JudikaturLG für ZRS Graz

4R237/23m – LG für ZRS Graz Entscheidung

Entscheidung
07. Februar 2024

Kopf

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz, Senat 4, hat als Rekursgericht durch die Richter Mag. Schweiger (Vorsitz), Mag. M. Kraut und Mag. Graßler in der Insolvenzantragssache des Antragsgegners A* , geboren am **, **, **, über den Rekurs der Antragstellerin Republik Österreich (B*), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 16.10.2023, 108 Se 16/23g - 19, in nicht öffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen .

Text

BEGRÜNDUNG:

Am 1.2.2023 stellte die Republik Österreich (B*) beim Bezirksgericht Döbling den Antrag auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners (§ 70 Abs 1 IO). Dieser schulde ihr aufgrund eines Rückstandsausweises vom 13.1.2023 zu Steuernummer ** eine vollstreckbare Abgabenforderung von EUR 853,30. Er sei zahlungsunfähig, weil er diese Abgaben in mehr als 6 Monaten nicht bezahlt habe. Sollte das Erstgericht die Entziehung der Eigenverwaltung des Antragsgegners beabsichtigen, werde im Hinblick auf § 183b IO um die Darlegung der Gründe im Auftrag zum Erlag des Kostenvorschusses ersucht. Mit Schriftsatz vom 21.3.2023 gab die Antragstellerin bekannt, dass sich der Abgabenrückstand auf EUR 1.053,30 erhöht habe und wies erneut auf § 183b IO hin.

Das Bezirksgericht Döbling führte Erhebungen durch Einsicht in das ADV-E-Register der Verfahrensautomation Justiz sowie Abfragen in Grund- und Firmenbuch und beim Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger durch und holte eine Auskunft aus dem zentralen Melderegister ein. Die Ladung des Antragsgegners zu einer Tagsatzung nach § 70 Abs 2 IO und ein Vorführungsversuch zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses gemäß § 185 IO blieben erfolglos. Nach Bekanntgabe der nunmehrigen Anschrift des Antragsgegners durch die Antragstellerin überwies das Bezirksgericht Döbling mit Beschluss vom 6.6.2023 das Verfahren gemäß § 44 JN an das Erstgericht.

Das Erstgericht führte weitere Erhebungen (im zentralen Melderegister und dem Gewerbeinformationssystem Austria) durch und beraumte (nach Verlegungen schlussendlich für den 18.7.2023) eine „Einvernehmungstagsatzung“ an, zu der es (nur) den Antragsgegner lud und ihn aufforderte, alle ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen zu seiner Einkommens- und Vermögenslage mitzubringen. In dieser Tagsatzung gab der Antragsgegner am 18.7.2023 zu Protokoll, dass er nicht zahlungsunfähig sei, seit 1.7.2023 eine neue Arbeitsstelle habe und mit seinem ersten Gehalt am 1.8.2023 seine Abgabenschulden begleichen werde; den Zahlungsbeleg werde er am 16.8.2023 dem Gericht zur Einsicht vorlegen. Mit dem Antragsgegner wurde am 18.7.2023 weder ein Vermögensverzeichnis nach § 185 IO aufgenommen, noch wurde er zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen befragt.

Der Antragsgegner legte dem Erstgericht in der Folge keinen Zahlungsbeleg vor.

Mit Beschluss vom 6.9.2023 trug das Erstgericht der Antragstellerin auf, binnen 8 Tagen einen Kostenvorschuss von EUR 1.500,00 zu erlegen, widrigenfalls ihr Antrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen werde. Das bisherige Verfahren habe ergeben, dass es an einem zur Deckung der Kosten des Verfahrens hinreichenden Vermögen fehle. Der Antragstellerin sei daher der Erlag eines Kostenvorschusses aufzutragen (§ 71a IO). Die Voraussetzungen nach § 183a IO (Gläubigerantrag nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit) lägen nicht vor. Der Kostenvorschussauftrag ergehe, da der Antragsgegner bis dato keinen Zahlungsbeleg vorgelegt habe.

Mit Schriftsatz vom 11.9.2023 wies die Antragstellerin auch das Erstgericht erneut auf § 183b IO und darauf hin, dass sich aus dem Protokoll vom 18.7.2023 keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gründen für die Entziehung der Eigenverwaltung ergeben würden, sodass Anlaufkosten nicht entstehen würden. Den aufgetragenen Kostenvorschuss erlegte die Antragstellerin nicht.

Das Erstgericht wies mit dem am 17.10.2023 in der Insolvenzdatei bekannt gemachten angefochtenen Beschluss den Antrag der Antragstellerin auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens ab. Die Antragstellerin habe ihre Forderung gegen den Antragsgegner und dessen Zahlungsunfähigkeit glaubhaft gemacht. Die Erhebungen – insbesondere die Einsicht in die Exekutionsakten – hätten allerdings ergeben, dass das Vermögen des Antragsgegners nicht ausreiche, um zumindest die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken (§ 71 Abs 2 IO). Nachdem die Antragstellerin den aufgetragenen Kostenvorschuss nicht erlegt habe, sei der Abweisungsgrund des § 71b IO gegeben. Die Voraussetzungen des § 183a IO lägen nicht vor, weil der Gläubigerantrag nicht nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit gestellt worden sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin aus dem Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Das Erstgericht habe den konkreten Inhalt der Exekutionsakten, auf die es als Grund für die fehlende Kostendeckung verwiesen habe, nicht festgestellt, weshalb ein primärer Verfahrensmangel vorliege. Das Erstgericht wäre aufgrund § 254 Abs 5 IO verpflichtet gewesen, alle geeigneten Erhebungen zu pflegen und Beweise aufzunehmen; es habe nicht – etwa durch Aufforderung des Antragsgegners zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses oder seine Vernehmung in der Tagsatzung am 18.7.2023 dazu – geprüft, ob die Voraussetzungen für die Entziehung der Eigenverwaltung überhaupt vorliegen. Hätte das Erstgericht dies getan, wäre es zum Ergebnis gekommen, dass die Vermögenslage des Antragsgegners überschaubar sei und die Belassung der Eigenverwaltung keine Nachteile für die Gläubiger befürchten lasse. Das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass der Antragsgegner durch die am 1.7.2023 aufgenommene unselbstständige Tätigkeit „neues Vermögen“ zur Deckung der Verfahrenskosten erlangt habe. § 71 IO sei gemäß § 183b IO im Schuldenregulierungsverfahren nur anzuwenden, wenn die Voraussetzungen für die Entziehung der dem Schuldner grundsätzlich zustehenden Eigenverwaltung (§ 186 Abs 1 IO) vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen habe das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen; diese seien auch nicht gegeben, der Prüfung, ob kostendeckenden Vermögen vorliegt, bedürfe es daher nicht.

Der Antragsgegner beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.

Der Rekurs ist zielführend .

Rechtliche Beurteilung

Zunächst wird auf die Rechtsrüge eingegangen, weil sich durch deren Erledigung die Behandlung der Mängelrüge sowie der Tatsachen- und Beweisrüge erübrigt.

1. § 71 IO bestimmt – neben einer aufrechten Forderung des Antragstellers gegen den Antragsgegner sowie dessen Zahlungsunfähigkeit – als weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens; es ist gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners zumindest ausreicht, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Das Vermögen muss weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein. Bei der Prüfung, ob kostendeckendes Vermögen vorhanden ist, kann das Gericht auch Stellungnahmen der bevorrechteten Gläubigerschutzverbände einholen oder Vollstreckungsorgane mit Ermittlungen beauftragen; der Schuldner hat bei seiner Einvernahme ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und vor Gericht zu unterfertigen (§§ 100a, 101 IO), in dem er auch Auskunft über Anfechtungsansprüche zu geben hat.

2.1. § 183a IO idF Gesamtreform des Exekutionsrechts – GREx (BGBl I Nr 86/2021) bestimmt, dass dann, wenn es nach öffentlicher Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners an einem zur Deckung der Kosten des Schuldenregulierungsverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögen fehlt, der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Verfahrens aus diesem Grund nicht abzuweisen ist.

2.2. § 183b IO idF GREx bestimmt, dass § 71 IO im Schuldenregulierungsverfahren nur anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen zur Entziehung der Eigenverwaltung vorliegen.

2.3. § 183b IO ist entgegen der Ansicht des Erstgerichts unabhängig von einer öffentlichen Bekanntmachung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit des Antragsgegners anzuwenden. Für ab 1.7.2021 zu eröffnende Schuldenregulierungsverfahren von Verbrauchern ist das Vorliegen kostendeckenden Vermögens nicht mehr Voraussetzung für die Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für die (teilweise) Entziehung der Eigenverwaltung des Schuldners (§ 186 Abs 2 IO) und der Bestellung eines Insolvenzverwalters ist das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens noch erforderlich (vgl ErläutRV 770 BlgNR 27. GP 70, 72; Blatt in Koller/Lovrek/Spitzer , IO² § 183b Rz 1 f; LGZ Wien 46 R 169/23b und 46 R 56/23k).

2.4. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass das Erstgericht die angefochtene Entscheidung nur dann zutreffend auf den Nichterlag des aufgetragenen Kostenvorschusses durch die Antragstellerin gegründet hätte, wenn beim Antragsgegner die Voraussetzungen für die (teilweise) Entziehung der Eigenverwaltung und die Bestellung eines Insolvenzverwalters vorgelegen hätten.

3.1. Gemäß § 186 Abs 1 IO idF GREx steht dem Schuldner im Schuldenregulierungsverfahren, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt, die Verwaltung der Insolvenzmasse zu (Eigenverwaltung). Nach Abs 2 hat das Gericht dem Schuldner die Eigenverwaltung zu entziehen, wenn

1. die Vermögensverhältnisse des Schuldners nicht überschaubar sind, insbesondere wegen der Zahl der Gläubiger und der Höhe der Verbindlichkeiten, oder

2. Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, oder

3. der Schuldner nicht ein genaues Vermögensverzeichnis vorgelegt hat.

Die Eigenverwaltung stellt nach der Konzeption des Gesetzes somit die Regel, deren Entziehung die Ausnahme dar. § 186 IO ist auch anzuwenden, wenn ein Insolvenzantrag von einem Gläubiger gestellt wurde. Bei Eigenverwaltung ist grundsätzlich kein Insolvenzverwalter zu bestellen. Wird dem Schuldner hingegen die Eigenverwaltung entzogen, so ist in der Regel zwingend ein Insolvenzverwalter zu bestellen, der Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte, für die dem Schuldner die Befugnis mangelt, mit Wirkung für diesen und für die Insolvenzgläubiger vorzunehmen hat. Diesfalls verliert der Schuldner die Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse ( Kodek , Privatkonkurs³ [2021] Rz 7.61 und 7.62). Im Zweifel soll dem Schuldner zwar die Eigenverwaltung belassen werden, doch kommt der einwandfreien Abwicklung des Insolvenzverfahrens jedenfalls Priorität gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Schuldners zu ( Kodek aaO Rz 7.64).

3.2. Ob die Voraussetzungen für die Entziehung der Eigenverwaltung hier vorliegen, kann nicht beurteilt werden, weil das Erstgericht es aufgrund seiner vom Rekursgericht nicht geteilten Rechtsansicht unterlassen hat, zu dieser Frage Erhebungen durchzuführen und Feststellungen zu treffen, worauf die Rekurswerberin zutreffend hinweist.

4. Das Gericht hat nach § 254 Abs 5 IO alle für seine Beurteilung erheblichen Tatsachen von Amts wegen zu erheben und festzustellen; es hat hiezu alle geeigneten Erhebungen, insbesondere durch Vernehmung von Auskunftspersonen, zu pflegen und Beweise aufzunehmen. Somit ist eine Verfahrensergänzung durch das Erstgericht zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 186 Abs 2 IO unumgänglich. Sollte es nach Durchführung der ihm geeignet erscheinenden Erhebungen zum Ergebnis kommen, dass eine Forderung der Antragstellerin gegen den Antragsgegner besteht und dieser zahlungsunfähig ist, jedoch kein Grund für die Entziehung der Eigenverwaltung vorliegt, kommt es auf das Vorliegen kostendeckenden Vermögens nicht an, sodass der Antrag der Antragstellerin nicht mangels Erlag eines Kostenvorschusses abgewiesen werden könnte. Gelangt es hingegen zum Ergebnis, dass dem Antragsgegner die Eigenverwaltung zu entziehen ist (vor einer derartigen Beschlussfassung ist dieser dazu anzuhören [ Kodek aaO Rz 7.84]), wäre § 71 Abs 2 IO zu beachten, wonach das Vermögen des Antragsgegners weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein muss. So wurde ein pfändbarer Teil des Einkommens von etwa rund EUR 300,00 im Monat schon als ein die Anlaufkosten deckendes Vermögen angesehen (4 R 368/08d des Rekursgerichts; LG Eisenstadt 2 R 294/07m = RIS-Justiz RFE0000173). Hier wird vom Erstgericht zunächst vor allem zu prüfen sein, ob beim Antragsgegner durch die von ihm am 1.7.2023 aufgenommene unselbstständige Erwerbstätigkeit ein solches kostendeckendes Vermögen vorliegt (vgl dazu auch § 12a Abs 3 IO). Erst wenn die ergänzenden Erhebungen kein die Anlaufkosten deckendes Vermögen des Antragsgegners ergeben, wäre der Antragstellerin erneut der Erlag eines Kostenvorschusses aufzutragen, im Falle dessen Nichterlags deren Antrag abzuweisen wäre.

5. Dem Rekurs, der zutreffend die verfehlte Rechtsansicht und die daraus resultierende Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens aufzeigt, war somit Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung im oben aufgezeigten Sinne aufzutragen.

6. Der Rekurs gegen die aufhebende Entscheidung wäre nur zulässig, wenn das Rekursgericht dies ausspricht (§ 527 Abs 2 ZPO iVm § 252 IO). Da die Entscheidung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO abhängt, kommt ein Zulassungsausspruch nicht in Betracht.

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