46R580/10z – LG für ZRS Wien Entscheidung
Kopf
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat als Rekursgericht durch Dr. Streller als Vorsitzenden sowie Dr. Zeller und Dr. Schaumberger als weitere Richter in der Konkurssache der Schuldnerin R***** J*****, ***** über den Rekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 12.11.2010, 11 S 7/02y-63, den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt € 30.000,--.
Gegen diese Entscheidung ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig.
Text
B e g r ü n d u n g :
Mit Beschluss vom 4.11.1999 leitete das Erstgericht über Antrag der Schuldnerin das Abschöpfungsverfahren ein und bestellte den Kreditschutzverband von 1870 (im Folgenden KSV genannt) zum Treuhänder.
Nach Ablauf von sieben Jahren der Abschöpfung erreichte die Schuldnerin eine Quote von 5,492 % für die Konkursgläubiger.
Mit Beschluss vom 8.2.2008 (ON 46) verlängerte das Erstgericht über Antrag der Schuldnerin das Abschöpfungsverfahren gemäß § 213 Abs 4 KO um drei Jahre bis 30.11.2009. Einen dagegen erhobenen Rekurs der Gläubigerin Yves Rocher Kosmetikversand GmbH gab das Rekursgericht mit Beschluss vom 30.6.2008 zu 46 R 142/08k (ON 52) nicht Folge. In der Begründung dieser Entscheidung wird der Schlussbericht des KSV vom 13.3.2007 zitiert, wonach sich nach Durchführung der Schlussverteilung eine Quote von 5,492 % für die Konkursgläubiger im siebenjährigen Abschöpfungsverfahren errechnet und der Fehlbetrag auf die Quote von 10 % € 5.295,45 beträgt.
Mit Schriftsatz vom 12.1.2010, ON 56, beantragte die Gläubigerin Yves Rocher GmbH die Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ohne Restschuldbefreiung, da die Schuldnerin im verlängerten Abschöpfungsverfahren keine 10 % der angemeldeten Forderungen erreicht habe und diese Quote nicht an die Gläubiger überwiesen worden sei.
Im nunmehrigen Schlussbericht vom 5.2.2010 führt der KSV aus, dass sich nach Durchführung der Schlussverteilung für die Gläubiger eine Gesamtquote von 9,774 % errechne. Sämtliche, dem Treuhänder bekannten Verfahrenskosten hätten im Rahmen des Abschöpfungsverfahrens beglichen werden können.
Aus der Rechnungslegung des KSV für 2008, ON 53, dem erwähnten Schlussbericht ON 57 und den weiteren Berichten des KSV ON 59 und ON 61 ergibt sich Folgendes:
Die selbständig tätige Schuldnerin leistete im verlängerten Abschöpfungsverfahren folgende Zahlungen an den Treuhänder:
2008: € 2.250,-- (9 x € 250,--)
2009: € 3.180,-- (6 x € 250,-- und 4 x € 450,--),
das sind zusammen € 5.430,--. Zuzüglich der am Treuhandkonto angefallenen Habenzinsen betrugen die Gesamteinnahmen des KSV im Verlängerungszeitraum € 5.455,63. Demgegenüber verzeichnete der Treuhänder Ausgaben von insgesamt € 425,19, darin enthalten die Treuhandvergütung für 2008 in Höhe von € 162,85, die Treuhandvergütung für 2009 in Höhe von € 229,96 sowie KEST und Kontoführungskosten. In der Rechnungslegung für 2008, ON 53, wurde außerdem eine noch nicht abgebuchte Treuhandvergütung in Höhe von € 398,60 vor der Verteilung abgezogen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht
1. den Antrag der Schuldnerin auf Erteilung der Restschuldbefreiung abgewiesen,
2. das Abschöpfungsverfahren für beendet erklärt und
3. ausgesprochen, dass die Wirksamkeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders mit Rechtskraft dieses Beschlusses endet.
Zur Begründung führte das Erstgericht aus, dass der KSV in seiner Schlussrechnung eine Zahlung von 9,774 % der angemeldeten Forderungen bescheinigt habe. Die Schuldnerin habe damit die Quote von 10 % auch nach Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens nicht erfüllt. Da das Verfahren bereits um drei Jahre verlängert worden sei, komme eine weitere Verlängerung oder eine Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 2 KO nicht mehr in Betracht.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Schuldnerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Erteilung der Restschuldbefreiung, hilfsweise wird die Aufhebung und Rückverweisung an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung beantragt.
Die Schuldnerin führt in ihrem Rechtsmittel Folgendes aus:
Mit Schreiben vom 20.7.2009 habe ihr der KSV mitgeteilt, dass ihr Abschöpfungsverfahren noch bis zum 30.11.2009 laufe. Zur Erreichung der 10 %-Quote müsse monatlich ein Betrag von € 420,-- einbezahlt werden. Diesen Betrag habe sie immer bezahlt, die letzte Rate am 30.11.2009. Sie sei aufgrund des zuvor angeführten Schreibens des KSV vom 20.7.2009 davon ausgegangen, dass sie die 10 %-Quote erfüllt habe. Von weiteren Forderungen habe sie bis zum Erhalt des Beschlusses über die Abweisung der Restschuldbefreiung nichts gewusst. Sie sei weder seitens des KSV noch seitens des Gerichtes zu irgendwelchen darüber hinausgehenden Zahlungen aufgefordert worden. Nach Erhalt des Beschlusses habe sie noch mit einer Mitarbeiterin des KSV telefoniert, die ihr die Auskunft gegeben habe, dass aus ihrer Sicht alles erledigt sei und keine Zahlungen mehr offen wären. Ihr sei gar nicht die Chance zur Erfüllung der 10 %-Quote gegeben worden. Das Gericht sei von einer Berechnung der 10 %-Quote nach Abzug der Treuhandvergütung ausgegangen. Dies sei aus Sicht der Schuldnerin nicht richtig und sei ihr so nie mitgeteilt worden. Hätte sie gewusst, dass durch die Treuhandvergütung die Erreichung der Quote gefährdet wäre, hätte sie diesen Betrag selbstverständlich extra gezahlt. Auch der Schlussbericht sei ihr nie zugestellt worden. Vom KSV oder Gericht sei sie nie zu einer solchen Zahlung aufgefordert worden und ihr sei auch nie die Höhe der Treuhandvergütung bekanntgegeben worden. Ihr sei vor Fassung des angefochtenen Beschlusses keine Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt und dadurch ihr Recht auf Gehör verletzt worden. Das Gericht könne bei der Berechnung der Quote nur von offenen Beträgen ausgehen, über die sie informiert war und daher auch die Möglichkeit zur Zahlung hatte. Es hätte daher von einer Quote von 10 % ausgehen müssen. Ihr könne weder ein Verschulden noch Zahlungsunwilligkeit zur Last gelegt werden, sodass jedenfalls im Hinblick auf den Zweck des Schuldenregulierungsverfahrens eine Billigkeitsentscheidung zu treffen und die Restschuldbefreiung zu erteilen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, dass nach den Übergangsbestimmungen zum Insolvenzänderungsgesetz 2010 (IRÄG) im gegenständlichen Verfahren noch die Bestimmungen der Konkursordnung (KO) anzuwenden sind. Lediglich die allgemeinen Verfahrensbestimmungen der §§ 252 ff IO sind schon seit dem 30.6.2010 anwendbar (§ 273 Abs 1 und 8 IO).
Nach dem Akteninhalt wurden die oben erwähnten Rechnungslegungen und Berichte des KSV vom Erstgericht weder beschlussmäßig genehmigt oder zur Kenntnis genommen noch an die Schuldnerin zugestellt. Auch der Antrag der Yves Rocher GmbH auf Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ohne Restschuldbefreiung wurde der Schuldnerin nicht zur Äußerung übermittelt. Das Rekursvorbringen steht sohin nicht im Widerspruch zur Aktenlage. Nach § 213 Abs 1 Z 2 KO hat das Gericht das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung abgelaufen ist und die Insolvenzgläubiger während des Insolvenz- und Abschöpfungsverfahrens zumindest 10 % der Forderungen erhalten haben. Gleichzeitig ist die Restschuldbefreiung auszusprechen. Bei einer Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens nach § 213 Abs 4 KO hat das Gericht nach Ablauf der Frist bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 das verlängerte Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und gleichzeitig auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit ist. Nach Mohr, Privatkonkurs² 121, stellt der Gesetzestext darauf ab, dass die Quote während des Konkurs- und Abschöpfungsverfahrens erbracht wurde; es ist nicht erforderlich, dass dies während der Laufzeit der Abtretungserklärung geschah. Eine freiwillige Zusatzzahlung nach Ablauf der Laufzeit der Abtretungserklärung ist somit zu berücksichtigen. Das Gericht hat die Entscheidung über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens von Amts wegen zu treffen und hiezu den Sachverhalt von Amts wegen zu erheben.
Daraus folgt, dass vor der Entscheidung über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und die Restschuldbefreiung nicht nur der Treuhänder und die Konkursgläubiger - wie dies § 213 Abs 5 KO vorschreibt - zu vernehmen sind, sondern auch der Schuldner. Der Schuldner muss Gelegenheit haben, zu erfahren, ob der Treuhänder alle abgeschöpften Beträge und vom Schuldner geleisteten Zahlungen richtig verbucht hat und welche Ausgaben, die die Verteilungsmasse schmälern, vom Treuhänder geltend gemacht werden. Denn nicht jeder Treuhänder beansprucht die höchstmögliche Vergütung gemäß § 204 KO. Der Schuldner ist daher vor der Entscheidung über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens vom Insolvenzgericht über die erreichte Quote zu informieren und es ist ihm unter Fristsetzung die Gelegenheit zu einer Restzahlung einzuräumen. Eine derartige Anleitungs- und Belehrungspflicht wurde vom Rekursgericht schon bisher angenommen, wenn ein Schuldner nach Ablauf der siebenjährigen Abtretungserklärung die 10 %-Quote noch nicht erreicht hat (46 R 283/10y u.a.; G. Kodek, Privatkonkurs Rz 716; Mohr, Privatkonkurs² 121). § 254 Abs 2 IO bestimmt ausdrücklich, dass die §§ 432 und 435 ZPO anzuwenden sind. Sohin besteht auch im Abschöpfungsverfahren eine besondere Anleitungs- und Belehrungspflicht gegenüber rechtsunkundigen und nicht durch Rechtsanwälte vertretenen Parteien. Damit können für den Schuldner nachteilige Überraschungsentscheidungen wie im vorliegenden Fall jene des Erstgerichtes vermieden werden. Eine Rechtsansicht, wonach die Restschuldbefreiung ohne Möglichkeit einer freiwilligen Zusatzzahlung schon bei knappem Verfehlen der 10 %-Quote infolge Einbehalts einer dem Schuldner nicht bekannten Treuhändervergütung zu versagen wäre, würde den Zweck des zehnjährigen Abschöpfungsverfahrens konterkarieren.
Nach herrschender Auffassung ist nach Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens eine Restschuldbefreiung nach Billigkeit nicht möglich (8 Ob 84/06w; Kodek, Privatkonkurs Rz 700). Auch wenn die 10 %-Quote im vorliegenden Fall nur ganz gering und nur wegen Verfahrenskosten unterschritten wurde, kann sohin die Entscheidung nicht im Sinne einer sofortigen Restschuldbefreiung abgeändert werden. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die aufgezeigten Schritte durchzuführen und dann neuerlich über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden haben.
Der Ausspruch zum Wert des Entscheidungsgegenstandes stützt sich auf die §§ 252 IO iVm §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 ZPO und resultiert aus der Summe der festgestellten Konkursforderungen.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof war gemäß § 527 Abs 2 ZPO iVm § 252 IO zuzulassen: Zur Frage, inwieweit bei einem verlängerten Abschöpfungsverfahren eine richterliche Anleitungs- und Belehrungspflicht besteht und dabei dem Schuldner eine Nachfrist für eine Ergänzungszahlung zum Erreichen der 10 %-Quote zu setzen ist, liegt noch keine Rechtsprechung des Höchstgerichtes vor.