22R247/21k – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Partei K***** B***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 15.04.2021, 23 C 298/20a 19, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung
– OS 174 von Hamburg (HAM) nach Wien (VIE) am 16.05.2018, 15:05 Uhr bis 16:40 Uhr, und
– OS 721 von VIE nach Budapest (BUD) am 16.05.2018, 17:20 Uhr bis 18:05 Uhr.
Der Flug OS 174 landete verspätet in VIE. Die Klägerin verpasste ihren Anschlussflug und erreichte BUD erst um 23:27 Uhr desselben Tages. Die Flugstrecke HAM-BUD umfasst eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km.
Die Klägerin begehrte den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 Abs 2 (richtig: Abs 1) [lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von EUR 250,-- samt Zinsen. Außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 der VO seien nicht vorgelegen. Zur Erreichbarkeit des Anschlussfluges brachte die Klägerin konkret vor:
– Das Flugzeug [des Zubringerfluges] habe VIE um 17:03 Uhr erreicht und sei auf einer Außenposition abgestellt worden. In weiterer Folge seien die Passagiere per Bus zum Terminal befördert worden, was mindestens 13 Minuten in Anspruch genommen habe. Das Erreichen des Anschlussfluges sei denkunmöglich gewesen (ON 6/2).
– Sie sei erst um 17:05 Uhr mit dem Bus zum Gate transportiert worden. Sie sei dann zum Gate gelaufen. Es habe keine Unterbrechung auf dem Weg gegeben; ihr sei jedoch das Boarding verweigert worden (ON 17/3).
– Wenn man davon ausgehe, dass sie mit dem Bus mindestens 3 Minuten bis zum Gate brauche, sei sie um 17:08 Uhr [oder] 17:09 Uhr am Schengen-Gate angekommen. Dann brauche sie noch Zeit, um von dort zum Terminal 3 zu kommen. Von dort dauere es bis zum Gate 34 „höchstens“ 7 Minuten. Dann wäre sie um 17:16 Uhr oder 17:17 Uhr angekommen. Im Hinblick darauf, dass das Boarding bereits um 17:14 Uhr geschlossen gewesen sei, habe sie keine Möglichkeit gehabt, den Anschlussflug zu erreichen (ON 17/5).
Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung und bestritt zwar nicht konkret die klägerische Behauptung zum Ankunftszeitpunkt des Zubringerfluges in VIE; aus ihrem Vorbringen, dass der Anschlussflug planmäßig um 17:20 Uhr abgehen hätte sollen und tatsächlich um 17:22 Uhr abgegangen sei, und der Klägerin eine Umsteigezeit von 30 Minuten verblieben sei, lasse sich ableiten, dass sie von einer Ankunftszeit des Zubringerfluges um 16:50 Uhr bzw 16:52 Uhr ausgegangen sei. Da die MCT eingehalten worden sei, liege es an der Klägerin zu beweisen, dass sie kein Verschulden am Nichterreichen des Anschlussfluges treffe. Weiters brachte sie im Wesentlichen vor, dass die Verspätung des Fluges 174 auf außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO, nämlich kapazitätsbedingte Restriktionen der Flugsicherung gemäß IATA-Delay-Code 81Y zurückzuführen sei (“ AIR TRAFFIC FLOW MANAGEMENT RESTRICTIONS DUE TO ATC EN-ROUTE DEMAND/CAPACITY, STANDARD DEMAND/CAPACITY PROBLEMS”), wobei sie auch alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, insbesondere indem sie einen ausreichenden zeitlichen Puffer zwischen den beiden Flügen vorgesehen gehabt habe. Letztlich habe sie die Klägerin auch unverzüglich auf die nächstmögliche Ersatzverbindung nach BUD umgebucht.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verhielt die Beklagte zum Ersatz der Prozesskosten an die Klägerin. Es traf die aus den Seiten 2 bis 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die im Allgemeinen verwiesen wird, aus denen aber im Besonderen hervorzuheben ist:
„Der Flug OS 174 erreichte seine Parkposition am Flughafen Wien-Schwechat um 16:50 [Uhr] (On-Block-Zeit). Das Flugzeug wurde auf der Außenposition E 51 geparkt. […] Um 17:05 [Uhr] fuhr der Bus mit den Passagieren von der Parkposition des Flugzeugs ab und kam um 17:08 [Uhr] oder 17:09 [Uhr] am Arrival-Schengen-Gate an. Einigen Passagieren des Fluges OS 174 wurde ein Direkttransfer mittels Shuttlebus zum Fluggerät ihres Anschlussfluges angeboten. Die Klägerin erhielt kein solches Angebot […]. Der Flug OS 721 startete ausgehend von Gate F34. Um vom Eingang des Arrival-Schengen-Gates zum Gate F34 zu gelangen, muss man sich zunächst über eine Rolltreppe in den Duty Free Bereich des Terminals 3 begeben. Dort muss man links abbiegen, den Duty-Free-Bereich durchqueren und 13 Gates passieren, bis man das Gate F34 erreicht. Das Boarding des Fluges OS 721 schloss um 17:14 [Uhr]. Da der Bus erst um 17:08 [Uhr] oder 17:09 [Uhr] beim Eingang des Arrival-Schengen-Gates eingelangt war, war es der Klägerin, obwohl sie den Weg im Laufschritt zurücklegte und keine WC-Pause oder sonstige Unterbrechungen einlegte, nicht möglich, das Gate F34 bis 17:14 [Uhr] zu erreichen. Sie kam um 17:20 [Uhr] oder kurz danach beim Gate F34 an. Auch ein durchschnittlich zügig gehender Fluggast hätte das Gate F34 bei einer Ankunft per Bus am Arrival-Schengen-Gate um 17:08 [Uhr] oder 17:09 [Uhr] nicht bis 17:14 [Uhr] und nicht früher als die Klägerin erreichen können. Der Flug OS 721 verließ seine Parkposition am Flughafen Wien-Schwechat um 17:22 [Uhr] (Off-Block-Zeit).“
In rechtlicher Hinsicht verwies das Erstgericht zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts zur Beweislast beim Verpassen eines Anschlussfluges und führte dazu aus, dass der Klägerin der Nachweis gelungen sei, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, den Anschlussflug zu erreichen, obwohl ihr zwischen dem On-Block-Gehen des Zubringerfluges und dem Off-Block-Gehen des Anschlussfluges eine Zeitspanne von 32 Minuten verbleiben sei, die 7 Minuten über der MCT liege. Damit stamme die Ursache für die Versäumung des Anschlussfluges nicht aus der Sphäre der Klägerin; die Verspätung des Zubringerfluges sei kausal für das verspätete Eintreffen der Klägerin an ihrem Endziel gewesen. Im Übrigen führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass gemäß Art 5 EU-FluggastVO bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 der VO eingeräumt werde. Diese betrage bei Flügen über eine Entfernung von nicht mehr als 1.500 km EUR 250,--. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Die Ausgleichszahlung sei aber nicht zu leisten, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht vermeiden hätten lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die von der Beklagten behaupteten Kapazitätsengpässe aufgrund der Überlastung des Luftraumes seien jedoch in der Regel Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens und würden somit ein luftfahrttypisches Risiko bilden, weshalb eine Berufung der Beklagten auf Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO versage.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Vorauszuschicken ist, dass die Berufungswerberin sich – im Ergebnis zu Recht (§ 500a ZPO; vgl RKO0000010) – nicht mehr auf das Vorliegen eines zur Verspätung des Zubringerfluges führenden außergewöhnlichen Umstands beruft, sondern sich allein dagegen wendet, dass ihr als haftungsbegründend zugerechnet werde, dass die Klägerin ihren Anschlussflug verpasst habe.
Schon das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts hingewiesen: Kommt es zur Verspätung des Zubringerfluges, versäumt der Fluggast den Anschlussflug und erreicht sein Endziel erst mit einer Verspätung von drei oder mehr Stunden, ist zu prüfen, ob die Verspätung des Zubringerfluges ursächlich für die Versäumung des Anschlussfluges war. Dem beklagten Luftfahrtunternehmen steht der Anscheinsbeweis offen, der dadurch erbracht wird, dass die für die konkrete Flugverbindung vom Flughafen vorgegebene Mindestumsteigezeit (MCT) noch zur Verfügung stand. Dazu ist die tatsächliche Ankunftszeit des Zubringerfluges der tatsächlichen Abflugzeit des Anschlussfluges gegenüberzustellen. Wird die MCT zwischen den beiden Flügen eingehalten, spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen Umstand in der Sphäre des Fluggastes. Es ist dann Sache der Klägerin, Umstände zu behaupten und nachzuweisen, warum im konkreten Fall die MCT (für sie) nicht ausgereicht habe [...] (RKO0000011). Diesen Beweis hat das Erstgericht im vorliegenden Fall als erbracht angesehen und – im Weiteren ausgehend davon, dass der Verspätung des Zubringerfluges kein außer-gewöhnlicher Umstand (Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO) zugrunde lag – die Haftung der Beklagten bejaht.
[1] Die Berufungswerberin meint zunächst, dass das Erstgericht es unterlassen habe eine Negativfeststellung zum Zeitpunkt, zu dem der (Vorfeld-)Bus mit den Passagieren vom geparkten Flugzeug des Zubringerfluges abgefahren sei, zu treffen.
Die Berufungswerberin, die selbst erkennt, dass angesichts des EUR 2.700,-- nicht übersteigenden Streitwerts die Beweiswürdigung des Erstgerichts nicht bekämpfbar ist (§ 501 Abs 1 ZPO), möchte damit offenbar einen „sekundären Feststellungsmangel“ (vgl Pimmer in Fasching/Konecny, ZPO 3 § 496 Rz 54 ff) geltend machen. Dieser Berufungsgrund ist allerdings nur dann verwirklicht, wenn das Erstgericht einen – von der beweisbelasteten Partei auch behaupteten – Sachverhalt infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht festgestellt hat.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, hat doch das Erstgericht nicht nur sämtliche zur abschließenden rechtlichen Beurteilung erforderlichen Tatumstände festgestellt, sondern auch ausdrücklich – worauf sogar die Berufungswerberin hinweist – dass der Bus von der Parkposition des Flugzeugs um 17:05 Uhr abgefahren ist.
Damit zeigt die Berufungswerberin aber keinen Rechtsirrtum des Erstgerichts auf sondern zielt in Wahrheit – in unzulässiger Weise – darauf ab, die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu bekämpfen. Die Berufung ist daher in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt.
[2] Weiters rügt die Berufungswerberin, dass die Klägerin nicht vorgebracht habe, dass die Umsteigezeit im vorliegenden Fall nicht ausreichend gewesen sei. Die Klägerin habe weder behauptet, wann sie das Terminal betreten noch wann sie das Gate des Anschlussfluges erreicht habe. Die Einvernahme der Klägerin könne das fehlende Vorbringen nicht ersetzen.
Auch diese Ausführungen sind unzutreffend. Das Berufungsgericht hat bereits ausgesprochen, dass es bei Einhaltung der MCT nicht ausreichend ist, wenn der Fluggast lediglich die Verspätung des Zubringerfluges behauptet. Er muss auch darlegen, aus welchen Gründen ihm im konkreten Fall ein Erreichen des Anschlussfluges nicht möglich war (RKO0000011 [T1]). Es ist zunächst auf das oben detailliert wiedergegebene Vorbringen der Klägerin zu verweisen. Dieses Vorbringen ist insofern schlüssig und vollständig, als sie behauptet hat, dass ihr unter den gegebenen Voraussetzungen – nämlich in der zwischen dem Eintreffen des Vorfeldbusses beim Terminal und dem Schließen des Flugsteigs des Zubringerfluges verbliebenen Zeitspanne, also in jenem Zeitraum, in dem theoretisch ihr selbst das Bemühen um das Erreichen des Anschlussfluges oblag – dies unter keinen Umständen mehr möglich war. Kann – so wie hier – das Erstgericht aufgrund der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung schon die theoretische Unmöglichkeit der Erreichbarkeit feststellen, bedarf es keiner weiteren Feststellungen – und daher auch keines weiteren Tatsachenvorbringens der Klägerin – zu welchen Zeitpunkten sie welche Wegmarken zwischen Zubringer- und Anschlussflug passiert hat. Dies folgt schon aus einem Größenschluss, weil der Fluggast, der gesichert davon ausgehen kann, dass er den Anschlussflug unter keinen Umständen mehr erreichen kann, gar nicht angehalten ist, dieses aussichtslose Unterfangen auf sich zu nehmen (vgl RKO0000011 [T2]); in einem solchen Fall könnte er auch gar nicht behaupten, wann er das Abflug-Gate tatsächlich erreicht hat.
Damit hat das Erstgericht dem Klagebegehren zu Recht stattgegeben. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.