhr UTC die Anflugraten in Wien für den Zeitraum von 06:40 Uhr bis 09:00 Uhr UTC auf 25 Anflüge pro Stunde herabgesetzt und um 08:03 Uhr UTC für den Zeitraum von 06:40 Uhr bis 09:30 Uhr UTC auf 30 Anflüge pro Stunde erhöht worden. Dies sei um 08:34 Uhr wiederum storniert worden. Die üblichen Anflugraten in Wien-Schwechat würden bei guten Wetter- und Sichtverhältnissen 44 bis 48 Anflüge pro Stunde betragen.
Bei einer Unterschreitung der MCT seien alternative Möglichkeiten der schnelleren Beförderung des Fluggastes zu seinem Anschlussflug nicht erfolgversprechend, weil ein Umsteigen in einem noch kürzeren Zeitraum, als der schon vom Flughafen vorgegebenen Minimalzeit, in der Regel nicht möglich sei. Im konkreten Fall sei aufgrund der Ankunft des Zubringerfluges um 10:06 Uhr Lokalzeit keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden, um das Erreichen des Anschlussfluges (Block-off 10:11 Uhr Lokalzeit) zu ermöglichen.
Sie habe den Fluggast unverzüglich auf die nächstmögliche gleichwertige Verbindung, nämlich OS 779 am nächsten Tag umgebucht. Eine frühere freie Verbindung sei insbesondere mangels vorhandener Sitzplatzkontingente nicht zur Verfügung gestanden. Mangels verfügbarer Kontingente bzw Verbindungen habe eine Umbuchung direkt von München weg nicht erfolgen können. Sie habe nicht nur Direktverbindungen, sondern auch Verbindungen mit Umsteigeverbindungen geprüft. Die angebotene Verbindung sei die gleichwertigste und schnellstmögliche gewesen. Bei der Flugverbindung OS 569 von Wien nach Zürich handle es sich um keine vergleichbare Verbindung, weil es eine Verbindung mit Zwischenstopp und keine Direktverbindung nach Skopje gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf folgende, über den eingangs wiedergegebenen außer Streit stehenden Sachverhalt hinausgehende Feststellungen:
„Am 31.10.2019 hat sich die Wettersituation am Flughafen Wien so dargestellt, dass es bereits ab 06:50 Uhr (UTC) massive Sichtbeeinträchtigungen gab. Konkret lag die horizontale Sicht bei lediglich 1.400 Meter und war die Wolkendecke vollständig geschlossen auf einer Höhe von 100 Fuß. Diese Sichtbeeinträchtigungen blieben auch in den folgenden zwei Stunden aufrecht, wobei sich die Wolkendecke auf 200 Fuß verlagerte und sich die horizontale Sicht auf 1.800 bzw. weiter auf 2.000 Meter vergrößerte.
Bei einer vollständigen geschlossenen Wolkendecke auf 100 bzw. 200 Fuß treten die sogenannten „Low Visibility Procedures“ der Flugsicherungen in Kraft, da die Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Flugzeugen vergrößert werden müssen. Die Flugsicherung reduzierte daher im Zeitraum von 06:40 Uhr bis 08:10 Uhr (UTC) die Anflugrate auf den Flughafen Wien auf 25 Anflüge pro Stunde, im Zeitraum von 08:10 Uhr bis 09:00 Uhr (UTC) auf 30 Anflüge pro Stunde sowie im Zeitraum von 09:00 Uhr bis 09:30 Uhr (UTC) auf 40 Anflüge pro Stunde. Die reguläre Anflugrate auf den Flughafen Wien beträgt ca. 46 Anflüge pro Stunde.
Der Flug OS 112 erhielt aufgrund der Anflugsratenreduktion einen Abflug-Slot zugeteilt und zwar erstmals um 05:46 Uhr UTC für einen Abflug um 08:10 Uhr UTC, wobei es um 06:05 Uhr UTC zu einer weiteren Verschiebung dieses Slots auf einen Abflug um 08:25 Uhr UTC kam, welcher schließlich von der beklagten Partei genutzt wurde. Die beklagte Partei hat keine Möglichkeit auf die Slotvergabe Einfluss zu nehmen.
Der Passagier R***** K***** wurde infolge des Verpassens seines Anschlussfluges OS 779 (VIE-SKP) auf den Flug OS 779 am darauffolgenden Tag, mit einer planmäßigen Abflugzeit um 10:05 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 11:40, umgebucht, welchen er auch wahrnahm. Die Umbuchung wurde von der Beklagten am 31.10.2019 um 09:46 Uhr (UTC) vorgenommen. Es handelt sich hierbei nicht um die frühestmögliche Alternativbeförderung.
Der Passagier R***** K***** hat am 19.02.2021 eine Abtretungserklärung an die klagende Partei unterzeichnet.“
In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, die massiven Sichtbeeinträchtigungen sowie die damit verbundene Reduzierung der Anflugraten auf den Flughafen Wien-Schwechat würden außergewöhnliche Umstände darstellen. Da der Beklagten jedoch nicht der Beweis gelungen sei, dass die von ihr vorgenommene Umbuchung die schnellstmögliche Alternativverbindung dargestellt habe, es auch andere Alternativverbindungen gegeben habe, welche nicht in die Prüfung miteinbezogen worden seien, und die Umbuchung erst 40 Minuten nach der verspäteten Landung erfolgt sei, habe sie nicht nachgewiesen, dass sie alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- antrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Im Berufungsverfahren ist zwischen den Parteien nicht mehr strittig, dass außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zur Verspätung des Fluges OS 112 und damit zum Verpassen des Fluges OS 779 geführt haben, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
Zur Frage der zumutbaren Maßnahmen ist zunächst auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den zumutbaren Maßnahmen iSd Entscheidung des EuGH zu C-74/19 nicht nur die Umbuchung auf einen anderen Flug auf Basis desselben Flugscheins, sondern nötigenfalls auch der Erwerb eines neuen Flugscheins bei einem anderen Luftfahrtunternehmen gehört, auch wenn mit diesem keine Vereinbarung über eine wechselseitige Anerkennung von Flugscheinen bzw einer Direktverrechnung besteht, sofern damit keine untragbaren Opfer für das ausführende Luftfahrtunternehmen verbunden sind (RKO0000032).
Darüber hinaus ist das ausführende Luftfahrtunternehmen für das Vorliegen sämtlicher für eine Befreiung nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO erforderlicher Tatbestandselemente behauptungs- und beweispflichtig (LG Korneuburg 22 R 68/22p, 22 R 358/21h, 22 R 273/20g mwN). Vom Fluggast wird in diesem Zusammenhang keine substantiierte Bestreitung – etwa durch das Nennen möglicher früherer Alternativverbindungen – verlangt. Es genügt das unsubstantiierte Bestreiten des Vorliegens dieser Tatbestandsvoraussetzungen für die Behauptungs- und Beweislast des beklagten Luftfahrtunternehmens, dass die Umbuchung auf eine frühere (allenfalls Umsteige-)Verbindung nicht in Betracht gekommen wäre (LG Korneuburg 22 R 345/21x). Konkret bestritt die Klägerin jedoch die Voraussetzungen nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO sogar substantiiert, indem sie konkrete frühere Verbindungen nannte.
Den Ausführungen in der Berufung ist insofern zuzustimmen, als es nicht ausschließlich auf das Vorhandensein eines früheren Fluges ankommen kann, sondern selbstverständlich auch Sitzplätze verfügbar sein müssen. Die bloße Feststellung des Erstgerichts „Es handelt sich hierbei nicht um die frühestmögliche Alternativbeförderung“ ist diesbezüglich nicht klar und lässt einen gewissen Interpretationsspielraum zu. In diesem Zusammenhang war jedoch zu berücksichtigen, dass auch in der rechtlichen Beurteilung bzw der Beweiswürdigung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als Tatsachenfeststellungen zu behandeln sind (RS0043110 [T2, T3]). Das Erstgericht führte im Rahmen der Beweiswürdigung aus, es seien Flüge der WizzAir sowie ChairAirlines definitiv nicht in die Prüfung miteinbezogen worden, und in der rechtlichen Beurteilung, dass es auch andere Alternativverbindungen gegeben habe, welche nicht in die Prüfung miteinbezogen worden seien. Dadurch hat es insgesamt ausreichende Feststellungen getroffen, wonach die Beklagte dadurch, dass sie eben nicht alle (früheren) Flüge geprüft hat, nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat.
Die Ausführungen der Berufungswerberin, die sich schwerpunktmäßig mit einer Umbuchung von Wien aus auseinandersetzen, lassen auch nicht erkennen, weshalb sie keine Umbuchung von München aus in Erwägung gezogen hat, obwohl ihr bereits aufgrund des um 07:05 Uhr bekannt gegebenen Abflugslots für 09:25 Uhr klar sein musste, dass der Fluggast seinen Anschlussflug höchstwahrscheinlich nicht erreichen können wird (vgl RKO0000015).
Da der Fluggast bereits ursprünglich eine Umsteigeverbindung mit einem Zwischenstopp gebucht hat, ist nicht davon auszugehen, dass ein Alternativflug mit einem Zwischenstopp nicht in seinem Interesse wäre. Dies insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass er mit dieser Variante (dem Vorbringen zufolge) planmäßig um 18:05 Uhr am 31.10.2019 und nicht erst um 11:40 Uhr am Folgetag an seinem Endziel angelangt wäre. Inwiefern ein rund zweistündiger Kurzstreckenflug mit einen Low-Cost-Carrier mit wesentlichen Unannehmlichkeiten im Vergleich zu einem derartigen Flug der Beklagten verbunden sei, vermag diese nicht darzulegen.
Der Berufung war daher insgesamt nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.