JudikaturLG Korneuburg

22R142/22w – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2022

Kopf

Beschluss

Das Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Dr. Futterknecht, LL.M., BSc und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei S***** AG, vertreten durch Siemer – Siegl – Füreder Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen zuletzt Prozesskosten , infolge Rekurses der beklagten Partei gegen die in Urteilsform ergangene Kostenentscheidung des Bezirksgerichts Schwechat vom 16.05.2022, 17 C 798/21p-7 (Rekursinteresse: EUR 814,27), in nicht öffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, die angefochtene Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhand-lung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Fluggast S***** P***** verfügte über eine bestätigte Buchung für den Flug LX 1582 am 07.11.2019 von Zürich nach Wien mit einer geplanten Abflugzeit um 17:00 Uhr und einer geplanten Ankunftszeit um 18:20 Uhr. Die Beklagte als ausführendes Luftfahrt-unternehmen annullierte den Flug. Die Flugstrecke von Zürich nach Wien umfasst nicht mehr als 1.500 km.

Mit der beim Erstgericht am 26.11.2021 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin gemäß Art 7 EU-FluggastVO den Zuspruch von EUR 250,-- samt Zinsen und brachte dazu über den zuvor dargestellten außer Streit stehenden Sachverhalt hinaus vor, ihr sei die Forderung von S***** P***** am 07.11.2019 abgetreten worden. Sie habe die Abtretung angenommen. S***** P***** sei über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der Abreise informiert worden. Außergewöhnliche Umstände hätten nicht vorgelegen. Sie habe die Beklagte mit Schreiben vom 08.11.2019 und 22.11.2019 zur Zahlung aufgefordert, es sei jedoch keine Reaktion erfolgt, weshalb gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen habe werden müssen. Es bestehe keine gesetzliche Grundlage, nur eine bestimmte E-Mail-Adresse für Rückerstattungsansprüche verwenden zu können. Mit Schriftsatz vom 16.03.2022 (ON 5) schränkte sie das Klagebegehren auf Zinsen und Kosten ein. Am 21.02.2022 habe ein Zahlungseingang von EUR 250,-- auf dem Anderkonto der Klagevertreterin festgestellt werden können. Da später auch eine Zinszahlung geleistet worden sei, schränkte sie in der Tagsatzung vom 30.03.2022 das Klagebegehren auf Kosten ein.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Klagsabweisung und brachte zusammengefasst vor, sie habe mangels vorprozessualer Mahnung bzw Zahlungsaufforderung keinen Anlass zur Klagsführung gegeben. Es habe zwar ein Aufforderungsschreiben gegeben, dieses sei allerdings an eine E-Mail-Adresse erfolgt, die nicht die richtige sei, um solche Forderungen geltend zu machen. Wenn an diese E-Mail-Adresse ein E-Mail versendet werde, komme automatisch ein E-Mail zurück, in welchem darauf hingewiesen werde, dass diese E-Mail-Adresse ausschließlich für bereits bestehende Fälle verwendet werden könne. Es werde auch eine E-Mail-Adresse angegeben, an die man sich wenden könne. Aufforderungsschreiben müssten entweder per Post oder über die Homepage der Beklagten erfolgen. Umgehend nach Erhalt der Klage habe sie an die Klagevertreter geleistet. Sie habe daher Anspruch auf Kostenersatz gemäß § 45 ZPO.

Mit der angefochtenen , in Urteilsform ergangenen Kostenentscheidung erkannte das Erstgericht die Beklagte schuldig, der Klägerin die mit EUR 486,48 (darin enthalten EUR 48,-- Barauslagen und EUR 73,08 USt) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen. Abgesehen von dem eingangs wiedergegebenen, außer Streit stehenden Sachverhalt traf das Erstgericht nachstehende Feststellungen:

„Am 08.11.2019 versendete die klagende Partei an die E-Mail-Adresse der beklagten Partei c*****@s*****.com ein Aufforderungsschreiben, in welcher sie die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs von EUR 250,00 sowie zusätzlich EUR 20,00 bis 22.11.2019 forderte. Nicht festgestellt werden kann, dass dieses Schreiben der beklagten Partei zuging.

Am 22.11.2019 versendete die klagende Partei an die E-Mail-Adresse der beklagten Partei c*****@s*****.com erneut ein Aufforderungsschreiben, in welchem sie neuerlich die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs von EUR 250,00 sowie zusätzlich EUR 20,00 bis 06.12.2019 forderte. Nicht festgestellt werden kann, dass dieses Schreiben der beklagten Partei zuging.

Mit Schreiben 07.05.2021 forderte die Klagevertretung namens der klagenden Partei neuerlich die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs von EUR 250,00, zusätzlich EUR 20,00 sowie der Kosten des Einschreitens der klagenden Partei binnen 14 Tagen. Als E-Mail-Adresse ist angeführt: k*****@s*****.com. Nicht festgestellt werden kann, dass dieses Schreiben an diese Adresse versandt wurde. Nicht festgestellt werden kann, dass dieses Schreiben der beklagten Partei zuging.

Die Klage wurde der beklagten Partei am 21.12.2021 zugestellt. Am 21.01.2022 langte auf dem Konto der Klagevertretung die Zahlung von EUR 250,00 ein. Nicht festgestellt werden kann, wann die beklagte Partei die Zahlung an die Klagevertretung veranlasste. Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt nach dem 21.01.2022 bezahlte die beklagte Partei auch die begehrten Zinsen.

Die Passagierin S***** P***** trat ihre Ansprüche aus dem Flug LX1582 vom 07.11.2019 an die klagende Partei ab und diese nahm die Abtretung an.“

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, Voraussetzung für die Anwendung des § 45 ZPO sei, dass die Beklagte zur Klageführung keinen Anlass geboten habe und sie den Klagsanspruch unverzüglich anerkenne und erfülle. Bei Leistungsklagen sei die Veranlassung zur Klagsführung in der Regel zu bejahen, wenn der Anspruch trotz Fälligkeit nicht erfüllt worden sei. Einer Fluggesellschaft müsse grundsätzlich ausreichend Zeit zugestanden werden, um eine ordnungsgemäße Prüfung vorzunehmen, ob die eingeforderte Ausgleichszahlung dem Grunde und der Höhe nach zu Recht bestehe. Dabei sei auch die große Anzahl solcher Aufforderungen sowie der größere Prüfungsaufwand zu berücksichtigen. Die Klägerin habe in der Klage die Zahlung innerhalb von 14 Tagen begehrt. Werde eine Forderung erst während des Prozesses fällig, müsse innerhalb der Leistungsfrist erfüllt werden. Werde nach Fälligkeit noch immer nicht bezahlt, sei damit nachträglich die Klagsführung veranlasst. Mangels anderen Vorbringens sei eine Prüfungsfrist von 14 Tagen angemessen, sodass bei Zahlung einen Monat nach Fälligstellung von einer unverzüglichen Erfüllung nicht mehr gesprochen werden könne. Die Beklagte habe daher gemäß § 41 Abs 1 ZPO Kostenersatz zu leisten.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die „Klage abzuweisen“. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass Gegenstand des Verfahrens zuletzt nur noch der jeweilige Kostenersatzanspruch war. Die Entscheidung über das Kostenersatz-begehren ist aber – gleichgültig, ob sie in Urteilsform oder Beschlussform erfolgt – nur mit Rekurs anfechtbar (RS0036080 [T1]). Die Rekurswerberin beantragt in ihrer „Berufung“, „die Klage vollinhaltlich abzuweisen“. Da jedoch die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels nicht dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise hindert, und aufgrund der weiteren Ausführungen in der Rechtsmittelschrift deutlich erkennbar ist, dass sich diese gegen die Kostenentscheidung des Erst- gerichts richtet (RS0036258 [T19]), war das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel als Rekurs gegen die in Urteilsform ergangene Kostenentscheidung zu behandeln.

Da die Rekurswerberin – offenbar – die Abänderung der angefochtenen Kostenentscheidung dahin begehrt, dass der ihr auferlegte Kostenersatz von EUR 486,48 entfallen soll und ihr die verzeichneten Kosten von EUR 327,79 zugesprochen werden mögen, ergibt sich entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel und der Rechtsmittelgegenschrift das Rekursinteresse aus der Summe des Begehrens, das aberkannt werden soll und des Begehrens, das zugesprochen werden soll, sohin EUR 814,27.

Die Rekurswerberin moniert im Wesentlichen, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Erfüllung innerhalb der im Urteilsbegehren verlangten Leistungsfrist erfolgen müsse. Die Zahlung sei zwar später als 14 Tage nach Zustellung der Klage, jedoch bevor die Klägerin weitere Prozesshandlungen gesetzt habe, erfolgt. Die Beklagte habe die Klage rechtzeitig anerkannt und bezahlt.

Dazu war Folgendes zu erwägen:

Nach dem Wortlaut des § 45 ZPO darf der Beklagte zur Klagsführung keinen Anlass geboten haben und muss dieser den Klagsanspruch unverzüglich anerkannt haben. Nur wenn beide Voraussetzungen kumulativ zutreffen, kann § 45 ZPO angewendet und dem obsiegenden Kläger die Kostenlast auferlegt werden ( M. Bydlinski in Fasching / Konecny , ZPG 3 § 45 ZPO, Rz 1). Bei Leistungsklagen ist die Veranlassung zur Klageführung in der Regel zu bejahen, wenn der Anspruch trotz Fälligkeit nicht erfüllt wurde, wobei eine zusätzliche Mahnung in der Regel nicht erforderlich ist ( M. Bydlinski aaO Rz 3). Zudem genügt bei Leistungsklagen zur Anwendung des § 45 ZPO nicht die bloße Anerkennung, es bedarf der Erfüllung (RW0000701).

Das Rekursgericht geht in nunmehr ständiger Rechtsprechung (22 R 12/21a, 22 R 82/21w, 22 R 277/21x ua) mit Obermaier (Kostenhandbuch 3 , Rz 1.296) davon aus, dass, wenn eine Forderung erst während des Prozesses fällig wird, ein Anerkenntnis entbehrlich ist, der Beklagte dann aber innerhalb der Leistungsfrist erfüllen muss. Zahlt er nach Eintritt des Verzugs noch immer nicht, gibt er damit nachträglich Veranlassung zur Klage, was zur Kostenersatzpflicht für das gesamte Verfahren, nicht aber zur Bildung von zwei Verfahrensabschnitten – einen vor und einen nach Fälligkeit – führt (so auch OLG Linz 3 R 27/10a).

Anders als für die Rückerstattung der Flugscheinkosten gemäß Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO ergibt sich für Ausgleichsansprüche nach Art 7 keine Leistungsfrist aus der Verordnung selbst. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren (EuGH 22.11.2012, C-139/11 Moré/KLM Rz 25). Damit ist auch hinsichtlich der Zahlungsfrist für Ansprüche nach Art 7 EU-FluggastVO auf nationales Recht zurückzugreifen.

In diesem Zusammenhang war jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz handelt, während zum gewöhnlichen Aufenthalt des Fluggastes bislang kein Vorbringen erstattet wurde. Gemäß Art 5 Abs 2 Rom-I-VO ist, soweit die Parteien in Bezug auf einen Vertrag über die Beförderung von Personen keine Rechtswahl getroffen haben, das anzuwendende Recht das Recht des Staates, in dem die zu befördernde Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Abgangsort oder der Bestimmungsort befindet. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Da dieser Aspekt jedoch bislang mit den Parteien nicht erörtert wurde (RS0037300), war es unumgänglich, die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und dem Erst-gericht nach Verfahrensergänzung eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Das Erstgericht wird im weiteren Verfahren mit den Parteien die Frage des anwendbaren Sachrechts zu erörtern haben, sowie diesen die Möglichkeit einzuräumen zu haben, dazu ein Tatsachenvorbringen zu erstatten (§ 271 Abs 2 ZPO). Letztlich wird es Feststellungen zu treffen haben, aus denen sich die Fälligkeit des gegenständlichen Anspruchs und die damit verbundene Frage der (nachträglichen) Veranlassung zur Klagsführung klären lässt.

Im weiteren Verfahren wird zudem sowohl hinsichtlich der Klägerin als auch der Beklagten zu beachten sein, dass diese ihren Sitz in Deutschland bzw der Schweiz haben. Von den Parteienvertretern wurde jedoch ohne nähere Begründung jeweils 20 % Umsatzsteuer verzeichnet. Leistungen eines österreichischen Rechtsanwaltes für einen ausländischer Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Gemäß der Generalklausel des § 3a Abs 6 UStG wird eine sonstige Leistung, die an einen Unternehmer ausgeführt wird, an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess kommentarlos 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (§ 54 Abs 1 ZPO). Ist die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt, kann die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (RS0114955).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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