7Bl47/06i – LG Klagenfurt Entscheidung
Kopf
REPUBLIK ÖSTERREICH
Landesgericht Klagenfurt
7 Bl 47/06i
Das Landesgericht Klagenfurt hat in der Rechtshilfesache der Staatsanwaltschaft Turin im Strafverfahren gegen ***** wegen des Verbrechens nach Artikel 9 Absatz 1 f des italienischen Gesetzes vom 14.12.2000, Nr. 376/2000, über die Beschwerde des ***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9. März 2006, 33 Hc 38/06p-16, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Neuzustellung der Verfahrensurkunden aufgetragen.
Begründung:
Text
Im Rahmen der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Turin verfügte der Bezirksrichter am 2.3.2006 die Zustellung von Kopien der im Faxwege übermittelten Verfahrensurkunden durch den Gerichtsvollzieher an *****, der auch von einem Termin bei der Staatsanwaltschaft Turin zu benachrichtigen war (ON 1 und 12). Nach Zustellung dieser Schriftstücke am selben Tag um 15.50 Uhr erklärte ***** mit Schriftsatz vom 6.3.2006, zu deren Annahme nicht bereit zu sein. Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Erstgericht den Widerspruch des Empfängers ab.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des *****, die zulässig und im Sinne des Erneuerungsbegehrens berechtigt ist.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerdelegitimation des Zustelladressaten ist, weil im Gegensatz zu der dieselbe Rechtssache betreffenden Vorentscheidung zu 7 Bl 29/06t Beschwerdegegenstand eine gerichtliche Entscheidung ist (§ 481 StPO), zu bejahen. Da die Auswirkungen des Zustellvorgangs, besonders der Einhaltung der inländischen Zustellvorschriften, für das in Italien behängende Strafverfahren derzeit nicht abzuschätzen sind, ist auch die bei jedem Rechtsmittel vorausgesetzte Beschwer des Empfängers nicht vorweg zu verneinen.
Zu wiederholen (vgl 7 Bl 29/06t) ist, dass Grundlage für die hier relevante Gewährung von Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Republiken Italien und Österreich das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.04.1959, BGBl 1969/41, das Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBl 1983/296 idF BGBl 1994/800, der Vertrag vom 20.02.1973 zwischen der Republik Österreich und der italienischen Republik über die Ergänzung des zuvor genannten Übereinkommens und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl 1977/558, sowie das diese Vorschriften ergänzende Übereinkommen über den Beitritt der Republik Österreich zu dem am 19.06.1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommen, BGBl III 1997/90 idF BGBl I 2004/151 (Schengener Durchführungsübereinkommen - SDÜ) sind. Diese bi- und multilateralen Übereinkommen werden durch die für die innerstaatliche Erledigung eines Rechtshilfeersuchens relevanten Vorschriften der §§ 55 bis 58 ARHG sowie - Kraft Verweises (§ 9 Abs 1 ARHG) - durch die Bezug habenden Bestimmungen der Strafprozessordnung (§§ 79 f StPO) und des ZustG (§ 12) ergänzt, sofern die zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes normieren (§ 1 ARHG).
Das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29.05.2000 und das Protokoll vom 16.10.2001 zu diesem Übereinkommen (BGBl III 2005/65 und 2005/66) finden mangels Ratifizierung dieser Vertragswerke durch die Republik Italien im Verhältnis zu dieser keine Anwendung. Damit grundsätzlich auch nicht die Bestimmungen des IV. Hauptstücks des EU-JZG (§§ 55 f), das die zuvor genannten Übereinkommen umsetzen.
Artikel 52 SDÜ bestimmt, dass jede Vertragspartei Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, gerichtliche Urkunden unmittelbar durch die Post übersenden kann. Wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zustellempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist, ist diese - oder zumindest die wesentlichen Passagen - in die Sprache oder in eine der Sprachen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Die Übersetzung in eine andere Sprache ist zu veranlassen, wenn der zustellenden Behörde bekannt ist, dass der Empfänger nur dieser Sprache kundig ist. Unbeschadet davon kann die Zustellung von gerichtlichen Urkunden durch Übermittlung der Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei vorgenommen werden, unter anderem dann, wenn die ersuchende Vertragspartei eine förmliche Zustellung fordert. Im zuletzt genannten - hier relevanten - Fall normieren Artikel 48 und 49 SDÜ, die insoweit die Bestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen ergänzen ohne zwischen den Vertragsparteien geltende weiter gehende Bestimmungen zu berühren, dass Rechtshilfe auch im Verfahren wegen Handlungen, die nach dem nationalen Recht einer oder beider Vertragsparteien als Zuwiderhandlungen gegen Ordnungsvorschriften durch Behörden geahndet werden (sofern gegen deren Entscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann), geleistet wird (Artikel 49 lit a).
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass im Verhältnis zu den Schengener Staaten (somit auch zur Republik Italien) Artikel 1 Abs 1 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens (EuRHÜbk) nachdem Rechtshilfe hinsichtlich strafbarer Handlungen, zu deren Verfolgung in dem Zeitpunkt, in dem um Rechtshilfe ersucht wird, die Justizbehörden des ersuchenden Staates zuständig sind, geleistet wird, ebenso wie der Vorbehalt Österreichs, Rechtshilfe nur in Verfahren zu leisten, die auch nach österreichischem Recht strafbare Handlungen betreffen, keine Anwendung findet (JME vom 21.10.1997, Zahl 530.102/398-IV 1/97 und Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe, 29 f.) Zufolge der Subsidiaritätsklausel des § 1 ARHG sind auch die die Unzulässigkeit der Rechtshilfe betreffenden Bestimmungen des § 51 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ARHG nicht anwendbar. Das in der Beschwerde hervorgehobene Erfordernis beiderseitiger Strafbarkeit besteht demnach nicht. Es bedarf daher auch nicht der Prüfung, ob die ***** in Italien angelastete Straftat sinngemäß der Strafbestimmung des § 84 a Arzneimittelgesetz zu unterstellen ist. Nicht berechtigt sind auch die weiteren Beschwerdeeinwände, denen zufolge das in Rede stehende Rechtshilfe- ersuchen den geltenden Formvorschriften nicht entsprechen würde. Einmal sind Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 14 f EuRhÜbk und §§ 50 ff ARHG, die für Rechtshilfeersuchen Schriftlichkeit normieren, im Lichte des - nicht direkt anwendbaren - Abkommens vom 26.05.1989 zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen - FaxKonv-EG (BGBl III 1999/136) und von
Artikel 6 Absatz 1 des für Österreich geltenden Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU (EU-RHÜ) nicht dahin auszulegen, dass deren Übermittlung im Telefaxweg ausgeschlossen ist, sofern an der (hier nicht strittigen) Authenzität des Ersuchens nicht zu zweifeln ist. Weil bei Zustellersuchen ein Hinweis auf die im ersuchenden Staat anzuwendenden oder angewandten strafgesetzlichen Bestimmungen genügt (§ 56 Abs 1 zweiter Satz ARHG) und auch Artikel 14 EuRHÜb nichts anderes bestimmt, bedarf es der näheren Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhaltes und der Bekanntgabe des Wortlautes der strafgesetzlichen Bestimmungen nicht. Derartiges sieht auch Artikel IX des bilateralen Vertrages zwischen Österreich und Italien nicht vor. Der unmittelbare Behördenverkehr in Zustellangelegenheiten ist bereits auf Grund Artikel X der zuvor genannten Vereinbarung vorgesehen. Gemäß Artikel XI dieses Vertragswerkes ist auch die Erklärung Österreichs zu Artikel 16 Absatz 2 EuRHÜbk, dass Rechtshilfeersuchen und deren Beilagen mit einer Übersetzung in die deutsche, französische oder englische Sprache zu versehen sind, im Verhältnis zu Italien nicht anzuwenden.
Unbegründet ist weiters auch der auf die hier nicht anzuwendenden Auslieferungsverbote der §§ 14 und 15 ARHG gestützte Einwand, dass dem Zustellersuchen wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung oder anderer wesentlicher Interessen der Republik Österreich nicht entsprochen werden dürfe. Vom „ordre public“-Begriff sind die Grundprinzipien der österreichischen Rechtsordnung, zu denen die Wahrung des Asylrechtes und der Menschenwürde zählen, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und die Wahrung der österreichischen Hoheitsrechte umfasst. Zu den wesentlichen staatlichen Interessen zählt auch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen, bei deren Bekanntwerden ein schwerer wirtschaftlicher Schaden oder sonst ein unzumutbarer Nachteil für Österreich eintreten könnte (Linke/Epp/Dokupil/Felsenstein Internationales Strafrecht, 19). Dass der kritisierte Zustellvorgang derartige grundlegende Rechtsprinzipien und Staatsinteressen tangieren könnte, ist nicht ersichtlich.
Von der Frage der hier zu bejahenden Zulässigkeit der Rechtshilfegewährung (§§ 56 f ARHG) zu unterscheiden ist freilich jene, in welcher Form die Zustellung vorzunehmen ist. Kraft den Verweisungsnormen der §§ 9 Absatz 1, 58 ARHG in Verbindung mit § 80 Absatz 1 StPO wird das „wie“ der Zustellung durch § 12 Absatz 1 ZustG normiert (Walter/Mayer, Zustellrecht, 68; Feil, Zustellwesen § 12 ZustG Artikel ZustG Rz 2). Danach sind Zustellungen von Schriftstücken ausländischer Behörden im Inland, sofern nicht um die Einhaltung einer bestimmten, davon abweichenden Vorgangsweise ersucht wird, nach den bestehenden internationalen Vereinbarungen, mangels solcher nach diesem Bundesgesetz vorzunehmen. Die Zustellung eines ausländischen fremdsprachigen Schriftstücks, dem keine, im gerichtlichen Verfahren keine beglaubigte, deutschsprachige Übersetzung angeschlossen ist, ist nur zulässig, wenn der Empfänger zu dessen Annahme bereit ist. Diese Bereitschaft ist anzunehmen, wenn er nicht binnen drei Tagen gegenüber der Behörde, die das Schriftstück zugestellt hat, erklärt, dass er zur Annahme nicht bereit ist; diese Frist beginnt mit der Zustellung zu laufen und kann nicht verlängert werden (§ 12 Abs 2 ZustG).
Zumal die zuvor genannten internationalen Vereinbarungen - von der hier nicht zutreffenden Postzustellung abgesehen - abweichendes Vorgehen nicht anordnen, sind bei der Zustellung eines ausländischen fremdsprachigen Schriftstücks die dargestellten Grundsätze anzuwenden. Der (scheinbare) Widerspruch zur Vorschrift des Artikel XI der bilateralen Vereinbarung zwischen Österreich und Italien, nach der Übersetzungen des Rechtshilfeersuchens und ihrer Beilagen (in die deutsche, französische oder englische Sprache) nicht gefordert werden, ist dahin aufzulösen, dass nur der ersuchte Staat von der Verpflichtung zum Anschluss der Übersetzung entbunden wird. Daraus resultiert - auch unter dem Aspekt der Verfahrensfairness (Artikel 6 Abs 3 lit a EMRK) die Verpflichtung Österreichs als Zustellstaat, die Herstellung der erforderlichen deutschsprachigen Übersetzung (durch einen gerichtlich beeideten und zertifizierten Dolmetscher: § 190 Abs 1 AußStG) zu veranlassen.
Unter diesem Aspekt ist dem Beschwerdeführer darin beizupflichten, dass die dem Rechtshilfeersuchen angeschlossene, im Übrigen nicht vollständige und zum Teil unverständliche Übersetzung durch einen diesem Qualitätsstandard offensichtlich nicht entsprechende Dolmetscher (vgl AS 16 der ON 1) dem Kriterium der beglaubigten deutschsprachigen Übersetzung nicht genügt.
Konsequenz dessen ist die rechtzeitige Erklärung der fehlenden Annahmebereitschaft zulässig und bewirkt, dass die Zustellung des fremdsprachigen Schriftstücks nicht rechtswirksam erfolgte (§ 12 Abs 3 ZustG).
Im fortzusetzenden Verfahren wird daher eine beglaubigte deutschsprachige Übersetzung der dem Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Turin angeschlossenen Verfahrensurkunden herzustellen und der Zustellvorgang zu wiederholen sein. Der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass der Vorbehalt Österreichs zu Artikel 7 Abs 3 EuRhÜbk, die Vorladung für einen Beschuldigten, der sich im österreichischen Hoheitsgebiet befindet, nur zuzustellen, wenn die Vorladung der zuständigen österreichischen Justizbehörde spätestens 30 Tage vor dem für das Erscheinen festgesetzten Zeitpunkt zugekommen ist, und die Spezialitätsbestimmung des § 53 ARHG sich nur auf eine Beschuldigtenladung beziehen, die nach dem bisher bekannten Inhalt des Zustellersuchens nicht intendiert war. Die Frage der Beglaubigung des Rechtshilfeersuchens, der angeschlossenen Verfahrensurkunden und ihrer Übersetzung (Apostille) kann dahinstehen, da Schriftstücke und Urkunden, die auf Grund des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens übermittelt werden, keiner Art von Beglaubigung bedürfen (Artikel 17).