1R106/96a – Handelsgericht Wien Entscheidung
Kopf
Das Handelsgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Richter Dr. Kreimel (Vorsitzender), Dr. Schinzel und Dr. Pelant in der Rechtssache der Klägerin Wiener G***** vertreten durch Dr. Amhof Dr. Damian, Rechtsanwälte -Partnerschaft in 1060 Wien, wider die Beklagte Margareta J***** vertreten durch Dr. Gerald Albrecht, Rechtsanwalt in 1030 Wien, wegen S 37.468,96 samt Anhang (Rekursinteresse: S 4.143,68) über den Kostenrekurs der Klägerin gegen die im Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 28.3.1995, GZ 10 C 2556/94v-12, enthaltene Kostenentscheidung in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Mit der am 12.9.1994 bei Gericht eingelangten Mahnklage begehrte die Klägerin die Bezahlung von S 37.468,96 samt Anhang. Sie brachte dazu vor, daß die Beklagte, die Geschäftsführerin der Firma R***** für diesen Betrag an Sozialversicherungsbeiträgen als Bürge und Zahler hafte. Zum Beweis dafür berief sich die Klägerin zunächst auf diverse Unterlagen, insbesondere die Bürgschaftserklärung vom 11.2.1992 und den vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 31.8.1994.
Gegen den auf dieser Grundlage vom Erstgericht angtragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl erhob die Beklagte fristgerecht Einspruch. Sie führte darin aus, die Schuld, für die sie sich verbürgt habe, bestehe nicht zu Recht. Die Gesellschaft befinde sich in Liquidation und übe keine Geschäftstätigkeit mehr aus. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurden auch die Richtigkeit und die ordnungsgemäße Zustellung des Rückstandsausweises bestritten.
Nachdem insgesamt 5 Verhandlungstagsatzungen stattgefunden hatten, gab das Erstgericht der Klage mit Urteil vom 28.3.1995 zur Gänze statt. Außerdem sprach es der Klägerin einen Großteil der Prozeßkosten zu. Unter II faßte es den Beschluß, daß die Klägerin unabhängig vom Ausgang des Verfahrens schuldig sei, der Beklagten an Kosten S 4.143,68 zu bezahlen. Letzteres begründete das Erstgericht damit, daß die Verhandlung am Ende zweimal habe erstreckt werden müssen. Dies beruhe auf einem Verschulden der Klägerin, weil die von ihr beantragten Zeugen zu der vom damaligen Verhandlungsrichter notwendig erachteten Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit des Rückstandsausweises und der Aufschlüsselung des Klagebegehrens nicht imstande gewesen seien. Da die Klägerin von vornherein darüber informierte Zeugen hätte anbieten müssen, sei hinsichtlich der Verhandlungstagsatzungen vom 28.2. und 28.3.1995 zugunsten der Beklagten mit Kostenseparation vorzugehen gewesen (§ 48 ZPO).
Gegen diesen im Urteil insbesondere unter II. bezeichneten Beschluß richtet sich der Rekurs ("Kostenrekurs") der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Kostenpunkt dahingehend abzuändern, daß die ausgesprochene Kostenseparation aufgehoben und der Klägerin ein weiterer Kostenbetrag von S 4.143,68 zugesprochen werde.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurswerberin vertritt die Meinung, daß es einer Zeugeneinvernahme nicht bedurft hätte, weil das Klags- vorbringen ohnehin durch einen vollstreckbaren Rückstandsausweis hinlänglich bewiesen gewesen sei. Erörterungen über untaugliche oder verspätet angebotene Zeugen erwiesen sich daher schon begrifflich als irrelevant. Wenn jede Partei mit den Zeugen zunächst ein "ausführliches Examen" durchzuführen hätte, könne dies der Wahrheitsfindung nicht zuträglich sein.
Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen: Der Rekurs übersieht, daß die Beklagte, die sich für eine Schuld, hinsichtlich derer kein Exekutionstitel bestanden hat, verbürgte, ungeachtet eines später erlassenen solchen Titels Einwendungen gegen die Schuld geltend machen kann, die dem Hauptschuldner selbst nicht mehr zur Verfügung stehen (vgl. SZ 15/61; EvBl 1990/90; Gamerith in Rummel ABGB II2, Rz 8 zu § 1351; Mader in Schwimann, Rz 7 zu § 1351).
Richtig ist, daß sog. "Rückstandsausweise" gemäß § 1 Z 13 EO vollstreckbare Exekutionstitel sind. Dies bedeutet aber nicht, daß sie eine Bindungswirkung gegen die Beklagte entfalten können. Diese war im Verwaltungsverfahren, das zum Rückstandsausweis führte, nicht beteiligt (vgl. EvBl 1990, 90). Um ihr Recht auf Gehör zu wahren, durfte ihr im folgenden Zivilprozeß die Möglichkeit, die Unrichtigkeit des Rückstandsausweises einzuwenden (und zu beweisen), nicht genommen werden; denn auch Rückstandsausweise wirken, wie dargelegt, lediglich "inter partes", also zwischen der Klägerin und der Firma R*****.
Aber auch aus der Akzessorietät der Bürgschaftsverpflichtung läßt sich eine Bindungswirkung, wie sie der Klägerin offenbar vorschwebt, nicht folgern. Zwar hängt eine Bürgschaftsverpflichtung vom gültigen Bestand einer Hauptschuld ab. Dieser Bestand kann aber durch einen Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO stets nur gegenüber den am Verfahren Beteiligten festgestellt werden. Ein Bürge, der nicht Verfahrensbeteiligter war, ist von der Rechtskraft des ergangenen "Titels" nicht umfaßt, er kann daher sehr wohl dessen Unrichtigkeit behaupten (SZ 15/61).
Dies entspricht der von der österreichischen Lehre
einhellig vertretenen "prozessualen Rechtskrafttheorie", welche die Wirkung der Rechtskraft in einer rein prozessualen Präklusion sieht; sie schneidet den von ihr erfaßten Personen jede dem Feststellungsinhalt der Entscheidung widersprechende Behauptung in künftigen Verfahren ab (vgl. Rechberger-Simota, Grundriß4, Rz 695 mwN). Da sohin nur Gläubiger und Schuldner von den Wirkungen des Rückstandsausweises umfaßt sind, nicht jedoch die Beklagte als Bürgin, konnte sich diese darauf berufen, daß der nun ihr gegenüber geltend gemachte Rückstandsausweis unrichtig sei (vgl. SZ 15/61).
Aus diesem Grund erwies sich die Einvernahme der von der Klägerin beantragten Zeugen keinesfalls als irrelevant, war diese Beweisführung doch darauf gerichtet, die Stichhaltigkeit eines zulässigerweise erhobenen Einwands der Beklagten zu prüfen. Im übrigen kann der Klägerin auch nicht darin beigetreten werden, daß es Aufgabe der Beklagten gewesen wäre, gegen den Rückstandsausweis den Gegenbeweis nach § 292 Abs 2 ZPO zu erbringen. Die Bestimmung des § 292 Abs 1 ZPO, wonach öffentliche Urkunden den vollen Beweis dessen begründen, was darin verfügt, erklärt oder bezeugt ist, kann nicht dazu führen, daß der Rückstandsausweis - einem Dritten gegenüber - den vollen Beweis für die darin enthaltenen Beitragsrückstände erbringt. Vielmehr beweist diese Urkunde allein, daß gegen den Hauptschuldner eine offene Zahlungsverpflichtung in entsprechender Höhe besteht (RPflSlg 120/84). Wie oben dargelegt, wird die Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit durch die materielle Rechtskraft bestimmt. Demnach hatte den Beweis für die Richtigkeit der Hauptschuld auch gegenüber der bürgenden Beklagten die Klägerin zu erbringen. (Im vorbereitenden Schriftsatz vom 25.10.1994, ON 4, räumte dies die Klägerin auch von sich aus ein.) Demnach muß das Hauptargument des Rekurses, wonach es keiner Beweisaufnahme mehr bedurft hätte, versagen.
Ferner wendet sich die Rechtsmittelwerberin gegen die Annahme des Erstgerichtes, es sei ihr als Verschulden zuzurechnen, daß die von ihr beantragten Zeugen uninformiert waren. Hingegen bekämpft sie weder den Umstand, daß hiedurch eine zweimalige Erstreckung der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung hervorgerufen wurde, noch richtet sie sich gegen die ziffernmäßige Bestimmung der ihr auferlegten Kosten. Was das Verschulden betrifft, so ist ihr zuzugestehen, daß selbstverständlich nicht jede Partei die von ihr beantragten Zeugen vor deren gerichtlicher Aussage gleichsam zu überprüfen hat. Wohl aber kann erwartet werden, daß ein Arbeitgeber aus dem Kreis der von ihm Beschäftigten jene Person, die einen konkreten Rückstandsausweis bearbeitet hat, vor Gericht als darüber informierten Zeugen zeitgerecht benennt. Aus einer (größeren) Institution, wie es die Klägerin ist, den richtigen Zeugen selbst zu eruieren, kommt für das Gericht jedenfalls nicht in Betracht (vgl. EvBl 1935/559).
Daß es selbst bei gehöriger Aufmerksamkeit und gehörigem Fleiß nicht zu vermeiden gewesen wäre, daß vor Gericht zwei uninformierte Zeugen beantragt wurden, behauptet nicht einmal die Klägerin selbst (IndRME 1968/542; EvBl 1935/559; Fasching II, 348; Fucik in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 50). Aber sogar wenn man annehmen wollte, daß es an einem diesbezüglichen Verschulden der Klägerin fehlte, wäre nichts gewonnen für sie. Denn die vom Erstgericht angewendete Bestimmung des § 48 ZPO setzt ein Verschulden auf ihrer Seite nicht zwingend voraus (vgl. § 142 ZPO); Kosten verursachende Zwischenfälle, die infolge eines der Parteien widerfahrenden Zufalls eintreten, genügen dafür. Daß aber zuletzt die (zweimalige) Erstreckung der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zumindest durch in der Sphäre der Klägerin gelegene Umstände erforderlich wurde, ist nicht zu übersehen. Demnach erweist sich die Entscheidung des Erstgerichtes als richtig.
Sohin war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 1 und 3 ZPO.