JudikaturLG Korneuburg

22R230/20h – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
14. Januar 2021

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien [1] J***** P***** , [2] Q***** H***** , [3] M***** , alle vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die jeweils beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 500,-- sA und EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 26.05.2020, 20 C 870/19w 15, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen je ein Drittel der mit EUR 308,34 (darin EUR 51,39 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 408 von Lyon (LYS) nach Wien (VIE) am 24.08.2018, 19:55 Uhr bis 21:40 Uhr. Der unmittelbare Vorflug OS 407 von VIE nach LYS am selben Tag hatte die geplanten Flugzeiten 17:25 Uhr bis 19:10 Uhr. Für diesen Flug erteilte die Flugsicherung um 18:19 Uhr einen (um 2:11 Stunden verspäteten) Abflugslot für 19:36 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug OS 407 um 18:23 Uhr, was dazu führte, dass der Beklagten das Fluggerät nicht für den hier gegenständlichen Flug OS 408 in LYS zur Verfügung stand, sodass auch dieser Flug annulliert werden musste. Sämtliche Kläger wurden von der Beklagten erst am Folgetag an ihr jeweiliges Endziel VIE ersatzbefördert. Die Flugstrecke LYS – VIE übersteigt nicht 1.500 km.

Die Kläger begehrten den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 Abs 1 [lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von jeweils EUR 250,-- samt Zinsen. Dazu brachten sie im Wesentlichen vor, dass keine außergewöhnlichen Umstände [iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO], insbesondere keine für die Annullierung ursächliche Wettersituation, vorgelegen seien. Die Beklagte habe auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen; sie hätte den Flug mit geringer Verspätung durchführen können.

Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte (letztlich) im Wesentlichen vor, dass die Annullierung des Vorfluges OS 407 der Wettersituation bzw den damit verbundenen Anordnungen der Flugsicherung in VIE geschuldet gewesen sei. Aufgrund starker Gewitter und Cumulonimbus-Wolken sei in VIE die Anflugrate (von üblicherweise 46-48 Anflüge pro Stunde auf zunächst 30 und ab 18:00 Uhr auf 38 Anflüge pro Stunde) reduziert worden. Es sei aufgrund der zuvor eingetretenen Ratenreduktion zu erwarten gewesen, dass der Flughafen VIE nicht sofort wieder in den Normalbetrieb übergehen werde können, weil erst der bereits eingetretene Rückstau abgearbeitet werden habe müssen. Da daher der Abflug von OS 407 nicht mehr sichergestellt gewesen sei, habe sie – auch um ein Zusammenbrechen ihres Flugplans zu verhindern – die Rotation OS 407/408 annullieren müssen. Der Einsatz eines Ersatzflugzeuges für die Durchführung des gegenständlichen Fluges sei nicht möglich bzw nicht zumutbar gewesen, weil ein von ihrer Homebase VIE einzufliegendes Ersatzfahrzeug von denselben Restriktionen [wie das für den Flug OS 407 vorgesehene Fluggerät] betroffen gewesen wäre. Im Übrigen wäre die Umbuchung auf irgendeinen anderen Flug als zumutbare Maßnahme ausreichend gewesen.

Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte – nicht hinsichtlich der einzelnen Kläger aufgeschlüsselt – zur Zahlung von EUR 750,-- samt Zinsen an die Kläger sowie zum Ersatz der Prozesskosten. Es traf traf keine über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst Folgendes aus: Gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO gebühre bei Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von weniger [ richtig: nicht mehr] als 1.500 km eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 250,--. Gemäß Art 5 Abs 3 der VO könne sich das ausführende Luftfahrtunternehmen vom Ausgleichsanspruch befreien, wenn es nachweise, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ein außergewöhnlicher Umstand sei ein Vorkommnis, dass seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sei und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sei. Ob Maßnahmen der Flugsicherung einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, müsse immer anhand des Einzelfalls geprüft werden. Allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss auf die Entscheidung der Flugsicherung habe – was lediglich die Frage der Beherrschbarkeit betreffe – reiche nicht aus, um einen außergewöhnlichen Umstand zu begründen. Wetterverhältnisse, die ein sicheres An- oder Abfliegen nicht erlauben, könnten zu außergewöhnlichen Umständen führen. Das Vorbringen der Beklagten zum behaupteten Gewitter sei aber in örtlicher wie auch in zeitlicher Hinsicht zu unpräzise gewesen, um beurteilen zu können, ob es sich bei diesem Wetterphänomen tatsächlich um ein so außergewöhnliches gehandelt habe, dass es als außergewöhnlicher Umstand iSd Art 5 Abs 3 der VO angesehen werden könne. Abgesehen davon habe die Beklagte kein konkretes Vorbringen erstattet, das die Beurteilung zuließe, dass sie sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung der Rotation OS 407/408 ergriffen hätte. Im vorliegenden Fall hätte es die naheliegendste Maßnahme dargestellt, nach Zuteilung des um 2:11 Stunden verspäteten Abflugslots für den Flug OS 407 zuzuwarten und beide Flüge verspätet durchzuführen. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, welcher andere Flug annulliert werden hätte müssen, wenn sie die gegenständliche Rotation nicht gestrichen hätte. Auch das Vorbringen zum möglichen Einsatz eines Ersatzflugzeuges sei ungenügend.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

[a] Die Berufungswerberin beanstandet zunächst die Ansicht des Erstgerichts, dass das Vorbringen zum Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes unzureichend gewesen sei. Die exakte Lokalisierung eines Gewitters sei nicht möglich und ebenso wie die Frage der Dauer des Gewitters oder der technischen Daten des Fluggeräts nicht maßgeblich, weil die im konkreten Fall vorherrschenden Gewitterwolken und die sich daraus ergebenden regulatorischen Entscheidungen der Flugsicherung jedes Fluggerät beeinträchtigt hätten.

Damit weist die Berufungswerberin zutreffend darauf hin, dass es – um vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands ausgehen zu können – nicht unbedingt darauf ankommt, dass die widrigen Wetterbedingungen die Durchführung eines Fluges aus technischer Sicht undurchführbar machen. Es genügt, wenn die Undurchführbarkeit des Fluges auf Anordnungen der Flugsicherung zurückzuführen ist, der Flug also aus rechtlich-administrativer Sicht nicht durchführbar ist. Voraussetzung ist allerdings stets, dass in diesen Fällen die Anordnung der Flugsicherung das Resultat widriger Wetterbedingungen ist, die aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen (22 R 224/20a).

Ob dies hier der Fall war, kann allerdings dahingestellt bleiben, weil jedenfalls das Vorbringen der Beklagten zu den zumutbaren Maßnahmen unzureichend geblieben ist.

[b] In diesem Zusammenhang moniert die Berufungswerberin die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass ihr ein Zuwarten zumutbar gewesen wäre, um den Flug OS 407 sodann verspätet durchzuführen. Sie habe dazu nämlich vorgebracht, dass sie die Annullierungsentscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen habe, in dem sie anhand von Erfahrungswerten davon ausgehen habe können, dass sich der Abflugslot weiter verschlechtern werde. Würde sie stets zuwarten, bis – etwa eine dreistündige – Verspätung vorliege, so würde dies eine Kettenreaktion auf den Flugplan im Hinblick auf Flugverspätungen und Annullierungen auslösen und damit wiederum Passagiere anderer Flüge mit derartigen Ereignissen konfrontieren. In einem solchen Fall könnte ihr von den Fluggästen nachfolgender Flüge vorgeworfen werden, nicht vorausschauend agiert sondern das Zusammenbrechen des Flugplans sehenden Auges in Kauf genommen zu haben.

Den Ausführungen der Berufungswerberin ist insoweit beizupflichten, als ein Luftfahrtfahrtunternehmen alle der Situation angemessenen Maßnahmen zu ergreifen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Maßnahmen einsetzt, um zu vermeiden, dass das Vorkommnis zur Annullierung oder großen Verspätung des betroffenen Fluges führt, ohne dass jedoch von ihm angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer verlangt werden können (EuGH C 501/17 Pauels Rn 31).

In diesem Sinne verkennt das Berufungsgericht keineswegs, dass ein Luftfahrtfahrtunternehmen vor der Situation stehen kann, in der absehbar ist, dass aufgrund des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände die Durchführung aller mit demselben Fluggerät vorgesehenen Flüge an diesem Tag zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich sein wird, und es dadurch mit der Entscheidung konfrontiert wird, entweder Änderungen in seinem Flugplan vorzunehmen oder nicht einzugreifen und den Lauf der Dinge abzuwarten. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Fluggerät im Flugumlaufverfahren eingesetzt wird. Bei Flugzeugen, die auf Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt werden, sind mehrere Umläufe an demselben Tag üblich, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Flugzeugs zu ermöglichen. Die EU-FluggastVO setzt diese wie andere übliche wirtschaftliche und technische Gegebenheiten des Luftverkehrs voraus und will sie weder unterbinden noch steuern (BGH X ZR 121/13; LG Korneuburg 22 R 119/20k ua).

Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich jedoch hinreichend deutlich ableiten, dass die zumutbaren Maßnahmen iSd Art 5 Abs 3 der VO auf drei Ebenen zu prüfen sind, von denen eine die Maßnahmen zur Vermeidung einer aus einem außergewöhnlichen Umstand resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung) umfasst (EuGH C-501/17 Germanwings/Pauels Rn 31; C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses Rn 57; LG Korneuburg 21 R 375/19y, 22 R 69/19f). Diese Kategorie der zumutbaren Maßnahmen stellt also auf die Durchbrechung bzw Vermeidung eines Kausalzusammenhangs zwischen einem eingetretenen außergewöhnlichen Umstand und der Annullierung (bzw einer großen Verspätung) ab (RKO0000014).

Auch die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise nach dem Aufbauen einer Rotationsverspätung aufgrund eines außergewöhnlichen Umstands hat sich daher stets am Kriterium der Zumutbarkeit, wie sie in der Entscheidung des EuGH C-501/17 Germanwings/Pauels zum Ausdruck kommt, zu orientieren. Trifft das Luftfahrtfahrtunternehmen also wie im vorliegenden Fall die Entscheidung, einen Flug, für den es über einen – wenn auch verspäteten – Abflugslot verfügt, vorsorglich zu annullieren, hat es im Streitfall auch darzulegen, aus welchen konkreten Gründen eine andere Vorgangsweise als diese Annullierung ihr (noch) weniger zumutbar gewesen wäre.

Die Berufungswerberin argumentiert, die Annullierungsentscheidung sei sogar geboten, um das Zusammenbrechen des Flugplans zu verhindern. Dem ist entgegenzuhalten, dass es die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren verabsäumt hat, den weiteren Flugplan dem Gericht auch nur ansatzweise darzulegen. Insbesondere fehlt Vorbringen dazu, dass und auf welcher Strecke und zu welchen Zeiten das Fluggerät, das für die Rotation OS 407/408 vorgesehen war, in weiterer Folge noch hätte eingesetzt werden sollen, (wobei schon angesichts der Planankunft des Fluges OS 408 um 21:40 Uhr in VIE dem ersten Anschein nach eine weitere Rotation an diesem Tag unwahrscheinlich ist). Soweit sich die Beklagte auf Prognosen aufgrund von Erfahrungswerten stützt, wurden diese weder dem Erstgericht noch dem Berufungsgericht zur inhaltlichen Überprüfung zugänglich gemacht. Der Sachverhaltsvortrag der Beklagten lässt somit auch nicht erkennen, welche konkreten nachteiligen Folgen eine verspätete Durchführung des gegenständlichen Fluges (bzw der gegenständlichen Rotation OS 407/408) voraussichtlich gehabt hätte, sodass nicht beurteilt werden kann, ob die verspätete Durchführung der Beklagten weniger zumutbar gewesen wäre als die Annullierung unter voraussichtlich pünktlicher Abwicklung der Folgerotation(en).

Zusammengefasst könnte die Maßnahme der Aufrechterhaltung der Rotation OS 407/408 nur dann als nicht zumutbar angesehen werden, wenn sie der Beklagten weniger zumutbar gewesen wäre als die Annullierung dieser Rotation, wozu die Beklagte aber kein hinreichendes Vorbringen erstattet hat.

Letztlich hat die Beklagte also den Kausalzusammenhang zwischen den allenfalls einen außergewöhnlichen Umstand darstellenden Wetterbedingungen und den Restriktionen der Flugsicherung als deren unmittelbare Folge nicht darlegen können bzw blieb das Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen zur Durchbrechung des Kausalzusammenhangs zwischen außergewöhnlichem Umstand und Annullierung unzureichend.

Damit war auch der Berufung ein Erfolg zu versagen, ohne dass auf die weiteren der Beklagten vom Erstgericht angelasteten Versäumnisse eingegangen werden müsste.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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