22R18/22k – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
IM NAMEN D ER REPUBLIK
Das
Landesgericht Korneuburg
als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Dr. Klebermaß-Janisch und Mag. Straßl in der Rechtssache der klagenden Partei S***** H***** , vertreten durch Dr. Friederike Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 04.11.2021, 24 C 419/20b-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen
[a] EUR 250,-- samt 4 % Zinsen p.a. ab 10.10.2018 zu zahlen;
[b] die mit EUR 878,78 bestimmten Prozesskosten (darin enthalten EUR 138,96 USt und EUR 45,-- Barauslagen) zu Handen der Klagever-treterin zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 220,28 (darin enthalten EUR 29,38 USt und EUR 44,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Berufung zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung für den Flug OS 568 von Zürich nach Wien am 24.09.2018, mit einer planmäßigen Abflugzeit um 07:40 Uhr und einer planmäßigen Ankunftszeit um 09:10 Uhr. Die Flugstrecke von Zürich nach Wien umfasst eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km. Das Fluggerät zur Durchführung des Fluges OS 568 sollte am 23.09.2018 mit dem Flug OS 567 von Wien nach Zürich verbracht werden. Der Vorflug OS 567 musste aufgrund der Wetterbedingungen im Luftraum des Flughafens Zürich eine Holding Position einnehmen und wurde während des Verweilens in der Warteposition von einem Blitzschlag getroffen. Aufgrund des Blitzeinschlags und der vorherrschenden Wettersituation entschieden die Piloten nach Wien zurückzukehren, wo um 22:33 Uhr die Parkposition erreicht wurde. Mangels Fluggerät am Flughafen Zürich wurde der Flug OS 568 um 21:52 Uhr von der Beklagten annulliert. Der Kläger wurde von der Beklagten um ca. 22:00 Uhr über die Annullierung informiert. Die beiden Rebooking Center der Beklagten waren zu diesem Zeitpunkt überlastet, mit der Umbuchung der Passagiere des Fluges OS 568 wurde daher erst um 01:28 Uhr (23:28 UTC) begonnen. Die Beklagte hätte den Kläger auf den Flug OS 8810 umgebucht, wenn nicht bereits zuvor die Umbuchung auf diesen Flug durch den Travel Agent des Klägers, A***** E*****, erfolgt wäre. Der Kläger nahm in weiterer Folge den Flug OS 8810 in Anspruch, flog am 24.09.2018 um 09:11 Uhr in Zürich ab und erreichte Wien um 10:23 Uhr, sohin mit einer Verspätung von einer Stunde und 13 Minuten.
Mit der am 10.12.2020 beim Erstgericht eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger den Zuspruch von EUR 250,-- samt 4 % Zinsen ab 10.10.2018 und brachte im Wesentlichen vor, die Beklagte schulde ihm aufgrund der EU-FluggastVO den Klagsbetrag samt Zinsen, da er weniger als sieben Tage vor Abflug von der Annullierung des Fluges OS 568 informiert, und ihm keine Ersatzbeförderung angeboten worden sei. Die Annullierung des klagsgegenständlichen Fluges sei nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen.
Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und brachte im Wesentlichen vor, die vorgenommene Annullierung sei auf außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zurückzuführen und hätte sich auch durch die Ergreifung zumutbarer Maßnahmen nicht vermeiden lassen. Das Fluggerät, welches zur Durchführung von OS 568 vorgesehen gewesen sei, sei am Vorabend auf der Vorrotation (Flug OS 567 von Wien nach Zürich) in schwere Turbulenzen geraten und durch Blitzschlag beschädigt worden. Das Fluggerät sei nach der Rückkehr nach Wien um 22:35 Uhr einer technischen Überprüfung unterzogen und erst um 04:58 Uhr für den Flugbetrieb freigegeben worden. Am Flughafen Zürich sei kein Ersatzfluggerät zur Verfügung gestanden. Die Verbringung eines Ersatzfluggeräts samt Crew sei aufgrund des Sturmtiefs in Europa nicht möglich gewesen und hätte eine mehr als dreistündige Verspätung nach sich gezogen. Im Übrigen herrsche am Flughafen Zürich ein Nachtflugverbot in der Zeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr. Der Kläger sei unverzüglich auf die nächstmögliche Verbindung umgebucht worden und habe sein Endziel Wien um 10:23 Uhr, sohin mit einer Verspätung von einer Stunde und 13 Minuten erreicht, weswegen ein allenfalls zustehender Ausgleichsanspruch gemäß Art 7 Abs 2 lit a EU-FluggastVO um 50 % zu kürzen wäre. Der Kläger habe sich wegen der Umbuchung nicht mit ihr in Verbindung gesetzt, sondern mit A***** E***** und habe ihr somit die Möglichkeit genommen, ihn umzubuchen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, traf die auf Seiten 3 bis 5 der Urteilsausfertigung ON 13 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; wesentliche Teile davon wurden vom Berufungsgericht am Beginn der Entscheidung gemeinsam mit dem außer Streit stehenden Sachverhalt wiedergegeben. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erst- gericht, die Beklagte habe sich zur Bekämpfung des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs zum einen darauf gestützt, dass der Kläger mit dem Flug OS 8810 befördert worden sei und die anderweitige Beförderung innerhalb der Zeitgrenzen des Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO erfolgt sei, sowie dass andererseits für die Annullierung außergewöhnliche Umstände ursächlich gewesen seien. Zur anderweitigen Beförderung vertrat das Erstgericht die Rechtsansicht, dass Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO teleologisch zu reduzieren sei. Auch wenn das Verhalten des Klägers (eigenständige Umbuchung über Travel Agent ) weggedacht werde, hätte dieser sein Endziel ebenso mit einer Verspätung von einer Stunde und 13 Minuten erreicht, da in diesem Fall das Angebot zur Beförderung mit OS 8810 durch die Beklagte erfolgt wäre. Dem Kläger stehe daher kein Ausgleichsanspruch zu. Betreffend die Frage des Vorliegens von außergewöhnlichen Umständen setzte sich das Erstgericht mit der nautischen Entscheidungsgewalt des Piloten auseinander und vertrat die Rechts- ansicht, dass die Beklagte entsprechend der diesbezüglichen Rechtsprechungslinie des Berufungsgerichts Vorbringen zur Ermessensentscheidung des Piloten vorgetragen und unter Beweis gestellt habe. Die im Dienste der Flugsicherheit getroffene Entscheidung, nach Wien zurückzukehren, sei nicht zu beanstanden, weswegen das Erstgericht das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen sowie den Umstand, dass die Beklagte alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, bejahte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist im Ergebnis berechtigt.
Die Berufung folgt im Wesentlichen der Gliederung der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils und setzt sich zum einen mit der teleologischen Reduktion des Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO auseinander und andererseits mit der Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes iVm mit der Frage nach der Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen.
1) Zu Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO:
Im Zusammenhang mit der anderweitigen Beförderung durch OS 8802 gibt der Berufungswerber zunächst den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt wieder, wonach er von der Beklagten am 23.09.2018 um ca. 22:00 Uhr über die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges informiert wurde. Er vermeint, das Erstgericht hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung weiters festzustellen gehabt, dass der Kläger durch seinen Travel Agent A***** E***** über die gegenständliche Annullierung informiert wurde und leitet daraus ab, dass aufgrund dieser ergänzenden Feststellung das Erstgericht rechtlich zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass der Beklagten der Nachweis nach Art 5 Abs 4 EU-FluggastVO nicht gelungen sei. Der Rechtsmittelwerber moniert sohin offenkundig einen sekundären Feststellungsmangel im Rahmen der Rechtsrüge und übersieht bzw übergeht jedoch, dass das Erstgericht eine entsprechende Feststellung getroffen hat, nämlich dahin, dass die Verständigung des Klägers von der Annullierung durch die Beklagte erfolgt ist. Von einem Feststellungsmangel iSd § 496 Abs 1 Z 3 ZPO kann daher keine Rede sein. Eine solche (konträre) Feststellung kann nur mit dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung bekämpft werden. Soweit der Rechtsmittelwerber tatsächlich nur eine ergänzende Feststellung anstrebt, kann daraus die gewünschte Rechtsfolge nicht abgeleitet werden, da es diesfalls an der Feststellung der zeitlichen Abfolge der erfolgten Verständigungen mangeln würde, weswegen der Schluss des misslungenen Nachweises nach Art 5 Abs 4 EU-FluggastVO gerade nicht gezogen werden kann.
Weiters vermisst der Berufungswerber die Feststellung, dass ein konkretes Angebot betreffend Ersatzbeförderung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen unterblieben ist und leitet daraus ab, dass mit dieser zusätzlichen Feststellung das Erst- gericht zum Ergebnis gelangt wäre, dass der Ausschlussgrund nach Art 5 Abs 1 lit c Nr iii nicht erfüllt wurde. Dem Berufungswerber ist zuzustimmen, dass das Erstgericht diesbezüglich keine konkrete Feststellung getroffen hat. Im Zusammenhalt sämtlicher Feststellungen mit der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts ergibt sich aber zweifelsfrei, dass das Erstgericht von dem vom Rechtsmittelwerber gewünschten Sachverhalt ausgegangen ist, diesen jedoch rechtlich konträr beurteilt hat. Es kann daher auch diesbezüglich kein Feststellungsmangel iSd § 496 Abs 1 Z 3 ZPO erblickt werden.
Dem Berufungswerber ist aber darin zuzustimmen, dass eine teleologische Reduktion des Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO nicht vorzunehmen ist.
Gemäß Art 5 Abs 1 lit c EU-FluggastVO wird den betroffenen Fluggästen bei Annullierung eines Fluges vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn, sie werden – im Fall der Nr iii – über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Gemäß Art 5 Abs 2 EU-FluggastVO erhalten die Fluggäste, wenn sie über die Annullierung unterrichtet werden, Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.
Eine teleologische Reduktion ist vom Fehlen einer nach dem Zweck des Gesetzes notwendigen Ausnahme geprägt. Der Wortlaut des Gesetzes ist im Vergleich zu dessen erkennbaren Zweck überschießend (RS0008979). In diesem Sinn erfordert die teleologische Reduktion einer gesetzlichen Regelung den klaren Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3]). Der Annahme, Art 5 Abs 1 lit c Nr iii EU-FluggastVO wäre dahingehend reduziert auszulegen, dass ein konkretes Angebot einer Ersatzbeförderung gemeinsam mit der Verständigung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht erforderlich ist, wenn der Fluggast eigenständig eine Ersatzbeförderung erreicht, die dazu führt, dass die zeitlichen Grenzen betreffend planmäßige Abflugs- und Ankunftszeit eingehalten werden, steht das Ziel der EU-FluggastVO nach den Erwägungsgründen 1, 2 und 4 entgegen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste und Verbraucher sicherzustellen, indem ihre Rechte in bestimmten Situationen, die für sie ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmlichkeiten verursachen, generell gestärkt werden und ihnen standardisiert und sofort Ersatz geleistet wird (EuGH 22.04.2021, C-826/19, Rn 26). Nach der vom Erstgericht vertretenen Auslegung würde das eigenständige und erfolgreiche Bemühen von Fluggästen um eine zeitnahe Ersatzbeförderung zu einer Entlastung des ausführenden Luftfahrtunternehmens führen, sofern dieses nachweisen kann, dass es – hypothetisch – auch eine Umbuchung auf die vom Fluggast erfolgreich gewählte Ersatzbeförderung vorgenommen hätte. Dazu ist zunächst anzumerken, dass die deutschsprachige Judikatur – soweit ersichtlich – einhellig davon ausgeht, dass sich das Luftfahrtunternehmen das eigene Bemühen des Fluggastes nicht entlastend zurechnen kann (vgl dazu Schmid in BeckOKFluggastrechte-Verordnung 22 (Stand: 01.04.2022), Rz 43b).
Überdies hat auch bereits der Oberste Gerichtshof – wenngleich zu Art 8 Abs 1 lit b EU-FluggastVO – ausdrücklich ausgesprochen, dass der Normzweck der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste und Stärkung der Fluggastrechte für das Erfordernis des Vorschlags einer konkreten Ersatzbeförderung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen spricht (vgl 1 Ob 133/18t).
Dass sich der Kläger im vorliegenden Fall selbstständig um eine Ersatzbeförderung bemüht hat, liegt allein am fehlenden Angebot durch das ausführende Luftfahrtunternehmen, welches ihn auch in keiner Weise darüber informiert hat, dass sich auch das Rebooking Center des Luftfahrtunternehmens um eine Umbuchung kümmern werde, sobald die Kapazitäten dies erlauben sollten.
Im Wesentlichen läuft die gegenständliche Problemstellung auf die Frage hinaus, ob das Luftfahrtunternehmen sich nur dann iSd Art 5 Abs 1 lit c Nr ii und iii der Verordnung entlasten kann, wenn das Angebot zur anderweitigen Beförderung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Annullierung unterbreitet wird, oder, ob es – wovon das Erstgericht ausgeht – ausreicht, wenn das Angebot der Ersatzbeförderung zu einem (nicht bloß unwesentlich) späteren Zeitpunkt erstattet wird bzw würde, und es damit letztlich nicht darauf ankommt, ob sich der Fluggast in der Zwischenzeit selbst eine Ersatzbeförderung organisiert hat oder nicht.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass Art 5 Abs 2 der Verordnung bestimmt: „Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.“ Dieser Satz ist für sich allein jedoch nicht hinreichend aussagekräftig, weil das deutsche Wort „wenn“ sowohl einen Temporal- („im Zeitpunkt von“) als auch einen Konditionalsatz („falls“, „sofern“) einleiten kann. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich das konditionale Erfordernis bereits aus Art 5 Abs 1 lit c Nr ii und iii („es sei denn, sie werden über die Annullierung […] unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung“) ergibt. Will man Art 5 Abs 2 der Verordnung nicht einen eigenständigen normativen Gehalt entziehen, kann „wenn“ nur als „im Zeitpunkt von“ verstanden werden. Für eine solche Auslegung sprechen überdies nicht nur die englische („ when passengers are informed “) und die italienische („ insieme alla canzellazione “) Fassung (während andere Sprachfassungen ähnlich uneindeutig wie die deutsche sind), sondern auch Erwägungsgrund 20 zur Verordnung, wonach die Fluggäste umfassend über ihre Rechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen informiert werden sollen, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können. Die Wahrnehmung des Rechtes auf eine vom ausführenden Luftfahrtunternehmen angebotene anderweitige Beförderung setzt aber voraus, dass der Fluggast auch Kenntnis von der Möglichkeit einer konkreten Ersatzbeförderung erhält – und zwar nicht erst dann, wenn es ihm nicht gelingen sollte, selbst rascher eine Möglichkeit zur Ersatzbeförderung zu finden als das Luftfahrtunternehmen. Es widerspräche daher entschieden den Zielsetzungen der EU-FluggastVO, wenn ein Luftfahrtunternehmen erst dann konkrete Möglichkeiten zur Ersatzbeförderung anbieten muss, wenn der Fluggast selbst erfolglos geblieben ist.
Die Argumentation des Erstgerichts, es liege im Interesse des Fluggastes, möglichst frühzeitig von einer Annullierung verständigt zu werden (und nicht erst dann, wenn das Luftfahrtunternehmen eine Ersatzbeförderung anzubieten in der Lage ist), ist zwar nicht unbeachtlich, übersieht aber die oben aufgezeigte Intention der Verordnung, die Suche nach einer Ersatzbeförderung primär dem Luftfahrtunternehmen zu überantworten. Andernfalls könnten sich Luftfahrtunternehmen veranlasst sehen, die Zeitspanne zwischen (Bekanntgabe der) Annullierung und Anbieten einer Ersatzbeförderung möglichst auszudehnen, um die Zahl der Fluggäste, die letztlich noch ihres Anbotes der Ersatzbeförderung bedürfen, möglichst gering zu halten. Im vorliegenden Fall wäre zwischen der Bekanntgabe der Annullierung und dem (hypothetischen) Anbieten einer konkreten Ersatzbeförderung ein Zeitraum von zumindest knapp vier Stunden gelegen, was – zumindest im konkreten Fall, in dem der Flug nur knapp zehn Stunden vor dem geplanten Abflug annulliert wurde – der Anforderung an einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nicht mehr genügt.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass immer dann, wenn der Fluggast sich selbst eine Ersatzbeförderung organisiert, bevor ihm eine solche vom ausführenden Luftfahrtunternehmen angeboten wird, die Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit c Nr ii und iii der Verordnung nicht erfüllt sind. So wäre etwa ein Luftfahrtunternehmen auch dann entlastet, wenn es im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Annullierungsbekanntgabe dem Fluggast eine den zeitlichen Kriterien dieser Bestimmung genügende Ersatzbeförderung anbietet, der Fluggast sich aber (etwa in der durch äußere Umstände begründeten Annahme, dass der von ihm gebuchte Flug wohl einer Annullierung zum Opfer fallen werde) zuvor selbst ein Ersatzbeförderung beschafft hat. Maßgeblich für eine Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung ist daher das Anbieten einer Ersatzbeförderung in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Annullierungsbekanntgabe und nicht der Umstand, ob der Fluggast dem ausführenden Luftfahrtunternehmen mit der Umbuchung zuvorgekommen ist (sodass das Anbieten der Ersatzbeförderung letztlich hypothetisch bleiben musste).
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Berufungswerber zu diesem Punkt zusätzlich monierten sekundären Feststellungsmängeln des Erstgerichts kann daher ebenso unterbleiben wie mit der Rechtsansicht des Berufungswerbers, dass das Auslegungsmonopol betreffend die Verordnung ausschließlich beim EuGH liege.
2) Zu Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO:
Zusätzlich führt der Berufungswerber auch aus, das Erstgericht habe die Wetter- verhältnisse und den Blitzeinschlag fälschlich als außergewöhnlichen Umstand beurteilt und hätte bei richtiger rechtlicher Würdigung zum Ergebnis gelangen müssen, dass die Beklagte nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe.
Nach der, auf der Judikatur des EuGH aufbauenden, ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts sind die von Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geforderten Maßnahmen auf drei Ebenen zu prüfen: [1] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst; [2] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung); und [3] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung (bzw einer großen Verspätung) für den einzelnen Fluggast (RKO0000014). Eine unterlassene Maßnahme einer Ebene kann nicht durch eine Maßnahme einer anderen Ebene substituiert werden (aaO [T1]). Ob tatsächlich außergewöhnliche Umstände zur Annullierung des Flugs OS 568 geführt haben, kann somit dahingestellt bleiben, weil im Rahmen der Ergreifung der zumutbaren Maßnahmen jedenfalls das Anbieten einer Ersatzbeförderung erforderlich ist, die den Kriterien der Entscheidung des EuGH zu C-74-19 entspricht. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen muss aber für das Anbot einer Ersatzbeförderung unter dem Gesichtspunkt der Prüfung des Ergreifens zumutbarer Maßnahmen (der dritten Ebene) dasselbe gelten wie für das Anbot einer Ersatzbeförderung, um die Kriterien des Art 5 Abs 1 lit c Nr ii und iii der Verordnung zu erfüllen. Auch hier ist der Zeitpunkt des (hypothetischen) Anbietens der Ersatzbeförderung entscheidend, sodass auf obige Ausführungen verwiesen werden kann.
Mangels zeitgerechten Angebots einer alternativen Beförderungsmöglichkeit kommt aber auch keine Kürzung des Ausgleichsanspruchs nach Art 7 Abs 2 EU-FluggastVO in Betracht.
Daraus folgt im Ergebnis, dass das Erstgericht das Klagebegehren zu Unrecht abgewiesen hat. Der Berufung war daher Folge zu geben und in Abänderung des Erst- urteils dem Klagebegehren zur Gänze (einschließlich des berechtigten Zinsenbegehrens) stattzugeben, (zumal im Aufforderungsschreiben des Klägers ein Zahlungsziel bis 09.10.2018 gesetzt wurde).
Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht dem Grunde nach auf § 41 Abs 1 ZPO. Der Höhe nach gründet der Kostenzuspruch auf dem Kostenverzeichnis des Klägers, das keine offenkundigen Unrichtigkeiten aufweist und gegen das keine Einwendungen (§ 54 Abs 1a ZPO) erhoben wurden.
Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.