22R116/22x – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei L***** G***** , vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 25.02.2022, 26 C 305/21d-14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt.) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung:
– OS 902 ab Innsbruck 07.06.2019, 18:50 Uhr, an Wien 07.06.2019, 19:50 Uhr und
– OS 849 ab Wien 07.06.2019, 22:20 Uhr, an Tirana 07.06.2019, 23:50 Uhr.
Die Beklagte annullierte den Flug OS 902 und buchte den Kläger auf die Flüge LH 1846 und AZ 0150 von München über Rom nach Tirana um. Der Kläger erreichte sein Endziel am 08.06.2019 um 23:39 Uhr. Die Flugstrecke von Innsbruck nach Tirana umfasst nicht mehr als 1.500 km.
Der Vorflug des Fluges OS 902, der Flug OS 901 von Wien nach Innsbruck, sollte von 17:15 Uhr bis 18:10 Uhr durchgeführt werden, wurde jedoch von 18:04 Uhr bis 19:00 Uhr durchgeführt. Bei der Landung herrschte Wind mit einer Grundstärke von 15 kn und Böen von 27 kn. Aufgrund dieser Windverhältnisse versuchte die Crew, möglichst schnell auf der Landebahn aufzusetzen, um die Gefahr zu minimieren, dass das Fluggerät von einer Seitenwindböe erfasst und zur Seite gedreht wird. Dieses rasche Aufsetzen auf der Landebahn führte jedoch zu einer derart harten Landung des Fluggeräts, dass Grenzwerte überschritten wurden, und eine Inspektion notwendig wurde. Die Windverhältnisse verhinderten Landungen am Flughafen Innsbruck jedoch nicht und wären auch der Durchführung des Fluges OS 902 nicht entgegengestanden. Da die Beklagte davon ausging, dass die Inspektion mehr als zwei Stunden dauern würde, annullierte sie den Flug um 19:28 Uhr.
Mit der beim Erstgericht am 25.08.2021 eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Zuspruch von EUR 250,-- samt 4 % Zinsen ab 06.07.2019 und brachte vor, eine harte Landung gehöre zur normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens, sodass auch dadurch allenfalls verursachte technische Defekte die Beklagte nicht entlasten könnten. Außergewöhnliche Umstände lägen nicht vor. Bereits der Vorflug OS 901 von Wien nach Innsbruck sei mit einer Verspätung von 49 Minuten abgeflogen. Bei pünktlicher Durchführung des Vorfluges wäre bei Ankunft in Innsbruck die Böengeschwindigkeit noch wesentlich geringer gewesen, und es wäre erheblich mehr Zeit für die Durchführung der Inspektion zur Verfügung gestanden; die Annullierung hätte vermieden werden können. Die Beklagte habe nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, sie habe ihn nicht auf die Flugverbindung 2B 224 von Venedig nach Tirana mit Abflug um 14:55 Uhr und Ankunft um 16:30 Uhr und auch nicht auf den Flug ERN 217 von Bologna nach Tirana mit einem Planabflug um 14:15 Uhr und Ankunft um 15:40 Uhr umgebucht. Beide Flüge wären mit einer Zugverbindung ab Innsbruck erreichbar gewesen.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, die Verspätung des Vorfluges OS 901 sei mit 38 Minuten auf den Vorvorflug, mit vier Minuten auf Restriktionen am Flughafen sowie mit weiteren sieben Minuten auf das verspätete Boarding der Crew zurückzuführen. Böige Winde hätten den negativen Effekt, dass es bei variierenden Wind- geschwindigkeiten zu Strömungsabrissen komme, die dazu führten, dass der Auftrieb gerade im Landeanflug bei reduzierter Geschwindigkeit stark nachlasse. Das Flugzeug sacke ab, dies könne dazu führen, dass Tonnen von Gewicht auf den Boden sehr hart aufschlagen. So sei es auch gekommen, dass die erfahrene Cockpitbesatzung die Maschine samt Passagieren zwar sicher habe landen können, jedoch das Flugzeug durch die böigen Winde einen Strömungsabriss verzeichnet und bei der Landung hart aufgesetzt habe. Nach solchen harten Landungen seien Untersuchungen [des Luftfahrzeugs] ein notwendiges Verfahren, damit auch darauffolgende Flüge sicher und zuverlässig durchgeführt werden könnten. Die vorherrschenden Bedingungen am Flughafen Innsbruck würden sehr selten vorkommen, eine harte Landung sei unüblich. Am Flughafen Innsbruck sei kein Ersatzfluggerät zur Verfügung gestanden. Die Inspektion des Fluggeräts sei umgehend vorgenommen worden und habe bis 02:00 Uhr morgens gedauert. Bei der Umbuchung kenne das Buchungssystem der Beklagten keine Einschränkungen hinsichtlich Bus, Bahn, Abflugs- und Ankunftsflughäfen; es würden aber keine Umbuchungen auf Billigfluglinien vorgenommen; diese hätten kein Interesse, Verträge zur Beförderung von Passagieren abzuschließen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und traf die auf Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung ON 14 ersichtlichen Feststellungen, die oben auszugsweise wiedergegeben wurden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass nach Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO dem Fluggast bei der Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger ein Ausgleichsanspruch von EUR 250,-- gebühre. Die Ausgleichsleistung sei nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Technische Probleme würden grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände darstellen. Widrige Wetterbedingungen könnten einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, wenn die Durchführung eines Fluges aus technisch-physikalischen Gründen nicht möglich sei oder wenn der Flug aus rechtlich-administrativen Gründen nicht durchgeführt werden könne. Die Wetterverhältnisse hätten insofern keine Intensität erreicht, bei der davon gesprochen werden könne, dass sie ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Beklagten gewesen wären. Es sei nicht davon auszugehen, dass die harte Landung und die daraus resultierende potenzielle Beschädigung für die Beklagte nicht beherrschbar gewesen sei. Insgesamt sei nicht vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auszugehen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass es sich bei der von der Beklagten vorgenommenen Umbuchung um die schnellstmögliche Beförderung für den Kläger von Innsbruck nach Tirana gehandelt habe. Sie habe daher nicht bewiesen, alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Auf-hebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerberin gesteht zu, dass derartige Winde, die die Herstellerlimits nicht übersteigen und auch nicht zum Erliegen des Flugverkehrs führen würden, per se nicht als außergewöhnlichen Umstand zu qualifizieren seien; meint aber, die Gesamtheit der im gegenständlichen Fall vorliegenden Umstände stelle sehr wohl einen außergewöhnlichen Umstand dar. Die zwingend notwendige harte Landung des Fluggeräts aufgrund der vorherrschenden Windverhältnisse in Verbindung mit der notwendigen Inspektion des Fluggeräts sei ein aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragender Grund. Es liege eine Verkettung von Umständen vor. Sie habe durch die Umbuchung auf die schnellstmögliche Alternativbeförderung alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen.
Zu Recht schließt sich die Berufungswerberin den Ausführungen des Erstgerichtes an, wonach widrige Wetterbedingungen dann einen außergewöhnlichen Umstand nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darstellen würden, wenn die Durchführung eines Fluges aus technisch-physikalischen Gründen nicht möglich ist (RKO0000020). Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen liegt dieser Fall aber nicht vor. Die Berufungswerberin stützt sich daher auf eine „Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände“ und verweist auf die zwingend notwendige harte Landung des Fluggeräts.
Dass eine harte Landung des Fluggeräts zwingend notwendig geworden sei, wurde im erstinstanzlichen Verfahren gerade nicht vorgebracht und lässt sich auch den Feststellungen nicht entnehmen. Demzufolge habe die harte Landung auf einer Entscheidung des Piloten beruht, um möglichst schnell auf der Landebahn aufzusetzen, um die Gefahr zu minimieren, dass das Fluggerät von einer Seitenwindböe erfasst und zur Seite gedreht werde (Seite 3 in ON 14).
Die Berufung auf die nautische Entscheidungsgewalt erspart dem Luftfahrtunternehmen lediglich die Erstattung detaillierten Vorbringens dazu, aus welchen inneren Gründen dem Pilot eine andere Vorgangsweise [...] nicht zumutbar erschien; sie ersetzt aber nicht die Feststellung der äußeren Gegebenheiten im Sinne außergewöhnlicher Umstände, die den Piloten überhaupt erst vor die Entscheidung gestellt haben, ob eine Landung durchgeführt werden soll oder nicht (RKO0000019 [T3]). Gegen die von der Berufungswerberin angestrebte Gesamtschau spricht der Umstand, dass das Vorkommnis, dass letztlich zur Annullierung des Fluges OS 902 führte, die konkrete Witterung in Innsbruck war. Die Ausübung nautischer Entscheidungsgewalt stellt selbst keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO dar. (Sie erweitert lediglich im Zuge der Prüfung der zumutbaren Maßnahmen den Ermessensspielraum des Piloten im Rahmen der Regeln der Luftfahrt, sodass dem Luftfahrtunternehmen der Nachweis erspart bleibt, dass die konkrete Reaktion des Piloten auf das Auftreten des außergewöhnlichen Umstandes die im Sinne des Interesses der Gesamtheit der Fluggäste bestmögliche Vorgangsweise war.) Daher teilt das Berufungsgericht die Auffassung des Erstgerichtes, dass es der festgestellte Sachverhalt dem Luftfahrtunternehmen nicht erlaubt, sich auf das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zu berufen.
Welche Maßnahmen die Beklagte zur Verhinderung der unerwünschten Folgen der Annullierung des Fluges OS 902 gesetzt hat, bedarf daher keiner Prüfung mehr.
Insgesamt war daher der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.