60R99/16p – Handelsgericht Wien Entscheidung
Kopf
Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Hofrat Dr. Schmidt (Vorsitzender), Dr. Steinberger und Mag. Hotter-Kaiser in der Rechtssache des Klägers R*** K***, vertreten durch die Weinrauch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wider die Beklagte D*** V***, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen Rechnungslegung und Zahlung (bewertet mit EUR 1.000,--), über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 28.6.2016, GZ 15 C 233/16y-5, in nicht öffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird v e r w o r f e n .
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 280,54 (darin enthalten EUR 46,76 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt nicht den Betrag von EUR 5.000,--.
Text
B e g r ü n d u n g :
Mit dem angefochtenen Versäumungsurteil (Punkt a.) verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, dem Kläger über den Lebensversicherungsvertrag zur Nummer F/055.028-3 für den Zeitraum vom 1.12.2004 bis 1.7.2015 Rechnung zu legen. Weiters erkannte es die Beklagte schuldig, dem Kläger den sich auf Grund der Rechnungslegung ergebenden Guthabensbetrag in voller Höhe zu bezahlen, wobei die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur gemäß Punkt a. des Urteilsspruchs erfolgten Rechnungslegung vorbehalten bleibe. Schließlich verpflichtet es die Beklagte zur Zahlung der Verfahrenskosten von EUR 670,45.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Grund der Nichtigkeit mit dem Antrag, das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Folgender Sachverhalt wird als bescheinigt angenommen:
Das Erstgericht beraumte die vorbereitende Tagsatzung für den 28.6.2016 für 10.00 Uhr – 10.20 Uhr im Zimmer 1103 des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien an. Die für die beklagte Partei einschreitende Rechtsanwältin Mag. M*** Z*** war bereits um 9.20 Uhr bei Gericht erschienen und nahm im Wartebereich im 11. Stock Platz. Um 9.45 Uhr traf Mag. S***, ein bei der beklagten Partei angestellter Jurist, bei Gericht ein und unterhielt sich mit Frau Mag. Z*** vor allem über seinen Urlaub. Weder Mag. H*** noch Frau Mag. Z*** hörten einen Aufruf der Sache.
Der Erstrichter, Herr Mag. A***, trat pünktlich um 10.00 Uhr vor das Zimmer 1103 und rief die Sache zweimal mit über das normale Gesprächsniveau gesteigerter Lautstärke auf. In das Zimmer kam jedoch nach dem Aufruf nur der Vertreter der klagenden Partei, der daraufhin die Fällung eines Versäumungsurteils beantragte. Fünf oder sieben Minuten nach 10.00 Uhr betraten Frau Mag. Z*** und Herr Mag. S*** das Richterzimmer, woraufhin der dort anwesende Rechtspraktikant mitteilte, dass ein Versäumungsurteil erlassen worden sei.
Dieser als bescheinigt festgestellte Sachverhalt gründet sich auf die im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben der Mag. Z***, des Mag. S*** sowie auf die schriftliche Stellungnahme des Rechtspraktikanten B*** K***. Bei der Lautstärke zum Aufruf der Sache erschien dem Gericht die Darstellung des Rechtspraktikanten als glaubwürdiger, da es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass der Aufruf zur Sache in einer gesteigerten Lautstärke und nicht im Flüsterton erfolgt. Dafür spricht auch, dass der Klagevertreter sehr wohl den Aufruf zur Sache gehört hat und in das Richterzimmer eintrat.
Die Berufungswerberin will eine Nichtigkeit nach § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO dadurch verwirklicht sehen, dass das Erstgericht den Aufruf der Sache ohne Verwendung der vorhandenen Lautsprecheranlage durchgeführt hat, wodurch der Aufruf im explizit als Wartebereich vorgesehenen Bereich nicht wahrnehmbar gewesen wäre. Zudem sei es ständige Judikatur, dass der Aufruf im Verhandlungsaal erfolgen müsse und nicht durch einen Aufruf auf dem Gang oder vor dem Gerichtsgebäude ersetzt werden könne.
Der Berufungswerberin ist hierauf zu entgegnen, dass es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, den Aufruf zur Sache mit Hilfe einer Lautsprecheranlage durchzuführen. Der Aufruf erfolgte im gegenständlichen Fall auch in gesteigerter Lautstärke – wie das Bescheinigungsverfahren ergab –, was jedenfalls als ausreichend zu bezeichnen ist.
Die ältere Rechtsprechung des LG für ZRS Wien (MietSlg 26.524 vo.) sowie Buchegger in Fasching/Konecny II/2 § 133, Rz 2, verlangen, dass der Aufruf der Sache im Verhandlungssaal und nicht davor zu erfolgen hat.
Diese Auffassung ist jedoch nicht überzeugend und wird vom Berufungsgericht nicht geteilt. Gitschthaler in Rechberger4, Rz 2 zu § 133 ZPO, führt überzeugend aus, dass im modernen Gerichtsbetrieb zahlreiche Verhandlungen in unmittelbarer Abfolge nacheinander im Richterzimmer oder in einem Verhandlungssaal stattfinden und zumal die Parteien vor dem Verhandlungssaal warten, der Aufruf auch vor dem Verhandlungssaal erfolgen könne. Diese Auffassung erscheint viel sachdienlicher und mit den praktischen Gegebenheiten mehr vereinbar als ein bloßer Aufruf im Verhandlungssaal. Es wäre auch schwer nachvollziehbar, einen Aufruf im Verhandlungssaal (ohne Lautsprecheranlage) als gesetzeskonform anzusehen, einen solchen, der vor dem Verhandlungssaal erfolgt und daher für die dort wartenden Parteien viel besser hörbar ist, jedoch als gesetzwidrig anzusehen.
Der von der Berufungswerberin behauptete Nichtigkeitsgrund ist sohin nicht gegeben, sodass die Nichtigkeitsberufung in nicht öffentlicher Sitzung zu verwerfen war (§§ 471 Z 5, 483 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Gemäß § 23 Abs. 10 RATG war der Einheitssatz für die Berufungsbeantwortung nur einfach zuzusprechen.
Auch bei einem Beschluss des Berufungsgerichtes ist ein Bewertungsausspruch zu machen (Kodek in Rechberger4, Rz 21 zu § 519 ZPO m.w.N.), wobei die Bewertung unter Bedachtnahme auf die vom Kläger vorgenommene Bewertung erfolgte.