JudikaturLG für ZRS Wien

34R33/22p – LG für ZRS Wien Entscheidung

Entscheidung
19. April 2023

Kopf

Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht fasst durch den Richter Mag. Ulf Marschner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Ingeborg Hawlicek und Dr. Julia Kömürcü-Spielbüchler in der Rechtssache der klagenden Partei K*** GmbH, A***straße ***, **** Wien, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. N*** O*** und 2. L*** O*** , beide F***-Gasse **, **** Wien, beide vertreten durch Dr. Sabine Mantler-Pewal, Rechtsanwältin in Wien, wegen Besitzstörung, über den Rekurs der Beklagten gegen den Endbeschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 24.1.2022, 6 C 531/21z-9, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s :

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei deren mit 308,34 Euro bestimmte Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 51,39 Euro USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 6 ZPO).

B e g r ü n d u n g :

Text

Die Beklagten kauften mit Kaufvertrag vom 23.7.2019 von der Klägerin eine Liegenschaft in **** Wien. In der Folge wurde das Eigentum der Beklagten verbüchert. Zwischen den Parteien war vereinbart, dass die Klägerin auf der Liegenschaft ein Einfamilienhaus errichtet. Im Kaufvertrag wurde ua folgendes vereinbart: Die Liegenschaftsanteile werden mit Vertragsunterfertigung an den Käufer übergeben. Das zu errichtende Einfamilienhaus wird im Zeitpunkt seiner tatsächlichen Fertigstellung übergeben. Diese Übergabe ist an jenem Tag erfolgt, an dem ein Ziviltechniker die Fertigstellung bestätigt; der Verkäufer ist ab diesem Zeitpunkt bei vollständig bezahltem Kaufpreis verpflichtet, dem Käufer die Schlüssel zum Objekt auszuhändigen.

Eine derartige Schlüsselübergabe ist bislang nicht erfolgt. Die Beklagten ließen am 13.8.2021 die Schlösser am Gartentor und an der Haustür austauschen.

Die Klägerin begehrte – soweit für das Rekursverfahren noch relevant - festzustellen, dass die Beklagten dadurch den ruhigen Besitzstand der Klägerin an der Liegenschaft gestört haben; sie beantragten weiter, die Beklagten schuldig zu erkennen, den vorherigen Zustand entweder durch Aushändigung sämtlicher Schlüssel zu den neuen Schlössern an die Klägerin oder durch Wiedereinbau der ursprünglichen Schlösser wiederherzustellen und sich künftig derartiger Störungshandlungen zu enthalten.

Die Beklagten wandten zusammengefasst ein, mit der Bestätigung der Fertigstellung vom 11.5.2021 sowie der Auszahlung der letzten Rate des Kaufpreises an die Klägerin am 12.5.2021 sei die Übergabe gemäß Kaufvertrag erfolgt; seither seien die Beklagten Besitzer der Liegenschaft und des darauf befindlichen Hauses. Eine förmliche Übergabe sei im Kaufvertrag nicht vorgesehen und auch nicht erfolgt. Am 22.7.2021 habe der Geschäftsführer der Klägerin zudem bestätigt, dass die Übergabe des Objektes „bereits vor Längerem“ stattgefunden habe.

Mit dem angefochtenen Endbeschluss gab das Erstgericht der Klage großteils statt; lediglich hinsichtlich der Manipulation der Funkanlage des Einfahrtstors wies es das Klagebegehren rechtskräftig ab. In seiner rechtlichen Beurteilung wies es darauf hin, dass bislang keine Übergabe des Objektes erfolgt sei, weil die Schlüssel noch nicht ausgefolgt wurden. Die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin, die Übergabe des Objekts habe bereits stattgefunden und Gefahr und Haftung seien auf die Beklagten übergegangen, stelle keinen Besitzübergang dar, sondern nehme Bezug auf die Regelung im Kaufvertrag betreffend den Gefahren- und Haftungsübergang.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten. Sie streben eine Klagsabweisung an.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten argumentieren, die Klägerin als Bauträgerin habe zu keinem Zeitpunkt den Willen gehabt, die Liegenschaft für sich selbst zu behalten; sie sei bloße Inhaberin gewesen. Da sie mangels Besitzwillens keinen Besitz gehabt habe, habe in diesen nicht eingegriffen werden können.

Gemäß § 309 ABGB erfordert Besitz die Innehabung der Sache und den Willen, diese als eigene zu behalten. Entgegen der offenbaren Ansicht der Beklagten muss der Besitzer nicht den Willen haben, die Sache für längere Zeit zu behalten; es genügt, wenn er den Besitzwillen beim Besitzerwerb hatte und ihn seither nicht aufgegeben hat. Da die Klägerin unstrittig Eigentümerin der Liegenschaft war und sie – bis zur Inbesitznahme durch die Beklagten - auch inne hatte, war sie Besitzerin (vgl Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch – Klang³ § 309 Rz 28). Dass ihr Besitzwille entgegen dem bestehendem Anschein fehlte, hätten die Beklagten beweisen müssen ( Holzner in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 309 Rz 3 mwN). Diesen Beweis traten sie nicht an.

Die Beklagten berufen sich darauf, dass ein Ziviltechniker die Fertigstellung des Objektes am 11.5.2021 bestätige und damit laut Kaufvertrag die Übergabe erfolgt sei. Seither seien sie Besitzer der Liegenschaft und des darauf befindlichen Hauses.

Dazu wurde erwogen :

Während das Gesetz für den derivativen Eigentumserwerb an unbeweglichen Sachen die Verbücherung verlangt (§ 431 ABGB), ist der derivative Besitzerwerb nicht geregelt; § 312 leg cit bezieht sich nur auf den originären Besitzerwerb (RIS-Justiz RS0010127). Der Käufer erwirbt durch die (bloße) Verbücherung zwar Eigentum, nicht aber auch Besitz. Der Besitzverschaffung kommt vielmehr neben der Eigentumsverschaffung eigenständige Bedeutung zu (3 Ob 2159/96p = RS0015073 [T1]; Aicher in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 1047 Rz 4 mwN). Diese Besitzverschaffung erfolgt bei Liegenschaften nach hA mit Vermittlung realer Herrschaftsbeziehung durch physische Übergabe ( Aicher aaO; vgl auch Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I 15 Rz 837; Ehrenzweig I/2, 70; RS0018975 [T1]), etwa durch Schlüsselübergabe ( Verschraegen in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.04 § 1047 Rz 3; 8 Ob 1/64 = EvBl 1964/220). Eine Besitzübergabe durch Erklärung (§ 428 ABGB), wie sie die Beklagten ins Treffen führen, ist hingegen im Gesetz für unbewegliche Sachen nicht vorgesehen; denn § 428 ABGB regelt, wie alle Bestimmungen der §§ 426 ff ABGB nur die Übergabe für bewegliche Sachen, während § 431 ABGB jene für unbewegliche Sachen normiert. Eine Übergabe durch Erklärung ist bei Liegenschaften nach der hA nur möglich, wenn der Übernehmer die Liegenschaft schon bisher benützt ( Holzner in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 312 Rz 1 mwN; RS0011212 [T1]).

Da Inhalt und Umfang der Sachenrechte sowie ihre Erwerbsarten der privatautonomen Ausgestaltung entzogen sind, können die Parteien nicht frei vereinbaren, wann die Liegenschaften sachenrechtlich als übergeben anzusehen sind; hier gilt vielmehr eine strenge Bindung an das Gesetz. Die vorliegende Vereinbarung, wonach die Übergabe mit Vertragsunterfertigung bzw mit der Fertigstellung des Einfamilienhauses als erfolgt gilt, kommt daher keine sachenrechtliche Bedeutung zu; vielmehr ist für den Besitzübergang die Vermittlung realer Herrschaftsbeziehung erforderlich, etwa durch Schlüsselübergabe. Das Erstgericht wies zutreffend darauf hin, dass eine solche bislang nicht erfolgt ist. Zu Recht hat es daraus gefolgert, dass die eigenmächtige Inbesitznahme durch die Beklagten eine Besitzstörungshandlung darstellte.

Ob den Beklagten ein Recht zum Besitz zukommt, ist im Besitzstörungsverfahren nicht zu prüfen (§ 457 ZPO).

Dem Rekurs muss demnach ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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