JudikaturLG Korneuburg

22R71/20a – LG Korneuburg Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2020

Kopf

Im Namen der Republik

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht hat durch seine Richter Mag Iglseder als Vorsitzenden sowie Mag Rak und Mag Jarec LLM in der Rechtssache der klagenden Partei J***** G***** , vertreten durch Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei E***** GmbH , vertreten durch Vlpianvs, Rechtsanwälte in Düsseldorf (Einvernehmensanwälte: Brenner Klemm, Rechtsanwälte in Wien) wegen EUR 250,-- sA, infolge Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 23.10.2019, 21 C 625/19y 17, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 176,28 (darin EUR 29,38 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu Handen der Klagevertreterin ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchgeführten Flug EW 5833 am 27.07.2018, 20:00 Uhr bis 23:05 Uhr von London-Stansted (STN) nach Wien (VIE). Der Flug verspätete sich derart, dass sie VIE erst um 04:15 Uhr des Folgetags erreichte. Die Entfernung STN-VIE beträgt nach der Großkreisberechnung weniger als 1.500 km.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch einer Ausgleichsleistung von EUR 250,-- samt Zinsen gemäß Art 5 [Abs 1 lit c] iVm Art 7 Abs 2 [richtig: Abs 1 lit a] der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (EU-FluggastVO). Die Verspätung sei auf allein von der Beklagten zu vertretende Umstände zurückzuführen. Außergewöhnliche Umstände iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO seien nicht vorgelegen; allenfalls habe die Beklagte auch nicht alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung getroffen.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung, bestritt und brachte vor, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei, die sich auch durch zumutbare Maßnahmen nicht vermeiden habe lassen. Für den gegenständlichen Flug hätte das Fluggerät des Vorfluges (EW 5832, VIE-STN) eingesetzt werden sollen. Der Vorflug hätte um 18:00 Uhr in VIE starten und um 19:15 Uhr in STN landen sollen. Seit dem späten Nachmittag habe über dem Flughafen STN ein sehr starkes Gewitter geherrscht, das sowohl die Sicht als auch den Pistenzustand beeinträchtigt habe; der Flugbetrieb habe zwischenzeitlich eingestellt werden müssen. Die Sicht sei unterhalb des erforderlichen Minimums gelegen. Zudem hätten starke variable Winde mit Böengeschwindigkeiten von 22 kn geherrscht. Starke und insbesondere variablen Winde würden dazu führen, dass der Wind nicht mehr konstant und gleichmäßig auf die Flüge einblase, wodurch ein mögliches plötzliches Absacken nicht mehr kontrolliert werden könne. Eine Durchführung des EW 5832 sei daher nicht zu verantworten gewesen. Aufgrund der Stärke des Gewitters sei der gesamte Flugbetrieb am Flughafen STN nicht mehr planmäßig durchführbar gewesen. Erst nach Besserung der Wetter-situation habe der Vorflug und danach auch der gegenständlichen Flug durchgeführt werden können. Weiters machte die Beklagte allgemeine Ausführungen zu METARs (Météoroligique Aviation Régulière) und brachte letztlich vor, dass sie die „Annullierung“ nicht durch zumutbare Maßnahmen verhindern habe können; es sei ihr keine andere Möglichkeit verblieben, als die Besserung der Wetter-bedingungen abzuwarten.

Mit dem angefochtenen Urteil verhielt das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 250,-- samt Zinsen an die Klägerin sowie zum Ersatz der Prozesskosten. Es traf keine über den unstrittigen Sachverhalt hinausgehenden Tatsachenfeststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst Folgendes aus: Gewitter würden grundsätzlich zu den Vorkommnissen zählen, die häufig auftreten und mit denen ein Luftfahrtunternehmen zu rechnen habe. Sie stellten keinen außergewöhnlichen Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO dar, weil auch unvermeidbare Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Fluges, die nicht auf den üblichen und erwartbaren Abläufen des Flugverkehrs herausragen, der Risikosphäre eines Luftfahrtunternehmens zugeordnet werden. Die Beklagte habe lediglich pauschales Vorbringen erstattet, das eine Beurteilung, ob ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen sei, nicht zulasse. Auch das Vorbringen zu allfälligen zumutbaren Maßnahmen sei zu wenig konkret geblieben, wobei zu beachten sei, dass der allfällige außergewöhnliche Umstand bereits den Vorflug betroffen habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird beantragt, den Europäischen Gerichtshof im Zuge eines Vorabentscheidungsverfahrens mit den Fragen zu befassen, ob – vereinfacht dargestellt – [1] die aufgrund vorherrschender Wetterverhältnisse vorliegende Unmöglichkeit des Vorflugs am Abflugort des gegenständlichen Fluges zu landen, einen außergewöhnlichen Umstand begründen könne; und [2] ein über dem Flughafen herrschendes Gewitter, das aufgrund nicht ausreichender Sichthöhe und variabler Winde die Gefahr eines unkontrollierten Aufschlagens auf der Landebahn in sich berge, einen außergewöhnlichen Umstand begründe.

Die Klägerin beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Aus systematischen Gründen folgt das Berufungsgericht bei der Darstellung der Berufungsargumente nicht der von der Berufungswerberin gewählten Reihenfolge.

[a] Die Berufungswerberin wendet sich gegen die Rechts-ansicht des Erstgerichts, wonach Gewitter grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand begründen können.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts, dass widrige Wetterbedingungen nicht per se einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, für sich allein also noch nicht als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, jedoch letztlich zu solchen führen können (so schon 22 R 34/15b uvm); dies entspricht auch der weitgehend einhelligen Rechtsprechung anderer Unions- gerichte (vgl Übersicht bei Schmid in BeckOK FluggastrechteVO 14 Art Rz 56). Gewitter können daher nur dann zu außergewöhnlichen Umständen führen, wenn sie aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen ( Schmid aaO Rz 57). Insofern ist die vom Erstgericht dargelegte Rechtsansicht, dass Gewitter grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, nicht zu beanstanden.

[b] Aufgrund der oben dargestellten Grundsätze zur Qualifikation widriger Wetterbedingungen als Indiz für einen außergewöhnlichen Umstand bedarf es daher eines konkreten Vortrags des beweisbelasteten ( Schmid aaO Rz 176; Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht 8 § 40 Rz 42) beklagten Luftfahrtunternehmens, in dem der im konkreten Einzelfall bestehende Kausalzusammenhang zwischen den widrigen Wetterbedingungen und der (vorläufigen) Undurchführbarkeit des (Vor-)Fluges schlüssig dargestellt wird.

Dieser Obliegenheit ist die Beklagte im vorliegenden Fall aber nur mangelhaft nachgekommen. Dazu kann im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts verwiesen werden, denen die Berufungswerberin nichts Stichhältiges entgegenzusetzen hat (§ 500a ZPO).

Eine Windgeschwindigkeit von 22 kn entspricht knapp 41 km/h oder einer Windstärke am Übergang von 5 zu 6 auf der Beaufort-Skala („frische Brise“/“starker Wind“). Warum eine Landung bei Windspitzen in dieser Größenordnung nicht möglich sein soll, hat die Beklagte nicht dargelegt, ist doch gerichtsbekannt, dass die Möglichkeit ein Flugzeug bei Wind gefahrlos zu landen überwiegend einerseits von der Bauart des Flugzeuges, andererseits von der Windrichtung im Verhältnis zur Flugrichtung abhängt. Zu beidem fehlt Vorbringen der Beklagten.

Um weiters das zeitliche Ausmaß einer allfälligen Einschränkung des Luftverkehrs beurteilen zu können, wäre es erforderlich gewesen darzulegen, zu welchem Zeitpunkt die Beklagte über welche konkreten Wetterinformationen verfügt hat, auf die sie ihre Entscheidung, erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt von VIE in Richtung STN zu starten, gegründet hat.

Dem vorgetragenen Sachverhalt lässt sich also insbesondere nicht entnehmen, welche Erwägungen der – nicht erheblich verspäteten – Durchführung des Fluges angesichts der Wettermeldungen entgegenstanden: beruhte die vorläufige Nichtdurchführung also etwa auf den Herstellerangaben für das eingesetzte Fluggerät, auf allgemeinen, von den Dispatchern der Beklagten bekannten Erfahrungssätzen, auf der Einschätzung des Piloten oder auf anderen Faktoren? Ohne die Feststellung dieser Umstände ist eine Beurteilung, ob die Beklagte den Vorflug insofern früher hätte durchführen können, als der gegenständliche Flug mit weniger als dreistündiger Verspätung das Endziel hätte erreichen können, nicht möglich.

Zusammengefasst lässt sich also dem Vortrag der Beklagten weder entnehmen, ob überhaupt Wetterbedingungen vorherrschten, welche die Durchführung des Vorfluges für sie (vorläufig) unmöglich gemacht habe oder diese zumindest unverantwortlich gewesen wäre; noch lässt sich das zeitliche Ausmaß der Einschränkungen ermessen.

Verfehlt ist die Ansicht der Berufungswerberin, wonach es Aufgabe des Erstgerichts gewesen wäre, die maßgeblichen Umstände erst im Zuge des Beweisverfahrens zu erheben. Nach den Grundsätzen der österreichischen Zivilprozessordnung können Beweisergebnisse fehlendes Vorbringen nicht ersetzen (RS0037915, RS0038037, RS0043157). Auch wenn der Berufungswerberin zuzugestehen ist, dass das Vorbringen nicht in allen nur denkmöglichen Details erstattet werden muss, so fehlt es im vorliegenden Fall dennoch an einem Aufzeigen, [1] welche Umstände die widrigen Wetterbedingungen zu einem Ereignis gemacht haben, das aus den üblichen und erwartbaren Verhältnissen des Luftverkehrs herausragt, und vor allem [2] in welchem Zeitraum diese Wetterbedingungen [3] welche konkreten Auswirkungen auf die Durchführung des Vorfluges und damit auch des gegenständlichen Fluges hatten.

[c] Sofern die Berufungswerberin argumentiert, dass das Erstgericht seine Anleitungspflicht verletzt und ihr keine Gelegenheit gegeben habe, ihren Vortrag zu ergänzen, ist einerseits darauf hinzuweisen, dass in Verfahren mit einem EUR 2.700,-- nicht übersteigenden Streitwert Verfahrensmängel vom Berufungsgericht nicht aufgegriffen werden können (§ 501 ZPO); andererseits ist auf das Protokoll der Tagsatzung vom 17.10.2019 zu verweisen, wonach das Erstgericht das Sachvorbringen mit den Parteien in rechtlicher Hinsicht erörtert und auf das für eine Entlastung der Beklagten unzureichende Vorbringen hingewiesen, die Beklagte daraufhin aber kein weiteres Vorbringen erstattet hat.

[d] Weiters argumentiert die Berufungswerberin ausführlich, dass die Rechtsansicht des Erstgerichts unrichtig sei, wonach außergewöhnliche Umstände, die nicht den streitgegenständlichen Flug sondern den Vorflug betreffen, grundsätzlich nicht nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO entlasten könnten.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass das Erstgericht diese Auffassung nicht vertreten hat. Es hat lediglich im Rahmen der Darlegung, dass auch das Vorbringen zu den allfällig erforderlichen zumutbaren Maßnahmen nicht ausreichend sei, darauf hingewiesen, dass der außergewöhnliche Umstand bereits den Vorflug betroffen habe, und damit offenbar gemeint, dass zumutbare Maßnahmen umso eher zu ergreifen seien, als der außergewöhnliche Umstand nicht erst den gegenständlichen Flug betroffen habe.

Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Berufungsgerichts, wonach die Qualifikation eines Ereignisses als außergewöhnlicher Umstand iSd Art 5 Abs 3 EU-Fluggast-VO nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil das Ereignis bereits früher als am unmittelbaren Vorflug aufgetreten ist (RKO0000008); dass aber die Anforderungen an die dem Luftfahrtunternehmen zumutbaren Maßnahmen umso strenger zu beurteilen sein werden, je weniger zwingend der Kausalzusammenhang und je größer die zeitliche Distanz zwischen dem außergewöhnlichen Umstand und der drohenden Annullierung oder Verspätung des zu beurteilenden Fluges ist (LG Korneuburg 22 R 69/19f, 22 R 40/20m).

Dem kommt aber im vorliegenden Zusammenhang ohnehin keine Bedeutung mehr zu, weil das Erstgericht – wie oben aufgezeigt – schon das Vorbringen der Beklagten zum Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands zu Recht als nicht ausreichend beurteilt hat.

[e] Daher muss auch auf die Rüge der Berufungswerberin, dass das Erstgericht auch das Vorbringen zu den zumutbaren Maßnahmen zu Unrecht als nicht ausreichend erachtet habe, nicht weiter eingegangen werden.

[f] Auch das von der Berufungswerberin angeregte Vorabentscheidungsverfahren war nicht einzuleiten, weil die aufgeworfenen Fragen letztlich nicht entscheidungs-wesentlich waren.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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