22R71/22d – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Dr. Klebermaß-Janisch und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 28.12.2021, 26 C 200/21p-14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für den Flug OS 114 von München nach Wien am 05.07.2018, geplante Flugzeiten 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Die Beklagte sollte diesen Flug durchführen, annullierte ihn jedoch weniger als sieben Tage vor dem geplanten Abflug und buchte den Kläger auf den Flug OS 7238 von München nach Wien um, der planmäßig von 18:40 Uhr bis 19:40 Uhr durchgeführt werden sollte, jedoch tatsächlich erst um 21:00 Uhr in Wien ankam. Die Flugstrecke von München nach Wien beträgt nicht mehr als 1.500 km.
Das Fluggerät zur Durchführung des Fluges OS 114 sollte am 05.07.2018 mit dem Flug OS 113 von Wien nach München mit einer planmäßigen Abflugzeit um 15:10 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 16:10 Uhr verbracht werden. Am Nachmittag des 05.07.2018 herrschten Gewitterfronten im Süd-, West- und Ostsektor Österreichs, welche die Flüge OS 113 und OS 114 durchfliegen mussten. Nachdem die Beklagte die Strecke von Wien nach München ohnehin im Zweistundentakt bediente, entschied sie sich um 14:05 Uhr dazu, die Rotation OS 113/OS 114 zu annullieren, weil sie die Verspätung des Flugs OS 113 als zu groß erachtete, um die Folgerotationen pünktlich durchführen zu können. Es konnte nicht festgestellt werden, welche Flüge das Fluggerät, mit dem die Rotation OS 113/OS 114 hätte durchgeführt werden sollen, nach dem Flug OS 114 durchführen sollte. Die Beklagte versuchte nicht, ein Ersatzfluggerät anzumieten oder aus der eigenen Flotte heranzuziehen; die Anmietung eines Ersatzfluggeräts hätte zumindest sechs Stunden in Anspruch genommen. Bei dem Flug OS 7238 von München nach Wien handelte es sich um den nächsten Flug von München nach Wien nach dem Flug OS 114.
Mit Klage vom 29.06.2021 begehrte der Kläger die Zahlung einer Ausgleichsleistung gemäß Art 7 EU-FluggastVO von EUR 250,-- samt Zinsen und brachte dazu – abgesehen vom ohnehin unstrittigen Sachverhalt – vor, es hätten keine außergewöhnlichen Umstände für die Annullierung vorgelegen, und die Beklagte habe auch nicht alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen.
Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, der Flug OS 114 und dessen Vorflug OS 113 hätten aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht durchgeführt werden können: Um 15:10 Uhr sei ein Start vom Flughafen Wien aufgrund prognostizierter starker Unwetter in Wien und damit verbundener An- und Abflugratenreduktionen nicht möglich gewesen. Ab 15:00 Uhr hätten starke Regenschauer und Stürme mit Spitzen bis 70 km/h geherrscht, was dazu geführt habe, dass die von der Flugsicherung ausgegebenen Slots nur mit großer Verspätung oder gar nicht abgeflogen hätten werden können, und ihr auch keine Abflugslots mehr erteilt worden wären. Darüber hinaus hätten Restriktionen der Flugsicherung geherrscht, zumal die Flugsicherung keine ausreichende Anzahl an Mitarbeitern zur Verfügung gehabt habe. Sie habe sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, indem sie den Kläger umgehend auf die nächstmögliche Flugverbindung, nämlich OS 7238, umgebucht habe; zum Zeitpunkt der Annullierung habe es sich um die schnellstmögliche Beförderung für den Fluggast gehandelt. Ein Ersatzfluggerät habe nicht früher bereitgestellt werden können, als der Kläger durch die Bahn hätte befördert werden können.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verpflichtete die Beklagte zum Kostenersatz. Es traf die auf den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird; zum Teil wurden sie eingangs gemeinsam mit dem unstrittigen Sachverhalt wiedergegeben. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die Ausgleichsleistung nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO sei nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung oder Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Grund für die Annullierung der Rotation OS 113/OS 114 sei gewesen, dass OS 113 aufgrund von Gewitterfronten auf der Flugstrecke einen um 74 Minuten verspäteten Airwayslot erhalten habe, woraufhin sich die Beklagte für die Annullierung entschieden habe. Wenn auch keine Details zu den Gewitterfronten festgestellt werden konnten, sei aufgrund ihrer weiten Ausbreitung über den Süd-, West- und Ostsektor Österreichs davon auszugehen, dass sie über die üblichen und erwartbaren Abläufe des Luftverkehrs hinausgegangen seien und insofern geeignet gewesen seien, zu außergewöhnlichen Umständen zu führen. Es sei der Beklagten jedoch nicht gelungen, zu beweisen, dass ihr eine verspätete Flugdurchführung weniger zumutbar gewesen wäre als die Annullierung des Fluges OS 114. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Ausgleichsleistung bestehe daher zu Recht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Auf-hebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerberin wiederholt ihr in erster Instanz erstattetes Vorbringen zu den außergewöhnlichen Umständen und den zumutbaren Maßnahmen und nimmt den Standpunkt ein, einen Sachverhalt vorgetragen zu haben, der bei rechtsrichtiger Würdigung zur Klagsabweisung führe. Insbesondere meint sie, dass sie sowohl Vorbringen dahin erstattet als auch durch den Zeugen Krenn unter Beweis gestellt habe, dass es sich bei der vorgenommenen Umbuchung um die schnellstmögliche Alternativbeförderung des Klägers gehandelt und keine andere Möglichkeit bestanden habe, als die Rotation OS 113/OS 114 zu annullieren.
Die Berufungsgegner halten dem die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts entgegen, wonach ein Luftfahrtunternehmen nur dann von der Zahlung der Ausgleichsleistung nach Art 7 EU-FluggastVO befreit ist, wenn es nachweist, dass
– ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt;
– die Annullierung (oder große Verspätung) auf einen solchen zurückgeht und
– es alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung (oder großen Verspätung) ergriffen hat (zuletzt LG Korneuburg 29.7.2022, 22 R 87/22g).
Die Frage, ob ein Luftfahrtunternehmen sich entlasten kann, ist daher dreistufig zu prüfen (EKO0000038 mwN). Im Rahmen dieser dreistufigen Prüfung ist die Beklagte behauptungs- und beweispflichtig, dass das von ihr vorgetragene Vorkommnis ursächlich für die Annullierung des Fluges war.
Die von Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geforderten Maßnahmen sind nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts (RKO0000014) auf drei Ebenen zu prüfen:
[1] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst;
[2] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung); und
[3] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung (bzw einer großen Verspätung) für den einzelnen Fluggast.
Selbst unter der Annahme, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände in Form äußerst widriger Wetterverhältnisse bestanden haben, reicht schon das von der Berufungswerberin im erstinstanzlichen Verfahren erstattete Vorbringen nicht aus, eine solche Prüfung vornehmen zu können, zumal sich dieses hinsichtlich der zumutbaren Maßnahmen darin erschöpfte, Ausführungen betreffend die erfolgte Umbuchung sowie betreffend Ersatzfluggerät zu erstatten.
Wie auch das Erstgericht zutreffend erkannt hat, hat das Luftfahrtfahrtunternehmen, wenn es die Entscheidung trifft, einen Flug, für den es über einen – wenn auch verspäteten – Abflugslot verfügt, vorsorglich zu annullieren, auch darzulegen, aus welchen konkreten Gründen eine andere Vorgangsweise als diese Annullierung ihm noch weniger zumutbar gewesen wäre (RKO0000017). Die Berufungswerberin verkennt – wie in zahlreichen ähnlich gelagerten, bereits vom Berufungsgericht entschiedenen Fällen – dass sie, um den Befreiungstatbestand des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO in Anspruch nehmen zu können, (auch) konkrete Behauptungen zu zumutbaren Maßnahmen der zweiten Kategorie zu erstatten hat; also jener Maßnahmen, die auf die Durchbrechung bzw Vermeidung eines Kausalzusammenhangs zwischen einem eingetretenen Vorkommnis und der Annullierung abstellen. Da kaum Fälle denkbar sind, in denen jedenfalls eine Annullierung erfolgen muss , und der Flug damit gar nicht später durchgeführt werden kann , bleibt es idR eine wertende unternehmerische Entscheidung, ab welchem Zeitpunkt das Luftfahrtunternehmen nicht länger auf die Möglichkeit der Durchführung zuwartet, sondern den Flug annulliert (und etwa das Fluggerät anderweitig einsetzt). Annulliert es nun den Flug, bevor sich die Möglichkeit ergibt, den Flug letztlich doch durchzuführen, hat es aber konkret darzulegen (und im Bestreitungsfall zu beweisen), warum es ihm nicht zumutbar gewesen wäre, noch länger auf die Möglichkeit der Durchführung zu warten. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang – unbekämpfbar – konstatiert, dass nicht festgestellt werden konnte, welche Flüge das Fluggerät, mit dem diese Rotation durchgeführt hätte werden sollen, nach dem Flug OS 114 absolvieren hätte sollen, und welche Auswirkungen eine verspätete Flugdurchführung auf welche konkreten Flüge gehabt hätte. Damit konnte die Beklagte schlicht nicht nachweisen, weshalb es ihr nicht zumutbar gewesen wäre, mit der Durchführung der Rotation OS 113 / OS 114 zuzuwarten. (In Wahrheit fehlte es aber bereits an einem diesbezüglichen Vorbringen der Beklagten.)
Soweit die Berufungswerberin in der Rechtsmittelschrift nunmehr die Aussage des Zeugen Krenn zitiert und daraus ableitet, sie habe dadurch den Nachweis erbracht, sämtliche zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben, so ist sie darauf zu verweisen, dass Beweisergebnisse grundsätzlich nicht geeignet sind, fehlendes Prozessvorbringen zu ersetzen bzw unzureichendes Vorbringen zu konkretisieren (vgl RS0037915 [T1 und T2]).
Eine unterlassene Maßnahme der ersten oder zweiten Ebene kann nicht durch eine Maßnahme der dritten Ebene substituiert werden. Hat das Luftfahrtunternehmen also nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um einen durch außergewöhnliche Umstände von einer Annullierung bedrohten Flug zu „retten“, nützt dem Luftfahrtunternehmen auch eine (iSv EuGH C-74/19) raschestmögliche Umbuchung nichts, wenn die angebotene Ersatzbeförderung nicht ohnehin den Kriterien des Art 5 Abs 1 lit c EU-FluggastVO genügt (aaO [T1]; was hier nicht der Fall war).
Unter dem Berufungsgrund der Feststellungsmängel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung vermeint die Berufungswerberin – soweit aus den etwas diffusen Ausführungen erkennbar – das Erstgericht habe nicht ausreichend festgestellt, inwiefern sie zumutbare Maßnahmen ergriffen habe und andere Maßnahmen nicht möglich gewesen seien. Eine inhaltliche Auseinandersetzung erübrigt sich schon deshalb, weil die Berufungswerberin in keiner Weise darlegt, worin die unrichtige rechtliche Beurteilung des Erstgerichts liegen sollte, sondern vielmehr weiterhin an der Rechtsmeinung festhält, dass sämtliche zumutbare Maßnahmen durch sie dadurch ergriffen wurden, dass sie den Kläger auf die schnellstmögliche Alternativverbindung umgebucht hat.
Der Beklagten war daher in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des Erstgerichts die Berufung auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Nicht zum ersten Mal ist die Klagevertreterin darauf hinzuweisen, dass im Anwendungsbereich des § 501 Abs 1 ZPO für die Berufungsbeantwortung lediglich der einfache Einheitssatz zusteht (§ 23 Abs 10 RATG). Auf die Entscheidung zu 15 Bkd 2/07 (RS0055665 [T5], RS0055068 [T2]) wird verwiesen.
Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.