K202.100/0005-DSK/2011 – Datenschutzkommission Entscheidung
Text
[Anmerkung Bearbeiter: Namen (Firmen), (Internet )Adressen, Aktenzahlen (und dergleichen), Rechtsformen und Produktbezeichnungen etc. sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
B E S C H E I D
Die Datenschutzkommission hat unter dem Vorsitz von Dr. KURAS und in Anwesenheit der Mitglieder Dr. HEISSENBERGER, Dr. BLAHA, Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER, Dr. ROSENMAYR-KLEMENZ und Mag. HEILEGGER sowie des Schriftführers Mag. HILD in ihrer Sitzung vom 17. Juni 2011 folgenden Beschluss gefasst:
S p r u c h
Über den Antrag des Magistrats der Stadt Ü*** (Antragsteller, datenschutzrechtlicher Auftraggeber zu DVR: **2*4*1) vom 9. November 2010, die Übermittlung von 20.000 Personendatensätzen aus dem Melderegister an Judith P*** zwecks Durchführung eines Kunst- und Gedenkprojekts zu genehmigen, wird entschieden:
- Der A n t r a g wird z u r ü c k g e w i e s e n.
Rechtsgrundlagen : § 47 Abs 2 Z 2 lit a) und Abs 4 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF.
B e g r ü n d u n g:
A. Vorbringen der Partei
Der Antragsteller bringt vor, die Künstlerin Judith P*** sei die Preisträgerin eines internationalen öffentlichen Wettbewerbs für ein Mahnmal für das vom NS-Regime eingerichtete Zwangsarbeitslager in Ü*** – A***dorf. Die Preisträgerin beabsichtige 20.000 handgeschriebene, persönlich adressierte Ansichtskarten an die Einwohnerinnen und Einwohner von Ü*** zu versenden, die durch den – den ehemaligen Lagergefangenen in ihrer Korrespondenz vorgeschriebenen – Satz „Ich bin gesund, es geht mir gut“ zur Auseinandersetzung mit den Ereignissen der Vergangenheit animiert werden sollen. Geplant sei der Versand von 55 Postkarten pro Tag über ein Jahr verteilt, wobei die Bewohner einer Straße möglichst gleichzeitig oder zeitnah angeschrieben werden sollen.
Der Antragsteller führte weiter aus, die entsprechenden Daten sollten aus dem Melderegister (das im Rahmen des ZMR geführt werde) ausgewählt werden. Es werde die Genehmigung der Übermittlung gemäß § 47 Abs 4 DSG 2000 beantragt.
B. Sachverhaltsfeststellungen
Das glaubwürdige Vorbringen des Antragstellers wird der Entscheidung der Datenschutzkommission zu Grunde gelegt.
C. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus :
1. anzuwendende Rechtsvorschriften
§ 47 DSG 2000 lautet samt Überschrift:
„ Zurverfügungstellung von Adressen zur Benachrichtigung und Befragung von Betroffenen
§ 47 . (1) Soweit gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, bedarf die Übermittlung von Adreßdaten eines bestimmten Kreises von Betroffenen zum Zweck ihrer Benachrichtigung oder Befragung der Zustimmung der Betroffenen.
(2) Wenn allerdings angesichts der Auswahlkriterien für den Betroffenenkreis und des Gegenstands der Benachrichtigung oder Befragung eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen unwahrscheinlich ist, bedarf es keiner Zustimmung, wenn
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor und würde die Einholung der Zustimmung der Betroffenen gemäß Abs. 1 einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, ist die Übermittlung der Adreßdaten mit Genehmigung der Datenschutzkommission gemäß Abs. 4 zulässig, falls die Übermittlung an Dritte
erfolgen soll.
(4) Die Datenschutzkommission hat auf Antrag eines Auftraggebers, der Adressdaten verarbeitet, die Genehmigung zur Übermittlung zu erteilen, wenn der Antragsteller das Vorliegen der in Abs. 3 genannten Voraussetzungen glaubhaft macht und überwiegende schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen der Übermittlung nicht entgegenstehen. Die Datenschutzkommission kann die Genehmigung an die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen knüpfen, soweit dies zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen, insbesondere bei der Verwendung sensibler Daten als Auswahlkriterium, notwendig ist.
(5) Die übermittelten Adreßdaten dürfen ausschließlich für den genehmigten Zweck verwendet werden und sind zu löschen, sobald sie für die Benachrichtigung oder Befragung nicht mehr benötigt werden.
(6) In jenen Fällen, in welchen es gemäß den vorstehenden Bestimmungen zulässig ist, Namen und Adresse von Personen, die einem bestimmten Betroffenenkreis angehören, zu übermitteln, dürfen auch die zum Zweck der Auswahl der zu übermittelnden Adreßdaten notwendigen Verarbeitungen vorgenommen werden.“
2. rechtliche Schlussfolgerungen
Da der Antragsteller sich als verantwortlicher datenschutzrechtlicher Auftraggeber auf § 47 Abs 4 DSG 2000 beruft, hält er eine Übermittlung der Daten aus eigener Entscheidung offenbar nicht durch § 47 Abs 2 Z 2 lit a) DSG 2000 gedeckt.
§ 47 DSG 2000 deckt generell eine Datenübermittlung zum Zwecke der Benachrichtigung oder der Befragung der Betroffenen.
Als Zweck einer solchen Befragung nennen die Materialien zum DSG 2000 (1613 BlgNR XX. GP, 52) positiv ausdrücklich lediglich „Fälle, in welchen für Zwecke wissenschaftlicher Forschung die Adressdaten von bestimmten Betroffenenkreisen benötigt werden, um mit ihnen in Kontakt treten zu können.“
Negativ schließt der historische Gesetzgeber eindeutig nur „Marketing“ als Gegenstand einer Datenverwendung gemäß § 47 DSG 2000 aus (a.a.O.).
Gegenstand des vorliegenden Antrags ist eine Datenverwendung für Zwecke eines sehr speziellen und singulären Kunstprojekts. Dabei sollen die Betroffenen aufgerüttelt, neugierig gemacht und auf vergangene Verbrechen, die sich in den Grenzen ihrer Stadt ereignet haben, aufmerksam gemacht werden.
Dieses Ansinnen findet im äußersten Wortsinn des Begriffs der „Benachrichtigung“ gerade noch Deckung.
Die Grenzen gesetzlich vorgesehener Datenverwendung, wie die Zwecke des örtlichen und zentralen Melderegisters, sind durch die Ausnahmetatbestände gemäß § 47 DSG 2000 außer Kraft gesetzt, so die entsprechende Datenverwendung nicht ausdrücklich durch spezialgesetzliche Vorschriften ausgeschlossen wird. Eine derartige ausdrückliche Beschränkung sieht das MeldeG hier nicht vor.
Angesichts des Gegenstands der Benachrichtigung (einzelnes Kunst- und Gedenkprojekt) und der Auswahlkriterien (sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Ü***, daher keine Datenverarbeitung durch Auswahl nach bestimmten Kriterien) ist eine Beeinträchtigung dieser Geheimhaltungsinteressen iSd § 47 Abs. 2 DSG 2000 unwahrscheinlich.
Da weiters der Antragsteller selbst (siehe Antrag vom 9. November 2010, Seite 4) von einem öffentlichen Interesse (Förderung der Kunst, moralische Wirkung des Gedenkens an nationalsozialistische Verbrechen) ausgeht, ist die beantragte Datenverwendung aus den Gründen gemäß § 47 Abs 2 Z 2 lit a) DSG 2000 auch ohne eine Genehmigung durch die Datenschutzkommission zulässig. Die Entscheidung, ob die Übermittlung vorgenommen wird, hat daher der Antragsteller als Geschäftsapparat der Meldebehörde und registrierter Auftraggeber des Melderegisters aus eigener Macht zu treffen. Eine Genehmigung der Datenschutzkommission wird dazu nicht benötigt.
Der Antrag war daher spruchgemäß zurückzuweisen (vgl. den Bescheid der Datenschutzkommission vom 18. September 2009, GZ: K202.076/0004-DSK/2009, RIS).