JudikaturHandelsgericht Wien

1R36/22y – Handelsgericht Wien Entscheidung

Entscheidung
19. August 2022

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Dr. Gumpinger (Vorsitzender), Mag. Schimatschek und KR Mag. Rab in der Rechtssache der klagenden Partei A* , B*, **straße **, vertreten durch Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wider die beklagte Partei C* AG , ** D*-**, **, vertreten durch Dr. Martin Brenner und Dr. Martin Klemm, LL.M., MRICS, Rechtsanwälte in 1010 Wien, wegen EUR 250,- samt Anhang, über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse EUR 250,-), gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 30. 11. 2021, GZ 11 C 229/21p-19, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei innerhalb von 14 Tagen die Kosten der Berufungsbeantwortung von EUR 176,28 (darin EUR 29,30 an 20% USt) zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klägerin hatte als Fluggast der Beklagten, dem ausführendem Luftfahrtunternehmen folgenden Flug gebucht: Flugnummer OS376 am 3.4.2019 - Abflug um 20.00 Uhr in E*, Ankunft um 21.50 Uhr in D*. Dieser Flug wurde annulliert. Die Beklagte buchte die Klägerin auf den Flug OS378 von E* nach D* am Folgetag um. Die Klägerin wurde damit auf die raschest mögliche Verbindung umgebucht. Die Flugstrecke von E* nach D* beträgt aufgrund der Großkreisberechnung weniger als 1500 km.

Auf dem Vorflug, dem Flug OS375 von D* nach E* am 3.4.2019, kam es zu einem Blitzschlag. Auf der Flugstrecke von D* nach E* herrschten Gewitter. Es kann nicht festgestellt werden, um welche Uhrzeit der Blitzschlag eingetreten ist. Durch den Blitzschlag wurde das Flugzeug jedenfalls an mehreren Stellen am Rumpf, sowie auch an den kleinen Flügel am Heck beschädigt. Das Flugzeug landete um 19.16 Uhr in E* und erreichte um 19.30 Uhr seine Parkposition. Nach der Landung meldete der Pilot zu einer nicht mehr feststellbaren Uhrzeit den Blitzschlag an die Beklagte, welche in der Folge den zuständigen Technikbetrieb in E*, die Firma F* verständigte. Die Mitarbeiter des Technikbetriebs begaben sich in der Folge zum Flugzeug um das Flugzeug auf Schäden aufgrund des Blitzschlages zu untersuchen. Derartige Inspektionsarbeiten dauern in etwa 5-6 Stunden. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt wurden die Inspektionsarbeiten begonnen. Um 20.54 Uhr entschied sich die Beklagte schließlich dazu, den klagsgegenständlichen Flug zu annullieren, die Inspektionsarbeiten waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. […]

Das Risiko einer Blitzschlaggefahr kann durch Umfliegen und Einhalten eines Sicherheitsabstandes von Gewitterwolken reduziert bzw. verhindert werden. Beim gegenständlichen Flug war aufgrund der Anzeigen am Wetterradar kein solches Umfliegen erforderlich. Der Pilot flog daher, wie sechs Luftfahrzeuge vor ihm und acht Luftfahrzeuge hinter ihm, die Flugroute ohne Abweichungen. [...] Kleinnavigatorische Maßnahmen, um das Risiko einer Blitzschlaggefahr zu reduzieren bzw. zu verhindern sind nicht möglich, zumal man im Vorhinein nicht sagen kann, ob bzw. wo ein Blitz als nächstes einschlägt. Es waren daher auch gegenständlich schon aus diesem Grund solche kleinnavigatorische Maßnahmen nicht möglich. Abgesehen davon wären gegenständlich solche kleinnavigatorische Maßnahmen auch deshalb nicht möglich gewesen, weil das Flugzeug aufgrund der Nähe zum Landeflughafen bereits auf die Landepiste ausgerichtet war. […]

Die Beklagte hat in E* kein eigenes Ersatzflugzeug bereit stehen. Ein Ersatzflugzeug steht der Beklagten zwar grundsätzlich in D* für solche Fälle zur Verfügung, dieses war an dem Tag aber bereits für einen anderen ausgefallenen Flug im Einsatz. Die Beklagte macht üblicherweise in solchen Fällen auch immer Anfragen an andere zur Gruppe zugehörige Fluglinien, wie etwa G* oder H*, auch hier war jedoch ein Flugzeug nicht verfügbar. Die Anmietung eines Flugzeuges bei einer fremden Fluglinie hätte jedoch ebenfalls zu einer Verzögerung von mehr als 3 Stunden geführt, weil dann erst verschiedene Rechtsfragen geklärt werden hätten müssen, sodass dies etwa einen Tag gedauert hätte.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten auf Grundlage der Verordnung (EG) 261/2004 (Fluggastrechteverordnung) eine Ausgleichsleistung von EUR 250,- samt Anhang und brachte dazu vor, dass es zur Annullierung des von ihr gebuchten Fluges OS 376 am 3.4.2019 von E* (AMS) nach D*-** (VIE) gekommen sei. Es hätten keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art 5 Abs 3 der VO (EG) 261/2004 vorgelegen. Zudem habe die Beklagte keine Maßnahmen ergriffen, um das Risiko des Blitzschlages und/oder der Annullierung des Fluges zu vermeiden.

Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass der Flug OS 376 (AMS-VIE) aufgrund der durch einen Blitzschlag am Fluggerät aufgetretenen Schäden habe annulliert werden müssen. Die Annullierung sei somit auf einen außergewöhnliche Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 Fluggastrechte-VO zurückzuführen, der sich auch durch die Ergreifung sämtlicher der Beklagten zumutbarer Maßnahmen nicht hätten verhindern lassen.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht nach Verfahrensergänzung im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren, wonach die Beklagte schuldig sei, der Klägerin EUR 250,- samt 4% Zinsen seit 24.4.2019 zu zahlen, neuerlich ab und verpflichtete in der Kostenentscheidung die Klägerin, der Beklagten die mit EUR 758,88 (darin EUR 4,80 Barauslagen und EUR 125,68 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Den unstrittigen Sachverhalt auf den ersten beiden Seiten und die auf der dritten, sowie vierten Seite getroffenen Feststellungen des Urteils – worauf verwiesen wird – beurteilte das Erstgericht mit Verweis auf Art 5 Abs 3 VO (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO) in rechtlicher Hinsicht dahingehend, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachwiesen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ausgehend von der Rechtsansicht des Berufungsgerichts (HG Wien 1 R 65/20k) sei der Blitzschlag als „außergewöhnlicher Umstand“ zu qualifizieren. Nach den Feststellungen sei der Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 3 FluggastrechteVO erfüllt, sodass der Klägerin kein Ausgleichsanspruch zustehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, neuerlich verbunden mit der Anregung, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten.

Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Die Berufung richtet sich neuerlich gegen die Beurteilung des Blitzschlags als außergewöhnlichen Umstand ( „1 Kein außergewöhnlicher Umstand“ ) und gegen die Annahme, die Beklagte habe alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung ergriffen ( „2 Versäumen zumutbarer Maßnahmen“ ).

I.) Ad 1) Kein „außergewöhnlicher Umstand“:

Das Berufungsgericht hat bereits im Parallelverfahren (HG Wien 50 R 20/22f) zu dem selben Flug zu Nummer OS 376 (AMS-VIE) vom 03.04.2019 zu dem identen Berufungsvorbringen ausgeführt wie folgt:

„[...]

Die im Verfahren zentrale Regelung Art 5 Abs 3 FluggastVO besagt, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

1. Zum Blitzschlag als außergewöhnlichem Umstand

Ungeachtet des allfälligen Umstands eines bereits abschließend erledigten Streitpunkts im Zusammenhang mit der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils im ersten Verfahrensgang iSd § 496 Abs 1 Z 3 ZPO (vgl [im Konkreten Beschluss des Berufungsgerichts zu 1R 65/20k vom 28.08.2020 ON 14] bzw Klauser/Kodek, ZPO 17 § 496 E 66), werden dazu die Ausführungen des Berufungsgerichts im ersten Rechtsgang weitestgehend wiederholt und wie folgt ergänzt:

1.1. Für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands iSd Art 5 Abs 3 FluggastVO trägt das in Anspruch genommene Luftfahrtunternehmen die Behauptungs- und Beweislast (Schmid, BeckOK FluggastrechteVO Art 5 Rn 176).

In der Entscheidung I* (31.1.2013 C-12/11) hob der EuGH hervor, dass der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wörtlich auf Umstände „abseits des Gewöhnlichen“ abstellt. Im Zusammenhang mit dem Luftverkehr bezeichnet der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ ein Vorkommnis, das seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen; die fehlende Beherrschbarkeit der Gefahr ist dabei aber nicht das letztausschlaggebende Kriterium. Ist ein Vorkommnis aber schon nicht „außergewöhnlich“, weil es Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens (betriebstypisches Risiko) ist, kommt es auf die Frage der Beherrschbarkeit nicht mehr an (Schmid, aaO Rn 24 f).

Für die Beurteilung der Umstände als außergewöhnlich ist somit maßgeblich, dass sie sich von denjenigen Ereignissen unterscheiden, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Flugs gerechnet werden muss. Das bedeutet, dass einem Luftfahrtunternehmen auch die unvermeidbaren Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Flugs seiner Risikosphäre zugewiesen werden, die nicht aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen und somit bestenfalls ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich sind (Schmid, aaO Rn 28).

In der Entscheidung J* (4.5.2017 C-315/15) erachtete der EuGH die durch einen Vogelschlag verursachte Beschädigung eines Flugzeugs als außergewöhnlichen Umstand. Vogelschläge seien „mangels untrennbarer Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs („[not] intrinsically linked to the operating system of the aircraft“) ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar“. Folglich seien sie als „außergewöhnlicher Umstand“ iSv von Art 5 der FluggastVO einzustufen (Rn. 24).

Daran anknüpfend qualifizierte das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht – im Sinn eines „acte clair“ (RS0123074) – auch ein Blitzschlag als außergewöhnlichen Umstand. Bei beiden Ereignissen handle es sich um von außen wirkende (Natur-)Ereignisse (HG Wien vom 24.7.2017 zu 1 R 42/17y, vom 14.8.2017 zu 60 R 9/17d und vom 18.12.2017 zu 1 R 131/17m).

1.2. Unter Berufung auf die vom EuGH gefällte Entscheidung K* (14.11.2014 C-394/14) argumentiert der Kläger, die Kollision eines Treppenfahrzeugs mit einem Flugzeug sei Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit von Luftfahrtunternehmen, weil diese regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz von Treppenfahrzeugen ergeben. Damit stelle eine solche Kollision keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Dies gelte auch für einen Blitzschlag. Dabei übersieht der Kläger die Begründung des EuGH für die Qualifikation der Kollision als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens: Treppenfahrzeuge oder Gangways ermöglichten es den Fluggästen im Flugverkehr, aus dem Flugzeug ein- und auszusteigen (Rn. 19). Einem Vogel- oder Blitzschlag kommt allerdings evidenter Maßen keine vergleichbare Unterstützungsfunktion zur Bewältigung des Flugverkehrs zu. Vielmehr handelt es sich dabei in beiden Fällen um ein von außen wirkendes (Natur-)Ereignis und damit um einen außergewöhnlichen Umstand.

1.3. In der vom Kläger weiters ins Treffen geführten Entscheidung C. Van der Lans/Koninklije Luchtvaart Maatschappij (17.9.2015, C-274/14) hatte der EuGH ein „aufgetretenes technisches Problem“ zu beurteilen, das nicht im Zusammenhang mit einem von außen wirkenden (Natur-)Ereignis stand (vgl Spruch bzw Rn. 9). Die Entscheidung ist daher für den vorliegenden Fall nicht relevant.

1.4. Schließlich argumentiert der Kläger, bei einem Blitzschlag bestehe – im Gegensatz zum Vogelschlag - ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang mit dem Betrieb des Luftfahrzeugs dadurch, dass die für einen Blitzschlag notwendige elektrische Spannung im Allgemeinen vom Luftfahrzeug selbst ausgeht.

Selbst wenn dies stimmen sollte, vermag das Argument nicht zu überzeugen, weil auch der Vogelschlag ohne die schlichte Existenz des Luftfahrzeugs nicht denkbar wäre. Insofern bedurfte es auch keiner Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens zu dieser Frage.

1.5. Zusammengefasst mangelt es von außen wirkenden (Natur-)Ereignissen wie Vogelschlägen und Blitzschlägen gleichermaßen an der untrennbaren Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind (vgl EuGH Pešková/Travel Service C-315/15), weshalb beide Vorkommnisse als außergewöhnliche Umstände iSv Art 5 Abs 3 FluggastVO einzustufen sind.

Die Definition des EuGH besagt im Ergebnis nichts anderes, als dass ein Flugzeug ohne Vogelschlag in der Lage ist zu fliegen bzw den Flug durchzuführen, was auf den Blitzschlag ebenso zutrifft, weshalb insofern in beiden Fällen von einem von außen wirkenden (Natur-)Ereignis und damit von einem außergewöhnlichen Umstand iSv Art 5 Abs 3 FluggastVO auszugehen ist. Folgerichtig stellt die Kollision eines Treppenfahrzeugs mit dem Flugzeug keinen außergewöhnlichen Umstand dar, weil Treppenfahrzeuge eine Unterstützungsfunktion zur Bewältigung des Flugverkehrs zukommt (vgl Punkt 1.2.).

Selbst unter dem Blickwinkel des Kriteriums der Außergewöhnlichkeit betrachtet, kann kein Unterschied zwischen einem Vogelschlag und einem Blitzschlag erkannt werden, mag es sich bei letzterem auch um ein Wetterphänomen handeln (aA uU Schmid, BeckOK FluggastrechteVO Rn 109: „… kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Kammer des EuGH …“).

Das Berufungsgericht sieht daher auch im vorliegenden Fall keinen Grund, von seiner stRspr abzuweichen.

1.6. Die diesem Ergebnis entgegen stehende Ansicht der Europäischen Kommission in Form eines für das Verfahren C-672/20 erstatteten Schriftsatzes ist naturgemäß weder für den EuGH, noch für nationale Gerichte bindend. Nicht zuletzt entscheidet die Europäische Kommission die Auslegungsfrage bekannter Maßen nicht gleich einem Gericht, sondern schlägt, wie sie selbst festhält, diesem eine bestimmte Auslegung nur vor (./D Rn 47.). Nach Zurücknahme des Vorabentscheidungsersuchens durch das Landesgericht Korneuburg vom 23.11.2020 zu 22 R 258/20a strich der EuGH das Verfahren ohne Entscheidung aus dem Register (Schmid, BeckOK FluggastrechteVO Rn 109).

Dazu kommt, dass das Berufungsgericht die Ausführungen in einem weiteren Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Korneuburg vom 4.5.2021 zu 22 R 201/20v nicht teilt. Es mag sein, dass ein Flugzeug die Aerodynamik bzw den aerodynamischen Auftrieb nutzt, um fliegen zu können. Das trifft aber genau so gut auf einen – allenfalls einen Vogelschlag verursachenden - Vogel zu. Selbst wenn also an einem Blitzschlag ein aerodynamischer Prozess, oder, wie das Landesgericht Korneuburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausführt, eine damit im Zusammenhang stehende instabile Atmosphäre beteiligt sein sollte (vgl S 7), wäre damit für den Kläger und die von ihm intendierte Auslegung nichts gewonnen. Nach Zurücknahme des Vorabentscheidungsersuchens strich der EuGH das entsprechende Verfahren zu C-336/21 ohne Entscheidung aus dem Register (aaO).

1.7. Aus folgenden Gründen bedarf es aber auch nicht, wie vom Kläger neuerlich angeregt, der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu der mit dem Blitzschlag im Zusammenhang stehenden Auslegungsfrage:

Insb enthält die Formulierung des Klägers im zweiten Verfahrensgang – ähnlich wie im ersten Verfahrensgang – eine dahingehende Vermutung, dass Blitzschläge meist vom Flugzeug selbst ausgelöst werden. Selbst wenn man dies so annehmen bzw ausdrücken wollte und es insofern auch so wäre, käme es nach Ansicht des Berufungsgerichts darauf aber auch gar nicht an (vgl Punkt 1.4. zweiter Absatz).

Abgesehen davon wird auf das Vorliegen eines „acte claire“ verwiesen (vgl Punkt 1.1. letzter Absatz).

Allgemein ist dazu zu sagen, dass das nationale Gericht nur dann seiner Vorlagepflicht enthoben ist, wenn eine Frage der Auslegung bereits Gegenstand einer Vorabentscheidung des EuGH war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass die Beantwortung der Frage gar nicht zweifelhaft sein kann bzw insofern für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt. Bei klaren Regelungen oder einer eindeutigen Rechtsprechung des EuGH erübrigt sich damit schon im Sinn der „acte clair“-Theorie eine Anrufung des EuGH (RS0082949 insb [T3][T4] ua; C.I.L.F.I.T. ua/Ministero della Sanità ua, 27.3.1981 C-238/81).

Die Beurteilung, ob die richtige Anwendung des europäischen Rechts derart offenkundig ist, dass von einer Vorlage abgesehen werden kann, bleibt grundsätzlich den nationalen Gerichten überlassen. Die Prüfung ist allerdings nicht aus der subjektiven Sicht des jeweiligen nationalen Gerichts vorzunehmen, sondern unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft (RS0123074). Ein Verzicht des Gerichts, den EuGH anzurufen, muss im Ergebnis also jedenfalls die Ausnahme bleiben, die va dann nicht zum Tragen kommt, wenn gegensätzliche Entscheidungen von Vorinstanzen vorliegen bzw bei der Auslegung in den Mitgliedstaaten immer wieder Schwierigkeiten auftreten (Ferreira ua/Estado português, 9.9.2015 C-160/14).

Das Berufungsgericht hegt seiner stRspr gemäß, va aber auf Basis der vorliegendenfalls herangezogenen und auch heranzuziehenden Entscheidung des EuGH in der vorliegenden Auslegungsfrage die richtige Anwendung des Unionsrechts für derart offenkundig, dass keinerlei vernünftige Zweifel im Hinblick auf die im Zusammenhang mit dem Blitzschlag stehende Auslegungsfrage verbleiben (vgl Punkt 1.5.).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann auch von einer Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen keine Rede sein. Wie das Landesgericht Korneuburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 4.5.2020 selbst ausführte, „erwägt es“ lediglich „(weiterhin)“ (vgl S 7), von seiner bisherigen stRspr abzuweichen, im Rahmen derer es einen Blitzschlag als außergewöhnliches Ereignis qualifiziert hat. Eine dahingehend abschlägige Entscheidung ist bis dato allerdings – soweit ersichtlich – nicht ergangen. Dazu kommt, dass die vom Landesgericht Korneuburg in seinem Vorabentscheidungsersuchen angeführte Entscheidung des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 31.3.2017 zu 11 C 227/16m insofern nicht einschlägig erscheint, als diese vor der Entscheidung des EuGH betreffend Vogelschlag (Pešková/Travel Service, 4.5.2017 C-315/15) ergangen ist. Von „immer wieder auftretenden Schwierigkeiten bei der Auslegung“ im obgenannten Sinn kann angesichts dessen keine Rede sein. Soweit ersichtlich, trifft dies nicht nur auf innerstaatliche Gerichte, sondern auch auf die Gerichte der Mitgliedstaaten zu (Schmid, BeckOK FluggastrechteVO Rn 110). [….]“

Angewandt auf den konkreten Fall kann das Berufungsgericht im Hinblick darauf, dass es sich um ein und den selben Anschlussflug OS376 (AMS-VIE) - und damit auch um den selben „Blitz“ am Vorflug OS375 (VIE-AMS) vom 03.04.2019 – handelt, zu den konkreten Beanstandungen der Klägerin, die im wesentlichen Bereich eine Wiederholung der aus dem Berufungsverfahren zu 50 R 20/22f des HG Wien erstatteten Ausführungen sind, darauf verweisen, dass auch im vorliegenden Fall dem Erstgericht darin beizupflichten ist, dass der „aufgetretene Blitzschlag“ als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 der VO (EG) 261/2004 zu qualifizieren ist. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen zu 50 R 20/22f des HG Wien bedarf es auch im vorliegenden Fall nicht der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens.

II.) Ad „2) Versäumen zumutbarer Maßnahmen“:

Mit Bezug auf Art 5 Abs 3 der VO (EG) 261/2004 und Verweis auf die vom LG Korneuburg (22 R 152/20p) judizierte Prüfung der vom Luftfahrtunternehmen geforderten Maßnahmen auf drei Ebenen (siehe RKO0000014 ) moniert der Kläger, dass die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts nur Maßnahmen der ersten und dritten Ebene umfasse, aber nicht der zweiten Ebene („ Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung, bzw einer großen Verspätung “).

So sei den Feststellungen nur zu entnehmen, dass die nach Feststellung von Schäden infolge Blitzschlags vorzunehmenden technischen Überprüfungen ca. fünf bis sechs Stunden dauern und im Zeitpunkt der Annullierung um 20:45 noch nicht abgeschlossen waren. Die Berufungswerberin beanstandet sodann, dass nicht habe festgestellt werden können, wann mit diesen Arbeiten begonnen worden sei (Urteil, S.3). Mit Verweis auf weitere Feststellungen („ Die Inspektionsarbeiten konnten in der Folge auch nicht am gleichen Abend abgeschlossen werden, weil die Mitarbeiter des Technikbetriebes bereits für andere Wartungsarbeiten eingeteilt waren. Die beklagte Partei brachte daher am Folgetag eigene Techniker nach E*, um die Inspektionsarbeiten abzuschließen. “) meint die Klägerin, dass damit im Dunkeln bleibe, welche zumutbaren Maßnahmen die Beklagte ergriffen habe, um die Überprüfung möglichst rasch durchzuführen und welche personellen, materiellen und finanziellen dafür eingesetzt worden seien. Die Beklagte hätte dazu – so die Klägerin weiters - auch kein konkretes Vorbringen erstattet.

Nach Ansicht der Berufungswerberin habe die Beklagte insbesondere kein Vorbringen dazu erstattet, wann mit den Inspektionsarbeiten begonnen worden sei, wieviele Techniker dafür zur Verfügung gestanden haben und eingesetzt worden seien, sowie, ob bzw. warum nicht auch früher mit den Arbeiten begonnen hätte werden können. Weiters vermisst die Klägerin ein Vorbringen der Beklagten dahingehend, warum die Entsendung von Technikern für den Abschluss der Arbeiten nicht schon am Abend des 03.04.2019 oder in der Nacht vom 03.04. auf den 04.04.2019 möglich gewesen wäre, um die Arbeiten erheblich früher abzuschließen und damit die Klägerin schon früher zu ihrem Endziel hätte befördert werden können. Mit Verweis auf LG Korneuburg zu 22 R 113/20b meint die Berufungswerberin schließlich, dass den vom EuGH genannten Kriterien für die zumutbaren Maßnahmen zudem nicht Rechnung getragen werde, wenn ein Luftfahrtunternehmen einen Techniker erst zu jenem Flughafen einfliegen, auf dem sich das beschädigte Flugzeug befinde.

Mit ihren Ausführungen übersieht die Berufungswerberin, dass zwar nicht der Beginn der „Inspektionsarbeiten“ am vom Blitzschlag betroffenen Luftfahrzeug festgestellt werden konnte, aber zum einen festgestellt wurde, dass in E* das „ Flugzeug […] um 19.30 Uhr seine Parkposition [...] erreichte “ und zum anderen, dass „ Derartige Inspektionsarbeiten […] in etwa 5-6 Stunden [...] dauern “ (Urteil Seite 3). Diese beiden Feststellungen ergeben im Zusammenhalt mit der unstrittigen Tatsache, wonach der von der Klägerin gebuchte Flug zu Flugnummer OS376 am 03.04.2019 „ Abflug um 20 Uhr in E* “, dass auch bei einem unmittelbaren Beginn mit den Inspektionsarbeiten der gebuchte Flug aufgrund der technisch vorgegebenen Dauer einer Inspektion mit in etwa fünf bis sechs Stunden – unabhängig von den im Vorbringen der Berufungswerberin relevierten Umständen - jedenfalls nur mit einer großen Verspätung hätte erfolgen können, bzw unmittelbar zu annullieren war.

Damit vermag aber die Berufungswerberin mit dem von ihr auf der „zweiten Ebene“ vermissten Vorbringen der Beklagten und den dazu von ihr als fehlend relevierten Feststellungen keine Verletzung der die Beklagte treffenden Darlegungs- und damit Behauptungslast zu den ihr „zumutbaren Maßnahmen“ zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung, bzw einer großen Verspätung aufzuzeigen.

Damit gelingt es der Berufungsweberin insgesamt nicht eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Erstgerichts aufzuzeigen.

III.) Ad „II“ Anregung zur Einleitung eines Vorabentschedungsverfahrens

Die Ausführungen der Klägerin in der Berufung zu „II.“ sind ident mit den Ausführungen im Parallelverfahren zu 50 R 20/22 f des HG Wien, weswegen auf deren Behandlung im Punkt „1.7.“ dieser Berufungsentscheidung (siehe oben) verwiesen werden kann. Es wird daher von der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens Abstand genommen.

Der Berufung der Klägerin war somit ein Erfolg zu versagen.

IV.)

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1.

Die Unzulässigkeit der Revision gründet sich auf §§ 500 Abs 2 Z 2, 502 Abs 2 ZPO.

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