1R2/24a – Handelsgericht Wien Entscheidung
Kopf
Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richterin Mag. a Hofer-Kutzelnigg, M.E.S. (Vorsitzende) und die Richter Mag. Wagner, MBA und KR Leiner in der Rechtssache der klagenden Partei *** , **straße **/A**, ** B**, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in 1070 Wien, gegen die beklagte Partei C** GmbH , **platz A**, ** B**, vertreten durch Dr. Eike Lindinger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, wegen EUR 2.247,-- samt Anhang über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 13.11.2023, 5 C 632/22k-21, (Berufungsinteresse EUR 1.066,50) in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
1. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 336,82 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 56,14 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
3. Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin buchte bei der Beklagten eine von dieser veranstaltete Pauschalreise für den Zeitraum vom 26.6. bis 3.7.2022, die aus den Flügen auf die griechische Insel Skyros und zurück nach B** sowie einer Schiffsreise zu weiteren Inseln bestand, zu einem Preis von EUR 1.519,-- zuzüglich den Kosten für eine Verlängerungswoche von EUR 665,--.
Die Beklagte beschrieb die als „blaue Reise“ bezeichnete Schiffsreise in dem der Buchung zugrunde liegenden Prospekt dahingehend, dass sie mit einem 2016 komplett renovierten typischen Holzboot, das von einem gut Deutsch sprechenden Kapitän geführt werde, durchgeführt werde. Die 16 Kabinen (Unter,- Haupt- und Oberdeck) seien alle mit Dusche und WC mit Ventilator ausgestattet. Das Schiff verfüge über ein Sonnendeck, einen Salon, eine Bar und gemütliche Sitzecken für einen ungezwungenen Urlaub an Bord. In den öffentlichen Räumen sei eine Klimaanlage vorhanden. Während auf dem Werbebild der Oberdeckkabine deutlich ein Fenster nach außen zu erkennen war, war auf dem Bild der Unterdeckkabine gar keine Luke, beim Beispielbild des Schlafbereichs einer Doppelkabine eine abgedunkelte Luke zu erkennen.
Unter der Überschrift „EIN OFFENES WORT“ fand sich im Prospekt der folgende Hinweis:
„Ein Schiff dieser Größe bietet nicht einmal ansatzweise den Komfort, den ein Hotelzimmer oder auch ein großes Kreuzfahrtschiff bietet. Allerdings hat es auch unschlagbare Vorteile: Sie bekommen einen Überblick über die Vielfältigkeit der Sporaden. Sie steuern Buchten an, die teils unbewohnt sind - wo vielleicht noch eine Segelyacht ankert aber sonst nur die Natur und kristallklares Wasser auf Sie wartet. Und Sie kommen in Häfen, die großen Schiffen verwehrt bleiben. Dafür müssen sie nur beim Komfort ein paar Abstriche machen und bereit sein, in familiärer Atmosphäre eine Woche durch die Sporaden zu cruisen.“
Schließlich wurde im Prospekt auch darauf hingewiesen, dass es aufgrund äußerer Einflüsse zu Routenänderungen kommen könne und dass es sich um ein traditionelles Holzschiff aus Holz mit einer Geschwindigkeit von sieben bis acht Knoten handle.
Als die Klägerin nach dem planmäßigen Flug an Bord ankam, erfolgte am Schiff weder eine Sicherheitseinweisung noch eine Begrüßung, sodass sich die Klägerin selbst auf die Suche nach ihrer Kabine machen musste. Die der Klägerin letztendlich zugewiesene Kabine verfügte zunächst über keinen Ventilator. Nach zwei Tagen wurde ein funktionierender Ventilator eingebaut. Die Luke war mit Holz verkleidet, sodass sie nicht zu öffnen war und auch keine Sicht nach außen ermöglichte. In der Kabine roch es nach Abgasen und die Bettwäsche roch modrig. Der Boden der Kabine einschließlich der Nasszelle war schon zu Beginn der Reise nicht ordentlich gereinigt. In der Nasszelle hingen Kabeln der über Putz verlegten Stromleitungen von der Wand. Während der Reise wurde lediglich der Mistkübel entleert, die Kabine aber sonst nicht gereinigt oder das Handtuch getauscht. Der Abfluss der Nasszelle funktionierte nicht ordnungsgemäß, was dazu führte, dass das Wasser nicht ablaufen konnte und die Klägerin beim Duschen knöcheltief im Wasser stand. Das Wasser wurde zwei Mal von einem Crewmitglied abgepumpt. Der Abfluss konnte jedoch nicht in Gang gesetzt werden. Nach zweimaligen Duschen in der Kabine wich die Klägerin in der Folge auf Duschen in Häfen oder an Stränden aus.
Mit Ausnahme des Mittagessens am ersten Tag war die Menge des angebotenen Essens knapp bemessen und schmeckte das Mittagessen oftmals aufgetaut und warmgemacht.
Der Speiseraum des Schiffes war nicht klimatisiert. Im Speiseraum nahm die Klägerin die gesamte Reisedauer hindurch einen mäßigen Befall mit Kakerlaken wahr. Der nicht sehr gepflegt wirkende Kapitän verfügte über keine eigene Kabine, sondern schlief im Speiseraum. Die Sitzecke konnte aufgrund ihrer Nähe zum Motorraum und des dort vorherrschenden starken Motorgeruchs von den Passagieren nicht benützt werden. Das Rettungsboot war mit Gegenständen verstellt, sodass es im Notfall nicht schnell einsatzbereit gewesen wäre.
Der Schiffskapitän und die Servicedame sprachen Englisch, der Rest der Crew nur Griechisch. Kein Mitglied der Besatzung beherrschte die deutsche Sprache. Den Gästen wurden keine Informationen über die Route, die angefahrenen Inseln, die Essenszeiten oder die Badestopps erteilt.
Das Schiff lief immer morgens aus einem Hafen aus und hielt auf der Strecke zum nächsten Hafen Badestopps ein. Abends legte das Schiff wieder in einem Hafen an. In den Nachtstunden war das Schiff ohne Stromversorgung. Es gab in dieser Zeit weder in den Kabinen noch in den öffentlichen Bereichen eine Beleuchtung und funktionierte auch die Wasserversorgung einschließlich der Toilettenspülung nicht. Ab dem dritten Tag gab es kein Warmwasser mehr. Auch die Stromversorgung funktionierte nur teilweise und es fiel im Laufe des dritten Tages nach und nach in den Kabinen immer öfter der Strom aus. Ab dem 29.6.2022 gab es in den Kabinen gar keinen Strom mehr.
Das Schiff befand sich von Anfang an in einer leichten Schieflage, die im Verlauf der Reise immer stärker wurde. Wegen einer kaputten Motordichtung lief im Maschinenraum kontinuierlich Motoröl aus, das von der Crew mit Zeitungspapier und Tüchern aufgenommen wurde. Ein Crewmitglied beobachtete ständig den Motor. Wegen des Motordefekts wurde das Schiff ab dem dritten Tag immer langsamer und der Abgasgeruch immer stärker. In einer Nacht trat aus dem Motorraum so starker Rauch und intensiver Abgasgeruch aus, dass sich ein Gast übergeben musste. In weiterer Folge musste der Kapitän den Motor drosseln und zusätzliche „Badestopps“ einlegen, um den Motor abkühlen zu lassen. Gegen Ende der Reise kürzte der Kapitän die Route ab und fuhr zwei in der Reiseplanung vorgesehen gewesene Häfen nicht an.
Aufgrund der vermehrten Rauchentwicklung und des Motorgeruchs kamen unter den Passagieren Sicherheitsbedenken auf. Die Klägerin kontaktierte wegen der Zustände an Bord am 30.6.2022 erstmals die Beklagte. Der Geschäftsführer der Beklagten bot der Klägerin an, das Schiff am 1.7.2022 vorzeitig zu verlassen und bat die Klägerin auch, dies den anderen Gästen mitzuteilen. Die Beklagte organisierte eine Hotelübernachtung. Am nächsten Tag wurden die Gäste mit der Fähre, wofür sich die Gäste auf Kosten der Beklagten die Tickets selbst besorgen mussten und auf deren Abfahrt die Klägerin mehrere Stunden warten musste, zum Ausgangspunkt der Reise gebracht. Die dort vorgesehen gewesene Stadtführung fand nicht statt.
Die Klägerin begehrte die Rückzahlung des gesamten Reisepreises von EUR 1.519,--, den Ersatz von Barauslagen in Höhe von EUR 28,-- und für sieben Tage den mit EUR 100,--/Tag bezifferten Ersatz für entgangene Urlaubsfreude, insgesamt somit einen Betrag von EUR 2.247,--.
Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung der Klage und wendete zusammengefasst ein, dass die Reise der gebuchten Schiffskategorie und dem in der Reisebeschreibung dargelegten Standard der Reise entsprochen habe.
Mit dem angefochtenen Urteil verurteilte das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 1.180,50 und wies das Mehrbegehren von EUR 1.066,50 ab. Dazu traf es die eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Feststellungen, welche es rechtlich dahingehend wertete, dass angesichts des graduell schlechter werdenden Verlaufs der Reise eine tageweise Bewertung der Preisminderung vorzunehmen sei. Für die ersten beiden Tage, an denen selbst der vertragsgemäß zu erwartende niedrige Standard an Bord des Schiffes unterschritten worden sei, stehe eine Preisminderung im Ausmaß von 25 % des anteiligen Reisepreises, ab dem dritten Tag 70 %, für den 2.7 und 3.7.2022 100 % und für den 3.7.2022 15 % zu. Insgesamt bemaß das Erstgericht die Preisminderung somit mit EUR 902,50. Einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude nahm das Erstgericht für fünf Tage bei einem Tagessatz von EUR 50,--, insgesamt somit in der Höhe von EUR 250,--, an. Darüber hinaus sprach es der Klägerin die geltend gemachten Auslagen für Mahlzeiten am 2.7.2022 in der Höhe von EUR 28,-- zu.
Gegen den klagsabweisenden Teil des Urteils richtet sich die Berufung des Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass der Klage vollständig, somit auch hinsichtlich des Betrages von EUR 1.066,50, stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
I. Preisminderung
1.1. Gemäß § 12 Abs 1 PRG hat der Reisende einen Anspruch auf angemessene Preisminderung für jeden von einer Vertragswidrigkeit betroffenen Zeitraum einer Pauschalreise.
1.2. Ob eine Reise mangelhaft ist, richtet sich nach dem konkreten Vertrag, das heißt, die Reise muss die bedungenen sowie die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufweisen. Der konkrete Leistungsinhalt bestimmt sich demnach neben der Leistungsbeschreibung des Reiseveranstalters nach der Verkehrsauffassung sowie der vor Ort üblichen, nationalen Landeskategorie.
1.3. Die Festsetzung des konkreten Minderungsbetrags erfolgt nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 273 ZPO. Mit dieser Bestimmung wird dem Gericht kein freies Entscheidungsermessen eingeräumt, sondern die Betragsfestsetzungen sind nach bestem Wissen und Gewissen aufgrund der Lebenserfahrung und der Ergebnisse der Verhandlung vorzunehmen. Die Beweisbefreiung des § 273 ZPO setzt damit an die Stelle der Ermittlungspflicht das (gebundene) Ermessen des Gerichts. Im Rahmen der Geltendmachung des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist in einem solchen Fall lediglich die Überschreitung der Grenzen des Ermessensbereichs (Ermessensüberschreitung), die bewusste Herbeiführung eines vom Gesetz nicht gewollten Erfolgs durch Ermessensentscheidung (Ermessensmissbrauch) und die Nichtbeachtung der ausdrücklich oder immanent der Ermessensnorm zugrunde liegenden gesetzlichen Beurteilungsgesichtspunkte (bei gebundenem Ermessen) überprüfbar (HG Wien 1 R 113/15m uva).
1.4. Bei der Bemessung der Preisminderung kann die zur Vereinheitlichung der Entscheidungspraxis in Preisminderungsfragen erstellte „Frankfurter Tabelle“ als Orientierungshilfe herangezogen werden (RIS-Justiz RS0117126). Diese Tabelle bildet eine grobe Richtschnur, das Gericht hat sich nicht sklavisch an die dort angeführten Prozentsätze zu halten. Vielmehr sind unter sorgfältiger Abwägung der konkreten Gegebenheiten stets die Umstände des Einzelfalls zu beachten (HG Wien 1 R 198/14k, 1 R 65/14a uva). Auch die sogenannte „Wiener Liste“, die die Rechtsprechung des Handelsgerichts Wien und des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien in kasuistischer Form durch Nennung einzelner Prozentpunkte der jeweiligen Preisminderung bei Reisemängeln wiedergibt, kann als grobe Orientierungshilfe angesehen werden (HG Wien 1 R 115/14d, 50 R 74/14k). Dabei ist eine Abweichung der Preisminderungsberechnung um rund 10 % bei geringfügigen Beträgen vom Berufungsgericht nicht aufzugreifen (HG Wien 1 R 13/14d).
1.5. Wenn Mängel nur einen Teil einer Reise betreffen, steht der Preisminderungsanspruch nur für den mangelbehafteten Zeitraum zu. Auf die Gesamtdauer bezogene Prozentsätze sind daher lediglich auf den betroffenen Reisezeitraum anzuwenden (3 Ob 271/03d). Dies entsprichtnunmehr auch dem Wortlaut der Bestimmung des § 12 Abs 1 PRG, wonach der Anspruch auf Preisminderung für den von einer Vertragswidrigkeit betroffenen Zeitraum besteht.
2.1. Über diese allgemeinen Voraussetzungen hinaus verweist das Berufungsgericht auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Zu seinen im einzelnen angeführten Argumenten genügt daher eine ergänzende Stellungnahme (§ 500a ZPO).
2.2. Die Berufungswerberin wendet sich gegen die vom Erstgericht entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen vorgenommene Bemessung der Preisminderung nach Prozent- und Tagessätzen. Sie argumentiert zunächst damit, dass die festgestellten Mängel von Beginn an so gravierend gewesen wären, dass eine Preisminderung von 100 % des gesamten Reisepreises vorzunehmen gewesen wäre. Mit dem in diesem Zusammenhang gebrauchten Argument, es habe letztendlich Lebensgefahr an Bord bestanden, entfernt sich die Klägerin im Übrigen – worauf auch in der Berufungsbeantwortung zutreffend hingewiesen wird – vom festgestellten Sachverhalt, stellte das Erstgericht zwar ein vom Motordefekt ausgehendes Sicherheitsrisiko fest, traf aber zum Vorliegen einer akuten Brand- oder Lebensgefahr eine Negativfeststellung. Dies gilt gleichermaßen für das Berufungsvorbringen, dass das Essen ungenießbar gewesen sei.
2.3. Dem weiteren Argument der Klägerin, die Einordnung des Preisminderungsanspruchs nach Tagen und Prozentsätzen sei für Hotelaufenthalte zu Lande entwickelt worden und berücksichtige nicht, dass es sich bei einer Schiffsreise um einen Aufenthalt in einem „geschlossenen System“ an Bord handle und die Klägerin somit keine Möglichkeit gehabt habe, den Reisemängeln auszuweichen oder diese zu umgehen, ist Folgendes zu erwidern. Zum einen entfernt sich auch diese Begründung insoweit vom festgestellten Sachverhalt, als sie unberücksichtigt lässt, dass das Schiff jeden Abend in einem Hafen anlegte und die Klägerin dadurch auch tatsächlich – etwa durch das Duschen außerhalb des Schiffes – einzelnen Mängeln ausweichen konnte. Zum anderen ist der Klägerin grundsätzlich zuzustimmen, dass – wie oben dargestellt - bei der Beurteilung der Mangelhaftigkeit einer Reise vom konkreten Leistungsinhalt auszugehen ist, somit auch zu berücksichtigen ist, dass es sich gegenständlich um eine Schiffsreise handelt. Dass ein bestimmter Mangel an Bord eines Schiffes möglicherweise anders zu bewerten ist, als wenn derselbe Umstand in einem Hotel auftritt, mag zutreffen, begründet aber kein Abgehen von den dargelegten Grundsätzen der Bemessung des Preisminderungsanspruchs.
3.1. Wie bereits das Erstgericht ausgeführt hat, war aufgrund der Reisebeschreibung von der Beklagten lediglich eine sehr einfache Schiffsausstattung und allgemein wenig Reisekomfort geschuldet. Hervorzuheben ist aus der vom Erstgericht festgestellten Reisebeschreibung, dass der Komfort eines Hotelzimmers oder eines großen Kreuzfahrtschiffes nicht einmal ansatzweise erreicht werde. Dennoch wurde aber selbst der zu erwartende niedrige Standard von Beginn der Reise an unterschritten.
3.2. Unter weiterer Berücksichtigung der bereits vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung zitierten Judikatur des Berufungsgerichts erweist sich die vom Erstgericht mit insgesamt rund 60 % des Reisepreises bemessene Preisminderung als angemessen und nicht zu beanstanden. Allein der Umstand, dass ein anderes Gericht den Minderungsbetrag nach § 273 ZPO möglicherweise etwas höher (oder niedriger) hätte festsetzen können, stellt noch keine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache dar ( Schmidt , Aktuelle Rechtsprechung zum Reiserecht, ZVR 2013, 481). Eine vom Berufungsgericht aufzugreifende Ermessensüberschreitung des Erstgerichts liegt keineswegs vor.
II. Entgangene Urlaubsfreude
1. Der Reisende hat gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf angemessenen Ersatz des Schadens, den er infolge der Vertragswidrigkeit erlitten hat. War die Vertragswidrigkeit erheblich, so umfasst der Schadenersatzanspruch auch den Anspruch auf angemessenen Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude (§ 12 Abs 2 PRG). Dabei ist auf die Schwere und Dauer des Mangels, den Grad des Verschuldens, den vereinbarten Zweck der Reise und die Höhe des Reisepreises Bedacht zu nehmen. Damit wird eine „Erheblichkeitsschwelle“ für die Beeinträchtigungen festgelegt, wobei § 12 Abs 2 PRG dem Gericht hierbei einen Ermessensspielraum einräumt. Auch bei der Ausmessung von Ersatzansprüchen für entgangene Urlaubsfreude gelangt gemäß § 273 ZPO somit richterliches Ermessen zur Anwendung.
2.1. In der Rechtsprechung finden sich unterschiedliche Ansätze zur Erheblichkeitsschwelle. Dabei wurden zwei Eckpunkte festgemacht: die erlittenen Beeinträchtigungen müssen über bloße Unlustgefühle hinausgehen (OGH 2 Ob 79/06s und 3 Ob 220/06h) und eine wesentliche Reiseleistung betreffen (3 Ob 220/06h; 2 Ob 79/06s; 10 Ob 20/05x). Insbesondere jene Entscheidungen, in denen der Anspruch auf entgangene Urlaubsfreude auf eine dem Reiseveranstalter zurechenbare Körperverletzung des Reisenden oder seines Angehörigen gestützt wurde, machen deutlich, dass nicht die Höhe der zustehenden Preisminderung, sondern die Auswirkung der Nicht- oder Schlechterfüllung auf die gesamte Reise entscheidend ist (OLG Wien 4 R 13/06w).
2.2. Hat das Handelsgericht Wien in früheren Entscheidungen für die Ermittlung der Erheblichkeitsschwelle zum Teil die vom BGH ermittelten Grundsätzen herangezogen und etwa in den Entscheidungen zu 1 R 125/05m und 1 R 251/05s auf die 50 %-Grenze abgestellt, so vertrat es in der jüngeren Rechtsprechung die Ansicht, dass auch auf die Auswirkungen der Nicht- bzw. Schlechterfüllung abzustellen ist. Führt der Reisemangel zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Reisenden, ist eine Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude nicht zuzusprechen (HG Wien 1 R 137/13p). Soweit nichts anderes vereinbart sei, sei der durchschnittliche Zweck einer Pauschalreise jener der Erholung des Buchenden sowie seiner Mitreisenden. Der Urlaub soll für die Entspannung und für der Regeneration dienen. Für die Beurteilung, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten wurde, sei weiters zu berücksichtigen, welche Auswirkungen die Nicht- oder Schlechterfüllung auf die gesamte Reise hatte.
2.3. Die handelsgerichtliche Rechtsprechung verneinte bei einer Preisminderung von 25 % (60 R 18/13x), 27 % (50 R 97/10m) oder rund 30 % (1 R 160/11t) einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude. Andererseits nahm es in Einzelfällen bei einer Preisminderung von 25 % (1 R 272/13s) oder 15 % (1 R 83/03g) eine entgangene Urlaubsfreude an, wenn wesentliche Teile der vertraglichen Leistung betroffen waren. Auch der Oberste Gerichtshof nahm bei einer Preisminderung von 25 % bereits eine Überschreitung dieser Schwelle an (6 Ob 231/08a: massive Verschmutzung des Strandes und mangelnde zugesicherte Kinderbetreuungsmöglichkeit; vgl. auch HG Wien 1 R 198/14k; zu alledem: HG Wien 1 R 136/19z, 1 R 92/20f und 50 R 19/21g).
3.1. Auch in Bezug auf den Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude kann gemäß § 500a ZPO auf die zutreffenden und sorgfältigen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen werden.
3.2. Angesichts der festgestellten Umstände und der oben ausgemittelten Preisminderung war bei der zu beurteilenden Reise der Klägerin die Erheblichkeitsschwelle jedenfalls insgesamt überschritten.
3.3. Hinsichtlich der Höhe des Schadenersatzes ist insbesondere auf die Schwere und Dauer des Mangels, den Grad des Verschuldens, den vereinbarten Zweck der Reise sowie die Höhe des Reisepreises Bedacht zu nehmen. Nach den Gesetzesmaterialien (173 dBlgNR XXII. GP) zur Einführung der Vorgängerregelung des § 31e Abs 3 KschG im Jahr 2004 bestanden keine Bedenken dagegen, der Bemessung Pauschalbeträge in einer Größenordnung von etwa EUR 50,-- bis EUR 60,-- pro Tag an entgangener Urlaubsfreude zugrunde zu legen. Gleichzeitig wird aber in den Gesetzesmaterialien auch betont, dass je nach den Umständen des Einzelfalles über oder unter diese Beträge gegangen werden könne und auch darauf hingewiesen, dass die Höhe des Ersatzes für die entgangene Urlaubsfreude in einem angemessenen Verhältnis zu den von der Rechtsprechung festgelegten Schmerzengeldbeträgen stehen soll. Ärger und Enttäuschung über einen nicht zustande gekommenen oder abgebrochenen Erholungsurlaub können aber nicht höher bewertet werden, als leichte körperliche Schmerzen, für die in der Judikatur der österreichischen Gerichte im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien aktuell rund EUR 120,-- pro Tag zugesprochen werden ( Hartl , Schmerzengeldsätze in Österreich Zak 2022, 64).
3.4. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist auch der vom Erstgericht ausgemittelte Schadenersatz keinesfalls mit einer vom Berufungsgericht aufzugreifenden Ermessensüberschreitung belastet.
Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Gemäß § 23 Abs 10 RATG iVm § 501 Abs 1 ZPO gebührt im Berufungsverfahren nur der einfache Einheitssatz.
Gemäß § 502 Abs. 2 ZPO ist die Revision jedenfalls unzulässig, weil der Entscheidungsgegenstand EUR 5.000,-- nicht übersteigt.