JudikaturLG Korneuburg

22R345/21x – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
22. März 2022

Kopf

Beschluss

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Parteien [1] J***** H***** , [2] M***** H***** , [3] A***** H***** , [4] C***** H***** , vertreten durch JBB Rechtsanwälte Jaschinski Biere Brexl Partnerschaft mbH in Berlin (Einvernehmensanwalt: Dr. Andreas Manak, Rechtsanwalt in Wien), wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch MMag. Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 1.600,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 01.06.2021, 27 C 75/20m-13, in nicht öffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrens-ergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten der Berufungsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

begründung:

Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung

– OS 764 ab Varna 21.06.2019, 13:30 Uhr, an Wien 21.06.2019, 14:25 Uhr und

– OS 8805 ab Wien 21.06.2019, 14:50 Uhr, an Zürich 21.06.2019, 16:10 Uhr.

Die tatsächlichen Flugzeiten des Fluges OS 764 waren 14:46 Uhr bis 15:28 Uhr. Aufgrund der Verspätung dieses Fluges verpassten die Kläger ihren Anschlussflug. Die Beklagte buchte die Kläger auf den Flug OS 565 von Wien nach Zürich um. Die Kläger erreichten das Endziel Zürich mit einer Verspätung von 3:50 Stunden. Die Entfernung von Varna nach Zürich beträgt 1.577 km.

Mit der beim Erstgericht am 15.04.2020 eingebrachten Klage begehrten die Kläger von der Beklagten die Zahlung von jeweils EUR 400,-- zuletzt samt 4 % Zinsen (zuletzt) ab 15.04.2020 und brachten vor, aufgrund der Verspätung hätten sie einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen von insgesamt EUR 1.600,--.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, bestritt und brachte vor, der Vorflug des Fluges OS 764, der Flug OS 763 von Varna nach Wien, habe nicht wie geplant um 10:00 Uhr starten können, weil die Flugsicherung den Flug nicht zum Abflug freigegeben und bis 11:19 Uhr auch keinen Abflugslot vergeben habe. Der letzte Slot sei um 10:29 Uhr für 11:19 Uhr vergeben worden, sie habe den Slot durch Abflug um diese Uhrzeit auch genützt. Vom Vormittag bis 18:00 Uhr hätten sich nördlich von Sofia über Belgrad Cumulonimbuswolken gehalten. Aus diesem Grund habe die Eurocontrol die Durchflugsraten in diesen Sektoren auf teilweise null Flüge reduziert. Die Regulierungen aufgrund des Wetters gemäß IATA-Delay-Code 81W hätten die Sektoren auf der Flugstrecke von Wien nach Varna betroffen und im Ausmaß von 63 Minuten zu einer Abflugverspätung geführt. Eine andere Flugstrecke hätte sie aufgrund der Vorgabe der Flugsicherung nicht fliegen dürfen. Die planmäßige Ankunftszeit des Vorfluges OS 763 sei 12:45 Uhr gewesen, die tatsächliche Ankunftszeit 13:50 Uhr. Der Grund für die Abflugverspätung des Fluges OS 764 sei nicht ausschließlich im IATA-Delay-Code 81, sondern auch in den Wetterproblemen auf der durchzuführenden Flugstrecke gewesen. Ein pünktlicher Start des Fluges sei nicht möglich gewesen, dieser sei auch von der Flugsicherung nicht freigegeben worden. Aufgrund der Restriktionen der Flugsicherung am 21.06.2019 seien Starts und Landungen zum Zeitpunkt des geplanten Fluges um 13:30 Uhr nicht möglich gewesen. Die Minimum-Turn-Around-Zeit für den Airbus 320 betrage 40 Minuten, die MCT am Flughafen Wien 25 Minuten. Sie habe die Kläger auch umgehend auf die nächstmögliche Flugverbindung umgebucht. Sie habe somit alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, „den klagenden Parteien“ EUR 1.600,-- samt 4 % Zinsen ab 15.04.2020 zu zahlen. Es folgerte aus dem vorgetragenen Sachverhalt, dass gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit b EU-FluggastVO den Fluggästen bei der Annullierung innergemeinschaft-licher Flüge über eine Entfernung von mehr als 1.500 km eine Ausgleichszahlung von EUR 400,-- zustehe. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruches den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt und könnten einen Ausgleichsanspruch somit ebenfalls geltend machen, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden würden. Die Flughäfen in der Schweiz seien aufgrund des Beschlusses des gemischten Luftverkehrsausschusses der Europäischen Union und der Schweiz vom 09.07.2014 als Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedsstaates anzusehen. Den Klägern gebühre aufgrund der unstrittig mehr als drei Stunden verspäteten Ankunft am Zielort ein Ausgleichsanspruch von jeweils EUR 400,--. Die Beklagte habe betreffend des den Restriktionen der Flugsicherung zugrunde liegenden Wetters nur vorgebracht, dass auf der Flugstrecke ein Unwetter geherrscht habe, dort auch Cumulonimbuswolken vormittags bis 18:00 Uhr aufgetreten seien und schlechtes und windiges Wetter geherrscht habe. Dieses Vorbringen sei jedoch nicht hinreichend, um daraus widrige Wetterbedingungen, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen würden, ableiten zu können. Die Beklagte habe weder Dauer, Ausmaß oder Intensität dieses „Unwetters“ näher zu beschreiben vermocht, noch sei sie in der Lage gewesen, detailliert auszuführen, welche Windstärken zu welchem Zeitpunkt geherrscht hätten, sodass eine abschließende Überprüfung der Wetterphänomene ob ihrer Außergewöhnlichkeit nicht möglich gewesen sei. Die im Ergebnis somit unsubstanziiert gebliebenen Behauptungen der Beklagten hätten eine unübliche und derart widrige Wettersituation, die eine Qualifikation der darauf beruhenden Anordnungen der Flugsicherung als außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO nicht zu begründen vermocht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist mit ihrem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag berechtigt.

Die Berufungswerberin verweist auf ihr in erster Instanz erstattetes Vorbringen, insbesondere darauf, dass sie sich darauf berufen habe, dass der Vorflug OS 763 am Flughafen Wien nicht wie geplant um 10:00 Uhr habe starten können, weil die Flugsicherung diesen zum Abflug nicht freigegeben hätte.

Die Berufungsgegner erwidern, dass den von der Beklagten behaupteten Wetterbedingungen üblicherweise IATA-Delay-Codes beginnend mit der Ziffer 7 zugewiesen würden. Es wäre ihr oblegen darzulegen, dass und wie sich die allgemeine Steuerungsmaßnahme der Flugratenreduzierung negativ auf den verfahrensgegenständlichen Flug ausgewirkt habe.

Das Erstgericht hat sich zwar mit dem Vorbringen der Beklagten im vorbereitenden Schriftsatz vom 25.05.2021 (ON 9) auseinandergesetzt, nicht jedoch das Vorbringen in der vorbereitenden Tagsatzung vom 01.06.2021 gewürdigt, wonach die Eurocontrol die Durchflugsraten in den Sektoren nördlich von Sofia und Belgrad auf teilweise null Flüge reduziert habe (Seite 2 in ON 10).

Das Berufungsgericht hat bereits vielfach ausgesprochen, dass widrige Wetterbedingungen für sich allein noch keine außergewöhnlichen Umstände darstellen, sondern bloß zu solchen führen können. Dazu gehören etwa die Sperre des Luftraumes über dem Start- oder Zielflughafen, die Sperre des auf der Strecke liegenden Luftraumes oder die vollständige Sperrung eines Flughafens ( Schmid in Schmid, BeckOK Fluggastrechte-VO [21. Edition, Stand 01.01.2022], Art 5 Rz 88 ff). Zur auf der Strecke liegenden Luftraumsperre führt Schmid (aaO Rz 94 unter Berufung auf LG Korneuburg 23.03.2017, 22 R 150/16p) aus, dass das Luftfahrtunternehmen dann entlastet ist, wenn der gesperrte Luftraum nicht oder nicht ohne erheblichen Zeitverlust von drei oder mehr Stunden umflogen werden kann und sich die Starterlaubnis deswegen verzögert; dies gelte aber nicht, wenn der (mögliche) rechtzeitige Start zunächst durch technische Probleme verzögert werde, es sei denn, dass das Luftfahrtunternehmen darlegen und beweisen könne, dass auch bei planmäßiger Startbereitschaft für eine derart große Zeitspanne keine Starterlaubnis erteilt worden wäre (LG Korneuburg 14.02.2019, 21 R 23/19h). Das von der Berufungswerberin im erstinstanzlichen Verfahren erstattete Vorbringen ist daher grundsätzlich geeignet, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darzustellen.

In der Berufungsbeantwortung (Punkt II. in ON 16) wird ausgeführt, dass entsprechend substanziiertes Vorbringen der Beklagten zu den zumutbaren Maßnahmen im Sinne der Entscheidung des EuGH zu C-74/19 fehle; der Vortrag der Beklagten lasse nicht erkennen, dass sie die Kläger auf die frühestmögliche Ersatzbeförderung umgebucht habe. Dem ist zu entgegnen:

Das Berufungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Luftfahrtunternehmen, das sich auf einen Entlastungsgrund im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO stützt, zu behaupten und zu beweisen hat, dass [a] ein außergewöhn-licher Umstand vorliegt, [b] die Annullierung (oder große Verspätung) auf einen solchen zurückgeht, und [c] es alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wobei diese Umstände kumulativ vorliegen müssen (LG Korneuburg 22 R 104/20d; 22 R 260/21x uvm.). Es gliedert die zumutbaren Maßnahmen nach ihrem Ansatzpunkt in drei Kategorien (vgl RKO0000014), zu denen – der von der Berufungsgegnerin genannten Entscheidung folgend – letztlich auch die Sicherstellung einer zumutbaren, zufriedenstellenden und frühestmöglichen anderweitigen Beförderung zählt; dazu gehört die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen (EuGH C-74/19 [Rn 59]). Ist bei einer aus zwei (oder mehreren) Flügen bestehenden Flugverbindung (jedenfalls bei einheitlicher Buchung) bereits vor Abflug des Zubringerfluges klar, dass der Fluggast den Anschlussflug nicht mehr erreichen kann, hat das Luftfahrtunternehmen – im Zuge der Prüfung zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO – bereits zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer Umbuchung, die den in der Entscheidung des EuGH zu C-74/19 postulierten Grundsätzen gerecht wird, zu prüfen (RKO0000015).

Das Berufungsgericht ist jedoch der Auffassung, dass das beklagte Luftfahrtunter-nehmen zur Frage der frühestmöglichen Umbuchung nur dann eine konkrete Behauptungslast trifft, wenn die klagende Partei ihrerseits behauptet hat, dass die dem Fluggast angebotene Ersatzbeförderung nicht den Kriterien der Entscheidung zu C 74/19 entsprochen hat. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Während die zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des außergewöhnlichen Umstands selbst oder zur Vermeidung des Ursächlichwerdens eines außergewöhn-lichen Umstands für die Annullierung bzw. große Verspätung (vgl RKO0000014) typischerweise Auswirkungen auf sämtliche Fluggäste des betroffenen Fluges haben, handelt es sich bei der Verschaffung einer Ersatzbeförderung um eine auf den einzelnen Fluggast individuell zugeschnittene Maßnahme, die sich einerseits nach dem jeweiligen Endziel des Fluggastes (das nicht mit der Destination des annullierten/verspäteten Fluges ident sein muss) und andererseits nach den konkreten Bedürfnissen des einzelnen Fluggastes, der uU aus individuellen Gründen kein Interesse an der „frühestmöglichen“ (EuGH C-74/19) bzw „schnellstmöglichen“ (EuGH C 264/20) Ersatzbeförderung hat (vgl Iglseder , Der fehlerfreie Umgang mit dem „außergewöhnlichen Umstand“, ZVR 2021, 257 [261 f]), richtet. Dass dem Fluggast auf dessen Wunsch auch eine Ersatzbeförderung im Sinne des Art 8 Abs 1 lit c EU-FluggastVO anzubieten ist, ergibt sich aus der – nicht näher eingegrenzten – Bezugnahme des EuGH auf Art 8 Abs 1 EU-FluggastVO in Rn 58 des Urteils C 74/19.

Bringt der Fluggast im Prozess dann nicht zum Ausdruck, dass ihm das ausführende Luftfahrtunternehmen keine zufriedenstellende Ersatzbeförderung angeboten hat, besteht kein Anlass, dem beklagten Luftfahrtunternehmen ohne Not die Darlegungs-last für die objektiv frühestmögliche – vom Fluggast aber vielleicht gar nicht gewollte – Ersatzbeförderung aufzubürden.

Erst nach einem entsprechenden Vorbringen der Klagsseite, an das aufgrund der grundsätzlich beim beklagten Luftfahrtunternehmen verbleibenden Behauptungs- und Beweislast keine hohen Anforderungen zu stellen sind – so muss der Kläger etwa nicht vortragen, welche konkreten früheren Flugverbindungen zur Verfügung gestanden wären – ist die beklagte Partei gehalten, konkret vorzubrigen (und in Bestreitungsfall unter Beweis zu stellen), dass ihr die Verschaffung einer früheren Ersatzbeförderung nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall haben die Kläger aber im gesamten erstinstanzlichen Verfahren keinerlei Vorbringen in diese Richtung erstattet. Das Berufungsgericht sieht daher keinen Anlass, allenfalls fehlendes Vorbringen der Beklagten zu diesem Themenkreis zum Gegenstand einer Schlüssigkeitsprüfung zu machen (zumal überdies im konkreten Fall die Ersatzbeförderung ohnehin erkennbar zeitnah erfolgte).

Der Berufung war daher Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die Aufnahme der angebotenen Beweis aufzutragen.

Zu dem auch im vorliegenden Verfahren verwendeten Textbaustein, mit dem die Berufungswerberin Feststellungsmängel aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache rügte, hat das Berufungsgericht bereits mehrfach Stellung genommen. Auch in diesem Verfahren kann nicht erkannt werden, welche Feststellungen die Berufungswerberin vermisst (zuletzt LG Korneuburg 29.06.2021, 22 R 181/21d).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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