50R128/16d – Handelsgericht Wien Entscheidung
Kopf
Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Dr. Schinzel (Vorsitzender), Mag. Schillhammer und KR Ing. Fessl in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B *** , gegen die beklagte Partei *** , vertreten durch Mag. Michael Schubhart, Rechtsanwalt in 1040 Wien, wegen Zahlung (EUR 13.208,05 s.A.) und Feststellung (EUR 1.000,--), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 16.9.2016, GZ 11 C 691/14v-14, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird F o l g e gegeben.
Das angefochtene Urteil wird in seinem Punkt 1.) lit a) dahingehend abgeändert, dass es als Zwischenurteil lautet wie folgt:
„Das Klagebegehren, die Beklagte habe der Klägerin innerhalb von 14 Tagen EUR 13.208,05 samt 4 % Zinsen seit 15.11.2014 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.
Die Kostenentscheidung – auch hinsichtlich der Kosten dieses Teiles des Berufungsverfahrens - wird der Endentscheidung vorbehalten.“
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Hinsichtlich des Urteilspunktes 1.) lit b), mit dem das Erstgericht das Feststellungsbegehren der klagenden Partei, die beklagte Partei hafte ihr für sämtliche künftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Unfall vom 31.5.2014 auf dem Kreuzfahrtschiff *** , abwies, wird das angefochtene Urteil aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten dieses Teiles des Berufungsverfahrens stellen weitere Verfahrenskosten dar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
und
Text
Begründung:
Die Klägerin buchte eine von der Beklagten veranstaltete Kreuzfahrt auf einem in deren Eigentum stehenden Kreuzfahrtschiff. Die Klägerin kam dort zu Sturz und verletzte sich dabei.
Davon ausgehend begehrt die Klägerin von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes Zahlung von EUR 13.208,05, beinhaltend Schmerzengeld, Rückerstattung des Reisepreises und Ersatz diverser Kosten. Weiters begehrt die Klägerin die mit EUR 1.000,-- bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftige, derzeit nicht bekannte, aus dem Unfall resultierende Schäden. Sie stützt sich dabei auf die Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfalts- bzw. Verkehrssicherungspflichten. Die Klägerin sei nach einer Treppe über zwei abgesetzte Stufen gestürzt, die nicht ausreichend sichtbar bzw. gekennzeichnet gewesen seien.
Die Beklagte hält dem entgegen, die Klägerin sei unachtsam gewesen. Sie habe weder dem erkennbaren Niveauunterschied noch dem in die Stufen eingelassenen Warnhinweis „watch your step“ ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die beiden Klagebegehren im zweiten Rechtsgang neuerlich ab. Es ging dabei von den auf den Seiten 1 f. und 3 bis 4 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen aus, worauf verwiesen wird.
Hervorgehoben sei daraus Folgendes:
„Für Ihren Weg von Deck 6 zu Deck 5 benutzte die Klägerin die sogenannte „Swarovski Treppe“, die auf beiden Seiten mit einem Geländer ausgestattet war. Die Stufen dieser Treppe waren mit Steinen besetzt, die durch die Reflexion des Lichtes glitzerten. Nach der letzten Stufe dieser Treppe begann ein Spannteppich. Nach dem Ende des Geländers der Treppe auf der rechten Seite waren nach einigen Schritten zwei weitere Stufen abwärts, wobei die senkrechten Wände der beiden Stufen aus rotbraunem Holz bestanden. Dieses Holz war auch auf der waagrechten Gehfläche der Stufen mit einer Breite zwischen 4 und 5 cm angebracht. Mittig der Stufen war auf der ersten Stufe in diesem Holzteil ein hellgrünes nicht beleuchtetes Warnschild mit der Aufschrift „watch your step“ angebracht. Der Bodenbelag vor, auf und nach den beiden Stufen war ein Spannteppich mit dunkelblauer Grundierung und beigen Verzierungen. Dieser Spannteppich war nur durch die Holzleisten der beiden Stufen unterbrochen. Auf keiner der beiden Seiten der Stufen befand sich ein Handlauf. Auf der linken Seite war jedoch eine Brüstung bis etwa zur Beckenhöhe auf Grund der dahinterstehenden Sitzgruppe, an der ein Anhalten möglich war. Nach dem Verlassen der „Swarovski Treppe“ wandte sich die Klägerin nach rechts, um in Richtung Rezeption zu gehen. Sie ging auf der rechten Hälfte der Stufen auf diese zu. Dabei übersah sie die zwei Stufen und stürzte, wodurch sie sich verletzte.
Wie aus der Beweiswürdigung hervorgeht, legte das Erstgericht seinen Feststellungen die örtlichen Verhältnisse aus dem Blickwinkel der Klägerin zu Grunde, hinsichtlich derer es auf die Farbfotos ./D und ./E verwies (UA, S 4). Kopien diese beiden Farbfotos sind der Berufungsentscheidung angeschlossen.
Unter Hinweis auf zahlreiche Belegstellen verwies das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht auf den Grundsatz, jede Person, die eine potentielle Gefahrenquelle schafft oder in ihrem Herrschaftsbereich bestehen lässt, habe für die entsprechende Verkehrssicherheit zu sorgen. Als Gefahrenquelle sei alles zu betrachten, wovon zumindest die Möglichkeit einer Schädigung ausgeht. Abwehrmaßnahmen gegen gefährliche Zustände seien daher stets nur im Rahmen des Zumutbaren zu treffen, im Einzelfall komme es auch auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung an. Für die Sicherung von Gefahrenquellen sei in umso höherem Maße zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigungen vorzusehen und zu sichern wissen. Die Verkehrssicherungspflichten verlangten lediglich, dass die Betreiber jene Sicherungsmaßnahmen ergreifen, die im konkreten Fall zur Beseitigung der Gefahrenquelle möglich und zumutbar sind. Es seien jedoch nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung erwartet werden können. Die Verkehrssicherungspflichten dürften dabei aber nicht überspannt werden, weil ansonsten eine vom Verschulden losgelöste Haftung begründet würde. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richteten sich dabei vor allem danach, in welchem Maße die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können. Auch die Benützer der zur Verfügung stehenden Einrichtungen seien zur Anwendung der verkehrsüblichen Aufmerksamkeit verpflichtet. Fußgänger seien dazu verpflichtet, beim Gehen „vor die Füße zu schauen“ und der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden, um Hindernissen aus dem Weg gehen zu können (RIS-Justiz RS0023355, RS0023397, RS0023726, RS0023950, RS0027447, RS0023787).
Da Verkehrsteilnehmer sich auf erkennbare Gefahren auch ohne Sicherung einstellen müssen, habe die Beklagte mit dem problemlosen Überwinden der deutlich erkennbaren Stufen rechnen können. Die Sicherung der Stufen durch das im Boden eingelassene Schild „watch your step“ sei in diesem Fall als ausreichend zu beurteilen. Selbstverständlich sehe man das Schild und die Stufe nur, wenn man „vor die Füße schaut“, also den Blick zumindest einmal auf den Boden vor sich wendet. Aber genau das könne von einem achtsamen Verkehrsteilnehmer nach der Rechtsprechung auch erwartet werden. Für Verkehrsteilnehmer, die Abstützung für die Überwindung der zwei Stufen benötigt hätten, wäre die Brüstung an der linken Seite der Stufen zur Verfügung gestanden. Die Klägerin habe auch nicht vorgebracht, dass sie nicht gestürzt wäre, wenn es einen Handlauf gegeben hätte. In ihrer Einvernahme habe sie ausgesagt, sie hätte sich an der Brüstung auf der linken Seite angehalten, wenn sie die Stufen gesehen hätte. Ein Handlauf auf der rechten Seite zum Aufmerksammachen, dass Stufen vorhanden sind, wäre eine Überspannung der Verkehrssicherungspflichten. Auf Grund des Umstandes, dass die Stufen wegen der Holzabsetzungen erkennbar gewesen seien, habe die Beklagte durch das Anbringen des Warnhinweises „watch your step“ ihre Verkehrssicherungspflichten in ausreichendem Maß erfüllt. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten hätte diesfalls nur dann angenommen werden können, wenn der Beklagten konkret die Gefährlichkeit der betreffenden Stelle bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt bekannt gewesen wäre bzw. bekannt sein hätte müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, weil Stürze vor dem Sturz der Klägerin, wie festgestellt, nicht vorgekommen seien. Die Beklagte habe daher keine sie treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt (UA S 5 f).
Angemerkt sei, dass sich dieses Ergebnis in rechtlicher Hinsicht disloziert bereits in den Feststellungen findet, worin das Erstgericht festhält, die Stufen seien durch die Absetzung des Holzes vom Spannteppich sowie auf Grund des am Boden unmittelbar vor der ersten Stufe angebrachten grünen Hinweisschildes ausreichend gut ersichtlich gewesen. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte die Klägerin die beiden Stufen erkennen können, weil sowohl die beiden Holzleisten der Stufen als auch das grüne Warnschild „watch your step“ bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten erkannt werden können (UA S 5 unten f).
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, das Zahlungsbegehren bestehe dem Grunde nach zu Recht, wobei die Beklagte der Klägerin für zukünftige Unfallfolgen hafte. Die Rechtssache möge zur Entscheidung über die Höhe des Anspruches an das Erstgericht zurückverwiesen, in eventu, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen werde.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens ist die Berufung im Sinne des Abänderungsantrags, hinsichtlich des Feststellungsbegehrens im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
Im Wesentlichen wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung gegen die teilweise disloziert in den Feststellungen getroffene rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, wonach die beiden Stufen ausreichend erkennbar gewesen seien, weshalb die Beklagte keine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zu verantworten habe.
Rechtliche Beurteilung
Hinsichtlich der alle Aspekte umfassenden erstgerichtlichen Wiedergabe der Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten wird auf § 500a ZPO verwiesen.
Allerdings unterlief dem Erstgericht bei der Qualifikation der Stufen als ausreichend erkennbar und der daraus abgeleiteten mangelnden Pflicht der Beklagten, dort den Verkehr zu sichern, eine rechtliche Fehlbeurteilung.
Wie gesagt, legte das Erstgericht seiner Beurteilung der örtlichen Verhältnisse die Farbfotos ./D und ./E zugrunde, zumal diese die Blickrichtung der Klägerin exakt wiedergeben, die damaligen Lichtverhältnisse allerdings nicht zu 100 % (UA, S 4). Davon hat also auch das Berufungsgericht auszugehen.
Die Rechtsprechung verlangt zwar von zu Fuß gehenden Verkehrsteilnehmern, „vor ihre Füße zu schauen“, was aber nicht bedeuten kann, dass diese fast schon einem Radar gleich und mit einer Lupe ausgestattet den Boden vor ihren Füßen nach Hindernissen oder Warnhinweisen abtasten müssen, weil dies einerseits kein akzeptables und allgemein erwünschtes Fortkommen ermöglichen, andererseits aber auch die Gefahr erhöhen würde, weitere Hindernisse oder Gefahrenquellen in dem vor ihnen befindlichen Raum oder andere Verkehrsteilnehmer zu übersehen und mit ihnen zusammenzustoßen. Ein Fußgänger hat daher in einem sinnvollen Verhältnis sowohl „vor seine Füße zu schauen“, als auch den ihn umgebenden Raum zu beachten.
Kreuzfahrtschiffe betreffend sei ergänzt, dass sich andernfalls auch jegliche ansprechende Gestaltung der Umgebung erübrigen würde, die aber im Allgemeinen einen nicht ganz unerheblichen Aspekt einer Kreuzfahrt ausmacht.
Unter Zugrundelegung dieser Umstände sind die beiden Stufen für einen Verkehrsteilnehmer in der Situation der Klägerin nicht ausreichend erkennbar.
Von der „Swarovski Treppe“ kommend erscheint die in Rede stehende Stelle, an der sich tatsächlich zwei Stufen befinden, wie eine einheitliche Ebene, wenn man den Blick gleichermaßen „vor die Füße“ und auf den vor einem befindlichen Raum richtet. Dieser Eindruck der Ebene wird dadurch verstärkt, dass sich die beige Muster- ung des Spannteppichs quasi in einem fortzusetzen scheint, lediglich durch Holzleisten unterbrochen. Solche Holzleisten müssen auch nicht zwingend mit Stufen in Zusammenhang gebracht werden, zumal entsprechende Warnungen vor Stufen im Allgemeinen mit, wie international üblich, in gelber Farbe gehaltenen Streifen erfolgen und die Holzleisten nicht zuletzt auch der Überdeckung von Schnittstellen im Spannteppich dienen könnten. Das unbeleuchtete, nur wenige cm große Warnschild weist für einen aufrecht gehenden Fußgänger, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Aufmerksamkeitswert auf.
Die beiden Stufen stellen also eine Gefahrenquelle dar, vor der sich ein Verkehrsteilnehmer in der Situation der Klägerin nicht angemessen schützen kann. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum diese Gefahrenquelle bei einer aufmerksamen Begehung durch die Beklagte nicht hätte ausgemacht werden können. Beweisergebnisse, dass der Sturz der Klägerin an besagter Stelle nicht der einzige war, sind auch durchaus vorhanden.
Die einfachste adäquate Warnung vor dieser Gefahrenquelle, die die geforderte Sorgfaltspflicht auch in keiner Weise überspannen würde, wäre eine farblich auffälligere Kennzeichnung der Stufen, allenfalls ein in diesem Bereich anders gestalteter Bodenbelag oder eine sonstige Hervorhebung der Stufen durch eine zusätzliche Lichtquelle. Denn gerade der Umstand, dass – in Gehrichtung der Klägerin – zunächst die „Swarovski Treppe“ markant glitzert, die danach folgenden beiden Stufen aber völlig unauffällig ausgestaltet sind, muss geradezu bei dort unterwegs Befindlichen den Eindruck erwecken, sich nach dem Verlassen der „Swarovski Treppe“ auf einheitlichem Niveau zu befinden.
Die Beklagte haftet der Klägerin daher für die aus dem Sturz über die Stufen resultierenden Schäden wegen schuldhafter Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses. Für ein mangelndes Verschulden wäre die Beklagte gemäß § 1298 ABGB beweispflichtig gewesen.
Hinsichtlich des Leistungsbegehrens war der Berufung somit Folge zu geben und mangels Feststellungen zu den einzelnen Schadenersatzpositionen bzw. deren Höhe die angefochtene Abweisung in ein Zwischenurteil dem Grunde nach abzuändern (§ 393 Abs 1 ZPO).
Der diesbezügliche Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 393 Abs 4 i.V.m. 52 Abs 4 ZPO.
Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität und von einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung nicht zu lösen waren (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO; Klauser/Kodek , ZPO 17 § 502 E 38).
Die von der Klägerin begehrte Feststellung einer Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden setzt die Möglichkeit künftiger Unfallfolgen voraus (RIS-Justiz RS0038865). Mangels diesbezüglicher Feststellungen war der Berufung der Klägerin in diesem Punkt ebenfalls Folge zu geben, die angefochtene Abweisung aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO).
Es mag sich zwar dabei um eine sogenannte punktuelle Frage handeln ( Klauser/Kodek , ZPO 17 § 496 E 80c), doch kommt eine Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht gemäß § 496 Abs 3 ZPO nicht in Betracht, zumal die Frage der möglichen zukünftigen Unfallfolgen im Rahmen des Verfahrens vor dem Erstgericht zu den einzelnen Schadenspositionen bzw. zu deren Höhe leicht und ökonomisch miterledigt werden kann.
Der diesen Teil der Kosten betreffende Ausspruch gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.