JudikaturLG Feldkirch

2R185/06f – LG Feldkirch Entscheidung

Entscheidung
10. August 2006

Kopf

Beschluss

Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch den Richter des Landesgerichtes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Kempf und den Vizepräsidenten Dr. Bildstein als weitere Mitglieder des Senates in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen ***** vertreten durch ***** als Verfahrenssachwalter, infolge Rekurses des Sachwalters gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 16. Juni 2006, 21 P 45/05 h-23, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sachwalterschaftssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Nachdem bereits im Jahre 2002 ein Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters für ***** geprüft wurde, eingestellt worden ist, teilte die Marktgemeinde ***** mit Schreiben vom 17.05.2005 dem Erstgericht mit, dass die Beistellung eines Sachwalters zur Regelung der finanziellen Angelegenheiten und zur Sicherstellung der betreuerischen und pflegerischen Maßnahmen für ***** nunmehr dringend geboten erscheine.

In der Folge wurde mit Beschluss vom 24.06.2005 der Bruder von *****, *****, gemäß § 119 AußStrG zum Verfahrenssachwalter bestellt. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Erstgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss***** gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter für ***** zur Regelung folgender Angelegenheiten bestellt:

1. Regelung aller finanziellen Angelegenheiten, insbesondere Verwaltung von Vermögen und Einkünften jeglicher Art, einschließlich der Vertretung in damit zusammenhängenden Rechtsgeschäften mit bzw Rechtshandlungen gegenüber privaten (Vertrags)parteien;

2. jegliche Vertretung vor Gerichten, Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern oder dergleichen, und zwar sowohl im Inwie auch im Ausland;

3. Sicherstellung des Fortbestandes der Personensorge. Für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung wurde darüber hinaus angeordnet, dass ***** nur mündlich vor Gericht oder Notar testieren kann.

Beim Betroffenen bestehe eine seit 2001 eine vorangeschrittene und verfestigte demenzielle Entwicklung vom Alzheimer-Typus mit kognitiven Defiziten, welche sowohl die Besorgung von Angelegenheiten der betroffenen Person durch einen mit dem entsprechenden Aufgabenkreis zu beauftragenden Sachwalter erfordere, als auch den Hinweis auf die besondere Formvorschrift für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung gebiete. Daran ändere auch nichts das Vorliegen einer Vollmacht, welche dem nunmehr zum Sachwalter bestellten***** vom Betroffenen erteilt worden sei, da sich herausgestellt habe, dass dessen Befähigung zur wirksamen Kontrolle der Vollmachtsausübung bzw zu allfälligem Vollmachtswiderruf nicht mehr bestehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der zulässige (§ 127 AußStrG) Rekurs des Verfahrenssachwalters, dem im Sinne des vom Abänderungsbegehren umfassten Aufhebungsantrages auch Berechtigung zukommt.

Vorweg ist festzuhalten, dass jede Sachwalterbestellung einen schwerwiegenden Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Recht jedes Menschen auf möglichst weitgehende Selbstbestimmung bedeutet. Durch eine Sachwalterbestellung soll ein maßgeschneiderter Schutz der behinderten Person bei möglichst geringen Eingriffen in deren eigene Handlungsfähigkeit erreicht werden. Es ist daher in einem solchen Verfahren sorgfältig zu prüfen, ob die betroffene Person trotz ihrer Behinderung nicht doch in der Lage ist, bestimmte Angelegenheiten selbst zu besorgen.

Eine Notwendigkeit zur Sachwalterbestellung besteht, wie sich aus § 273 Abs 2 ABGB ergibt, aber auch dann nicht, wenn sich die betroffene Person in rechtlich einwandfreier Weise der Hilfe anderer - z.B. durch Vollmachtserteilung - bedienen kann. Ist eine solche Hilfe anderer in ausreichendem Maß schon vor der Einleitung des Verfahrens gewährleistet, dann entfällt die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betroffenen Person (vgl 7 Ob 598/91).

Vorliegendenfalls wurde vom Verfahrenssachwalter dem Erstgericht eine offensichtlich vom Betroffenen unterfertigte Vollmacht, datiert mit 08.03.2004, vorgelegt, mit welcher dieser seinem Bruder - den nunmehr zum Sachwalter bestellten ***** - eine allgemeine und unbeschränkte Vollmacht (einschließilch einer Spezialvollmacht gemäß § 1008 ABGB hinsichtlich einzeln angeführter Geschäfte) erteilt. Weiters wird ***** darin von seinem Bruder auch gemäß § 31 ZPO zur Führung von Prozessen bevollmächtigt und festgehalten, dass sich die Vollmacht auch auf den Sterbefall des Vollmachtgebers erstreckt. Es ist unbestritten, dass vor Eintritt der Geschäftsunfähigkeit erteilte Vollmachten vom Verlust der Geschäftsfähigkeit nicht berührt werden (9 Ob 714/91 ua).

Hier kann aber weder aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen geschlossen noch auf Grund der Aktenlage (vgl insb Ausführungen des Sachverständigen Seite 2 in ON 22) beurteilt werden, ob die vom Verfahrenssachwalter in Vorlage gebrachte Vollmacht vom Betroffenen vor Eintritt der Geschäftsunfähigkeit oder allenfalls erst danach erteilt wurde.

Eine Angelegenheit iSd § 273 ABGB kann auch die Überwachung der Tätigkeit eines Bevollmächtigten, gegebenenfalls der Widerruf einer erteilten Vollmacht sein, wobei dies aber jedenfalls voraussetzt, dass die betroffene Person zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung noch geschäftsfähig war.

Entgegen den Ausführungen des Landesgerichtes Salzburg und des LGZ Wien in deren Entscheidungen vom 07.08.2003 und 03.09.2002 (EF 104.561 bzw. 100.468) ist nach Ansicht des erkennenden Gerichtes jedoch nicht grundsätzlich ein Sachwalter zu bestellen, wenn die betroffene Person nunmehr (nach Erteilung einer Vollmacht vor Eintritt der Geschäftsunfähigkeit) nicht mehr in der Lage ist, die Tätigkeit seines Bevollmächtigten zu überwachen und allenfalls die Vollmacht zu widerrufen. Vielmehr ist ein Sachwalter zur Überwachung des Bevollmächtigten nur dann zu bestellen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dieser verstoße gegen den erteilten Auftrag oder handle sonst gegen die Interessen oder den (hypothetischen) Willen der behinderten Person (vgl Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 1 Rz 9 zu § 273). Eine Vollmacht, die die betroffene Person zu einem Zeitpunkt, indem diese noch geschäftsfähig war, einem anderen für die künftige Besorgung ihrer Angelegenheiten erteilte, ist ein guter Weg, dem auch dem Sachwalterrecht innewohnende Gedanken möglichst weitgehender Selbstbestimmung und möglichst sparsamer und zielgenauer Verwendung des Rechtsinstituts der Sachwalterschaft (Subsidiarität der Sachwalterschaft) zum Durchbruch zu verhelfen (vgl Schauer, Rz 1998, 103 f).

Ob im gegenständlichen Verfahren für den Betroffenen ein Sachwalter zu bestellen oder das Sachwalterverfahren einzustellen ist, kann aber derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Sollte nämlich die vorliegende Vollmacht vom Betrofffenen vor Eintritt der Geschäftsunfähigkeit erteilt worden sein und sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass der Bevollmächtigte gegen den erteilten Auftrag verstoßen hat oder sonst gegen die Interessen oder den (hypothetischen) Willen der behinderten Person handelt, besteht - insbesondere auch im Hinblick darauf, dass offensichtlich auch für die Personensorge der betroffenen Person ausreichend Sorge getragen wird (vgl ON 12 bzw Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und in der mündlichen Erörterung desselben) - keine Notwendigkeit, einen Sachwalter für sie zu bestellen; diesfalls wäre das Sachwalterverfahren einzustellen.

Sollte sich aber herausstellen, dass der Betroffene bereits zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung geschäftsunfähig war oder dass berücksichtigungswürdigende Interessen von ihm beeinträchtigt wären, würden nach der derzeitigen Sachlage die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters jedenfalls vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Im Hinblick auf diese Überlegungen zeigt sich aber, dass das erstinstanzliche Verfahren noch ergänzungsbedürftig ist, sodass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht - nach Verfahrensergänzung - eine neuerliche Entscheidung aufzutragen ist. Landesgericht Feldkirch

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