22R224/20a – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien [1] mj L***** T***** , [2] mj V***** T***** , vertreten durch E***** T*****, ebendort, als gesetzlichen Vertreter (20 C 935/19d), [3] f***** GmbH (20 C 884/19d), alle vertreten durch Dr Friederike Wallentin-Hermann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** AG , vertreten durch Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien, wegen [1] EUR 250,-- sA, [2] EUR 250,-- sA, [3] EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 29.05.2020, 20 C 935/19d 11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien je ein Drittel der mit EUR 322,24 (darin EUR 53,71 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Erst- und die Zweitklägerin sowie der Fluggast A***** B***** ( im Folgenden nur: „die Fluggäste“) verfügten über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 410 von Paris (CDG) nach Wien (VIE) am 07.07.2019, 17:55 Uhr bis 19:55 Uhr.
Die Beklagte erhielt für diesen Flug um 15:30 Uhr einen Abflugslot für 19:39 Uhr. Dennoch annullierte die Beklagte den Flug um 17:58 Uhr. Die Fluggäste wurden am Folgetag ersatzbefördert und erreichten ihr Endziel daher mit deutlich mehr als dreistündiger Verspätung.
A***** B***** trat ihren Ausgleichsanspruch aus der Annullierung des gegenständlichen Fluges an die Klägerin ab, und diese nahm die Abtretung an.
Die Kläger begehrten den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß [Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von jeweils EUR 250,-- samt Zinsen. Dazu brachten sie im Wesentlichen vor, dass keine außergewöhnlichen Umstände [iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO], insbesondere keine für die Annullierung ursächliche Wettersituation, vorgelegen seien. Die Beklagte habe auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen getroffen; sie hätte den Flug – selbst wenn es zunächst wetterbedingt zu Verzögerungen gekommen wäre – verspätet durchführen können.
Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass die Annullierung der Wettersituation bzw den damit verbundenen Anordnungen der Flugsicherung in VIE geschuldet gewesen sei. Aufgrund starker Winde und Regen, insbesondere der damit verbundenen Notwendigkeit des Umfliegens von permanenten Gewitterwolken habe die Flugsicherung die Anflugrate von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr von 46-48/h auf 20/h reduziert, was zu [einer Verschiebung von] Ankunfts- und Abflugslots von zwei Stunden und mehr geführt habe. Die Wettersituation und die damit verbundenen Einschränkungen durch die Flugsicherung seien ungewöhnlich bzw in diesem Ausmaß weder plan- noch beeinflussbar gewesen. Trotz des für 19:39 Uhr erhaltenen Slots sei ihr keine andere Möglichkeit verblieben, als den Flug (wie auch den Flug OS 419 von VIE nach CDG) zu annullieren, um ein Zusammenbrechen des Flugplans zu verhindern. Der Einsatz eines Ersatzfluggeräts, das erst von VIE nach CDG verbracht werden hätte müssen, wäre ihr nicht zumutbar gewesen. Sie habe die Fluggäste auf den nächstmöglichen gleichwertigen Verbindungen umgebucht.
Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 750,-- samt Zinsen – undifferenziert – an „die Kläger“ sowie zum Ersatz der Prozesskosten. Es traf keine über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht – zusammengefasst – aus: Gemäß Art 5 Abs 1 lit c iVm Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO gebühre bei Annullierung eines Fluges über eine Entfernung von weniger ( richtig: nicht mehr) als 1.500 km eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 250,--. Gemäß Art 5 Abs 3 der VO könne sich das ausführende Luftfahrtunternehmen vom Ausgleichsanspruch befreien, wenn es nachweise, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ungünstige Wetterbedingungen könnten zwar prinzipiell außergewöhnliche Umstände begründen; die Beklagte habe aber nicht dargetan, inwieweit die wetterbedingte Reduzierung der Anflugrate für die Annullierung des gegenständlichen Fluges überhaupt relevant gewesen sei. Hätte die Beklagte den Flug mit dem vergebenen Slot durchgeführt, hätte jener um 21:39 Uhr in VIE ankommen können. Die Beklagte habe auch kein ausreichendes Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen erstattet, indem sie nicht dargetan habe, welche Maßnahmen sie gesetzt habe bzw nicht setzen habe können, um die Annullierung zu vermeiden; letztlich wäre es das Naheliegendste gewesen, den Flug einfach verspätet duchzuführen. Die Beklagte habe den Flug offenbar aus betriebswirtschaftlichen Gründen annulliert. Auch zum möglichen Einsatz eines Ersatzflugzeugs habe die Beklagte nur widersprüchliches oder nicht ausreichendes Vorbringen erstattet.
(Sofern das Erstgericht zwar keine Feststellungen trifft, in der rechtlichen Beurteilung aber beweiswürdigende Ausführungen zu den von der Beklagten vorgelegten Urkunden macht, ist darauf nicht einzugehen.)
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Die Berufungswerberin moniert in Bezug auf das Vorliegen allfälliger außergewöhnlicher Umstände zunächst zusammengefasst, dass das Erstgericht ihr Vorbringen zu den Wetterverhältnissen unrichtig interpretiert und zu Unrecht als nicht ausreichend bzw widersprüchlich qualifiziert habe. In diesem Zusammenhang verweist sie zwar zutreffend darauf, dass sie sich im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht darauf berufen habe, dass das eingesetzte Fluggerät wegen der operationalen Limits den Flug aufgrund der Wetterphänomene nicht durchführen hätte können, legt aber nicht dar, welche weiteren Schlussfolgerungen daraus zu ziehen wären.
Es ist daher an die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts zu erinnern, dass als außergewöhnliche Umstände Vorkommnisse angesehen werden können, die [a] ihrer Natur und Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens und [b] von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ vorliegen müssen (EuGH C-159/18 Moens ; C-74/19 Transportes Aéros Portugueses SA; Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 15 Art 5 Rz 24; LG Korneuburg 22 R 149/20x uvm). Es mag zutreffen, dass das Luftfahrtunternehmen die behördliche Anordnung einer Slot-Reduktion hinzunehmen hat; insoweit ist das Vorkommnis nicht beherrschbar. Dies lässt aber die Frage unberührt, ob das Vorkommnis seiner Natur und Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist (LG Korneuburg 22 R 114/20z uvm). Sind die Anordnungen der Flugsicherung auf widrige Wetterbedingungen zurückzuführen, kommt es darauf an, ob diese selbst unter Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO zu subsumieren sind. Sie stellen vor allem dann einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn sie aus den üblichen zu erwartenden Abläufen des Luftverkehrs herausragen, wobei von außergewöhnlich widrigen Wetterbedingungen idR erst dann auszugehen ist, wenn diese geeignet waren, den Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen (vgl LG Korneuburg 21 R 343/19t).
[b] Darauf, ob dies hier der Fall war, kommt es aber schon deshalb nicht an, weil die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt hat, aus welchem Grund die Annullierung des gegenständlichen Fluges überhaupt erforderlich geworden sei; oder anders formuliert: falls die wetter- bedingten Anordnungen der Flugsicherung tatsächlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellten, lägen keine ausreichenden Behauptungen zu einem allfälligen Kausal- zusammenhang zwischen außergewöhnlichem Umstand und Annullierung vor.
Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich nunmehr hinreichend deutlich ableiten, dass die zumutbaren Maßnahmen iSd Art 5 Abs 3 der VO in drei Kategorien einzuteilen sind, von denen eine die Maßnahmen zur Vermeidung einer aus einem außergewöhnlichen Umstand resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung) umfasst (EuGH C-501/17 Germanwings/Pauels Rn 31; C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses Rn 57; LG Korneuburg 21 R 375/19y, 22 R 69/19f). Diese Kategorie der zumutbaren Maßnahmen stellt also auf die Durchbrechung bzw Vermeidung eines Kausalzusammenhangs zwischen einem eingetretenen außergewöhnlichen Umstand und der Annullierung (bzw einer großen Verspätung) ab (RKO0000014).
In diesem Punkt hat sich die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren allein auf die erforderliche Verhinderung des „Zusammenbrechens des Flugplans“ gestützt, ohne dieses Vorbringen weiter zu konkretisieren. Die vertiefenden Ausführungen dazu in der Berufung verstoßen daher gegen das Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 ZPO); so hat die Beklagte weder vorgebracht, dass absehbar gewesen sei, dass der Flug an diesem Tag überhaupt nicht mehr durchgeführt werden könne, noch, dass die Unterlassung der Annullierung zu einer „Kettenreaktion“ geführt hätte.
In diesem Sinne verkennt das Berufungsgericht keineswegs, dass ein Luftfahrtfahrtunternehmen vor der Situation stehen kann, in der absehbar ist, dass aufgrund des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände die Durchführung aller mit demselben Fluggerät vorgesehenen Flüge an diesem Tag zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich sein wird, und es dadurch mit der Entscheidung konfrontiert wird, entweder Änderungen in seinem Flugplan vorzunehmen oder nicht einzugreifen und den Lauf der Dinge abzuwarten. Auch die Entscheidung über die weitere Vorgangsweise nach dem Aufbauen einer Rotationsverspätung aufgrund eines außergewöhnlichen Umstands hat sich daher stets am Kriterium der Zumutbarkeit, wie sie in der Entscheidung des EuGH C-501/17 Germanwings/Pauels zum Ausdruck kommt, zu orientieren. Trifft das Luftfahrtfahrtunternehmen also wie im vorliegenden Fall die Entscheidung, einen Flug, für den es über einen – wenn auch verspäteten – Abflugslot verfügt, vorsorglich zu annullieren, hat es im Streitfall auch darzulegen, aus welchen konkreten Gründen eine andere Vorgangsweise als diese Annullierung ihr (noch) weniger zumutbar gewesen wäre (RKO0000017). Die Beklagte hat es aber im erst- instanzlichen Verfahren verabsäumt, den weiteren Flugplan dem Gericht auch nur ansatzweise darzulegen. Insbesondere fehlt Vorbringen dazu, dass und auf welcher Strecke und zu welchen Zeiten das Fluggerät, das für den Flug OS 410 vorgesehen war, in weiterer Folge noch hätte eingesetzt werden sollen. Der Sachverhaltsvortrag der Beklagten lässt somit auch nicht erkennen, welche konkreten nachteiligen Folgen eine verspätete Durchführung des gegenständlichen Fluges (bzw der Rotation OS 410 / OS 419) voraussichtlich gehabt hätte, sodass nicht beurteilt werden kann, ob die verspätete Durchführung der Beklagten weniger zumutbar gewesen wäre als die Annullierung unter voraussichtlich pünktlicher Abwicklung der Folgerota-tion(en).
Letztlich hat also die Beklagte den Kausalzusammenhang zwischen den allenfalls einen außergewöhnlichen Umstand darstellenden Wetterbedingungen und der Restriktionen der Flugsicherung als deren unmittelbare Folge nicht nachweisen können bzw blieb das Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen zur Durchbrechung des Kausalzusammenhangs zwischen außergewöhnlichem Umstand und Annullierung unzureichend rudimentär.
Abschließend ist auf den vom Erstgericht vermissten Sachverhaltsvortrag zum Einsatz einer Ersatzmaschine (ev durch Subcharter) einzugehen. Die Überstellung oder Anmietung einer Ersatzmaschine kann nur in jenen Situationen eine – sinnvolle – zumutbare Maßnahme darstellen, in denen die Durchführung des Fluges daran scheitert, dass dem Luftfahrtfahrtunternehmen ein Fluggerät am Abflugort nicht zur Verfügung steht (vgl die vom Erstgericht zitierte Entscheidung des Berufungsgerichts zu 21 R 145/19z). Dies war hier aber offenbar nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.