22R237/20p – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch die Richter Mag. Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag. Jarec, LL.M. und Mag. Rak in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Ltd , vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** A***** , vertreten durch Brenner Klemm Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 250,-- s.A. , infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schwechat vom 31.07.2020, 23 C 1549/19w-10, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 146,90 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreter zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Passagierin B***** D***** verfügte über eine bestätigte Buchung für nachfolgende Flüge, die Gegenstand einer einheitlichen Buchung bei der Beklagten waren:
- OS 420 ab Paris 20.05.2019, 07:20 Uhr, an Wien 20.05.2019, 09:20 Uhr, und
- OS 713 ab Wien 20.05.2019, 10:00 Uhr, an Budapest 20.05.2019, 10:50 Uhr.
Die tatsächlichen Flugzeiten des Fluges OS 420 waren: ab Paris 20.05.2019, 07:25 Uhr, an Wien 20.05.2019, 09:39 Uhr. Die Beklagte annullierte den Flug OS 713 und beförderte die Passagierin mit dem Bus von Wien nach Budapest. Die Passagierin erreichte ihr Endziel mit einer mehr als dreistündigen Verspätung. Die Flugstrecke von Wien nach Budapest beträgt nach der Großkreisberechnung weniger als 1.500 km. Die Passagierin trat ihre Ansprüche wider die Beklagte an die Klägerin ab, die Klägerin nahm diese Abtretung an.
Mit der beim Erstgericht am 30.08.2019 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von EUR 250,-- (ohne Zinsen) und brachte vor, der Flug sei annulliert worden, der Passagierin stehe gemäß Art 7 EU-FluggastVO eine Entschädigung von EUR 250,-- zu. Außergewöhnliche Umstände würden nicht vorliegen. Die Beklagte habe es überdies unterlassen, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Fluggast an sein Endziel zu befördern. Die Beklagte habe keinen Ersatzflug oder eine gleichwertige Beförderung angeboten und stattdessen den Fluggast zwei Stunden später mit einem Bus befördert, der über drei Stunden und dreißig Minuten gebraucht habe.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, der Zubringerflug sei verspätet gewesen. Aufgrund von Restriktionen der Flugsicherung sei er um fünf Minuten verspätet in Paris gestartet und sei während des Fluges weitere 14 Minuten verspätet gewesen. Die eingetretene Verspätung von 19 Minuten sei ausschließlich der Slotreduktion durch die Flugsicherung gemäß IATA-Delay-Code 81 geschuldet. Die vorliegenden wetterbedingten Slotreduktionen seien weder ungewöhnlich bzw. in diesem Ausmaß weder plan-, noch beeinflussbar. Kapazitätsbedingte Einschränkungen durch die Flugsicherungen seien außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO. Die Minimum-Connecting-Time am Flughafen Wien-Schwechat betrage bei Verbindungen von OS auf OS 25 Minuten. Die Beklagte habe im konkreten Fall 40 Minuten Umsteigezeit vorgesehen. Aufgrund der slotbedingten verspäteten Ankunft des Zubringerfluges sei die MCT aufgrund des planmäßigen Abfluges des Anschlussfluges unterschritten worden. Das Fluggerät, mit dem der Anschlussflug hätte durchgeführt werden sollen, habe technische Probleme gehabt, der Flug habe annulliert werden müssen. Die Passagierin hätte den Anschlussflug auch nicht erreicht, wenn dieser nicht annulliert worden wäre. Eine frühere Verbindung als der Bodentransfer noch am selben Tag sei nicht zur Verfügung gestanden.
Die Klägerin replizierte, dass geringfügige Einschränkungen in den Morgenstunden von gerade einmal 19 Minuten keinesfalls außergewöhnlich seien. Dass der Fluggast den Flug ohnehin nicht erreicht hätte, beruhe auf einem Planungsfehler der Beklagten.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, traf die auf Seite 3 der Urteilsausfertigung ON 10 ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, und folgerte in rechtlicher Hinsicht, dass gemäß Art 5 Abs 1 lit c EU-FluggastVO bei Annullierungen eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art 7 eingeräumt werde. Art 7 Abs 1 lit a EU-FluggastVO bestimme die Höhe der Ausgleichsleistung bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger mit EUR 250,--. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien die Art 5 bis 7 EU-FluggastVO dahingehend auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt würden und somit den in Art 7 vorgesehenen Ausgleichsanspruch ebenfalls geltend machen könnten, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden würden. Im konkreten Fall seien die Restriktionen der Flugsicherung auf Kapazitätsengpässe zurückzuführen, was regelmäßig vorkomme. Es handle sich daher um ein typisches und dem üblichen Flugbetrieb zuordenbares sowie vorhersehbares Risiko. Der Argumentation der Beklagten, dass die Passagierin den aufgrund eines technischen Gebrechens annullierten Flug ohnehin nicht hätte erreichen können, sei nicht zu folgen, zumal nach Durchführung des Beweisverfahrens offen bleiben habe müssen, inwiefern es dem Fluggast nicht noch möglich gewesen wäre – zumindest mit einer allfälligen Unterstützung seitens der Beklagten – ihren Anschlussflug doch noch zu erreichen. Ein Bustransfer könne nur in begrenzten Ausnahmefällen und nur hinsichtlich ganz kurzer Strecken als gleichwertig angesehen werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Zunächst zeigt die Berufungswerberin die jüngste Rechtsprechung des erkennenden Senates zum Thema Kapazitätsprobleme auf und stellt sie unter anderem der Entscheidung des Berufungsgerichtes vom 24.10.2019, 21 R 273/19y gegenüber.
Abgesehen davon dass der erkennende Senat mittlerweile den Rechtssatz gebildet hat, dass Kapazitätsengpässe aufgrund von Überlastungen des Luftraums in der Regel Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens sind und somit ein luftfahrttypisches Risiko bilden, sie daher - mögen die damit einhergehenden Regulierungen des Luftraums als hoheitliche Maßnahmen auch nicht für das Luftfahrtunternehmen beherrschbar sein - keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO darstellen (RKO0000010), liegen sämtlichen in diesem Zusammenhang abgehandelten Sachverhalten (große) Ankunftsverspätungen am Endziel zu Grunde. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr annullierte die Beklagte den Anschlussflug der Passagierin. Der EuGH macht in seinem Urteil vom 13.10.2011, C-83/10 Sousa Rodríguez u.a. deutlich, dass allein die individuelle Situation jedes auf diese Weise beförderten Fluggastes maßgeblich ist; das heißt der Umstand, dass in Bezug auf den betreffenden Fluggast die ursprüngliche Planung des Fluges aufgegeben wurde (Rn 31). Das Berufungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 23.08.2018, 21 R 222/18x bejaht, dass im Fall einer Annullierung einer Teilstrecke eines aus mehreren Segmenten zusammengesetzten Fluges insgesamt der Flug als annulliert zu werten ist.
Da sohin die Flugverbindung des Fluggastes jedenfalls annulliert wurde, ohne dass die Beklagte behauptet hätte, dass der Entfall des Anschlussfluges auf außergewöhnlichen Umständen iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO beruht habe, ist es gänzlich irrelevant, ob sich die Beklagte hinsichtlich der Verspätung des Zubringerfluges auf solche Umstände berufen könnte.
Im Ergebnis hat sich die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zurecht auf die Leistungsstörung der Annullierung berufen, sodass der Berufung nicht Folge zu geben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO.