JudikaturLG für ZRS Wien

64R13/17k – LG für ZRS Wien Entscheidung

Entscheidung
30. März 2017

Kopf

Das Landesgericht für ZRS Wien erkennt als Berufungsgericht durch die Präsidentin Dr. Perschinka als Vorsitzende sowie Mag. Eder und Mag. Löschl in der Rechtssache der klagenden Partei N***** M***** AG , H-*****, vertreten durch Dr. Josef Strasser, Mag. Maria Weidlinger, Dr. Tanja Baminger-Dvorak, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei W***** B***** , vertreten durch Dr. Friedrich Gatscha, Rechtsanwalt in Wien, wegen € 391,76 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 20.12.2016, 2 C 682/15k-22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben und der angefochtene Beschluss (Punkt I.) wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges abgewiesen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen der Klagevertreter die mit € 210,84 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten € 35,14 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Beklagte ist Halter eines näher bezeichneten PKW, den er seinem Kollegen für eine Privatfahrt nach Ungarn borgte. Dieser lenkte den PKW am 8. und 9.11.2014 auf der gebührenpflichtigen ungarischen Autobahn M1, ohne zuvor eine entsprechende Straßenberechtigung bzw. Vignette zu erwerben, wobei er an beiden Tagen von einer Überwachungskamera fotografiert wurde. Diese Kamera ist Teil eines von der EU zugelassenen Video-Vignettenkontrollsystems in Ungarn, das Aufnahmen von allen Fahrzeugen und den dazugehörigen Kennzeichen auf den mautpflichtigen Straßen macht. Beim Kauf einer Vignette werden die Angaben des Fahrzeuges dem elektronischen Vignettensystem übermittelt. Danach wird ein aufgenommenes Foto vom Vignettensystem dahin geprüft, ob eine gültige Vignette für das betroffene Kennzeichen zum Kontrollzeitpunkt registriert ist.

Da der Beklagte die Zahlungsfrist von 30 Tagen verstreichen ließ, ohne die ihm in Rechnung gestellten Mautgebühren zu begleichen, schaltete die Klägerin ein Inkassounternehmen ein und beauftragte es mit der Eintreibung der offenen Mautgebühren. Dieses stellte dem Beklagten ein Mahnschreiben samt Lichtbild seines Fahrzeuges zu und forderte ihn auf, den im Einzelnen aufgeschlüsselten Betrag für die erhöhte Ersatzmaut samt Inkassokosten von insgesamt EUR 595,24 zu bezahlen. Der Beklagte reagierte nicht darauf.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von zweimal EUR 195,88 als Ersatzmaut und EUR 203,48 als Inkassokosten und brachte vor, dass der Beklagte schuldhaft die vertragliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Bezahlung der Maut durch Ankauf einer E-Vignette unterlassen habe. Straßenbenützungsgebühren seien den Zivilsachen zuzuordnen, da der Betrieb der Straße grundsätzlich jedermann offenstehe.

Der Beklagte wendete Unzulässigkeit des Rechtsweges ein und bestritt das Klagebegehren. Die Forderung beruhe auf einer Verordnung, also einem Hoheitsakt. Die Höhe der Klagsforderung stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten einer Autobahnvignette.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht mit Beschluss die Einrede der Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges zurück (Punkt I.), gab dem Klagebegehren statt ab und verpflichtete den Beklagten zum Ersatz der mit € 1.005,57 bestimmten Prozesskosten (Punkt II). Ausgehend von den auf Seiten 4 bis 5 der Urteilsausfertigung (Aktenseiten 69 bis 71) wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird und deren wesentlicher Inhalt oben wiedergegeben wurde, folgerte das Erstgericht rechtlich, dass nach den maßgeblichen Klagsangaben ein privatrechtlicher Anspruch vorliege, weil die Einhebung der Mautgebühren ein Akt der Privatwirtschaftsverwaltung sei. Der Beklagte habe sowohl die Maut samt Zusatzgebühren in Höhe von EUR 391,76 als auch die im Verhältnis zur Hauptforderung nicht unangemessenen Inkassokosten von EUR 203,48 zu zahlen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgwiesen werde. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Der Beklagte vertritt die Rechtsansicht, dass ein Hoheitsakt vorliege, weil die Maut durch Verordnung festgesetzt worden sei. Das Benützungsentgelt sei unangemessen hoch, weil sich die Grundgebühr nach der Zahlungsfrist von 30 Tagen um das Vierfache erhöht habe, sodass eine wucherische Verzinsung von 400 % vorliege. Inkassokosten seien nicht zuzusprechen, weil nach § 118 Abs 3 GewO bestrittene Forderungen nicht eingetrieben werden dürfen.

Vorweg ist festzuhalten, dass nach § 261 Abs 3 ZPO ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsweges nur mit Berufung gegen die über die Hauptsache ergehende Entscheidung angefochten werden kann. Der Beschluss über die Verwerfung der Einrede wird daher vom Beklagten zutreffend mit Berufung bekämpft.

Zur Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges:

Ausländische Normen sind nur bei der Prüfung materiell-rechtlicher Fragen anzuwenden. Auf das Verfahren sind stets die österreichischen Prozessvorschriften anzuwenden, dazu zählt auch die Frage der Rechtswegzulässigkeit (RIS-Justiz RS0009195, RS0076618). Die Frage, ob eine bestimmte Rechtsschutzform zulässig ist, ist nach österreichischem Recht dem Verfahrensrecht zuzuordnen, auch wenn materiellrechtlich ausländisches Recht anzuwenden ist. Nach dem Grundsatz der lex fori kommt daher für die Zulässigkeit der Klageform allein österreichisches Verfahrensrecht zur Anwendung (RIS-Justiz RS0116287).

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Maßgeblich ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruches, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ohne Einfluss ist es hingegen, was der Beklagte einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist; es kommt nur darauf an, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RIS-Justiz RS0045584, RS0045718).

Nach den Klagsangaben wird Schadenersatz für Verletzung der vertraglichen Verpflichtung des Kaufs einer Vignette für die Benützung der Autobahn geltend gemacht. Damit liegt ein privatrechtlicher Anspruch vor. Der Umstand, dass das Entgelt durch Verordnung festgesetzt wurde, ändert daran nichts, weil eine Preisfestsetzung durch Dritte oder durch hoheitlichen Akt nichts am Charakter des Rechtsgeschäftes ändert. Es liegt auch kein Verhältnis von Über- und Unterordnung zwischen den Streitteilen vor, weil der Beklagte nicht verpflichtet war, die Autobahn zu benützen.

Nach herrschender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des VfGH ist die (österreichische) zeitabhängige Maut (Vignettenmaut) keine Abgabe, sondern ein privatrechtliches Entgelt (RIS-Justiz RS0114743, VfGH A23/00). Der EuGH sprach in seinem Urteil vom 9.3.2017, C-551/15, aus, dass trotz der Übertragung der Befugnisse der Eintreibung offener Parkgebühren mittels Hoheitsaktes an ein Kommunalunternehmen ein privatrechtlicher Anspruch vorliegt, weil die Gebühr keinen Strafcharakter aufweist, sondern ein Entgelt für die erbrachte Leistung für Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes ist.

Eine „Mautgebühr“ ist nach der Natur des Anspruchs ein privatrechtlicher Anspruch im Sinn des § 1 JN. Die Zulässigkeit des Rechtsweges ist daher zu bejahen. Da das Erstgericht die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges inhaltlich prüfte, liegt in Wahrheit eine Abweisung (und keine formelle Zurückweisung) der Einrede vor, weshalb der Beschluss über die Einrede spruchgemäß zu berichtigen ist.

Zur (materiellrechtlichen) Berechtigung der Klagsforderung:

Zunächst ist festzuhalten, dass ungarisches Recht anzuwenden ist (Artikel 4 Abs 2 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Abl. Nr. L177 vom 4.7.2008). Maßgebend ist daher die Verordnung Nr. 36/2007 des Ministers für Wirtschaft und Verkehr über die Gebühren für die Benutzung von Autobahnen, Kraftfahrstraßen und Landstraßen (Beilage ./A), deren Inhalt unstrittig ist. Die maßgebenden Bestimmungen lauten auszugsweise:

„§ 1 Für die Benutzung der in der Ministerverordnung über gebührenpflichtige Straßen genannten Schnellverkehrsstraßen mit den Fahrzeugen der jeweiligen Gebührenkategorie nach dieser Verordnung ist eine Benutzungsgebühr (nachfolgend „Gebühr“ genannt) und bei unterlassener Gebührenzahlung eine Zusatzgebühr zu entrichten.

§ 7/A (1) Wenn ein Fahrzeug bei einer Kontrolle nicht über eine gültige Berechtigung verfügt, ist wegen unbefugter Straßenbenutzung eine Zusatzgebühr entsprechend der Fahrzeugkategorie zu entrichten.

(2b) Die Pflicht zur nachträglichen Entrichtung der Zusatzgebühr obliegt dem – laut Auskunft der Registrierungsbehörde für den öffentlichen Straßenverkehr am Tag der unbefugten Straßenbenutzung registrierten - Fahrzeughalter oder andernfalls dem Eigentümer des Fahrzeugs.

(3) Höhe der Zusatzgebühr:

a) Gebührenkategorie D1

Zahlungsfrist bis zu 30 Tagen 14.875 Forint

Zahlungsfrist von mehr als 30 Tagen 59.500 Forint

(8) Bei mehreren unbefugten Straßenbenutzungen innerhalb eines Kalendertages fällt nur eine Pflicht zur Zahlung der Zusatzgebühr an.“

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes kaufte der Lenker des vom Beklagten gehaltenen Fahrzeuges keine Vignette, der Beklagte ließ die Zahlungsfrist von 30 Tagen ungenutzt verstreichen. Der Beklagte als Fahrzeughalter schuldet daher nach § 7/A Abs Abs 2b, 3 und 8 der Verordnung für beide Tage jeweils die Kosten der erhöhten Zusatzgebühr von (umgerechnet) EUR 195,88, in Summe EUR 391,76.

Der Beklagte brachte im Verfahren erster Instanz nur vor, dass das Entgelt unangemessen sei und die Höhe der Klagsforderung in keinem Verhältnis zu den Kosten einer Autobahnvignette stehe. Die Höhe der österreichischen Autobahnvignette ist hier nicht maßgebend. Die dem Beklagten zunächst in Rechnung gestellte Zusatzgebühr von zweimal (umgerechnet) EUR 48,97 ist nach der Aktenlage nicht überhöht. Der Beklagte brachte nicht vor, aus welchen Gründen die Kosten der ungarischen Zusatzgebühr unangemessen hoch sein sollen, oder gegen welche maßgeblichen ungarischen gesetzlichen Vorschriften verstoßen wird.

Das Vorbringen in der Berufung, dass die Höhe der Ersatzmaut wucherisch sei, verstößt gegen das Neuerungsverbot, weil der Beklagte dazu im Verfahren erster Instanz kein Vorbringen erstattete. Die Vervierfachung der Zusatzgebühr hängt nach der Aktenlage (nur) davon ab, dass der Beklagte die vorgeschriebene Zusatzgebühr nicht innerhalb von 30 Tagen bezahlte. Abgesehen davon, dass der Beklagte für einen Verstoß gegen den ordre public behauptungs- und beweispflichtig ist (RIS-Justiz RS0037797 T56 und T57), ist eine Konventionalstrafe an sich (vgl. § 1336 ABGB) nicht sitten- oder ordre public-widrig (vgl. RIS-Justiz RS0016665).

Soweit sich der Berufungswerber auf § 118 Abs 3 GewO bezieht, verstößt er einerseits gegen das Neuerungsverbot und weicht andererseits von den Feststellungen ab. Dass der Beklagte vor Klagseinbringung gegenüber der Klägerin die Forderung bestritt, wurde weder vorgebracht noch festgestellt. Im Übrigen bringt der Beklagte nicht vor, nach welchen (hier maßgebenden) ungarischen Rechtsvorschriften Inkassokosten nicht zustehen sollen.

Der unberechtigten Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO, wobei nach § 23 Abs 10 RATG nur der einfache Einheitssatz zusteht.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO.

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