JudikaturDSB

K202.103/0008-DSK/2011 – Datenschutzkommission Entscheidung

Entscheidung
20. Juli 2011

Text

[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Anonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

B e s c h e i d

Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. SPENLING und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER, Mag. HUTTERER, Mag. MAITZ-STRASSNIG, Mag. HEILEGGER und Dr. HEISSENBERGER sowie des Schriftführers Mag. SUDA in ihrer Sitzung vom 20. Juli 2011 folgenden Beschluss gefasst:

S p r u c h

Über den Antrag der XY***GmbH (Antragsstellerin) vom 7. März 2011, auf Genehmigung der Übermittlung von Adress- und geographischen Koordinatendaten ihrer Studienteilnehmer aus dem Zentralen Melderegister für das Forschungsprojekt „***“ wird gemäß § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl I Nr. 165/1999 idgF, entschieden:

Gemäß § 78 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG), BGBl Nr. 51/1991 idgF, iVm §§ 1, 3 Abs. 1 und TP 1 Bundesverwaltungsabgabenverordnung 1983, BGBl Nr. 24 idgF (BVwAbgV), haben Sie eine Verwaltungsabgabe in Höhe von

Euro 6,50

zu entrichten. Dieser Betrag ist gemäß § 2 Abs. 1 BVwAbgV mit Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheides fällig.

B e g r ü n d u n g

Die Antragstellerin begehrt für Zwecke des Forschungsprojekts „***“ nach Übermittlung einer ihr bereits vorliegenden Liste von Namen und Adressen von Studienteilnehmern an das Zentrale Melderegister aus diesem die Information, an welchen Wohnorten die Studienteilnehmer gewohnt haben bzw. wo diese aktuell wohnen sowie die exakten geographischen Koordinaten der Wohnorte.

Festzuhalten ist zunächst, dass Verfahrensgegenstand ausschließlich die Verwendung der begehrten Daten durch den Antragsteller ist, nicht aber die Übermittlung der Daten vom ZMR an den Antragsteller.

Der folgende Sachverhalt wird festgestellt:

Die Antragstellerin nimmt an einem europaweiten Projekt „***“ zur Erforschung der Gesundheitsfolgen von Luftschadstoffen teil. Dieses Projekt wird von der Europäischen Union speziell mit dem Ziel gefördert, wissenschaftliche Grundlagen für eine neue Luftschadstoffrichtlinie zu liefern.

Zu diesem Zweck ist beabsichtigt, die Gesundheitsdaten der Vorsorgeuntersuchungen von Studienteilnehmern zu verwenden. Vor- und Nachname der Studienteilnehmer werden an das Zentrale Melderegister bekannt gegeben, aus diesem soll rückgemeldet werden, an welchen Adressen die Studienteilnehmer leben oder gelebt haben, sowie die genauen geographischen Koordinaten der jeweiligen Adressen.

Die Universität Ulm erhält einen Datensatz mit Namen, Adressen und geographischen Koordinaten sowie der Teilnehmer-ID der Studienteilnehmer. Die Namen der ca. 180.000 Studienteilnehmer werden durch eine zufällig zugeteilte Teilnehmer ID und die Adressen wiederum durch die genauen geographischen Koordinaten ersetzt. Dieser Datensatz wird an das Schweizerische LL*** Institut der Universität S** gesendet und mit den Schadstoffwerten der geographischen Koordinaten ergänzt. Die Gesundheitsdaten der Studienteilnehmer werden mit Hilfe der Teilnehmer-ID zusammengeführt. Aus diesen Daten werden die epidemiologischen Analysen durchgeführt und ausgewertet.

Der Datensatz enthält Informationen zu ca. 180 000 Studienteilnehmer. Dies entspricht ca. 55% der Gesamtpopulation des Landes Vorarlberg. Solche großen longitudinalen Zahlen werden als ein unschätzbarer Vorteil für die Erforschung der Entwicklung von Krankheiten, sowie generell für Studien zu Auswirkungen von Umwelteinflüssen bezeichnet. Dies ist hier insbesondere von Bedeutung, da diese Studie die Langzeiteffekte von Luftverschmutzung in Europa auf die Gesundheit untersucht. Die derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Forschungen basieren vor allem auf Dosis-Wirkungsbeziehungen aus Studien, die in Nordamerika die Unterschiede zwischen verschiedenen Städten untersuchten. Es besteht dringender Bedarf, Studien in Europa über Expositionen der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart durchzuführen und verbesserte Methoden zur Expositionsbestimmung zu verwenden. Die Einholung der Zustimmung der Studienteilnehmer ist teils mangels ihrer Erreichbarkeit unmöglich bzw. würde dies teils einen unverhältnismäßigen Aufwand für den datenschutzrechtlichen Auftraggeber – Antragsteller – bzw. für den Dienstleister – Institut für Epidemiologie und medizinische Soziologie der Universität Ulm – bedeuten.

„Eignung des Dienstleisters:

Die Universität K** verfügt über langjährige Erfahrung nicht nur bezüglich der Durchführung zahlreicher epidemiologischer Studien sondern auch als Datenzentrum mehrerer nationaler und internationaler Studien wie. z.B. **2, Lw**, Sa**, R***.

Durch diese und andere Projekte verfügt die Universität K** über die entsprechenden Strukturen und einen großen Erfahrungsschatz, um den größtmöglichen Schutz der persönlichen Daten garantieren zu können. Die an der Universität K** durchgeführten Studien genügen dem deutschen Datenschutzgesetz, was durch regelmäßigen Kontakt mit den Datenschutzbeauftragten gewährleistet wird.

Herr Prof. Dr. QP***, der Leiter des Instituts, hat langjährige Erfahrung mit der Konzeption, Durchführung und Analyse von großen epidemiologischen Studien, die zur Publikation von mehr als 170 wissenschaftlichen Artikeln führte. Fr. Dr. B***, die Projektverantwortliche, war insbesondere mit den Aufgaben für Phase 2 von **2 und Sa**betraut und ist Mitglieds des Steering Committees von **2 sowie des europäischen Projektes PLL*. Er hat einschlägige Erfahrung mit wissenschaftlichen Arbeiten zur Luftverschmutzung.

Beweiswürdigung: Diese Feststellungen beruhen auf dem Vorbringen im Antrag sowie im Schreiben des Antragstellers vom 7. März 2011, 8. April 2011, 6. und 11. Mai 2011 samt deren Beilagen sowie den Informationen der Webseite „www.****“

In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

Gemäß § 4 Z 1 DSG 2000 sind personenbezogene Daten Angaben über Betroffene, deren Identität bestimmt oder bestimmbar ist. Für die Verwendung von Daten für Zwecke der statistischen bzw. wissenschaftlichen Forschung enthält das DSG 2000 in seinem § 46 eine Sondervorschrift. Diese lautet:

„Wissenschaftliche Forschung und Statistik

§ 46. (1) Für Zwecke wissenschaftlicher oder statistischer Untersuchungen, die keine personenbezogenen Ergebnisse zum Ziel haben, darf der Auftraggeber der Untersuchung alle Daten verwenden, die

1. öffentlich zugänglich sind oder

2. er für andere Untersuchungen oder auch andere Zwecke zulässigerweise ermittelt hat oder

3. für ihn nur indirekt personenbezogen sind.

Andere Daten dürfen nur unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 bis 3 verwendet werden.

(2) Bei Datenanwendungen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung und Statistik, die nicht unter Abs. 1 fallen, dürfen Daten nur

1. gemäß besonderen gesetzlichen Vorschriften oder

2. mit Zustimmung des Betroffenen oder

3. mit Genehmigung der Datenschutzkommission gemäß Abs. 3 verwendet werden.

(3) Eine Genehmigung der Datenschutzkommission für die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik ist auf Antrag des Auftraggebers der Untersuchung zu erteilen, wenn

Sollen sensible Daten ermittelt werden, muß ein wichtiges öffentliches Interesse an der Untersuchung vorliegen; weiters muß gewährleistet sein, daß die Daten beim Auftraggeber der Untersuchung nur von Personen verwendet werden, die hinsichtlich des Gegenstandes der Untersuchung einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen oder deren diesbezügliche Verläßlichkeit sonst glaubhaft ist. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten, notwendig ist.

(3a) Einem Antrag nach Abs. 3 ist jedenfalls eine vom Verfügungsbefugten über die Datenbestände, aus denen die Daten ermittelt werden sollen, oder einem sonst darüber Verfügungsbefugten unterfertigte Erklärung anzuschließen, dass er dem Auftraggeber die Datenbestände für die Untersuchung zur Verfügung stellt. Anstelle dieser Erklärung kann auch ein diese Erklärung ersetzender Exekutionstitel (§ 367 Abs. 1 der Exekutionsordnung – EO, RGBl. Nr. 79/1896) vorgelegt werden.

(4) Rechtliche Beschränkungen der Zulässigkeit der Benützung von Daten aus anderen, insbesondere urheberrechtlichen Gründen bleiben unberührt.

(5) Auch in jenen Fällen, in welchen gemäß den vorstehenden Bestimmungen die Verwendung von Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung oder Statistik in personenbezogener Form zulässig ist, ist der direkte Personsbezug unverzüglich zu verschlüsseln, wenn in einzelnen Phasen der wissenschaftlichen oder statistischen Arbeit mit nur indirekt personenbezogenen Daten das Auslangen gefunden werden kann. Sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes vorgesehen ist, ist der Personsbezug der Daten gänzlich zu beseitigen, sobald er für die wissenschaftliche oder statistische Arbeit nicht mehr notwendig ist.“

Die Antragstellerin begehrt für Zwecke der wissenschaftlichen Untersuchung „ESCAPE“ die Übermittlung von den (oben angeführten) personenbezogenen Daten durch das Zentrale Melderegister.

Eine solche Datenverwendung für wissenschaftliche Zwecke unterliegt der Sondervorschrift des § 46 DSG 2000. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und Z 2 nicht vorliegen, sodass die geplante Datenverwendung nur aufgrund einer Genehmigung durch die Datenschutzkommission gemäß § 46 Abs. 2 Z 3 iVm Abs. 3 und Abs. 3a DSG 2000 erfolgen kann. Diese Genehmigung hat die Datenschutzkommission zu erteilen, wenn

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Antragstellerin hat das öffentliche Interesse an der beantragten Verwendung (§ 46 Abs. 3 Z 2 DSG 2000) ausreichend dargelegt sowie die fachliche Eignung (Z 3 leg. cit.) durch Heranziehung einer Universität als Dienstleister glaubhaft gemacht. Auch die Voraussetzung des § 46 Abs. 3 Z 1 DSG 2000 ist im gegenständlichen Fall gegeben: die Einholung der Zustimmung der Betroffenen ist teils mangels ihrer Erreichbarkeit unmöglich, weil die Adressdaten der Studienteilnehmer unbekannt sind, teils mit einem unverhältnismäßigem Aufwand verbunden, weil eine große Anzahl von Studienteilnehmern für die Untersuchung erforderlich ist.

Das Bundesministerium für Inneres hat auch in einem formlosen Schreiben vom 4. März 2011 (GZ.: BMI-LR****/00**-IV/2/d/2011) erklärt, der Antragstellerin die gegenständlichen Datenbestände für die Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Damit ist auch die Voraussetzung des § 46 Abs. 3a DSG 2000 erfüllt.

Die Genehmigung war daher zu erteilen, allerdings an die Erfüllung von Auflagen zu knüpfen. Die Auflagen a., b., c. spiegeln dabei gesetzliche Verpflichtungen wieder bzw. konkretisieren sie. Die Auflage f. soll insbesondere verdeutlichen, dass für die wissenschaftliche Untersuchung die Verwendung der geographischen Koordinaten nach Ermittlung der Schadstoffwerte keine Rolle mehr spielten und eine Beseitigung des Personenbezugs notwendig ist, um im Sinn des § 46 Abs. 5 DSG 2000 einen möglichst schonenden Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz vorzunehmen.

Der Kostenpunkt des Spruchs stützt sich auf die zitierten Bestimmungen. Die Erteilung einer Genehmigung der Datenverwendung für wissenschaftliche Forschung und Statistik ist nicht von der Gebühren- und Abgabenbefreiungsklausel des § 53 Abs. 1 DSG 2000 umfasst.

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