JudikaturDSB

K202.113/0007-DSK/2012 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2012

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

B E S C H E I D

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER, Mag. HEILEGGER, Mag. HUTTERER, Mag. MAITZ-STRASSNIG, Dr. HEISSENBERGER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 17. Oktober 2012 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über den Antrag des Vereins A*** Institut für Verkehrs- und Sicherheitsforschung (Antragsteller, auch kurz: A***-Institut) in **** N***, vertreten durch Dr. Paul V***, MSc, Rechtsanwalt in **** N***, vom 7. März 2012 auf Erteilung einer Genehmigung einer wissenschaftlichen Untersuchung des Verkehrsverhaltens von Kraftfahrern („Naturalistic Driving“-Studie, im Folgenden auch kurz: NDS) wird gemäß § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF, entschieden:

Euro 6,50

zu entrichten. Dieser Betrag ist gemäß § 2 Abs. 1 BVwAbgV mit Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheides fällig.

Rechtsgrundlagen : § 46 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 165/1999 idgF, sowie § 78 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF, iVm §§ 1, 3 Abs. 1 und TP 1 Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983, BGBl. Nr. 24/1983 idgF (BVwAbgV).

B e g r ü n d u n g

Der Antragsteller hat für Zwecke einer NDS die gegenständliche Genehmigung beantragt. Die Studie umfasse insbesondere (als eine von mehreren Datensammelmethoden) Bildaufzeichnungen mit Hilfe von an oder in den am Versuch teilnehmenden Fahrzeugen (u.a. Pkw, aber auch Lkw, Motorräder und Fahrräder) angebrachten Kameras. Während die Lenker selbst bzw. sonstige Fahrzeuginsassen durch Aufklärung und entsprechende Zustimmungserklärungen über ihre Datenschutzrechte selbst verfügen könnten, sei dies bei anderen Verkehrsteilnehmern, die sich durch den Aufnahmebereich der Kameras bewegen – was auf Grund der Methodik nicht ausgeschlossen werden könne – nicht möglich. Eine Identifizierung der Betroffenen zwecks Einholung einer Zustimmung sei kaum möglich und jedenfalls nicht tunlich. Es könne aber, etwa im Zuge der Aufnahme nicht vorhersehbarer Ereignisse (z.B. von Verkehrsunfällen), dazu kommen, dass das Verhalten solcher Personen für den Untersuchungszweck relevant werde.

Der folgende Sachverhalt wird festgestellt:

Der Antragsteller hat (Meldung an die Datenschutzkommission – Datenverarbeitungsregister vom 5. April 2012, DVR: 0**6*06) eine Datenanwendung „NDS“ (Kurzbezeichnung durch die Datenschutzkommission) mit folgender Zweckangabe gemeldet:

„Bei der Studie sollen verschiedene Fahrzeuge (Pkw, Lkw, Motorräder, Mopeds, Fahrräder) mit Messtechnik und Videokameras (= Datenerfassungssystem) ausgestattet werden, um das natürliche, menschliche und ganzheitliche Fahrverhalten von FahrzeuglenkerInnen in ganz Österreich im Alltag über verschiedene Zeiträume (max. bis zu einem Jahr) zu beobachten. Ziel der Datenanwendung ist die Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Unfallverhütung und Prävention.“

Für diesen Zweck werden die als Versuchsobjekte eingesetzten Kraftfahrzeuge (Pkw und Motorräder) für 12 Monate mit je vier fest installierten Kameras samt digitaler Aufzeichnungseinheit ausgestattet. Bei Pkw ist je eine Kamera durch die Windschutzscheibe und die Heckscheibe nach vorne und hinten auf die Straße ausgerichtet, eine auf das Gesicht und eine auf Hände und Füße des Lenkers (Option für eine fünfte Kamera auf das Gesicht des Beifahrers). Bei Motorrädern und Mopeds ist je eine Kamera nach vorne, zwei seitlich und eine auf das Gesicht des Fahrzeuglenkers gerichtet. Alle Kameras sind bei einer Bildauflösung von 5000 kb/sec mit einer digitalen Aufzeichnungseinheit (die noch weitere Daten, insbesondere GPS-Positionsdaten, Beschleunigungs- und Geschwindigkeitswerte aufzeichnen kann) verbunden, die die Daten von etwa 23 Stunden reiner Fahrzeit auf einer austauschbaren Speicherkarte erfasst. Bei Motorrädern ist auch die Erfassung von Tondaten vorgesehen. Die genaue Konfiguration der Kameras für Lkw und Fahrräder stand im Antragszeitpunkt noch nicht fest, unterscheide sich aber nicht grundsätzlich von den beschriebenen.

Die Bild- und Tondaten betreffend den am Versuch teilnehmenden Lenker (regelmäßig der über das Fahrzeug Verfügungsbefugte, auch als Testfahrer bzw. Proband bezeichnet) und sonstige Fahrzeuginsassen (Beifahrer und weitere Mitfahrer) werden auf Grund einer Zustimmungserklärung verwendet (die weiteren Daten, die über den Lenker mit dessen Zustimmung verwendet werden sollen, sind der Registermeldung und dem Zustimmungsformular zu entnehmen; diese werden teils durch weitere Sensoren, teils durch Befragung des Lenkers erhoben). Der für die Dauer der Studie in einem vertraglichen Verhältnis zum Antragsteller stehende Lenker ist verpflichtet, die nachweisliche Zustimmung betroffener Fahrzeuginsassen (auf einem vom Antragsteller übergebenen Erklärungsformular) einzuholen.

Mit Hilfe der nach außen gerichteten Kameras (bzw. teilweise auch Mikrophonen) werden auch Bild- und Tondaten von Verkehrsteilnehmern erfasst, die vom oben beschriebenen System der Zustimmungserklärungen nicht umfasst sind, deren Verarbeitung aber für den Studienzweck unerlässlich ist (insbesondere zur Feststellung von Ursache-Wirkung-Relationen bei Unfallereignissen). Da u.a. eine Auswertung der Erkennbarkeit von Verkehrszeichen mittels Bilderkennungssoftware vorgesehen ist, muss eine Bildauflösung gewährleistet sein, die den Einsatz solcher Software ermöglicht. Eine Identifizierung anderer Verkehrsteilnehmer wird vom Antragsteller als datenschutzrechtlicher Auftraggeber nicht angestrebt oder vorgenommen, die Ermöglichung einer Identifizierung kann aber (etwa durch im Bild sichtbare Kfz-Kennzeichen, Gesichtsbilder und Fahrzeugmerkmale) nicht ausgeschlossen werden.

Zweck der Studie ist die Gewinnung von Daten zum Verkehrsverhalten, einschließlich Augen-/Kopfbewegungen, Ablenkungsfaktoren (wie Telefongesprächen) und Müdigkeitsanzeichen, die für die wissenschaftliche Unfallursachenforschung und die Unfallprävention nutzbar sind. Eine personenbezogene Übermittlung, insbesondere Veröffentlichung der Daten ist nicht vorgesehen.

Der Antragsteller ist eine amts- und allgemein bekannte Forschungseinrichtung mit Spezialisierung auf den Bereich Verkehrssicherheit und Unfallforschung.

Beweiswürdigung : Diese Feststellungen beruhen auf dem Vorbringen im Antrag vom 7. März 2012, der Meldung an das Datenverarbeitungsregister vom 5. April 2012, den vorgelegten Vertragsmustern für Testfahrer sowie auf der vorgelegten Bilddokumentation der vorgesehenen Kamerapositionen (Pkw und Motorrad, Beilagen zur Stellungnahme vom 2. Juli 2012).

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Gemäß § 4 Z 1 DSG 2000 sind personenbezogene Daten Angaben über Betroffene, deren Identität bestimmt oder bestimmbar ist.

Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:

Wissenschaftliche Forschung und Statistik

§ 46 . (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die

Andere Daten dürfen nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 bis 3 verwendet werden.

(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten nur

(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist auf Antrag des Auftraggebers der Untersuchung zu erteilen, wenn

Sollen sensible Daten ermittelt werden, muß ein wichtiges öffentliches Interesse an der Untersuchung vorliegen; weiters muß gewährleistet sein, daß die Daten beim Auftraggeber der Untersuchung nur von Personen verwendet werden, die hinsichtlich des Gegenstandes der Untersuchung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder deren diesbezügliche Verläßlichkeit sonst glaubhaft ist. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten, notwendig ist.

(3a) Einem Antrag nach Abs. 3 ist jedenfalls eine vom Verfügungsbefugten über die Datenbestände, aus denen die Daten ermittelt werden sollen, oder einem sonst darüber Verfügungsbefugten unterfertigte Erklärung anzuschließen, dass er dem Auftraggeber die Datenbestände für die Untersuchung zur Verfügung stellt. Anstelle dieser Erklärung kann auch ein diese Erklärung ersetzender Exekutionstitel (§ 367 Abs. 1 der Exekutionsordnung – EO, RGBl. Nr. 79/1896) vorgelegt werden.

(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.

(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“

Die Datenschutzkommission hat schon mehrfach festgestellt, dass Bilddaten (bestimmbare) personenbezogene Daten iSd § 4 Z 1 DSG 2000 sind (vgl. für viele den Bescheid vom 21. Jänner 2009, GZ: K121.425/0003-DSK/2009, RIS). Das DSG 2000 ist somit einschlägig. Gleichzeitig liegen mit diesen Bilddaten aber keine sensiblen Daten (§ 4 Z 2 DSG 2000) vor, was ebenfalls von der Datenschutzkommission anerkannt ist.

Bilddaten sollen nun für wissenschaftliche Zwecke ermittelt und ausgewertet werden. Die Verwendung personenbezogener Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung und Statistik unterliegt der Sondervorschrift des § 46 DSG 2000 (und nicht etwa den §§ 50a ff DSG 2000, die Videoüberwachung zu anderen Zwecken regeln).

Der Antragsteller begehrt zwar (Antrag vom 7. März 2012) für seine NDS pauschal die „Genehmigung einer wissenschaftlich/statistischen Untersuchung“ , doch kann eine solche nur auf die Verwendung von Daten gerichtet sein, für die nicht anders als durch eine bescheidmäßige Genehmigung gemäß § 46 Abs. 3 DSG 2000 die Rechtmäßigkeit der Datenverwendung hergestellt werden kann.

Soweit Daten des Lenkers (Testfahrers) und weiterer Fahrzeuginsassen verwendet werden sollen – dies betrifft ausdrücklich nicht nur Bilddaten –, kann die Rechtmäßigkeit gemäß § 46 Abs. 2 Z 2 DSG 2000 durch eine Zustimmungserklärung der Betroffenen hergestellt werden. Dies ist auch so vorgesehen.

Wie sich aber aus dem Sachverhalt klar ergibt, kann die Zustimmung von nicht an der NDS teilnehmenden Verkehrsteilnehmern, die sich durch den Aufnahmebereich der Kameras bewegen (von vornherein unbestimmter Personenkreis), nicht vorgenommen werden, ohne einen sehr hohen Aufwand zu treiben (Identifizierung und Ausforschung der Betroffenen, etwa an Hand von Kfz-Kennzeichen) und einen Verarbeitungsvorgang, nämlich die einen direkten Personenbezug herstellende Identifizierung, vorzunehmen, der für den Zweck der wissenschaftlichen Untersuchung gar nicht erforderlich ist.

Dies führt zu dem Schluss, dass die Einholung der Zustimmung aller Betroffenen – die im Übrigen nur im Nachhinein erfolgen könnte – nicht nur einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen, sondern zumindest teilweise dem Schutzzweck der §§ 1 Abs. 1 und 46 DSG 2000 zuwiderlaufen würde.

Das öffentliche Interesse an der beabsichtigen Datenverwendung ist gegeben. Durch Unfallforschung besteht die Möglichkeit, Vorschläge zur Prävention von Verkehrsunfällen zu erarbeiten und das Leben und die Gesundheit von Menschen zu schützen.

Wie sich aus den Sachverhaltsfeststellungen ergibt, ist der Antragsteller eine allgemein anerkannte Forschungseinrichtung, die Gewähr dafür bietet, dass die NDS, samt damit verbundener Datenverwendung, von qualifiziertem Fachpersonal und zuverlässigen Hilfskräften durchgeführt wird.

Die Genehmigung war daher zu erteilen, allerdings gemäß § 46 Abs. 3 DSG 2000 an die Erfüllung von Auflagen zu knüpfen (Spruchpunkt 2.).

Die Auflage 2.a. stellt sicher, dass Betroffene die Möglichkeit haben, von der Bild- und Tondatenerfassung Kenntnis zu erlangen (§ 24 DSG 2000 unter sinngemäßer Anwendung von § 50d DSG 2000).

Die Auflage 2.b. nimmt auf die Möglichkeit Bezug, dass Bild- und Tondaten, etwa nach einem Verkehrsunfall mit Verletzten, für Zwecke eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens als Beweismittel sichergestellt und beschlagnahmt werden. Die Auflage soll klarstellen, dass eine solche Übermittlung der einzige Fall bleiben muss, in dem der unausgewertete, unbearbeitete (nicht-pseudonymisierte) Original-Datenbestand übermittelt werden darf.

Die Auflage 2.c. dient der Einhaltung und Sicherung des Datengeheimnisses.

Da für die übrige Datenverwendung für Zwecke der NDS die Rechtmäßigkeit durch Einholung von Zustimmungserklärungen der Betroffenen gemäß § 46 Abs. 2 Z 2 DSG 2000 hergestellt werden kann, ist eine bescheidmäßige Genehmigung über den Spruchpunkt 1. hinaus, wie bereits weiter oben ausgeführt, nicht möglich; der Antrag war daher, soweit er darüber hinaus geht, summarisch abzuweisen.

Der Kostenpunkt des Spruchs stützt sich auf die zitierten Bestimmungen. Die Erteilung einer Genehmigung der Datenverwendung für wissenschaftliche Forschung und Statistik ist nicht von der Gebühren- und Abgabenbefreiungsklausel des § 53 Abs. 1 DSG 2000 umfasst.

Eine Aufforderung zur Entrichtung von Eingabegebühren entfällt im Hinblick auf § 2 Z 3 Gebührengesetz 1957 und den verfolgten wissenschaftlichen Zweck der Sache.

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