34R16/24s – LG für ZRS Wien Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien fasst als Rekursgericht durch den Richter Mag. Ulf Marschner als Vorsitzenden sowie den Richter MMag. Stephan Klaus und die Richterin Dr. Julia Kömürcü-Spielbüchler in der Rechtssache der klagenden Partei S*** I*** , I*** I***, F***-Gasse 2, **** I***, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei N*** GmbH , FN ******i, **** Wien, S***straße **, wegen Besitzstörung über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 15.12.2023, 40 C 355/23a-5, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahingehend abgeändert, dass dieser lautet:
Begründung:
Text
Mit der am 22.9.2023 eingebrachten Besitzstörungsklage begehrte die Klägerin die Erlassung des Endbeschlusses, die Beklagte hätte dadurch, dass ein von ihr gehaltenes KFZ am 28.8.2023 unberechtigt in einer Wohnhausanlage der Klägerin abgestellt worden sei, den ruhigen Besitz der Klägerin gestört und sei schuldig, ab sofort jede weitere derartige oder ähnliche Störung zu unterlassen.
Die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung am 27.11.2023 wurde der Beklagten am 4.10.2023 durch Hinterlegung zugestellt. Da für die Beklagte niemand erschienen war, fällte das Erstgericht auf Antrag der Klägerin einen Versäumungsendbeschluss. Dieser wurde der Beklagten am 5.12.2023 elektronisch zugestellt.
Über das Vermögen der Beklagten war bereits mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 17.10.2023 zu 38 S 159/23v das Insolvenzverfahren eröffnet und Mag. Petra Diwok als Masseverwalterin bestellt worden. Der Beschluss wurde am selben Tag veröffentlicht. Am 5.12.2023 beantragte die Masseverwalterin die Unterbrechung des Verfahrens.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht fest, dass das Verfahren gemäß § 7 Abs 1 IO unterbrochen ist und nur über Parteiantrag fortgesetzt wird.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben (erkennbar gemeint: den Unterbrechungsantrag der Masseverwalterin zurückzuweisen), hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Das Erstgericht stellte den Rekurs der Masseverwalterin zur Rekursbeantwortung zu. Die Zustellung des Rekurses an die Beklagte wurde vom Rekursgericht nachgeholt. Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Der Rekurs ist berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin macht geltend, dass gemäß § 6 Abs 3 IO Ansprüche auf persönliche Leistungen des Schuldners – wie hier das Abstellen eines PKW zu unterlassen – von der Unterbrechungswirkung des § 7 Abs 1 IO nicht umfasst sei.
Hierzu wurde erwogen :
Rechtsmittel, die nach Eintritt der Unterbrechung des Verfahrens und während deren Wirkung eingebracht wurden, sind nur dann zurückzuweisen, wenn sie nicht der Sicherung der Unterbrechungswirkung oder der Klärung der Frage dienen, ob eine Unterbrechung überhaupt eingetreten ist (RS0037023 [T11]).
Der Rekurs der Klägerin wendet sich gegen die vom Erstgericht ausgesprochene Unterbrechung und ist daher zulässig.
Zur Frage, wann ein Gemeinschuldnerprozess iSd § 6 Abs 3 IO vorliegt, hat der OGH zu 6 Ob 213/19w folgendes ausgeführt:
1. Nach § 6 Abs 1 IO können Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken („Masseprozesse“), nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner weder anhängig noch fortgesetzt werden (sogenannte Prozesssperre). Davon ausgenommen sind gemäß § 6 Abs 3 IO Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen („Gemeinschuldnerprozesse“). Solche Rechtsstreitigkeiten können auch während des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner oder von ihm anhängig gemacht und fortgesetzt werden.
1.1. Zu den Gemeinschuldnerprozessen gehören nur jene Streitigkeiten, deren Gegenstand gar nicht vermögensrechtlicher Natur ist, und Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur, sofern der Streitgegenstand weder einen Aktivbestandteil noch einen Passivbestandteil der (Sollmasse) Konkursmasse bildet. Letzteres ist aber nur zu bejahen, wenn dem Klagebegehren stattgebende Entscheidungen im Prozess auf den Stand der Sollmasse unmittelbar keinen Einfluss nehmen. Unmittelbar ist deren Einfluss aber auch dann, wenn der Streitgegenstand selbst zwar den Sollstand der Masse nicht berührt, mit vermögensrechtlichen, die Masse betreffenden Ansprüchen aber derart eng verknüpft ist, dass sich das klagsstattgebende Urteil auf deren Bestand oder Höhe rechtsnotwendigerweise unmittelbar auswirkt (RS0064115; vgl auch RS0064107; Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 6 KO Rz 3 [Stand 01.12.1999, rdb.at]). Ein solcher rechtsnotwendigerweise unmittelbarer Einfluss aufgrund enger Verknüpfung zu Hauptansprüchen auf Massebestandteile wurde von der Rechtsprechung etwa dann angenommen, wenn ein die Masse betreffender vorbereitender (Neben-)Anspruch geltend gemacht wird (9 ObA 118/04z) oder bei Unterlassungsbegehren, die sich auf zur Insolvenzmasse gehöriges (Liegenschafts-)Vermögen beziehen (5 Ob 122/10t). [...]
1.2. Eine bloß mittelbare Beziehung der Insolvenzmasse zum Verfahrensgegenstand reicht hingegen nicht aus, weil sonst als Gemeinschuldnerprozesse zu wertende Verfahren gar nicht denkbar wären (1 Ob 159/01s; 9 ObA 118/04z; 8 Ob 101/04t; 1 Ob 567/94; Schubert aaO Rz 3 und 50).
1.3. Ob eine Rechtsstreitigkeit unter die Prozesssperre nach § 6 Abs 1 IO fällt, entscheidet der vom Kläger geltend gemachte Anspruch; die Frage nach der Massezugehörigkeit, die das Gericht von Amts wegen zu erheben hat, muss nach objektiven Kriterien beantwortet werden, maßgeblich ist das Tatsachenvorbringen des Klägers (RS0064050 [T2, T3]). Eine Vermutung, dass ein Gemeinschuldnerprozess vorliegt, besteht dabei nicht; der Kläger, der nach Insolvenzeröffnung einen Anspruch geltend macht, hat ein entsprechendes Sachvorbringen zu erstatten, das die Beurteilung im Sinn des § 6 Abs 3 IO ermöglicht (7 Ob 606/95), muss also Vorbringen erstatten, das das Vorliegen eines Gemeinschuldnerprozesses indiziert (vgl RS0075254).
In der zitierten Entscheidung 5 Ob 122/10t war Verfahrensgegenstand ein Begehren auf Unterlassung der Belastung und Veräußerung von Liegenschaften. Dazu erkannte der OGH, dass sich die begehrte Unterlassung unmittelbar auf zur Konkursmasse gehöriges Liegenschaftsvermögen beziehe. Es sei die Rechtswirksamkeit der Verfügungsbeschränkungen über die Liegenschaften zu beurteilen, was wiederum unmittelbar vermögensrelevante Auswirkungen auf den Wert der Liegenschaften als jeweilige Massebestandteile habe.
In der vom Rekurswerber zitierten Entscheidung 63 R 135/23b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien wurde die Frage, ob ein Besitzstörungsverfahren von der Konkurssperre umfasst ist, verneint. Zusammengefasst führte das Rekursgericht aus, dass der Anspruch auf Feststellung einer Besitzstörung durch Abstellen eines PKW und daraus resultierende Unterlassungsansprüche nicht zur Insolvenzmasse gehörten, weil die dem Klagebegehren stattgebende Entscheidung auf den Stand der Sollmasse unmittelbar keinen Einfluss nehme. Aber auch der Streitgegenstand selbst berühre diesen Sollstand der Masse nicht, weil er mit keinen vermögensrechtlichen, die Masse betreffenden Ansprüchen so eng verknüpft sei, dass sich das klagsstattgebende Urteil auf deren Bestand oder Höhe in rechtsnotwendiger Weise unmittelbar auswirke.
Ausgehend von der zu 6 Ob 213/19w dargestellten, oben wiedergegebenen Rechtslage schließt sich der Rekurssenat zur Frage, ob ein Besitzstörungsverfahren im Zusammenhang mit dem Abstellen eines PKW von der Konkurssperre betroffen ist, der Begründung zu 63 R 135/23b an. Da das Ergebnis des Besitzstörungsverfahrens keinen Einfluss auf die Konkursmasse hat, liegt ein Gemeinschuldnerprozess gemäß § 6 Abs 3 IO vor. Die noch in der Entscheidung des Rekursgerichts zu 34 R 107/19s vertretene Auffassung, eine Klage wegen Besitzstörung gegen einen Halter eines Fahrzeuges, das zur Insolvenzmasse gehört, sei eine Rechtsstreitigkeit, welche die Geltendmachung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecke, weshalb das Besitzstörungsverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen werde, wird nicht aufrecht erhalten.
Vielmehr trat im vorliegenden Fall aus den oben dargelegten Erwägungen keine Unterbrechung des Besitzstörungsverfahrens ein. Dem Masseverwalter fehlt im Gemeinschuldnerprozess die Prozessführungsbefugnis (vgl 1 Ob 159/01s). Der von der Masseverwalterin gestellte Unterbrechungsantrag war daher in Stattgebung des Rekurses zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO; die Beklagte ist infolge rechtskräftiger Stattgebung des Klagsanspruchs in der Sache selbst unterlegen, weshalb sie auch die Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen hat.