JudikaturLG Korneuburg

22R91/21v – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2021

Kopf

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Ltd , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** A**** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 800,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 14.10.2020, 18 C 363/19x 12, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 233,78 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreter zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die Fluggäste K***** und M***** R***** verfügten über eine bestätigte Buchung für die von der Beklagten durchzuführende Flugverbindung

– OS 452 von London (LHR) nach Wien (VIE) am 03.06.2019, 09:05 Uhr bis 12:25 Uhr und

– OS 731 von VIE nach Dubrovnik (DBV) am 03.06.2019, 12:50 Uhr bis 14:10 Uhr.

Der Flug OS 452 erreichte VIE erst um 12:41 Uhr, wodurch die Fluggäste den tatsächlich um 13:00 Uhr abgehenden Flug OS 731 verpassten. Sie wurden auf einen anderen Flug umgebucht, erreichten ihr Endziel DBV mit einer mehr als dreistündigen Verspätung und traten die der Klage zugrunde liegenden Forderungen an die Klägerin ab. Die Flugstrecke LHR-DUB umfasst eine Entfernung von mehr als 1.500 km.

Die Klägerin begehrte – offenbar gestützt auf Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) – den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 800,--. Sie bestritt, dass die Verspätung des Zubringerfluges auf außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 der VO zurückzuführen sei. Die Beklagte hätte allfällige ATC-Beschränkungen in LHR und VIE – zwei ständig überlastete Flughäfen – in ihrer Flugplanung berücksichtigen müssen. Zudem sei der Beklagten gemäß ihrem eigenen Vorbringen bereits um 6:41 Uhr bekannt gewesen, dass die Fluggäste ihren Anschlussflug in VIE versäumen werden. Sie habe aber nicht vorgebracht, was sie unternommen habe, um eine Verspätung der Fluggäste [an ihrem Endziel] zu vermeiden. So wäre es der Beklagten etwa möglich gewesen, die Fluggäste von LHR über München (MUC) bzw Zagreb (ZAG) nach DBV zu befördern, wo sie planmäßig um 15:55 Uhr bzw um 15:40 Uhr eingetroffen wären.

Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass der Grund für die Verspätung des Fluges OS 452 in einer Überlastung bzw in einem Mangel an Mitarbeitern der Flugsicherung und somit in kurzfristigen Einschränkungen durch die Flugsicherung in LHR (IATA-Delay-Code „ ATFM due to staff “) gelegen sei. Auf derartige Maßnahmen der Flugsicherung habe sie keinen Einfluss und sie könne sich auch nicht über diese hinwegsetzen. Diese Umstände hätten dazu geführt, dass es zu mehrfachen Verschiebungen des Abflugslots gekommen sei, womit der Flug erst mit zwölfminütiger Verspätung starten habe können. Der Verspätung des Fluges liege daher ein außergewöhnlicher Umstand [iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO] zugrunde. Durch die Umbuchung auf die nächstmögliche Flugverbindung von VIE über MUC nach DBV habe sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Fluggäste schnellstmöglich an ihr Endziel zu befördern.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt und verhielt die Beklagte zum Ersatz der Prozesskosten an die Klägerin. Es traf keine über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass das Bestreitungsvorbringen der Beklagten unschlüssig sei. Eine Überlastung der Flugsicherung stelle ein übliches Risiko eines Flugunternehmens dar und begründe daher keinen außergewöhnlichen Umstand. Die Fluggäste hätten daher Anspruch auf eine – an die Klägerin wirksam abgetretene – Ausgleichsleistung von jeweils EUR 400,--.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Berufungswerberin moniert, dass das Erstgericht in Anbetracht der Erwägungsgründe 14 und 15 1 * zur EU-FluggastVO dessen Art 5 Abs 3 unrichtig angewendet habe.

Als außergewöhnliche Umstände können Vorkommnisse angesehen werden, die [a] ihrer Natur und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und [b] von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ vorliegen müssen (stRsp des EuGH; zuletzt Urteile vom 26.06.2019 in der Rechtssache C 159/18 Moens und vom 11.06.2020 in der Rechtssache C 74/19 Transportes Aéreos Portugueses SA ).

Es mag sein, dass die Beklagte auf Anordnungen der Flugsicherung keinen Einfluss hat und sich über diese auch nicht hinwegsetzen kann. Insoweit sind diese Umstände für die Beklagte nicht beherrschbar. Es müssen aber – wie erwähnt – beide in der Rechtsprechung des EuGH genannten Kriterien für den außergewöhnlichen Umstand vorliegen. Das bedeutet, dass einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Fluges seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die bestenfalls ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich sind ( Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 17 Art 5 Rz 24 mwN; LG Korneuburg 22 R 212/20m; 22 R 299/20f uvm).

Wie das Berufungsgericht bereits vielfach – auch und insbesondere in Verfahren mit der hier beklagten Partei – festgehalten hat, stellt nicht jedwede Entscheidung des Flugverkehrsmanagements bereits per se einen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO dar, können doch den Anordnungen des Flugverkehrsmanagements derartig unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen, sodass ErwGr 15 entgegen seinem scheinbar umfassenden Verständnis einschränkend zu lesen ist. Die Beklagte muss sich daher grundsätzlich auch solche „Slot-Verschiebungen“ zurechnen lassen, die ihre Ursache in den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs haben (LG Korneuburg 22 R 6/16m, 22 R 75/20i, 22 R 87/20d, 22 R 173/20a uvm; BGH X ZR 146/11 ua).

Das Vorbringen der Beklagten beschränkte sich auf die Bekanntgabe eines IATA-Delay-Codes und einer allgemein gehaltenen Umschreibung („Überlastung bzw Mangel an Mitarbeitern der Flugsicherung“), die in keiner Weise erkennen lässt, inwiefern der Erteilung eines verspäteten Abflugslots ein außergewöhnlicher Umstand zugrunde gelegen haben könnte. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts sind Kapazitätsengpässe aufgrund von Überlastungen des Luftraums in der Regel Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens und bilden somit ein luftfahrttypisches Risiko. Sie stellen daher – mögen die damit einhergehenden Regulierungen des Luftraums ("Slot-Probleme") als hoheitliche Maßnahmen auch nicht für das Luftfahrtunternehmen beherrschbar sein – keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO dar (RKO0000010). Dieser Grundsatz ist sinngemäß auch auf personelle Überlastungen der Flugsicherung anzuwenden. Dementsprechend könnte etwa ein bloß „relativer Personalmangel“, der nur dadurch entsteht, dass das Luftverkehrsaufkommen außergewöhnlich hoch ist, nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden (LG Korneuburg 22 R 67/21y). Nähere Informationen zu den Gründen für „die Überlastung bzw den Mangel an Mitarbeitern der Flugsicherung“ enthält das Beklagtenvorbringen aber nicht. Damit ist das Erstgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte einen außergewöhnlichen Umstand nicht schlüssig behauptet hat.

Weiters meint die Berufungswerberin, dass das Erstgericht aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache nicht festgestellt habe, inwiefern sie zumutbare Maßnahmen getroffen habe, womit sie einen sogenannten sekundären Feststellungsmangel geltend macht. Die Berufung ist in diesem Punkt allerdings nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil die Berufungswerberin nicht konkret anführt, welche ergänzenden Feststellungen zu treffen gewesen wären. Abgesehen davon bedarf es einer Prüfung der zumutbaren Maßnahmen nicht, wenn schon ein außergewöhnlicher Umstand nicht nachgewiesen ist.

Da die Beklagte somit nicht darlegen konnte, dass die für das Verpassen des Anschlussfluges kausale Verspätung des Zubringerfluges ihre Ursache in außergewöhnlichen Umständen iSd Art 5 Abs 3 der VO hatte, hat das Erstgericht dem Klagebegehren schon aus diesem Grund zu Recht stattgegeben. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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