22R145/21k – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei M***** H***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B***** A***** Plc , vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 582,-- s.A., infolge Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 06.01.2020 [richtig: 06.01.2021], 1 C 362/20a-13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 175,70 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger buchte für sich sowie für M**** M***** unter der Buchungsreferenz ******* Tickets für die von der Beklagten durchzuführenden Flüge BA 697 am 10.05.2020 von Wien nach London und BA 704 am 21.05.2020 von London nach Wien. Er zahlte dafür insgesamt EUR 714,34. Der Preis setzt sich zusammen aus EUR 452,-- Flugpreis inklusive diverser Zuschläge, EUR 162,34 Steuern und EUR 100,-- Sitzplatzreservierung. Die Beklagte bestätigte die Buchung am 29.12.2019. Der Kläger stornierte die Flüge für sich und M***** M***** am 21.03.2020. Die Beklagte annullierte am 14.04.2020 den Flug BA 697 und am 21.04.2020 den Flug BA 704.
Mit der am 07.07.2020 beim BGHS Wien eingebrachten und in weiterer Folge dem Erstgericht überwiesenen Klage begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von EUR 582,-- samt 4% Zinsen seit 01.07.2020 aus dem Titel „Rückerstattung Ticketkosten“ und brachte vor, er habe sich nach Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO für die Rückerstattung der Flugscheinkosten entschieden und die Beklagte am 26.05.2020 und 02.06.2020 zur Zahlung aufgefordert. Die Beklagte habe eine Teilzahlung von EUR 132,34 geleistet. M***** M***** habe die Ansprüche auf Rückersatz der Ticketkosten an ihn abgetreten, er habe die Abtretung angenommen.
Mit vorbereitenden Schriftsatz vom 04.12.2020 (ON 10) brachte der Kläger vor, er habe sein werkvertragliches Recht in Anspruch genommen, die gebuchte Flugreise durch Stornierung nicht in Anspruch zu nehmen, ihm gebühre aufgrund der Beseitigung des Beförderungsvertrages mit Wirkung ex nunc die Rückzahlung des bevorschussten Beförderungsentgeltes gemäß § 1435 ABGB. Es werde ausdrücklich bestritten, dass die AGB/das Tarifsystem der Beklagten rechtsgültig vereinbart worden seien; auf die Beweislast der klagenden Partei [richtig: der Beklagten] werde hingewiesen. Die Vereinbarung eines nicht erstattbaren Tarifes sei gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und damit nichtig. Sollte er tatsächlich ein nicht erstattbares Ticket gebucht haben, wirke ein Ausschluss der Erstattungsmöglichkeit wie die Vereinbarung einer 100%-igen Stornogebühr. Nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB sei das vereinbarte Reuegeld zu mäßigen. Der Beklagten würden 5% Gewinnmarge vom Ticketpreis zugestanden. Für ein höheres Entgelt trage die Beklagte die Beweislast. Er sei Verbraucher, die Beklagte sei Unternehmerin iSd KschG. Nach § 27a KSchG treffe den Werkunternehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür, was er sich infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe. Die Beklagte habe kein ausreichendes Vorbringen erstattet, was sie sich infolge Unterbleibens der vertraglichen Leistungen erspart habe, obwohl sie dazu aufgefordert worden sei. Sie habe keine Rechnung nach § 1170 ABGB gelegt, sodass das geminderte Entgelt gemäß § 1168 ABGB noch nicht einmal fällig sei. Es sei davon auszugehen, dass sich die Beklagte die gesamten Kosten erspart habe. Beim Anspruch nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB handle es sich nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um einen gesetzlichen Anspruch. Mit der Stornierung sei der Rechtsgrund für die Leistungserbringung/Beförderung weggefallen, an dessen Stelle trete der gesetzliche Anspruch der Beklagten nach § 1168 ABGB. Mit Wegfall des Vertrages ende auch die Beförderungsverpflichtung der Beklagten. Es bestehe kein Grund mehr, vertragliche Leistungen – wie die Durchführung des Fluges – zu erbringen. Wenn die Beklagte aus anderen Gründen den Flug durchführe, so erfülle sie nicht eine vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Kläger, sondern verfolge damit ihr eigenes Geschäftsmodell oder erfülle Vertragsverpflichtungen gegenüber Dritten. Die Kosten des Fluges seien daher nicht in Ansatz zu bringen. Jedenfalls habe sich die Beklagte Steuern, Gebühren und Zuschläge erspart. Es werde bestritten, dass die Beklagte seinen Sitzplatz nicht doch verkauft und dafür Einnahmen lukriert habe. Die Rechtsgrundlage des Anspruchs des Passagiers sei § 1435 ABGB, die Rechtsgrundlage des Anspruches der Airline sei § 1168 ABGB.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, dass der Kläger im Zeitpunkt der Annullierung der Flüge keine bestätigte Buchung mehr gehabt habe. Ansprüche auf Erstattung oder anderweitige Beförderung nach Art 8 EU-FluggastVO würden nicht zur Anwendung kommen. Der Tarif des Klägers sei im Falle der Stornierung nicht erstattungsfähig. Bei diesem Tarif gebuchte Tickets seien kostengünstiger, weswegen die Passagiere beim Kauf der Tickets die mangelnde Erstattungsfähigkeit in Kauf nehmen würden. Dies bedeute, dass der Kläger durch die freiwillige Stornierung nur die Steuer rückerstattet bekommen habe. Diese Steuer habe EUR 162,34 betragen, wovon sie gemäß den vereinbarten Ticketbedingungen eine Bearbeitungsgebühr von EUR 30,-- abgezogen habe. Die Summe [richtig: die Differenz] von EUR 132,34 sei zur Auszahlung gekommen. Der Kläger habe den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Tarifbestimmungen enthalten würden, ausdrücklich zugestimmt, weil er ohne die Zustimmung die Tickets gar nicht hätte kaufen können. Der Ausschluss der Refundierbarkeit aufgrund der Tarifbestimmungen sei nicht gröblich benachteiligend und daher rechtmäßig. Die Beklagte habe die Flugtickets nicht weiter verkaufen können und sei daher nicht bereichert worden. Sie habe sich auch nichts erspart, weil die Fixkosten wie zum Beispiel Flugzeugstandplatz, Stammpersonal, Wartung, etc. trotzdem anfallen würden und mit den Ticketpreisen bezahlt seien. Die Beklagte habe sich daher nichts anzurechnen, weil sie nichts anderweitig verdient habe. Die Beweislast für den Anrechnungstatbestand treffe den Kläger als Werkbesteller. § 27a KSchG sehe keine Beweislastumkehr zugunsten des Bestellers vor. Gleichgültig sei auch, ob das Werk (die Beförderung) schon begonnen worden sei oder nicht bzw. ob die Werkherstellung unmöglich geworden sei oder nicht. Es sei daher irrelevant, ob der Flug nach dem Zeitpunkt der Stornierung annulliert worden sei.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und traf die auf Seiten 5 und 6 der Urteilsausfertigung ON 13 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; die Beilagen ./A und ./2 erklärte es zum integrierenden Bestandteil seines Urteiles (allerdings waren die Beilagen nicht der dem Berufungsgericht zur Verfügung gestellten Ausfertigung angeschlossen). In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht dass die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag abgeschlossen hätten, auf den die werkvertraglichen Bestimmungen der §§ 1165 ff ABGB anzuwenden seien. Unterbleibe die Ausführung des Werkes, so gebühre dem Unternehmer gleichwohl das vereinbarte Entgelt, wenn er zur Leistung bereit gewesen und durch Umstände, die auf Seite des Bestellers liegen würden, daran verhindert worden sei. Er müsse sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe. Bei dieser Norm handle es sich um eine dispositive Norm, der die speziellere (vertragliche) Regelung der Streitteile vorgehe. Der Kläger habe sich für Flugtickets mit einem nicht erstattbaren Tarif entschieden, diese seien billiger als jene, bei denen der gesamte Ticketpreis bei Stornierung rückerstattet werde. Die Anwendbarkeit des § 1168 ABGB sei abbedungen worden. Eine Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 3 ABGB könne im Ausschluss der Erstattung der gesamten Ticketkosten nicht erblickt werden, weil der Kläger im Gegenzug ein günstigeres Flugticket erhalte und der Rückersatz von Steuern und Gebühren auch für diese Tarifvariante ausdrücklich vorgesehen sei. Da die Anwendung des § 1168 ABGB rechtswirksam abbedungen worden sei, seien entsprechende Ausführungen zur Anrechenbarkeit von Ersparnissen infolge des Unterbleibens der Ausführung des Werkes hinfällig. Die Beklagte habe ihrer Verpflichtung, die von den Kunden für Steuern, Flughafengebühren und sonstige Gebühren, Zuschläge und Entgelte geschuldeten Beträge gesondert auszuweisen, entsprochen. Mangels festgestellter Verbrauchereigenschaft des Klägers sei ein Bearbeitungsentgelt von EUR 30,-- nicht unzulässig. Da verfahrensgegenständlich nur mehr die Rückerstattung des um die Bearbeitungsgebühr verminderten Ticketpreises inklusive Sitzplatzreservierungskosten gewesen seien, und die Beklagte entsprechend der rechtsgültigen vertraglichen Vereinbarung Steuern und Gebühren unter Abzug einer Bearbeitungsgebühr rückerstattet hätte, sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt die „Abweisung der Berufung“.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Der Berufungswerber wendet sich gegen die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass die Anwendbarkeit des § 1168 ABGB abbedungen worden sei, weshalb er den bezahlten Ticketpreis mit Ausnahme der Steuern nicht zurückverlangen könne, und bringt vor, durch die Abbedingung des § 1168 ABGB sei er nicht im Stande gewesen, den Vertrag durch einseitige Erklärung aufzuheben, sodass der Vertrag unverändert aufrecht bleibe und er seinen Anspruch auf vertragskonforme Luftbeförderung behalte. Seine Erklärung vom 21.03.2020, den Flug nicht antreten zu wollen, habe den Vertrag daher nicht aufheben können. Er habe daher auch über den 21.03.2020 hinaus eine bestätigte Buchung nach Art 2 lit a EU-FluggastVO gehabt. Er habe sich nach Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO für die Rückerstattung der Flugscheinkosten entschieden. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, die Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben worden sei, konkret EUR 714,34 abzüglich der Teilzahlung von EUR 132,34 binnen sieben Tagen an ihn rückzuerstatten.
Die Berufungsgegnerin hält dem entgegen, dass § 1168 ABGB dahingehend abbedungen worden sei, dass der Berufungswerber den bereits bezahlten Ticketpreis mit Ausnahme der Steuern und Gebühren nicht zurückverlangen könne. Aus keiner Feststellung des Erstgerichtes sei der Ausschluss der Stornierbarkeit zu entnehmen; vielmehr sei außer Streit gestellt, dass der Berufungswerber die Flüge storniert habe. Wäre ein Rücktritt komplett abbedungen worden, wäre auch die Erhebung einer Stornogebühr überflüssig.
Den Erwägungen des Berufungsgerichtes ist voranzustellen, dass der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren im Rahmen seiner Klage einen auf Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO gestützten Anspruch auf Rückerstattung der Flugscheinkosten geltend machte, jedoch in weiterer Folge mit seinem vorbereitenden Schriftsatz sein Vorbringen dahingehend abänderte, der Beförderungsvertrag sei mit Wirkung ex nunc beseitigt worden, und den Klagsanspruch auf Rückzahlung des bevorschussten Beförderungsentgeltes nach § 1435 ABGB stützte.
[1] zu § 1435 ABGB:
[1.1] Nur der Anspruch des Klägers nach § 1435 ABGB ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes. Im Rahmen der Berufung kehrt der Kläger wiederum zu seinen Erwägungen im Rahmen der Klage zurück und nimmt den Standpunkt ein, ihm stehe nach Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich EU-FluggastVO ein Anspruch auf Rückerstattung der Flugscheinkosten zu. Da der Berufungswerber sein Begehren im Berufungsverfahren nicht mehr auf den infolge ex nunc wirkender Auflösung des Werkvertrages resultierenden bereicherungsrechtlichen Anspruch nach § 1435 ABGB stützt, erübrigt es sich für das Berufungsgericht, auf diese Rechtsgrundlage detailliert einzugehen.
[1.2] Es ist unstrittig, dass der Kläger die „Stornierung“ der Buchungen für sich und seinen Mitreisenden vorgenommen und die Beklagte einen Teil der Flugscheinkosten, der sich nach dem von ihr vertretenen Standpunkt mit EUR 132,34 bemisst, auch zurückgezahlt hat. Diese Umstände wurden im erstinstanzlichen Verfahren von beiden Streitteilen übereinstimmend als „Stornierung des Fluges“ bezeichnet. Der Kläger trug im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich vor, dass durch seine Stornierung der Vertrag weggefallen sei, damit habe auch die Beförderungsverpflichtung der Beklagten geendet, es sei das Recht des Klägers auf Beförderung entfallen, es habe kein Grund mehr für die Beklagte bestanden, vertragliche Leistungen zu erbringen (Punkt IX.2. in ON 12). Das nunmehr in der Berufung erstattete Vorbringen, dass von einem aufrechten Vertrag zum Zeitpunkt der Annullierung ausgeht, widerspricht somit dem Neuerungsverbot.
[1.3] Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine Vertragsklausel, dass die nicht verbrauchten Steuern und Gebühren zu erstatten seien, Gegenstand der Entscheidung des BGH vom 20.03.2018, X ZR 25/17 (= RRa 2018, 180; kritisch Hopperdietzel RRa 2018, 206) waren (X ZR 25/17 Rn 2). Nach umfangreicher Abwägung der Interessen der Luftfahrtunternehmen einerseits und der Passagiere andererseits führte der BGH aus, dass es unter Berücksichtigung dieser typischen Gegebenheiten des Personenbeförderungsvertrages für sich genommen keine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes darstelle, weil für den Flugtarif durch Allgemeine Beförderungsbedingungen das freie Kündigungsrecht abbedungen werde (Rn 23). Wie das Berufungsgericht bereits aussprach (LG Korneuburg 02.05.2019, 21 R 167/19k), liegt in einem solchen Fall ein Verstoß gegen §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB nicht vor.
[2] zu Art 8 EU-FluggastrechteVO:
[2.1] Die Anwendbarkeit der EU-FluggastrechteVO setzt voraus, dass der Fluggast über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügt (Art 3 Abs 2 lit a EU-FluggastVO). Die Buchung wird als der Umstand definiert, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde (Art 2 lit g EU-FluggastVO). Der Flugschein wird wiederum als ein gültiges, einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründendes Dokument oder eine gleichwertige papierlose, auch elektronisch ausgestellte Berechtigung angesehen, das bzw. die von dem Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassenem Vermittler ausgegeben oder genehmigt wurde (Art 2 lit f EU-FluggastVO). Für den Flugschein ist entscheidend, dass jeder einzelne Flug entsprechend der im zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Fluggast geschlossenen Luftbeförderungsvertrag vereinbarten Bedingungen durchzuführen ist ( Hopperdietzel in Schmid , BeckOK FluggastrechteVO [18. Edition, Stand 01.04.2021] Art 2 Rz 40.1). Mit der bestätigten Buchung wird somit ein Anspruch auf Beförderungsleistung dokumentiert. Soweit ersichtlich, wird im deutschsprachigem Schrifttum nur von Schmid (aaO Art 3 Rz 34) erörtert, dass die bestätigte Buchung grundsätzlich im Zeitpunkt der Abfertigung vorliegen muss. Sie bleibt bestehen, solange der Beförderungsanspruch des Fluggastes aus dem Luftbeförderungsvertrag besteht und zu erfüllen ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Ansicht an. Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit der in Rede stehenden und vom Berufungswerber im Berufungsverfahren herangezogenen Rechtsgrundlage des Art 8 Abs 1 lit a erster Spiegelstrich.
[2.2] Die in Art 8 Abs 1 lit a genannten Unterstützungsleistungen beruhen auf einem Wahlrecht des Fluggastes. Der Fluggast hat die Wahl zwischen dem Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten oder einer (näher beschriebenen) anderweitigen Beförderung. Die Ausübung des Wahlrechtes im Sinne des in der genannten Bestimmung vorgesehenen Ersatzanspruches hätte vorausgesetzt, dass der Fluggast seinen Rücktritt vom Beförderungsvertrag erklärt (1 Ob 133/18t = SZ 2018/64 = RRa 2019, 138). Wählt der Fluggast die Möglichkeit der Flugkostenerstattung, wird der Luftbeförderungsvertrag im Ergebnis rückabgewickelt, soweit er noch nicht erfüllt ist bzw. soweit die Erfüllung des Luftbeförderungsvertrages ihren Zweck verfehlt hat. Eine „Wahl“ bedarf des Zuganges der ausdrücklichen Erklärung des Fluggastes, die im Ergebnis das ausführende Luftfahrtunternehmen aus seinen Pflichten entlässt, sich um eine anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder eine anderweitige Beförderung zum Endziel zu bemühen und diese darzustellen ( Degott aaO Art 8 Rz 7).
[2.3] Es geht es bei der Ausübung des Wahlrechtes darum, erkennen zu lassen, dass die Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag aufgegeben werden. Der Unionsgesetzgeber ging erkennbar davon aus, dass im Zeitpunkt der Annullierung (oder sonst einer Leistungsstörung, die als Rechtsfolge das Wahlrecht auf Erstattung der Flugscheinkosten vorsieht) ein Anspruch auf Beförderung des Fluggastes noch vorliegen muss, der Gegenstand des Wahlrechtes sein kann. Hingegen führt der Wegfall eines vertraglichen Anspruches auf die Beförderungsleistung dazu, dass der Fluggast nicht mehr über einen Flugschein verfügt, eine bestätigte Buchung nicht mehr vorliegt und somit insgesamt der Anwendungsbereich der EU-FluggastVO gar nicht eröffnet wird. Durch die Stornierung vor Annullierung hat sich der Kläger sämtlicher Ansprüche nach der EU-FluggastVO begeben. Insbesondere bestand das genannte Wahlrecht im Zeitpunkt der Annullierung des Fluges durch die Beklagte nicht mehr. Der in der Klage und in der Berufung geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten besteht daher nicht zu Recht.
[3] An diesem Ergebnis können auch die vom Berufungswerber vermissten Feststellungen nichts ändern. Unter dem Berufungsgrund der sekundären Feststellungsmängel begehrt der Berufungswerber die Feststellung, dass er über eine bestätigte Buchung für die Flüge verfügt und die Beklagte diese annulliert habe. Allerdings stehen die Daten der Flüge im erforderlichen Ausmaß außer Streit. Ob und zu welchem Zeitpunkt der Kläger über eine bestätigte Buchung verfügt habe, ist jedoch – vor dem Hintergrund der wechselseitigen Standpunkte – eine Rechtsfrage. Diese Rechtsfrage wurde aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über die Stornierbarkeit der Buchung von ihm und vom Berufungsgericht dahin gelöst, dass der gegenständliche Luftbeförderungsvertrag als stornierbar zu qualifizieren ist. Der vom Berufungswerber behauptete Ausschluss des sich aus § 1168 ABGB resultierenden Abbestellungsrechtes des Werkbestellers lässt sich wiederum mit den erstgerichtlichen Feststellungen nicht in Einklang bringen. Daher liegen keine sekundären Feststellungsmängel vor.
Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Am Kostenverzeichnis der Berufungsgegnerin war zunächst zu korrigieren, dass gemäß § 23 Abs 10 RATG nur der einfache Einheitssatz zusteht. Weiters verzeichnete die Berufungsgegnerin zu Unrecht 20 % Umsatzsteuer. Da die Berufungsgegnerin Unternehmerin mit jedenfalls einer Betriebsstätte in Deutschland ist, gilt die Vertretungsleistung der Beklagtenvertreterin gemäß § 3a Abs 6 UStG als an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt ( W. Doralt , Steuerrecht 2020, Tz 319, insbesondere das auf dem vorliegende Fall passende Beispiel 1). Die Leistung ist daher in Österreich nicht steuerbar. Ist die Höhe eines ausländischen Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt, kann die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (vgl. RS0114955), was gegenständlich jedoch nicht der Fall war. Es ist gerichtsbekannt, dass der deutsche Gesetzgeber als wirtschaftliche Begleitmaßnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Belastung der COVID-19-Pandemie eine Senkung der Umsatzsteuersätze vornahm. Die Höhe des im konkreten Fall für die von der Berufungsgegnerin erbrachte Leistung anzuwendenden modifizierten Steuersatzes ist nicht allgemein bekannt (konkreter Steuersatz, Geltungsdauer der Maßnahmen, etc) und wurde im Kostenverzeichnis auch weder behauptet noch bescheinigt. Die Kosten waren daher ohne Umsatzsteuer zuzusprechen (vgl. LG Korneuburg 21 R 168/20h, 22 R 301/20z).
Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.