22R152/20p – LG Korneuburg Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Parteien [1] E***** C***** , [2] W***** C***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei A***** AG , vertreten durch MMag Christoph Krones, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 500,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 10.03.2020, 20 C 847/19p 11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen je die Hälfte der mit EUR 231,67 (darin EUR 38,61 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin zu ersetzen.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchzuführenden Flug OS 174 von Hamburg (HAM) nach Wien (VIE) am 25.08.2018, 15:15 Uhr bis 16:45 Uhr. Der Flug wurde an diesem Tag annulliert. Die Kläger wurden von der Beklagten auf eine Flugverbindung von HAM über Frankfurt (FRA) und Stuttgart (STR) nach VIE mit der planmäßigen Ankunft am Endziel am 26.08.2018, 11:50 Uhr, umgebucht. Die Flugstrecke HAM - VIE beträgt weniger als 1.500 km.
Die Kläger begehrten den Zuspruch einer Ausgleichsleistung gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 Abs 1 [lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-FluggastVO) von jeweils EUR 250,-- samt Zinsen. Dazu brachten sie im Wesentlichen vor, dass ihnen keine Umbuchung auf eine Flugverbindung im zeitlichen Rahmen des Art 5 Abs 1 lit c [Nr iii] EU-FluggastVO angeboten worden sei. Es seien auch keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO vorgelegen; es werde bestritten, dass ein Vogelschlag Ursache für die Annullierung gewesen sei. Die Beklagte habe auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen, ua zur Vermeidung des allenfalls eingetretenen außergewöhnlichen Umstands (zB Aufmalen einer „Weißen Wendel“ am Triebwerk) getroffen.
Die Beklagte begehrte die Klagsabweisung, bestritt und brachte im Wesentlichen vor, dass die Annullierung ihre Ursache in einer auf dem unmittelbaren, um 13:10 Uhr in HAM gelandeten Vorflug OS 173 geschehenen Kollision mit einem Vogel gehabt habe, was zur Beschädigung einer Tragfläche der auch für den gegenständlichen Flug vorgesehenen Maschine (OE-LXD) geführt habe. Sie habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ( hier gemeint: zur Vermeidung des Vogelschlags) ergriffen, indem sie – im einzelnen näher beschriebene – Vogelvergrämungsmaßnahmen mit dem Flug-hafenbetreiber besprochen und abgeklärt habe. Darüber hinaus seien auf ihren Flugzeugen Landelichter und „Weiße Wendeln“ angebracht, die dazu beitragen würden, Vögel fernzuhalten. Der Vogelschlag habe eine sowohl vom Hersteller des Luftfahrzeugs als auch von ihr als Luftfahrtfahrtunternehmen vorgesehene Sicherheitsüberprüfung zur Folge gehabt, die den gesamten weiteren Tag beansprucht hätte. Nach der Überprüfung des Schadens sei die Maschine außer Dienst gestellt und ohne Passagiere nach VIE überstellt worden, wo ihre Techniker die notwendigen Reparaturen durchgeführt hätten, weil die Reparaturen nicht vor Ort, sondern nur am Heimatflughafen durchgeführt werden hätten können. Die Durchführung des Fluges mit Passagieren hätte ein zu großes Sicherheitsrisiko dargestellt. Sie habe alle Passagiere des Fluges OS 174 „kurz nach“ dem Vogelschlag über „die zutreffenden und notwendigen Maßnahmen sowie von der zu erwartenden Annullierung bzw Umbuchung“ informiert. Es wäre ihr auch nicht möglich gewesen, ein Ersatzflugzeug nach HAM zu überstellen. Die Annullierung des Fluges sei damit nicht zu vermeiden gewesen. Sie habe die Kläger schließlich auf die schnellstmögliche Verbindung nach VIE umgebucht.
Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung einer Ausgleichsleistung von insgesamt EUR 500,-- samt Zinsen sowie zum Ersatz der Prozesskosten an die Kläger. Es traf keine über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen, und führte in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst aus:
Gemäß Art 5 Abs 1 lit a Fluggastrechte-VO werde bei Annullierungen eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistung gemäß Art 7 EU-FluggastVO eingeräumt, die gemäß Art 7 Abs 1 lit a der VO bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger EUR 250,-- betrage. Die Ausgleichsleistung sei nach Art 5 Abs 3 der VO jedoch nicht zu leisten, wenn das Luftfahrtunternehmen behaupte und nachweise, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Entsprechend der Substantiierungstheorie obliege es dem behauptungspflichtigen Luftfahrtfahrtunternehmen seinen Einwendungen ein konkretes Tatsachenvorbringen zugrunde zu legen, wofür es notwendig sei, konkrete auf den jeweiligen Flug bezogene, überprüfbare und entscheidungswesentliche Tatsachen vorzubringen. Die behaupteten Vorkommnisse seien genau und überprüfbar zu beschreiben; andernfalls liege eine Behauptungslücke vor.
Es beurteilte zunächst – gestützt auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-315/15 – die Kollision des Flugzeugs mit einem Vogel als außergewöhnlichen Umstand iSd des Art 5 Abs 3 der VO.
Allerdings habe die Beklagte trotz Erörterung kein ausreichendes Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen erstattet. Berufe sich ein Luftfahrtunternehmen auf einen außergewöhnlichen Umstand, müsse es auch vorbringen und beweisen, dass es unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel versucht habe, die Annullierung oder Verspätung zu vermeiden, und warum es ihr nicht möglich gewesen sei, unter Berücksichtigung seiner Kapazitäten diese Mittel einzusetzen. Das Vorbringen müsse so beschaffen sein, dass das Gericht situationsbedingt beurteilen könne, ob das betroffene Luftfahrtunternehmen auf technischer und administrativer Ebene in der Lage gewesen sei, direkt oder indirekt Vorkehrungen zu treffen, die geeignet waren, die Folgen der Annullierung oder großen Verspätung zu verringern oder zu vermeiden. Es bedürfe somit in zeitlicher, örtlicher und technischer Hinsicht eines konkreten und substantiierten Vorbringens des Luftfahrtunternehmens. Da von einer flexiblen, vom Einzelfall abhängigen Bedeutung des Begriffs „zumutbare Maßnahme“ auszugehen sei, sei es von besonderer Wichtigkeit, dass der Sachverhalt konkret dargelegt werde. Dem Luftfahrtunternehmen könne zwar nicht abverlangt werden, Vorbringen zu jeder entferntesten auch nur denkmöglichen Maßnahme zu erstatten; vorzutragen seien aber Prozess- behauptungen zu Maßnahmen, die sich auch bei eingeschränkten Kenntnissen des Flugverkehrs geradezu aufdrängen oder bei lebensnaher Betrachtung in Erwägung gezogen werden müssen. Das Luftfahrtunternehmen müsse vortragen, aus welchen Gründen solche naheliegenden Maßnahmen nicht möglich gewesen seien. Vorliegend habe die Beklagte keine konkreten auf den Einzelfall abstellende Behauptungen aufgestellt, wann sie welche Maßnahmen gesetzt habe, oder aus welchen Gründen sie solche nicht habe setzen können, um die Annullierung des Fluges OS 174 zu vermeiden. Sie habe nicht überprüfbar dargelegt, wann sie die jeweiligen Schritte konkret veranlasst bzw gesetzt habe. Werde ein durch einen Vogelschlag beschädigtes Flugzeug erst nach einer Zeitspanne, die erheblich über jener liege, die für eine Reparatur notwendig und üblich sei, wieder zum Einsatz bereitgestellt, müsse das Luftfahrtunternehmen auch darlegen, warum eine frühere Beendigung der Reparatur und Bereitstellung des Flugzeuges nicht möglich gewesen sei, und warum weitere Maßnahmen, die sich allenfalls angeboten haben, um eine frühere Reparatur sicherzustellen, nicht ergriffen worden seien. Der pauschale Vortrag, diese Maßnahmen hätten den ganzen weiteren Tag beansprucht, sei keine genaue und überprüfbare Darstellung der Geschehnisse, weil daraus in zeitlicher Hinsicht nicht ableitbar ist, wann die jeweils vorgebrachten einzelnen Schritte von der Beklagten veranlasst worden seien. Sie habe auch kein ausreichendes Vorbringen zu dem Umstand erstattet, warum die Maschine nicht durch einen Techniker vor Ort in HAM repariert werden habe können. Es sei bekannt, dass es im Luftverkehr üblich sei, dass auf Flughäfen, an denen das Luftfahrtunternehmen selbst keine Basis habe, auf ortsansässige Techniker zurückgegriffen werde. Wenn ein Luftfahrtunternehmen aber aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen keinerlei Vorsorge dafür treffe, liege es in seiner Risikosphäre, wenn es im Fall eines Ausfalls des Fluggeräts spontan keine Abhilfe schaffen könne. Der Einsatz von ortsansässigen Technikern bzw der Abschluss dahingehender Abkommen zwischen den Fluggesellschaften sei auch als eine zumutbare Maßnahme anzusehen, um eine Annullierung oder große Verspätung zu vermeiden. Wann die Beklagte sodann in Kenntnis der Reparaturbedürftigkeit des Flugzeugs welche Schritte tatsächlich unternommen habe, um die Durchführung des Fluges OS 174 mit einer Abflugzeit um 15:15 Uhr oder auch allfällig mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden sicherzustellen, habe sie nicht ausreichend dargelegt. Dabei sei zu beachten, dass sie schon ab dem behaupteten Vogelschlag um 13:10 Uhr damit rechnen habe müssen, dass der Folgeflug eine Verspätung erleiden werde. Sie habe auch kein ausreichendes Vorbringen zum möglichen Einsatz eines Ersatzflugzeugs – allenfalls im Wege eines Subcharters – erstattet. Sie habe nicht dargelegt, wie viele Ersatzflugzeuge am gegenständlichen Flugtag tatsächlich bereit gestanden seien, wo sich diese befunden hätten, in welchem Verhältnis [deren Anzahl] zur [Größe der] gesamten Flotte gestanden sei, und warum keines der Ersatzflugzeuge zur Verfügung gestellt werden habe können; bzw ob und wann sie bei welcher Fluglinien konkret nach der Möglichkeit eines Subcharters angefragt habe und welche Antworten sie erhalten habe. Da die Tatbestandsvoraussetzungen für den Ausgleichsanspruch der Kläger erfüllt seien, und die Beklagte sich von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung nicht befreien habe können, sei dem Klagebegehren stattzugeben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger beantragen der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
[A] Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Berufungswerberin, dass das Erstgericht den von ihr zum Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands und des Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen beantragten Zeugen Lukas Sebastian Ulses nicht vernommen habe.
Dazu ist die Berufungswerberin zunächst auf § 501 ZPO zu verweisen, wonach das Urteil nur wegen Nichtigkeit und einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache angefochten werden kann, wenn der Streitgegenstand – so wie hier – EUR 2.700,-- nicht übersteigt. Allfällige Verfahrensmängel des Erstgerichts, die nicht die Qualität eines Nichtigkeitsgrundes erreichen, können daher vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen werden.
Ungeachtet dessen war die Einvernahme des Zeugen nicht erforderlich, weil das Erstgericht einerseits ohnehin – zutreffend – vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstand ausgegangen ist, und andererseits eine Zeugenaussage nicht geeignet gewesen wäre, das lückenhafte Vorbringen der Beklagten zum Ergreifen zumutbarer Maßnahmen zu sanieren, worauf schon das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat, und wozu auf die folgende Behandlung der Rechtsrüge verwiesen wird.
[B] In ihrer Rechtsrüge wendet sich die Berufungswerberin gegen die vom Erstgericht vertretene Ansicht, dass ihr Vorbingen zu den zumutbaren Maßnahmen unzureichend gewesen sei. Sie habe die Vorkommnisse genau und überprüfbar beschrieben und damit den Sachverhalt klar nachvollziehbar dargelegt. Bei ihrem Vorbringen handle es sich – insbesondere in Verbindung mit den von ihr vorgelegten Urkunden – nicht bloß um eine ungefähre, illustrative Darstellung. Das Erstgericht wäre verhalten gewesen, aufgrund ihres ausreichenden Sachverhaltsvortrags sowie des darauf aufbauenden Beweisverfahrens Feststellungen zu den von ihr ergriffenen zumutbaren Maßnahmen zu treffen.
[a] Vorweg ist festzuhalten, dass aus den von den Parteien vorgelegten Urkunden allenfalls ersichtliche Tatsachen die erforderlichen Prozessbehauptungen grundsätzlich nicht ersetzen können (RS0037915; vgl RS0038037 [T7]; RS0001252 [T12]; zu den sachgerechten Ausnahmen vgl RS0037420). Urkunden sind in erster Linie Beweismittel, sodass sich die Frage der Verwertbarkeit der ihnen zu entnehmenden Inhalte erst dann stellt, wenn ein ausreichend konkretisierter Sachverhalt behauptetet wurde, den es in der Folge zu beweisen gilt. Es ist aber nicht Aufgabe des Erstgerichts, das fehlende Parteienvorbringen durch von ihm erst zu ermittelnde Urkundeninhalte zu ergänzen oder zu präzisieren (vgl RS0001252 [T12]).
[b] Wie schon das Erstgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Berufungsgerichts dargelegt hat, kann dem beklagten Luftfahrunternehmen zwar nicht abverlangt werden, Vorbringen zu jeder entferntesten auch nur denkmöglichen Maßnahme zu erstatten; es sind jedoch Prozessbehauptungen zu Maßnahmen zu erstatten, die sich geradezu aufdrängen oder die zumindest bei lebensnaher Betrachtung in Erwägung gezogen werden müssen (LG Korneuburg 22 R 69/19f, 21 R 76/19b, 22 R 61/20f, 22 R 88/20a ua) oder zu denen die Klagsseite substantiiertes (!) Vorbringen erstattet hat (LG Korneuburg 22 R 119/20k).
Um überprüfen zu können, welche zumutbaren Maßnahmen nach den genannten Kriterien im Einzelfall überhaupt in Betracht zu ziehen sind, bedarf es aber eines – vor allem auch im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe – konkreten Tatsachenvorbringens. Dies resultiert vor allem aus dem Umstand, dass der Begriff der „zumutbaren Maßnahmen“ per se zu wenig determiniert ist, als sich daraus allein noch nicht ergibt, worauf die zumutbare Maßnahme gerichtet sein muss. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich nunmehr hinreichend deutlich ableiten, dass die Maßnahmen in drei Kategorien einzuteilen sind:
[1] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst (EuGH C-549/07 Wallentin-Hermann , C 315/15 Pešková u Peška );
[2] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw einer großen Verspätung; EuGH C 501/17 Germanwings/Pauels; C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses Rn 57; LG Korneuburg 21 R 375/19y, 22 R 69/19f; Schmid in BeckOK, Fluggastrechte-VO 15 Art 5 Rz 139; zu eng, weil nur auf die Vermeidung des außergewöhnlichen Umstandes abstellend: Bosch/Lorz NZV 2013, 105, 108; Maruhn in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-VO Art 5 Rz 30); und
[3] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung für den einzelnen Fluggast (EuGH C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses Rn 58 ff; LG Korneuburg 22 R 83/20s).
Da Ursachen, Natur und Ausprägung der außergewöhnlichen Umstände äußerst unterschiedlich sein können (vgl Überblick bei Schmid in BeckOK, Fluggastrechte-VO 15 Art 5 Rz 37-135), können auch zu den auf ihre Vermeidung gerichteten zumutbaren Maßnahmen ( erste Kategorie ) kaum allgemeine Aussagen getroffen werden, zumal auch außergewöhnliche Umstände denkbar sind, die etwa aufgrund ihrer Unvorhersehbarkeit als schlicht unabwendbar angesehen werden müssen, sodass allenfalls wirksame Präventionsmaßnahmen – uU auch bloß in Anbetracht des administrativen, personellen und wirtschaftlichen Aufwands – grundsätzlich als unzumutbar angesehen werden müssen.
Die zweite Kategorie der zumutbaren Maßnahmen stellt auf die Durchbrechung bzw Vermeidung eines Kausal- zusammenhangs zwischen einem eingetretenen außergewöhnlichen Umstand und der Annullierung – bzw einer zumindest dreistündigen („großen“) Verspätung am Endziel (EuGH C 402/07 Sturgeon/Condor ) – ab; während
die zumutbaren Maßnahmen der dritten Kategorie in jenen Fällen zu prüfen sind, in denen die Annullierung (bzw große Verspätung) eingetreten ist, wobei das Ergreifen solcher Maßnahmen mitunter auch schon vor dem tatsächlichen Eintritt der Annullierung (oder großen Verspätung) geboten sein kann (EuGH C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses Rn 59; Jarec in RRa 2020, Heft 5 [in Druck]); dies folgt schon daraus, dass es im Belieben des Luftfahrtunternehmens steht, wann es den – mitunter bereits erheblich abflugverspäteten – Flug förmlich annulliert, sodass nicht allein auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden kann. In den allermeisten Fällen wird eine zumutbare Maßnahme der dritten Kategorie allein in einer Ersatzbeförderung des Fluggastes liegen können, an die der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung zu C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses (Rn 59 f) erstmals in aller Deutlichkeit strenge Anforderungen gestellt hat (vgl Jarec aaO).
Ob ein Vorbringen so weit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, bzw wie weit ein bestimmtes Vorbringen einer
Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalles (RS0042828 [T9]). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:
[1] Zu den Maßnahmen der ersten Kategorie hat die Beklagte einerseits vorgebracht, dass sie mit dem Flug-hafenbetreiber in HAM Absprachen im Hinblick auf Vogelvergrämungsmaßnahmen getroffen habe, und auf dem Flugzeug „Weiße Wendeln“ angebracht gewesen seien. Damit hat die Beklagte nach Ansicht des erkennenden Senats hinreichend dargelegt, dass sie alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Eintritts des außergewöhnlichen Umstands (Beschädigung des Flugzeugs durch Vogelschlag) ergriffen hat. Da sich die Kollision mit einem Vogel grundsätzlich als schicksalhaftes Ereignis darstellt, zumal einerseits eine Einflussnahme auf Vogelflugrouten und andererseits ein spontanes Ausweichmanöver durch den Piloten wohl nur in äußerst beschränktem Ausmaß möglich ist, ist nicht erkennbar, welche weiteren Maßnahmen zur Vermeidung von Kollisionen mit Vögeln und daraus entstehenden Schäden einem Luftfahrtunternehmen zu Gebote stehen könnten. Auch die Kläger haben weder vor dem Erstgericht noch in ihrer Berufungsbeantwortung das von Beklagten verabsäumte Ergreifen weiterer zumutbarer Maßnahmen zur Vermeidung des außergewöhnlichen Umstands aufgezeigt.
Abgesehen davon, dass mittlerweile gerichtsbekannt ist, dass in Fachkreisen umstritten ist, ob „Weiße Wendeln“ überhaupt ein taugliches Mittel zur Vermeidung eines Vogelschlags darstellen, sind die Ausführungen in der Berufungsbeantwortung, die Beklagte habe an ihrem Flugzeug keine „Weißen Wendeln“ angebracht, schon deshalb unbeachtlich, weil die Beklagte das Gegenteil behauptet, das Erstgericht dazu jedoch keine Feststellungen getroffen hat.
[2] Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Erstgericht in seiner Ansicht, die Beklagte habe kein ausreichendes Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen erstattet, allerdings beizupflichten, zumal der Sachverhaltsvortrag der Beklagten insofern zu unpräzise ist, als er nicht erkennen lässt, welche zumutbaren Maßnahmen in Anbetracht des konkreten Geschehensablaufs überhaupt in Betracht gekommen wären.
So würde etwa die Anmietung eines Ersatzflugzeugs, die gerichtsbekannt aufgrund des damit verbundenen organisatorischen und administrativen Aufwands eine nicht unbeträchtliche Vorlaufzeit in Anspruch nimmt, dann keine zumutbare Maßnahme mehr darstellen, wenn die Fluggäste ihr Endziel voraussichtlich ohnehin früher im Wege einer Ersatzbeförderung erreichen.
Das Erstgericht listet eine Vielzahl an denkbaren Maßnahmen auf, zu denen die Beklagte kein oder nur zu unbestimmtes Vorbringen erstattet hat. Dass diese Aufzählung als ausufernd und überschießend erscheinen mag, liegt aber in erster Linie an der – vor allem in zeitlicher Hinsicht – allzu kursorischen Darstellung der Geschehnisse ab der Landung des Vorfluges OS 173 um 13:10 Uhr in HAM.
So wäre es für die Prüfung, welche Maßnahmen im vorliegenden Fall zumutbar gewesen wären, vor allem erforderlich gewesen, darzustellen, wann für die Beklagte erkennbar war, dass der Flug annulliert werden wird müssen – entweder weil das Flugzeug schon aus technischen Gründen an diesem Tag keinesfalls mehr einsatzfähig gewesen wäre, oder weil die für die technische Überprüfung des Fluggeräts erforderliche Dauer aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen (Arbeitszeitbeschränkungen der Crew, Nachtflugverbot) eine Durchführung des Fluges unmöglich machen werde. Dieser Zeitpunkt ist auch nicht zwangsläufig mit dem der Beendigung der technischen Überprüfung (nach dem unpräzisen Vorbringen der Beklagten offenbar irgendwann in den späten Abendstunden) gleichzusetzen.
Zusammengefasst ist es also der Beklagten selbst zuzuschreiben, dass sich das Spektrum der theoretisch denkbaren zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung des gegenständlichen Fluges nicht auf die im konkreten Fall zielführenden eingrenzen lässt.
[3] Die eben dargestellten Erwägungen haben aber auch für die Frage, ob die Beklagte – vor allem im Lichte der Entscheidung EuGH C-74/19 Transportes Aéreos Portugueses – alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Folgen der Annullierung für die Fluggäste ergriffen hat, Bedeutung.
Die Beklagte hat zwar vorgebracht, dass sie die Kläger auf die frühestmögliche Flugverbindung an ihr Endziel umgebucht hat. Daraus lässt sich aber nicht erkennen, ausgehend von welchem Zeitpunkt (des Vogelschlags; des Erkennens des Schadens; der Erkennbarkeit, dass der Flug annulliert werden wird müssen; der tatsächlichen Annullierung; der Entscheidung, die Fluggäste umzubuchen?) es sich um die frühestmögliche Ersatzbeförderung handelte.
Da die Beklagte aber kein Vorbringen dazu erstattet hat, zu welchen Zeiten die oben in Klammern angeführten Ereignisse stattgefunden haben, wäre auch nicht beurteilbar, ob sie die Kläger tatsächlich auf die frühestmögliche – rechtlich gebotene! - Ersatzbeförderung umgebucht hat.
Das Erstgericht ist daher im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der von der für die anspruchsvernichtenden Tatsachen behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten vorgetragene Sachverhalt die rechtliche Beurteilung, dass sie alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung bzw der nachteiligen Folgen derselben für die Kläger ergriffen hat, nicht zulässt. Der anspruchsvernichtende Sachverhalt ist daher nicht ausreichend konkret behauptet worden.
Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.